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Die Kür des Präsidenten

Bei den Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung ist der schwarz-gelbe Kandidat Christian Wulff haushoher Favorit - gänzlich chancenlos dürfte Joachim Gauck dennoch nicht sein. Während Wulff nämlich in den Medien auf den Parteisoldaten reduziert wurde, feierte man Gauck als den besseren Bewerber.

Von Sabine Adler |
    Christian Wulff: "Mein Platz ist Hannover und Niedersachsen. Das wird auch so bleiben. Mich zieht und drängt nichts nach Berlin. Inzwischen glaubt man mir das immer mehr, wenn ich sage, dass ich mir das auch gar nicht zutraue, auch gar nicht kann. Ich mache jetzt Landespolitik und denke, das ganz gut zu machen."
    Worte, nichts als Worte. Nach nur drei Tagen chaotischer, überhasteter Suche nach einem Kandidaten für das Bundespräsidentenamt war der niedersächsische Ministerpräsident Wulff auserkoren als Nachfolger für Horst Köhler, der am 31. Mai völlig überraschend zurückgetreten war:

    "Ich bedaure, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen."
    Zwei Tage lang wurden Ursula von der Leyen die größten Chancen eingeräumt. Der heutigen Bundesarbeitsministerin, zuvor Bundesfamilienministerin und noch davor niedersächsischen Familienministerin. Die Personalie lud zum munteren Spekulieren, Abwägen ein: zwei Frauen an der Spitze des Landes – ein Aspekt, den viele in der Union mit einem Minuspunkt versahen. Die durchsetzungsstarke und innovative Ministerin könnte zu viel Glanz auf sich ziehen, die Kanzlerin in den Schatten stellen. Zudem wäre eine Kabinettsumbildung nötig. Macht für so manchen in der CDU/CSU gleich drei Minuspunkte. Von der Leyen darf Wulff auch nicht einfach überholen, der Niedersachse könnte mit Rücktritt drohen, noch einen Abgang kann die Koalition in Berlin nicht verkraften. Mit Wulff im Bundespräsidialamt hätte die Kanzlerin einen weiteren Widersacher unschädlich gemacht. Alles Punkte für Wulff. Er war es, den Angela Merkel schon am Dienstag, einen Tag nach Köhlers Abgang, anrief, der am nächsten Mittwochmittag zusagte. Von der Leyen, mit der die Kanzlerin bis dahin nicht gesprochen hat, blieb im Regen stehen und schaute zu, wie ein anderer gefeiert wurde.

    "Meine Damen und Herren, wir möchten Ihnen heute als Nachfolger für das Amt des Bundespräsidenten Christian Wulff vorschlagen. Christian Wulff ist ein Mensch, so habe ich ihn kennengelernt, in der Zeit der deutschen Einheit, der immer neugierig auf Menschen ist, der Neues ausprobiert, der kreativ ist, der auf die Menschen zugeht."
    Am Tag, an dem der schwarz-gelbe Kandidat öffentlich benannt werden sollte, die Würfel für Wulff bereits gefallen waren, ging auf Angela Merkels Handy eine SMS ein. Absender: Sigmar Gabriel, SPD-Chef. Er schlug ihr den gemeinsamen Kandidaten Joachim Gauck vor. Die Kanzlerin simste zurück, ein kurzer Dank, jedoch keine weitere Reaktion, was von der Opposition als Desinteresse an einem gemeinsamen Kandidaten interpretiert wurde. Gauck tritt demzufolge nur für SPD und Grüne an, mit ein wenig Bedauern.

    "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mal in dieser Rolle neben Jürgen Trittin sitze," spöttelt Joachim Gauck, der der Kanzlerin politisch weit näher steht als dem grünen Bundestagsfraktionschef, einem ehemaligen Mitglied des Kommunistischen Bundes. Dass er verletzt ist, nicht von der Union aufgestellt worden zu sein, lässt er durchblicken.

