Über 2.000 Jahre existierte diese Zivilisation im Dschungel. Fernab europäischer Hochkulturen erfanden die Maya einen komplexen Kalender und eine Schrift, die aus über 900 Zeichen bestand. Die Blütezeit dieser Zivilisation vor mehr als 1.000 Jahren präsentiert ab Sonntag, den 2. Oktober 2016, eine große Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer, denn die Maya-Forschung hat in den vergangenen Jahren viele neue Erkenntnisse gebracht.
Das Manuskript zum Beitrag:
"Durch Zufall ist die Stadt Uxul, die erst 1935 von einer Gruppe von amerikanischen Archäologen gefunden worden ist und dann wieder vergessen wurde im Urwald,
durch einen Zufall ist sie dann erst wieder neu entdeckt worden im Jahr 2005 von einem slowenischen Kollegen, der mich dann ganz begeistert anrief, als er im Urwald war und auf der Hauptpyramide von Uxul stand und sagte: "Nikolai, kannst Du Dir vorstellen, wo ich bin? Ich rufe Dich gerade aus Uxul an. Willst Du nicht kommen?"
Nikolai Grube ist Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Universität Bonn. "Und ich hab' dann tatsächlich alles stehen und liegen lassen und bin nach Mexiko geflogen und hab' den langen Weg, der damals noch sehr, sehr beschwerlich war nach Uxul auf mich genommen und war ganz begeistert, als ich dann auch die Monumente, die ich aus den Büchern kannte, die Stelen, die Inschriften, dort sehen konnte."
Virtuelle Rekonstruktion der Stadt Uxul
Einige Jahre, Expeditionen und Anträge auf Forschungsgelder später, leitet Nikolai Grube das archäologische Projekt Uxul. Seine aktuellen Forschungsergebnisse sind jetzt in die Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer eingeflossen, die sogar eine virtuelle Rekonstruktion der Stadt Uxul zeigt – so Projektleiter und Kurator Lars Börner.
"Das spannende ist aber auch, dass dieser Visualisierungsprozess neue Fragestellungen hervorgebracht hat, die die Forschung selber beeinflusst, sodass es jetzt ein Katalysator für die aktuelle Forschung ist, gerade die Frage nach der Stadtplanung." Und der Versorgung der Stadtbewohner inmitten des Regenwaldes, umgeben von Sümpfen. Wo haben sie zum Beispiel ihre Maisfelder angelegt? Wie weit mussten sie laufen, um diese Felder zu erreichen? Fragen, die die Wissenschaftler noch nicht beantworten können.
"Die Klammer in unserer Ausstellung ist der Regenwald und zwar die Königsstädte der alten Maya im Regenwald, das ist die Eingangssituation, auf die die Besucher treffen, und mit diesem Regenwald-Thema geht man nachher, am Ende der Ausstellung, auch wieder hinaus."
Maya-Kultur hatte 2.000 Jahre Bestand
Die Maya gehörten zu den großen alten Hochkulturen. Sie errichteten inmitten des tropischen Regenwaldes eine städtische Zivilisation, die in einem Großteil Zentralamerikas nahezu 2000 Jahre bestand.
"So we have Mexico, South-West-Part of Mexico." Sofia Paredes Maury ist Direktorin der Fundación La Ruta Maya in Guatemala, die einige Objekte zur Ausstellung beisteuert. Aus heutiger Perspektive betrachtet, erstreckte sich das Maya-Gebiet über Mexiko und vier weitere Länder. "Guatemala e Belize, the western part of Honduras and Salvadore.”
Die Maya-Städte waren hochkomplexe Gebilde. "Wahrscheinlich im Zentrum der Sitz der Macht mit dem Palast und den religiösen Einrichtungen, den Tempeln, Ballspielplätzen und den großen öffentlichen Plätzen, auf denen sich die Menschen versammelten zu religiösen Veranstaltungen aber auch wahrscheinlich zu den Märkten", so Professor Nikolai Grube.
