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"Die Kraft Moskaus reicht offensichtlich nicht aus, um Assad zu bewegen"

Moskau setze auf Diplomatie im Fall Syrien, weil ein militärisches Eingreifen aus russischer Sicht eine muslimische Radikalisierung bewirken könne, sagt der Politologe Andrej Zagorski. Und tatsächlich ermutigt das Terrornetzwerk El Kaida die Aufständischen - mit einer unmissverständlichen Videobotschaft.

    Dirk Müller: Das Töten in Syrien geht unvermindert weiter. Regierungstruppen gehen gegen die Rebellen vor und umgekehrt, alleine Hunderte von Opfern in den zurückliegenden Tagen. Die Arabische Liga, die immer noch versucht, im Konflikt irgendwie zu vermitteln, kommt keinen Schritt voran. Jetzt wird aber alles noch komplizierter, inzwischen hat sich auch das Terrornetzwerk El Kaida eingeschaltet und ermutigt die Aufständischen, weiterzumachen, weiterzukämpfen. "Ihr steht nicht alleine", heißt es in der Videobotschaft. Baschar al-Assad und sein Militärapparat.
    Die USA haben vorgeschlagen, eine Gruppe der Freunde Syriens ins Leben zu rufen – mit dem Ziel, das Regime in Damaskus zu stürzen. Nicht mit dabei sollen nach dem Willen Washingtons China und Russland sein, nach deren Nein zur Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat. – Am Telefon ist jetzt der russische Politikwissenschaftler Andrej Zagorski von der Akademie der Wissenschaften. Guten Morgen nach Kaliningrad!

    Andrej Zagorski: Guten Morgen!

    Müller: Herr Zagorski, ist die russische Regierung dann zumindest ein Freund des syrischen Regimes?

    Zagorski: Als Freund wäre das nicht so ganz richtig zu bezeichnen, denn Moskau wünscht sich, dass die Baath-Regierung so schnell wie möglich zu Ende geht. Was Moskau aber vermeiden möchte, ist ein Sturz der Regierung und insbesondere ein Sturz mithilfe einer externen Intervention. Man hat vergeblich versucht, mehrmals eine Schlichtung zu unternehmen; ich denke, Moskau hat jetzt eine schwierige Lage.

    Müller: Das müssen Sie uns noch einmal erklären. Warum kein Sturz des Regimes, warum kein Sturz von Baschar al-Assad?

    Zagorski: Es gab auch Gerüchte vor der Reise von Außenminister Lawrow mit seinem Kollegen vom Auswärtigen Nachrichtendienst, dass die Mission eigentlich bedeuten sollte, Moskau sollte Baschar al-Assad überreden zurückzutreten. Diese Option ist nicht gänzlich ausgeschlossen in Moskau. Bloß hat Moskau wenig Einflussmöglichkeiten auf die Regierung. Man möchte aber vermeiden, dass auf ähnliche Weise Regierungsstürze auch in anderen Plätzen stattfinden können, und zweitens gibt es auch die Berücksichtigung, dass die weitere militante Entwicklung in Syrien auch weiter auf die Regierung zurückschlagen kann. Man bemerkt auch mit Sorge die Auseinandersetzungen, die es inzwischen auch im Libanon gegeben hat zwischen Aleviten und Sunniten. Das heißt, ein gewalttätiger Sturz der Regierung in Syrien wird betrachtet als eine Destabilisierung der Lage nicht nur im Lande, sondern auch in der Region insgesamt. Deswegen wird Moskau lieber auf eine politische Lösung hinarbeiten, die nicht ausschließen sollte, dass Assad gehen muss.

    Müller: Also es ist nicht so, dass Moskau auf den Status quo setzt und der Status quo ist demnach wichtiger als mehr Freiheit?

    Zagorski: Moskau setzt nicht auf den Status quo, weil man darauf nicht mehr setzen kann. Moskau setzt auf politische Mittel zur Regelung des Konfliktes statt militärischer.

    Müller: Eine Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat ist zumindest nach unserem westlichen Verständnis eine politische Lösung beziehungsweise eine politische Geste.

    Zagorski: Bitte?

    Müller: Das ist eine politische Geste nach unserem Verständnis, eine Resolution im UN-Sicherheitsrat. Warum hat Moskau Nein gesagt?