    "Mir wären da eher andere Namen eingefallen, und da sich nun diese anderen nicht gemeldet haben, sage ich, wenn die mich mit meiner Liebe zur Freiheit und meinem aufgeklärten Patriotismus mögen, dann trete ich als ein solcher Bürger an."
    Angela Merkel stimmte bei Gaucks 70. Geburtstag im Januar das Kirchenlied an: "Lobet den Herrn." Zuvor hatte sie ihn in einer Rede in den höchsten Tönen gepriesen:

    "Sie haben sich in herausragender und ich glaube auch in unverwechselbarer Weise um unser Land verdient gemacht. Einmal als Bürgerrechtler, Aufklärer und Freiheitsdenker, dann wieder als Versöhner und Einheitsstifter in unserem jetzt gemeinsamen Land und als Mahner und Aufarbeiter des SED-Unrechts. Als ein Mann, der immer wieder an historische Verantwortung erinnert."
    Gauck, der der DDR-Oppositionsbewegung Bündnis 90 angehörte, ließ seine Mitgliedschaft ruhen, als er das Amt des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen annahm. Er hat sie bis heute nicht wieder aktiviert. Er sei kein Vorreiter von Rot-grün. Vielmehr findet er es - Zitat - "merkwürdig", dass er ausgerechnet von den Parteien verstanden wird, deren Nähe er in den letzten Jahren nicht gesucht habe. Und ebenso merkwürdig dürfte es ihm vorkommen, dass ihn die Unionsfraktion im Bundestag nicht einmal einlädt, auch die FDP nicht. Beim Treffen im Berliner Abgeordnetenhaus kamen Parlamentarier aller Parteien, aber keiner von der CDU.

    Heute, einen Tag vor der Wahl, hat er wie sein Herausforderer Christian Wulff, die Bundestagsfraktion der Partei die Linke besucht. Deren Vorsitzende Gesine Lötzsch Gauck jedoch von Anfang an für nicht wählbar hielt. Er sei ein Mann der Vergangenheit, einer der die Menschen in Opfer und Täter einteile. Letztere, so Gauck seinerseits, sammeln sich immer noch in der Linkspartei, weshalb er ihr nach wie vor misstrauisch gegenübersteht:

    "In dieser Partei versammeln sich neben zahlreichen ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern Menschen, die zum Teil Befehlsgeber von Stasi- und anderen Machtinstrumenten waren. Wir wissen nicht, wer steht eigentlich für die Partei? Sind es Leninisten oder Stalinisten? Sind es rote Reaktionäre, wie Sahra Wagenknecht? Oder sind es die verwirrten westdeutschen Altkommunisten? Man könnte sie vielleicht als Eventualdemokraten bezeichnen."
    Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Diether Dehm von den Linken greift zum großen Kaliber:

    "Joachim Gauck ist ein Brunnenvergifter, ein Hexenjäger und er erfüllt das, was Thomas Mann gesagt hat: Der Antikommunismus ist die Grundtorheit der Epoche, er hat nicht dazu gelernt, völlig unwählbar."
    Die Linken, die vor einem Jahr den TV-Kommissar Peter Sodann nominierten, stellen dieses Mal die Fernsehfrau Luc Jochimsen auf. Eine westdeutsche Linke, Mitglied der PDS seit 1998, die 2002 vergeblich für die PDS in Hessen kandidierte, 2005 schließlich über die thüringische Landesliste in den Bundestag einzog und den Älteren als Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks in Erinnerung ist. Die, so Linkenchefin Lötzsch, sozialer sei, als Christian Wulff und Joachim Gauck zusammen.

    Luc Jochimsen: "Ich möchte Friedensstifterin sein und ich möchte Vereinigerin sein und ich möchte vor allem Schirmherrin sein für die Schwachen."
    Luc Jochimsen wie auch der erneute NDP-Kandidat, der rechtsextreme Musiker Frank Rennicke, haben morgen keine Chance, gewählt zu werden.

