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Die Krise der Telekombranche

Gerner: Der jüngste Skandal wegen Bilanzfälschung beim US-Telefonriesen WorldCom fällt mit einer Krise der gesamten Telekommunikationsbranche, anhaltender Verunsicherung über den weiteren Verlauf der Konjunktur und einer Fluchtbewegung aus den Aktien zusammen. Zwar haben sich gestern in Übersee wie in Deutschland die Märkte erholt, aber das Ganze dürfte an der Psychologie von Groß- wie Kleinanlegern nicht spurlos vorbeigegangen sein. Am Telefon begrüße ich Roland Tichy, ehemaliger Chefredakteur des Magazins Telebörse. Herr Tichy, die Krise der Telekombranche ist global. Wofür ist sie ein Symptom?

    Tichy: Sie ist dafür ein Symptom, dass man die Wachstumsmöglichkeiten dieser Art von Technologie weit überschätzt hat. Denken Sie daran: Vor zwei Jahren hat man diese UMTS-Lizenzen, also nichts anderes als ein Stück Papier, die Erlaubnis, Sender aufzubauen, allein in Deutschland damals für 100 Milliarden D-Mark verkauft. Das heißt mit anderen Worten: Man war in einem Goldrausch, der jetzt zu Ende ist. Jetzt kommt die Schattenseite zu Tage, Kriminalität und Bösartigkeit wie immer, wenn etwas zu Ende geht.

    Gerner: Ein Stichwort war ja in dem Zusammenhang die Internetblase, die jetzt geplatzt ist, so schreiben die Kommentatoren. Wie haben sich erfahrene Manager so täuschen können? Wie ist diese Blase entstanden?

    Tichy: Ich glaube, es war ein kollektiver Rausch, der da stattgefunden hat, und es hat natürlich auch von Wissenschaftlern und Journalisten große, tolle Überlegungen gegeben, dass wir gewissermaßen die Gesetze, diese spießigen Gesetze der Bilanzierung außer Kraft gesetzt hätten, dass die Welt vor einem neuen Wachstumsaufschwung steht. Man hat von Kontratiev-Zyklen geredet, die schon hundert Jahre alt sind und ähnlichem Zeug. Man hat also eigentlich solche Technologien immer zu ihrer Zeit überschätzt. Es gab in Deutschland - das darf man nicht vergessen - in den 50er Jahren einen vergleichbaren Fall: Das war die Privatisierung des VW-Konzerns. Da hat es auch 20 Jahre lang gedauert, bis die Aktie des VW-Konzerns den Ausgabekurs wieder erreicht hat. Wir haben es zur Zeit der Eisenbahn erlebt. All solche technologischen Veränderungen, die wir ohne weiteres erleben - es gibt ja das Internet - sind natürlich auch von einem Explodieren der Hoffnungen und der Erwartungen begleitet, und da bleibt dann am Ende erst einmal ein wirklich fader Nachgeschmack und eine wirtschaftlich sehr bedrohliche Situation zurück.

    Gerner: Ein Kennzeichen der Internetblase war, dass das Verhältnis Börsenkurs zu tatsächlichem Gewinn in keinerlei nachvollziehbarem Verhältnis mehr stand. Vor dem Hintergrund der Bilanzfälschung von WorldCom ist die Frage: War mehr Naivität oder kriminelle Energien im Spiel?

    Tichy: Mit der kriminellen Energie macht man es sich, glaube ich, zu einfach. Die gibt es natürlich auch immer. Was passiert da? Die Unternehmen werden auch immer mehr getrieben, minimale Gewinne groß aufzublasen. Das ist bei der Telekom so und auch bei den anderen. Es hat sich hier wirklich eine Traditionsänderung eingestellt. Früher haben gerade deutsche Manager gelernt, die Milliarden, die sie verdient haben, sorgfältig vor dem Arbeitnehmer zu verstecken, damit die keine höheren Löhne fordern, und auch vor den Aktionären, damit die keine Dividende kriegen. Jetzt ist eine andere Philosophie da: Zeig den Gewinn, zeig ihn sofort, zeig ihn jetzt! Das führt dann dazu, dass man solche Gewinnfälschungen macht, und wenn die Wirklichkeit mit diesen Hoffnungen nicht Schritt hält, ist der Schritt zum Betrug nicht weit. Das ist übrigens in keiner Weise ein amerikanisches Phänomen. Wir haben es auch in Deutschland bei FlowTex, und auch die Deutsche Telekom ist ja nach wie vor geschüttelt von einem Bilanzierungsskandal, der WorldCom-Ausmaße hat. Auch hier gibt es einfach ein Management, das der Wahrheit nicht so gerne ins Auge sieht, nämlich dass es sich vor einigen Jahren in der Euphorie des Wachstums getäuscht hat.