"Die Städte waren auch die Orte, wo die ökonomischen Transaktionen stattfanden, also die Märkte, die Produktion. Es gab wahrscheinlich im Umkreis um das eigentliche Zentrum herum eine Reihe von Handwerkervierteln, in denen Obsidian-Werkzeuge produziert wurden, wo die Töpferwerkstätten sich befanden und in einem weiteren Umkreis da drum dann auch die Wohnbezirke der Adeligen. Es gab wohl einen sehr großen Adel, der auch zahlenmäßig sehr bedeutend war. Wir können davon ausgehen, dass vielleicht zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung zum Adel gehörten."
Der König thronte über allem
Über allem thronte der König in seinem Palast, der von hier aus die Stadt regierte. Die Administration lag in den Händen seiner großen Familie, seiner Freunde und Vertrauten.
"Darüber hinaus gab es aber auch in etwas größerer Entfernung immer wieder Paläste, kleinere Paläste, so kleine Landadelssitze. Auch dieser ländliche Adel war natürlich in Administration miteingebunden und hatte die Aufgabe, zum Beispiel den Tribut zu kontrollieren. Das war eine der ganz wichtigen Tätigkeiten, vielleicht sogar die wichtigste politische Tätigkeit, dafür zu sorgen, dass die Bauern einen Teil ihrer Maisproduktion an den Königshof lieferten, um auf diese Weise die Weiterexistenz des Adels und der Könige zu gewährleisten."
Die besondere Rolle der Könige zeigt eine Stele in der Ausstellung. Daniel Aquino Lara, Direktor des Museums für Archäologie und Ethnologie in Guatemala, steht vor einem drei Meter hohen, 800 Pfund schweren Stein. "Wir können drei verschiedene Szenen sehen: In der Mitte steht der König auf der Erde vor einem mit Juwelen geschmückten Berg. In der Hand die Hieroglyphe für "Reichtum". Unter seinen Füßen sehen wir eine Szene, die sich in der Unterwelt abspielt. Man erkennt zwei Personen, die um eine traditionelle Trommel sitzen. Ähnliche Trommeln können die Besucher in der Ausstellung entdecken. Sie stammen aus dem mächtigen Maya-Staat Tikal. Die obere Szene könnte im Himmel spielen. Es ist der Ort der Götter. Anhand dieser Stele lässt sich leicht die wichtige Rolle des Königs erkennen. Er ist das Bindeglied zwischen Unterwelt und Himmel und der Repräsentant der Götter auf Erden."
Menschenopfer spielten keine Rolle
Nikolai Grube ergänzt: "Tatsächlich ist die Inthronisations-Zeremonie für die Könige ein Moment gewesen, wo der König aus der Gesellschaft der normalen Menschen herausgehoben worden ist und zu einem Wesen wurde, das vielleicht nicht selber ein Gott war aber doch den Göttern sehr, sehr nahe kam. Könige verkörperten die Götter, wenn sie Zeremonien durchführten, das war eine der wichtigsten Aufgaben. Dann kleideten sie sich als Götter, tanzten, führten Blutopfer durch und taten das eben auch auf den Pyramiden sichtbar, sodass das Publikum, dass die Öffentlichkeit daran teilnehmen konnte und wusste, da oben, an der Spitze des Staates, da ist jemand, der sich für uns einsetzt, der das Wort für uns bei den Göttern einlegt."
Anders als bei den Azteken spielten Menschenopfer bei den Maya keine große Rolle: "Viel wichtiger als das Menschenopfer ist das eigene Opfer gewesen, wo der König mit einem Rochenstachel oder Obsidian-Spitzen seinen Körper durchbohrt hat, da hat man manchmal die Nase durchbohrt, die Ohrläppchen oder in ganz besonderen Fällen das männliche Geschlechtsteil."
