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Die Kultfigur der Nouvelle Cuisine

Am 11. Februar 1926 erblickte er in Collonges-au-Mont-d’Or bei Lyon das Licht der Welt. Bereits mit neun Jahren stand er zum ersten Mal am Herd im Restaurant seines Vaters. Seit 1965 hält er erfolgreich drei Michelin-Sterne. Paul Bocuse gilt als einer der besten Köche des 20. Jahrhunderts.

Von Regina Kusch |
    "C'est une ... réussite."

    Um als Koch erfolgreich zu sein, brauche man gute Zutaten und ein gutes Team, sagt Paul Bocuse. Das hat er bereits als Kind gelernt. Am 11. Februar 1926 wurde er in Collonges-au-Mont-d'Or bei Lyon in eine Kochdynastie hineingeboren. Schon seinem Urgroßvater gehörte ein Gasthaus am Ufer der Saone.
    "Mein Vater war Koch. Wir hatten ein kleines Restaurant. Ich selber hätte wohl nichts anderes machen können, denn ich bin in dieser Atmosphäre der Küche aufgewachsen."

    Bocuse, von den Medien als bester Koch der Welt gefeiert, mag selbst am liebsten einfache Gerichte: Pot au feu, eine Gemüsebrühe mit Fleisch, oder Kalbsnieren nach dem Rezept seiner Großmutter. In deren Küchengarten baute er in der Nachkriegszeit selbst an, was er kochen wollte, er ging zum Fischen und auf die Jagd. Viele Jahre lang kaufte er persönlich frische Waren auf dem Markt ein. "La Cuisine du Marché", heißt so auch sein wichtigstes Kochbuch, das er 1976 veröffentlichte, und in dem er die opulente Küche der Wirtschaftswunderzeit, wie er es nannte, entschlackte: Vitamine statt schwerer Gerichte mit viel Butter und Sahnesoßen. Die Kritiker stilisierten Bocuse zur Kultfigur einer neuen Küche, der Nouvelle Cuisine. Obwohl er sie keineswegs erfunden hatte, ließ er sich gerne als ihr Vorreiter feiern. Für ihn bestand das Neue vor allem darin, dass Köche anfingen, sich selbst zu verwirklichen, kreativ zu sein, am besten in ihren eigenen Restaurants.

    1961 wurde er "Bester Arbeiter Frankreichs", vier Jahre später erhielt er seinen dritten Michelin-Stern, den er bis heute behalten hat. 1975 nahm ihn Staatschef Giscard D'Estaing feierlich in die Ehrenlegion auf. Als Dank kreierte Bocuse ihm eine Trüffelsuppe mit Blätterteighaube, die bis heute als besondere Empfehlung für 80 Euro auf der Speisekarte steht. Um sie zu kosten, sein Boeuf Bourguignon oder das legendäre Bresse-Huhn in der Salzkruste, strömen die Schönen und Reichen in sein Elternhaus.

    "Alles, was Bocuse ausmacht, hängt an diesem Restaurant. Und dort wollen wir wirklich diesen familiären Geist eines kleinen Hauses erhalten. Ich bin dort geboren, und noch heute schlafe ich oft in dem Zimmer, in dem ich zur Welt kam. Denn es ist ein Haus, an dem ich sehr hänge."

    Er hat es aufwendig renovieren lassen, mit bunter Fassade, an der ein überlebensgroßes Konterfei des Meisters prangt. Zu protzig, wie ein Museum monierten Kritiker. Aber Klappern gehöre zum Handwerk und Kochen sei wie Theater, verteidigte sich der Küchenkünstler, auf die Inszenierung komme es an. Deshalb zeigt sich der Chef des Hauses auch heute noch gerne mit blütenweißer Schürze und imposanter Kochmütze bei seinen Gästen, plaudert mit ihnen, und posiert für ein Erinnerungsfoto.

    Um auch Kunden mit durchschnittlichem Einkommen zu gewinnen, schreckte der Meisterkoch nicht davor zurück, seine Gerichte in Konservendosen zu vertreiben. Er eröffnete fünf Schnellrestaurants in Lyon und eins in Disney World in Florida, das von seinem Sohn geführt wird. Als Ende der 80er-Jahre die moderne französische Küche in die Kritik geriet - man habe wenig auf dem Teller, dafür aber viel auf der Rechnung - wandte sich Bocuse von ihr ab und besann sich wieder auf die Tradition: eine bodenständige Küche der Jahreszeiten mit frischen Produkten aus der Region – natürlich verbunden mit einem neuen auflagenstarken Kochbuch.
    Die Journalistin Eve-Marie Zizza ist eine seiner Töchter. Sie durfte zu Bocuses 80sten Geburtstag aufschreiben, was der Meister aus dem Nähkästchen zu plaudern hatte.

    "Als Lehrling ist er mit seinem Freund in die Katakomben gestiegen. Sie haben Totenschädel geholt und sie in die Suppen gelegt oder in die klassische spanische Soße. Sie haben Scherze gemacht, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann."

    Am "Paul-Bocuse-Institut für Hotellerie und kulinarische Kunst" in Lyon sind solch derbe Späße natürlich nicht erlaubt. Jedes Jahr werden dort 400 Schüler aus der ganzen Welt ausgebildet, wie einst Eckart Witzigmann und Heinz Winkler, die die Nouvelle Cuisine auch außerhalb Frankreichs populär gemacht haben.