    Christian Wulff, der schwarz-gelbe Kandidat und haushohe Favorit, stieß auf für ihn völlig ungewohnte Ablehnung. Er, einer der beliebtesten Politiker, wurde plötzlich auf den Parteisoldaten reduziert, Gauck dagegen sah sich quer durch die Gazetten als der bessere Bewerber gepriesen. Auch wenn bei den Mehrheitsverhältnissen in der 14. Bundesversammlung morgen ein Sieg Gaucks kaum wahrscheinlich ist, so schossen dennoch Spekulationen ins Kraut, dass eine Wahl des scharfsinnigen Redetalents Gauck zu einem vorzeitigen Ende der CDU/CSU-FDP-Koalition führen, der Freund Gauck seine Freundin Angela als Kanzlerin stürzen könnte. Der von Merkel Düpierte ließ sich kurz ein auf das Gedankenspiel, wies es aber sogleich wieder von sich:

    "Ich habe immer mein Zutrauen zur Kanzlerin und meine Bewunderung ausgedrückt und sie als eine Politikerin erlebt, die in schwierigen Situationen sofort komplexe Zusammenhänge neu analysieren konnte und zum Teil kraftvoll und gestaltend hervorgetreten ist. Und warum sollte sie bei einer Personalfrage, in der sie auf einen Menschen trifft, den sie achtet, bei dem sie weiß, dass viele ihrer politischen Vorstellungen auch bei ihm beheimatet sind, warum soll das zu dieser Krise führen? Ich sehe das nicht."
    Der angebliche Schwiegermutterliebling Wulff weist jeden Zusammenhang zwischen Bundespräsidentenwahl und der Regierung in Berlin weit von sich und zeigt sich dennoch erkennbar nervös:

    "Wenn die Irritationen der letzen Wochen anhalten, dann wird das den einen oder anderen Wahlmann emotional, mental beschweren. Von daher wünsche ich mir, dass da auch etwas für die Psyche der Beteiligten getan wird."
    Darunter dürfte der niedersächsische Ministerpräsident jedoch kaum verstehen, was Kurt Biedenkopf vorschlägt: Der ehemalige Ministerpräsidentenkollege aus Sachsen, von Gauck eingenommen, forderte von der Kanzlerin, die Abstimmung freizugeben:

    "Die Bundesversammlung ist kein Ort, an dem über die Existenz einer Regierung entschieden werden soll. Auch die Opposition schickt ihren Kandidaten in die Wahl, mit dem Ziel, die Bundesregierung zu stürzen."
    Der von der Kanzlerin Auserwählte wirkt glatter, strahlender als er ist. Seinen Vater verlor Christian Wulff im Alter von zwei, den Stiefvater mit 14 Jahren. Bis zuletzt pflegte er seine schwer kranke Mutter, wobei er allzu früh erwachsen wurde und Demut lernte:

    "Man ist ein bisschen kontrolliert geworden, weil man damals in so großer Verantwortung gestellt war, dass man alle emotionalen Regungen nicht immer gleich so zeigt und damit etwas zurückhaltender ist."
    1994 kritisierte Wulff, wohl dosiert, Helmut Kohl. Er forderte mehr Debatten an der Parteispitze und gehörte damit in den 90er-Jahren zu den sogenannten Jungen Wilden mit Roland Koch und Peter Müller. Auf dem Essener Parteitag im Jahr 2000 unterstützte er Angela Merkel in ihrem Bemühen, die CDU-Spendenaffäre aufzuklären.

    Wie Friedrich Merz oder Roland Koch galt er dennoch immer wieder als Merkels Konkurrent, entgegen aller Beteuerungen:

    "Wenn man einen steilen Aufstieg hatte, der mühsam war, der langwierig war, dann fühlt man sich oben auf dem Hochplateau auch wohl. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt irgendein Zelt aufschlagen müsste, um den nächsten Aufstieg vorzubereiten."
    Wulff lässt aufhorchen, als er im Juni 2008 den CDU-Landesvorsitz an seinen Generalsekretär David McAllister abgibt. Ab da nimmt ihm keiner mehr ab, dass er keine höheren Ambitionen hat.