Nicht nur ein Kalender, sondern verschiedene Versionen
Der König hielt den Kosmos zusammen und war mit der Durchführung von Ritualen und Opfern an die Götter dafür verantwortlich, dass es zu keinen Krisen wie Missernten kam. Neben dem Kosmos spielte Zeit eine große Rolle im Denken der Maya: "Man sagt so in der Maya-Forschung, dass die Maya verrückt waren, sich selber in der Zeit zu verorten", so Kurator Lars Börner. "Es gibt eben nicht nur einen Kalender, sondern verschiedene Versionen, verschiedene Arten ein Datum zu erfassen. Und auf Stelen findet man eben nicht nur diese eine oder zwei oder drei verschiedenen Arten, sondern fünf, sechs verschiedene Versionen eines einzigen Datums. Das hatte offensichtlich eine große Bedeutung, sich selbst oder diese Themen in der Zeit zu verorten und auch mit mythologischen, historischen Ereignissen zu verknüpfen, sodass ein Datum, dass Mitte des 8. Jahrhunderts stattfand, auch mit einem Ereignis verknüpft wurde, das viele, viele Jahrhunderte zurücklag."
Reichhaltig verzierte und bemalte Trinkgefäße zeugen von der hohen Handwerkskunst der Maya. Die berühmte Berliner Kriegsvase etwa zeigt Kampfhandlungen in Bild und Schrift, die an einen Comic erinnern. Eine große Bauplastik in Form eines kriechenden Kriegers oder Tänzers empfängt die Besucher zu Beginn der Ausstellung. Die große Kunstfertigkeit figürlicher Darstellung demonstriert auch die Maske, die das Ausstellungsplakat schmückt und von der Fundación La Ruta Maya stammt.
Hohe Kunstfertigkeit
Sofia Paredes Maury halt die kleine grüne Maske vorsichtig in den Händen. "Die Maske ist wie ein Mosaik gearbeitet aus Jade, Mund und Augen aus Muscheln und Obsidian gestaltet. Aufgrund der Größe können wir sagen, dass es keine Gesichtsmaske war, aber eine Art von Brust- oder Gürtelornament. Man kann sich vorstellen, dass ein König so etwas getragen hat."
Zu den großen Errungenschaften der Maya zählt auch die Schrift. Bislang konnten Wissenschaftler über 900 Zeichen entziffern – im Vergleich zu unserem Alphabet ein hochkomplexes System – erläutert Lars Börner: "Dieses Exponat hier ist das sogenannte Cancuén Panel, das ist eine Wandtafel mit einer Hieroglyphen-Inschrift. Die Hieroglyphen sind wunderschön herausgearbeitet, halbplastisch, und sie erzählen eine Geschichte, die natürlich auch für die Forschung sehr spannend ist, zum einen deswegen, weil der Text in der Mitte beginnt, man weiß durch diesen Text, dass es noch ein zweites Panel gegeben haben muss." Das Raubgrabungen zum Opfer fiel. Doch zumindest ist seine Inschrift weitgehend bekannt.
Die vollständige Geschichte handelt von mehreren Königen aus der Stadt Cancuén. "Spannend für die Forschung ist, dass ein König aus einer anderen Stadt, nämlich Yukno’m Ch’een aus Calacmul dort erwähnt ist. Das ist, gelinde gesagt, der mächtigste Maya-Herrscher aller Zeiten, das ist der Mann, unter dessen Regierungszeit Calacmul die größte Macht entfalten konnte. Und er ist hier erwähnt auf diesem Panel und zwar in der Form, dass er bei der Inthronisierung des Königs zugegen war. Das wiederum suggeriert, dass diese Inthronisierung dieses Königs aus Cancuén nicht möglich war ohne das Wohlwollen aus Calacmul."
