Am Ende eines dunklen Gangs unter der Einflugschneise des Flughafens bewohnt die Familie Maneno eine dunkle Kammer. Großmutter Rama Maneno, eine ausgelaugt wirkende Frau um die 50, hält eine Tasse an den Mund ihrer auf dem Bett liegenden Tochter Ashazi; Ashazis 15-jährige Tochter hilft.
" Letzte Woche kam Ashazis Tochter ins Büro unserer Hilfsorganisation PASADA und sagte, die Mutter sei sehr krank. Ich fuhr sofort hierher und fand die Patientin stark hustend und mit Schmerzen in der Brust. Ich nahm eine Speichelprobe, die sich als tuberkulose-positiv erwies; und vor drei Tagen begannen wir mit der medikamentösen Behandlung. Gestern schaute ich herein, um zu sehen, ob die Frau ihre Tabletten tatsächlich nimmt, was in ihrem Zustand nicht ganz einfach ist; jetzt scheint sie zumindest einigermaßen okay."
Krankenschwester Madena Ntukulu macht Hausbesuche im Auftrag von PASADA - einem Hilfswerk der katholischen Kirche für Aids- und Tuberkulosekranke, mitfinanziert von der "Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe" DAHW. - Mit ein paar fröhlichen Bemerkungen versucht Madena die bedrückende Atmosphäre aufzulockern, reißt Tücher vom vergitterten kleinen Fenster, damit zumindest ein wenig Licht in die Kammer dringt - während PASADA-Arzt Blasdus Njako die kranke Ashazi untersucht. - Den Erreger ihrer Krankheit, das durch Tröpfcheninfektion übertragene "mycobacterium tuberculosis", trägt fast jeder dritte Mensch in sich; zum Ausbruch kommt die Krankheit allerdings nur bei nachhaltig geschwächtem Immunsystem. Dann setzt sich der Erreger in der Lunge fest, die er allmählich zerfrisst. Husten und Schmerzen in der Brust, Appetitlosigkeit, starker Gewichtsverlust, Fieber- und Schweißausbrüche sind zentrale Symptome. - In Tansania ist von den 180.000 pro Jahr neu Erkrankten jeder zweite HIV-infiziert; die meisten leben in den Städten.
" In Daressalam haben wir große Gebiete ohne sanitäre Infrastruktur, wo die Ärmsten der Armen elende Hütten bauen - mit kleinsten Fenstern, fast ohne Belüftung. Und in einem Raum schlafen bis zu 15 Personen. - Dieses Leben Hunderttausender Menschen auf engstem Raum fördert natürlich die Ausbreitung der Tuberkulose. Und weil immer noch mehr Zuwanderer aus ländlichen Regionen nach Daressalam strömen, nimmt die Tuberkulose hier weiter zu. Derzeit tritt ein Viertel aller Tuberkulosefälle Tansanias in dieser Stadt auf."
Tansania mit seinen 38 Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Jedes zweite Kind ist unterernährt, jeder siebente Erwachsene HIV-infiziert; die Lebenserwartung liegt bei kaum über 40 Jahren. Angesichts fehlender Toiletten und eines hohen Grundwasserspiegels kommt es in den Slums der Hauptstadt immer wieder zu Cholera-Epidemien; zahlreiche parasitäre Erkrankungen plagen die Slumbewohner - und die Tuberkulose.
" Tuberkulose ist eine Krankheit der Armut, die man in Europa schon unter Kontrolle hatte, als es noch gar keine Medikamente dagegen gab. Die bloße Verbesserung von Wohnverhältnissen und Ernährung stärkte das Immunsystem der Menschen dort; das fortan den Bazillus in Schach halten konnte; die Krankheit brach nicht mehr aus. - Bei uns dagegen leben breite Teile der Bevölkerung in Hütten ohne Fenster und Licht; Mangelernährung und HIV schwächen ihr Immunsystem; die Krankheit breitet sich deshalb wie rasend aus. - Ist ein Mensch dann tuberkulosekrank, kann er nicht arbeiten und folglich nicht zum Unterhalt seiner Familie beitragen. Er und seine Familie werden sich noch schlechter ernähren. - Ein Teufelskreis."
Behandelt wird Tb weltweit mit einer von der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgeschriebenen Standardtherapie. Über sechs Monate nimmt der Patient eine Kombination aus Antibiotika; die in Tansania der so genannte "Global Fund" gegen Tuberkulose, Aids und Malaria bezahlt - ein Hilfswerk, das westliche Regierungen und große Stiftungen finanzieren. - Ashazi bekommt die Tabletten von der Mutter; ihre Behandlung wurde extrem spät begonnen; die ersten 14 Tage entscheiden über Leben und Tod.
" Das größte Problem ist jetzt ihre Anämie. Sie ist nicht nur extrem blass, sondern hat bereits, wie Sie hier an ihrem Fuß sehen, ein Ödem. Kein Wunder, dass sie unter Atemnot leidet. Wir müssen sie gleich ein wenig aufsetzen, damit sie überhaupt atmen kann. Und dann müssen wir unbedingt ihren Hämoglobinspiegel erhöhen. Wahrscheinlich braucht sie eine Bluttransfusion; wenn nicht, dann zumindest starke Medikamente gegen die Anämie - von der ja das Ödem herrührt. Ein solches Ödem ist ein erstes Anzeichen von Herzversagen infolge extremer Anämie."
Schwester Madena öffnet ihren Koffer, holt Milchpulver heraus, Margarine, ein Paket Stärkungspulver aus Mais, Reis, Soja und Erdnüssen. Über den Erfolg einer Tb-Behandlung entscheidet auch die Ernährung. - Ashazi, sagt Dr. Njako nüchtern, hat keine guten Chancen: Ihr Körper ist von Tuberkulose und weiteren HIV-bedingten Infektionen bereits extrem geschwächt; auch wenn sie jetzt durchkommt, dürfte sie - mangelernährt im dunklen Kämmerchen der Manenos dahin vegetierend - bald einen Rückfall erleiden. - Insgesamt liegt die Erfolgsquote der Tb-Behandlung in Tansania bei 81 Prozent. Immer häufiger jedoch treten gegen mehrere Erreger resistente, so genannte multiresistente Erreger auf, die schon heute für weltweit 300.000 Tb-Fälle jährlich verantwortlich sind. Hinzu kommt: In Tansania wird nur jeder zweite Tb-Kranke überhaupt gefunden. Dies, obwohl das Land über sein dichtes Netz staatlicher Gesundheitsstationen ein theoretisch flächendeckendes Tuberkuloseprogramm betreibt; ein Programm, das inzwischen völlig überfordert ist.
" Wir haben mittlerweile so viele Tb-Patienten in Daressalam, dass in manchen kommunalen Krankenhäusern täglich 200 Patienten ihre Medikamente einnehmen. Weil das Personal völlig überfordert ist, versuchen wir jetzt, die Tuberkulose-Behandlung zu dezentralisieren, das heißt Gesundheitsstationen und Apotheken stärker einzubeziehen. Weil selbst das nicht reicht, organisieren wir überdies Freiwillige in Wohngebieten, die die Betreuung zuhause liegender Tb-Patienten übernehmen."