    Wulff: "Ich bin dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Da, wo entschieden wird, bin ich."
    So selbstsicher kann er klingen. Klingt er aber nicht immer, vor allem, wenn ihm am Zeug geflickt wird. Wie bei der Flugticketaffäre, als er die Reise in der Businessklasse erst bezahlte als der Spiegel über das kostenlose Upgrade-Angebot schrieb. Oder als er sich absicherte, erst dann als Ministerpräsident Niedersachsens zurückzutreten, wenn er gewählt ist. Selbst Parteifreunde fanden, dass Wulff da zu viel mit Netz und doppeltem Boden agierte.

    Bei manch politischem Beobachter klingt es wie ein Vorwurf, dass Wulff stets vorsorgt und auch deshalb keine so bewegende Biografie vorweisen kann wie der fast 20 Jahre ältere Herausforderer. Von Wulff seien zudem kaum inspirierende, innovative Anstöße zu erwarten. Eher schon von der Bundesfamilienministerin. Aber von der Leyen war angeblich CDU-intern nicht durchsetzbar. Was die Kanzlerin bewog, den Katholiken und nicht sie und schon gar nicht Joachim Gauck aufzustellen, bleibt ihr Geheimnis. Gauck und sie verbindet die gleiche politische Heimat. Wenn er sich als liberaler linker sozialer Konservativer bezeichnet, dann klingt das so ähnlich wie bei ihr:

    "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial. Das macht die CDU aus."
    Wie Joachim Gauck, dem Pastor aus Rostock, war Merkels Vater Pfarrer in Templin. Die DDR-Kirchenszene war überschaubar, man kannte sich, hatte sich bewusst für ein Leben in der DDR entschieden. Wenngleich das Ausharren im sogenannten Arbeiter- und Bauern-Staat für Gauck weitaus schwieriger war. Als Elfjähriger erlebte er die Festnahme des Vaters an der Geburtstagstafel der Großmutter.:

    "Er kam vor eins der sowjetischen Militärtribunale in Schwerin. Mein Vater, der zu zweimal 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, kam, obwohl die DDR schon existierte, nach Sibirien, in die Gegend hinter dem Baikalsee und hat dort Sklavenarbeit machen müssen bis 1955."
    Die Willkür gegen den Vater säte in dem Sohn tiefe Zweifel am DDR-Regime. Er suchte sich die Kirche als Nische. Das Theologiestudium, die Pastorenstelle in Rostock. Später treffen sich die beiden Norddeutschen, Merkel und Gauck, in der DDR-Bürgerrechtsbewegung, in der er sich deutlich früher engagiert als sie.

    Gauck ist wie Merkel ein Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft. Beide halten kaum einen demokratischen Wert so hoch wie die Freiheit. Themen, die ein Bundespräsident Gauck ansprechen könnte, dürften ihre Kanzlerschaft kaum bedrohen. Ganz im Gegenteil: Freiheit, Demokratie, Lehren, die Deutschland aus den beiden Diktaturen zieht, sind ihr so wichtig wie ihm. Auch wenn Merkel eine weitaus größere Strecke an der Seite des Parteifreundes Wulff zurücklegte, begreifen sich Gauck und sie als Weggefährten in einer dramatischen Zeit. Gauck, der Demokrat im undemokratischen Staat, trug mit seinen Predigten in der Marienkirche 1989 dazu bei, dass die Menschen in Rostock wie in Leipzig massenweise auf die Straße gingen:

    "Mauern können fallen, großartig. Aber noch erhebender war für uns, die wir aktiv waren 89 innerhalb der DDR, dieses Gefühl der Befreiung. Wir sind das Volk. Und ich bin geradezu verliebt in diesen Satz, den ich für den schönsten Satz der deutschen Geschichte halte."

    Während sich Angela Merkel in den letzten Monaten der DDR im Demokratischen Aufbruch engagierte, der bei der ersten und letzten freien Volkskammerwahl ein Desaster erlebte, wurde Joachim Gauck als Abgeordneter von Bündnis 90 ins Parlament gewählt. Er wurde, obwohl er Oppositionspolitiker war, der erste "Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR". Dafür legte sein Abgeordnetenmandat nieder und widmete sich, wie es der Publizist Johannes Groß bewundernd ausdrückte, der Aufräumarbeit.