Zwei große Herrscherdynastien in der Maya-Welt
Da schließt sich der Kreis zu Nikolai Grubes aktuellen Ausgrabungen in Uxul. "Die Ausgrabungen zeigen, dass Uxul eine mittelgroße Stadt war, aber doch eine sehr, sehr wichtige Stadt, die bis ins 7. Jahrhundert hinein einen eigenen König hatte und ein unabhängiges kleines Königtum gewesen war. Dann aber kam im Jahr 636 – das können wir sehr genau datieren – ein wichtiges politisches Ereignis, nämlich die Könige der Kaan-Dynastie, der mächtigsten Königsdynastie des Maya-Tieflands, die siedelten in der Stadt Calakmul. Als Folge dessen wurde auch Uxul in den Herrschaftsbereich der Kaan-Dynastie eingegliedert, und Uxul verlor nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern wurde komplett als Stadt umgebaut, das heißt, die gesamte Architektur der Stadt wurde nach dem Vorbild von Calacmul in etwas kleinerem Maßstab aber immer noch ganz beachtlich. Die Orientierung der Gebäude veränderte sich. Die Könige von Uxul wurden zu Vasallen des Königs von Calacmul, das kann man auch daran sehen, der Titel veränderte sich, früher waren das eben göttliche Könige von Uxul, nach 636 nannten sie sich dann nur noch Könige."
Jetzt gab es zwei große Herrscherdynastien in der Maya-Welt: die Kaan-Dynastie mit Calacmul als Zentrum und die Stadt Tikal. "Beide großen Machtblöcke standen zueinander in Konkurrenz und im Jahr 695 gelang es dann Tikal, den König von Calakmul in einem Feldzug gefangen zu nehmen und infolgedessen war die Macht von Calakmul zumindest mal sichtbar gebrochen, die große Aura der Unangreifbarkeit und Unbesiegbarkeit dieses riesen Staates der Kaan-Dynastie war dadurch gebrochen. Dann kam es aber zu einer kurzen neuen Blüte der Kaan-Dynastie, die konnte sich also noch mal erholen, und 736 dann ein weiterer Überfall von Tikal auf Calakmul, und das war dann tatsächlich das Ende der Kaan-Dynastie."
Städtische Zivilisation im tropischen Regenwald
Doch Tikal, die siegreiche Macht, konnte die eroberten Gebiete nicht kontrollieren. Es bildeten sich zahlreiche Kleinstaaten heraus und die früher unterworfenen Stadtstaaten machten sich unabhängig. Aber diese kleinen Strukturen waren nicht überlebensfähig. "Wir wissen, dass es zu einer Eskalation von Kriegen gekommen ist im 8. und 9. Jahrhundert vor Christus und dann wurde wahrscheinlich sehr viel Energie investiert in die Kriegführung und das Bauen von Mauern und Forts und Verteidigungsanlagen und nicht so sehr in die Infrastruktur. Wir können sehen, dass die überlebenswichtigen Wassersammelbecken und die hydraulischen Anlagen verfielen, und damit war dann auch das Überleben der bäuerlichen Bevölkerung nicht mehr sichergestellt."
Es war nicht das Ende der Maya–Kultur. Auch blieben einige Städte von den Kriegswirren verschont wie Chichen Itza. Die postklassische Phase erlebte in den folgenden 500 bis 600 Jahren eine Blütezeit. Die spanischen Eroberer zeigten sich im 16. Jahrhundert tief beeindruckt von der städtischen Zivilisation im tropischen Regenwald, auf die sie trafen.
Heute sind die archäologischen Spuren der Maya im kaum zugänglichen Dschungel so zahlreich, dass die betroffenen Länder gar nicht die Mittel haben, sie zu schützen. Das führt auch dazu, dass viele Maya–Objekte aus Raubgrabungen inzwischen auf dem Kunstmarkt zu finden sind, wo sie manchmal von Organisationen wie Fundación La Ruta Maya aufgespürt und zurückgebracht werden - Sofía Paredes Maury: "Wir haben das Ziel, die Sammlungen der Öffentlichkeit zu zeigen, Forschung zu ermöglichen und sie für jeden zugänglich zu machen in Ausstellungen wie dieser."
"Die Maya – Das Rätsel der Königsstätte", Katalog zur Ausstellung, Hrsg.: Alexander Schubert und Nikolai Grube, Verlag Hirmer, 2016