    Zagorski: Es gab einige Punkte, die für Moskau unannehmbar waren: Einmal die Forderung, dass es aus Moskauer Sicht nicht die Befugnis einer internationalen Organisation ist, über die Regierung in einem Land zu bestimmen. Zweitens: Der Haken für Moskau war immer eine Möglichkeit, dass die Resolution freies Licht geben würde in Richtung einer Intervention. Also ich denke, sollte man diese zwei Punkte herausnehmen, könnte man an einer Kompromiss-Resolution arbeiten.

    Müller: Sind, Herr Zagorski, Regime beziehungsweise politische Systeme legitim, die auf das eigene Volk schießen?

    Zagorski: Natürlich nicht, und auch viele andere Entwicklungen in der Region, zum Beispiel in Libyen, da wo Moskau durch Stillschweigen zugesagt hatte, stehen alle unter einem völkerrechtlichen Prinzip, dass die Regimes natürlich die Menschenrechte im eigenen Land schützen sollen. Das Problem ist nur – und das ist der Streit zwischen Moskau und China auf der einen Seite und den restlichen Staaten auf der anderen Seite -, wie geht man mit solchen Regimen um. Ob eine Intervention eine richtige Lösung ist oder nicht, das ist der Punkt des Streitgesprächs.

    Müller: Aber es geht ja nicht um Intervention. Es geht ja auch darum, die Aufständischen gegebenenfalls zu unterstützen, logistisch, politisch und moralisch. Können Sie sich dazu durchringen?

    Zagorski: Moskau hat versucht, da Kontakte, politische Kontakte zur Opposition herzustellen, das hat nicht ganz so gut funktioniert. Moskau geht es aber auch darum, dass die Opposition nicht weiter in Richtung militärischer Aufstand gegen die Regierung getrieben wird, das heißt Sturz mithilfe des Auslandes mit militärischen Mitteln. Das ist auch die Option, die Moskau nicht gerne sehen würde.

    Müller: Im Westen, in Europa, auch in den USA wird immer als Argument mit Blick auf die russische Haltung gebracht, dass für Russland die wirtschaftlichen Beziehungen zu Syrien – Beispiel Waffengeschäfte – wichtiger sind als die politische Situation. Ist das richtig?

    Zagorski: Das sind wichtige Interessen. Ich würde aber nicht sagen, dass sie Vorrang haben bei der Position Moskaus, denn in der Tat: Wenn ich eher besorgt wäre über den Stützpunkt, über die Waffenlieferungen oder wirtschaftliche Kooperation – da gibt es eine Menge von Entwicklungen -, dann würde ich eine völlig andere Position einnehmen müssen, denn es sollte jetzt heute eigentlich jedem klar sein, dass bei jeglicher Lösung der Lage in Syrien die Regierung Assad nicht mehr da bleibt, und sollte ich eigentlich Kontakte zu Oppositionellen aufbauen, um dann die Weiterführung der Geschäfte sicherzustellen. Moskau tut das Gegenteil. Das heißt, Moskau muss das mit Risiko machen, auch die Geschäfte mit einer eventuellen neuen Regierung in Syrien zu verlieren.

    Müller: Da muss ich Sie noch mal fragen, Herr Zagorski. Was tut Moskau ganz konkret, um auf Baschar al-Assad einzuwirken?

    Zagorski: Moskau hat versucht, mehrmals auf ihn einzureden. Der letzte Versuch, der anscheinend fehlgeschlagen ist, war der Besuch von Außenminister Lawrow und dem Chef des Auswärtigen Nachrichtendienstes in Syrien, wo man den Assad überreden wollte, eindeutig mit einem Reformprogramm zu kommen, nach Gerüchten auch, wo die Option zunächst darauf bestanden haben soll, dass Assad gehen sollte. Aber nochmals: Die Kraft Moskaus reicht offensichtlich nicht aus, um Assad zu bewegen.

    Müller: Befürchtet Moskau gegebenenfalls – wir haben das eben in den Nachrichten auch gehört -, dass El Kaida sich eingeschaltet hat und die Aufständischen rhetorisch zumindest unterstützt? Befürchtet Moskau eine islamistische Radikalisierung?

    Zagorski: Das ist das, was Moskau befürchtet, und Moskau geht genau davon aus, dass eine militärische Austragung des Konfliktes auf allen Seiten ohne politische Lösung genau das schlimmste befördert in der Region, die muslimische Radikalisierung mit El Kaida im Hintergrund.

    Müller: Wir konnten Sie wegen der Telefonleitung nicht ganz so gut verstehen, Verzeihung dafür. – Der russische Politikwissenschaftler Andrej Zagorski heute Morgen im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Zagorski: Gerne! Auf Wiederhören.

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