    Gauck: "Mit dem Schlussstrich haben wir es in Deutschland schon einmal versucht – und zwar nach dem Kriege. Das ist gründlich misslungen. Und spätestens die 68er haben der Nation dann gezeigt, ja, Schlussstrich kannst Du lange planen, aber, ob das machbar ist, das ist eine andere Geschichte. Die Debatten, die dann entstanden sind über Schuld, auch über Versagen und Verantwortung, die schaffen zwar einen gewissen Unfrieden, aber nach diesen Debatten ist ein dann entstehender Frieden glaubwürdiger als eine Friedhofsruhe, die über kein Problem von früher spricht."
    Zehn Jahre, von 1990 bis 2000, leitete er die Stasi-Unterlagenbehörde. Seit sieben Jahren sitzt er der Organisation "Gegen Vergessen, für Demokratie" vor - ein engagierter Bürger, der das Bundespräsidentenamt zwar möchte, es aber nicht braucht, um sich gesellschaftlich zu betätigen:

    "Dieser Staat ist nicht nur der Staat derer, die Staat machen in ihm. Sondern es ist der Staat derer, die als Bürger in freien Verbänden, in Gemeinschaften, in Vereinen und als einzelne Intellektuelle sich Sorgen machen um unsere Zukunft. Aber ich werde auch ohne dieses Amt Teil jener Bevölkerung sein, die neben unseren Politikern sagt: Das ist unsere Demokratie, das ist unsere Freiheit."
    Er wird nicht müde, ehemalige Täter zu kritisieren, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellen. 1998 tadelte er die in Mecklenburg-Vorpommern mitregierende PDS und ihren Umgang mit der Stasi-Vergangenheit, ebenso die Linkspartei vor der Landtagswahl 2009 in Brandenburg:

    "Die ostdeutsche Gesellschaft ist tief gespalten. Einige schauen zurück und haben immer nur erfreuliche Erinnerungen und andere wissen ganz genau, was Diktatur war."
    Der evangelische Christ Gauck kann vergeben und er vergibt, solange jemand zur Wahrheit und Aufklärung bereit ist, sich seiner Schuld stellt. Matthias Platzecks Ansicht, jetzt müsse die Zeit der Versöhnung kommen, lehnt er ab. Er widerspricht dem Ministerpräsidenten von Brandenburg, denn die alten Stasimitarbeiter hätten längst ihr Auskommen gefunden. Was sie nicht hindert, ihn in dem Wahlkampf, der bei diesem Amt keiner sein soll, zu beschimpfen. Der linke Querdenker Andre Brie mag kein Problem damit haben, im dritten Wahlgang Joachim Gauck seine Stimme zu geben, die Mehrheit seiner Parteifreunde schon. Deren Wut auf Gauck ist größer als auf Angela Merkel. Eher als dass die Linken ihn wählen, wird das so manchem FDP- und Unionsabgeordneten zugetraut.
    Der Herausforderer von Angela Merkels Kandidat ist ein aufrechter, streitbarer Zeitgenosse. Nicht uneitel aber unbestechlich.
    Und ein unverbesserlicher Optimist:
    "Ich habe in meinem Leben Ereignisse erlebt, die lange als unwahrscheinlich galten. Deshalb gehe ich mit einer fröhlichen Gelassenheit auf den 30. Juni zu."
    Bis zuletzt bei seinem Wahlsieg 2003 war Christian Wulff, der keineswegs so Erfolgverwöhnte wie manch Kritiker derzeit glauben machen wollte, zurückhaltend, skeptisch. Drei Anläufe hatte er gebraucht für das Amt des Ministerpräsidenten. Einer wie er hütet sich, zu früh zu jubeln.

    Wulff: "Jetzt kann man endlich ausgelassen feiern."