    Gerner: Wie ist es denn mit der Sprache, Herr Tichy? Wenn wir einmal schauen, dass die Börsianer und Wirtschaftsexperten häufig nicht von Schulden, sondern von negativem Gewinn reden, werden sie dann nicht Opfer der eigenen Wortschöpfung, ein Fall für die Psychologie mithin?

    Tichy: Na gut, diese Hoffnungen sind ja jetzt durchstochen. Im Gegenteil: Wir erleben jetzt eigentlich eine Situation, in der dieser kollektive Wahnsinn schon auch gelegentlich zur Übertreibung in die andere Richtung deutet. Wir haben jetzt auch einfach eine Situation, in der gezielt gestreute Spekulationen von einzelnen Personen, von einzelnen Fonds ausreichen, um Unternehmen schlecht zu reden, die so schlecht nicht sind, und die Nervosität führt dazu, dass man dann solche Aktien hinschmeißt wie die berühmte heiße Kartoffel. Die Börse neigt immer ein bisschen zum Übertreiben nach oben - das haben wir hinter uns - jetzt bei manchen Unternehmen sicherlich ein Stück weit auch nach unten. Das ist wie bei einem Wettbüro. Börsen sind immer eine Wette auf eine Zukunft: Wer wird durchkommen? Wer wird das Unternehmen der Zukunft sein? Und da geht es natürlich auch von der Gefühlslage eigentlich viel emotionaler her. Man versteckt sich hinter rationalen Kennzahlen.

    Gerner: Herr Tichy, der deutsche Investor - ich habe es gesagt - ist zwar unsicher, der Volkssport Aktienkauf erst einmal erledigt, wie es scheint. Was empfehlen Sie denn als Anlage, auch mit Blick auf die Rente?

    Tichy: Im Augenblick sollte man tatsächlich nur Festgelder und kurzfristige Anlagen treffen. Wir stehen im Augenblick vor einer viel tieferen Finanzkrise, als wir wahrhaben wollen. Auch klassische Produkte, wie Anleihen, sind heute in der Tat, Unternehmensanleihen vor allen Dingen, mit sehr hohen Risiken behaftet, was die Rückzahlfähigkeit der Unternehmen betrifft. Also im Augenblick gibt es eine kritische Situation, man sollte auf die sichere Seite gehen.

    Gerner: Die Politik hat ja unter anderem mit den Aktienkäufen bei der Telekom und anderen geworben. Kann sie dafür in Regress genommen werden?

    Tichy: Die Bundesregierung hat ihre eigenen Probleme. Der Haushalt ist ja auch dadurch gefährdet, dass da Vermögenswerte bei der Telekom und bei der Deutschen Post angesetzt wurden, die so nicht mehr realistisch sind. Eichel hat ein Haushaltsrisiko, weil die Telekom-Aktien, wie sie noch in den Büchern stehen, es eben nicht mehr wert sind. Das ist aber kein Grund zur Schadensfreude, denn wir erleben weltweit im Augenblick ein Problem, dass große Vermögen abgewertet werden, die Vermögen der Durchschnittsbürger. In den USA beruht die Altersversorgung auf Pensionsfonds. Diese Pensionsfonds haben diese berühmten WorldCom-Aktien und so weiter drin, sind also vielleicht nur noch zwei Drittel oder ein Drittel des ursprünglich erhofften Wertes. Auch in Deutschland haben wir das Problem, dass die großen Lebensversicherungen, in der die Deutschen ja einen großen Teil ihres Vermögens geparkt haben, und natürlich auch die kleinen Lebensversicherer, also dass die gesamte Branche der Lebensversicherungen Aktien in den Depots hat. Diese Aktien sind nur noch ein Bruchteil des ursprünglichen Wertes wert. Ich kenne eine Lebensversicherung, die noch Telekom-Aktien im Wert von 100 pro forma im Buche stehen hat. Das heißt, wir erleben hier auch bei den Lebensversicherungen eine Rücknahme, und zwar eine dramatische Rücknahme des tatsächlichen Vermögenswertes. Das wird das Verhalten der Menschen, auch als Konsumenten, in den nächsten Jahren prägen, und das ist eine gefährliche Situation, auf die leider die Bundesregierung nur noch achselzuckend reagiert.

    Gerner: Roland Tichy, ehemaliger Chefredakteur des Magazins Telebörse. Ich danke Ihnen für das Gespräch und einen angenehmen Tag noch.

    Link: Interview als RealAudio