Was hat ein Massenblatt, ein Boulevardblatt wie die "Bild"-Zeitung mit rhetorischen Mustern der Antike zu tun. Viel, sagt Norbert Gutenberg, der Saarbrücker Professor für Sprachwissenschaft:
"Die Griechen und Römer haben das sehr gepflegt. Es wurden Lob- und Tadelreden gehalten, wenn die Olympioniken zurückkamen. Das macht bei uns die Bildzeitung. Die standen auf der Agora. Der Spieler, der gewonnen hat, wurde gelobt, und wenn er verloren hat, dann musste er auch dort stehen und wurde dann öffentlich geschmäht."
Heute stehen Gewinner und Verlierer auf der Seite eins oder im Internet, am Pranger sozialer Netzwerke. Der Marktplatz, die Agora, sie ist zu einer großen Bühne geworden, zugänglich für Millionen. Das zeige, wie wichtig die Rhetorik quasi als eine Art Ordnungsrahmen des öffentlichen Raumes sei, wo Menschen einander begegneten und interagierten, argumentiert Professor Georg Mein von der Universität Luxemburg. Zwar machten viele Menschen vieles richtig, in dem sie bewusst oder unbewusst die antiken Regeln der Rhetorik beherzigten. Das gelte für Politiker, Juristen, Wissenschaftler oder Manager gleichermaßen. Die klassische Redegliederung zum Beispiel von Einleitung, These, Antithese, Synthese und Schlussfolgerung gehöre in den westlichen Kulturkreisen zum rhetorischen Bildungsgut. Nur leider hätten es die meisten vergessen, weil der Rhetorikbegriff heute stark eingeengt werde, so Mein:
"Man hat die Rhetorik immer mehr abgewertet zu einer reinen Sprechkunst, zu einer Ausdruckskunst und hat den Begriff der Redekunst sozusagen entsubstanzialisiert. Und das hat dazu geführt, dass Rhetorik sich immer mehr ausgelagert hat zu einer berufsbegleitenden Veranstaltung, dass Rhetorik zu einem Soft Skill geworden ist, zu einer Zusatzkompetenz, aber nicht mehr zu einer Schlüsselkompetenz."
Diesem Substanzverlust möchten die Kongressteilnehmer dadurch begegnen, dass sie der Rhetorik wieder zu ihrem wissenschaftlichen Stellenwert verhelfen. Mein brachte einen Masterstudiengang für europäische Rhetorik ins Gespräch, denn die Nachfrage nach überzeugenden, effizienten Kommunikationsmustern sei enorm. Mein erklärt:
"Das, was man auf dem freien Markt an rhetorischen Kursen belegen kann, hat häufig das Niveau von Kindergeburtstagen, also das ist leider sehr unterentwickelt."
Rhetorik ist stets am Erfolg ausgerichtet, ihr Ziel ist es, zu überzeugen. Wie sehr das Wort überzeugen kann, wie sehr Menschen sich täuschen können, die nur die Tat schätzen, aber das Wort missachten, das habe der erste Wahlkampf des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gezeigt, daran erinnert der Saarbrücker Jurist Maximilian Herberger. Mit dem kleinen Wörtchen "Change" und der Glaubensformel "Yes, we can", sei es ihm gelungen, seine Landsleute für sich einzunehmen:
"Damals war interessant, dass ihm vorgeworfen wurde: just words also, nur Worte und da hat er eine Rede gehalten, wo er nur aus der Verfassung vorgelesen hat: Just words- ja, sind das auch nur Worte? Und man würde sich wünschen, dass es hier auch einmal Wahlkämpfe geben würde, wo die Frage, was sagen wir, rhetorisch ein Thema wäre."
Nein, die Kanzlerin, Angela Merkel, sie hat im Bundestagswahlkampf gemessen an rhetorischen Maßstäben nicht den Versuch unternommen, zu überzeugen. Sie habe weder mit Argumenten gearbeitet, um die Wähler zu umgarnen, noch mit emotionalen Strategien. Stattdessen habe sich die Kanzlerin ganz auf ihre Person verlassen, analysiert Ramona Früh:
"Frau Merkel kann sicher am meisten durch ihre Person punkten, weil sie es schafft, glaubwürdig rüber zu kommen."
Dass die Glaubwürdigkeit des Redners, also sein ethos, ein Pfund ist, mit dem er wuchern kann, das ist bereits seit Aristoteles bekannt. Gute Argumente reichen längst nicht immer aus. Aber wie weit darf ein Kommunikator gehen, um sein Publikum dazu zu bewegen, seinen Standpunkt zu wechseln? Die ethische Frage, heiligt der Zweck die Mittel, wurde auf diesem Kongress nur am Rande diskutiert. Ramona Früh - bis März dieses Jahres wissenschaftliche Mitarbeiterin der Freien Universität Berlin - hat an einem Projekt zur Erforschung der rhetorischen Verunsicherung mitgearbeitet. Sie kommt zu dem Schluss, dass es erlaubt sein muss, zu übertreiben, um den Adressaten zu verunsichern:
"Viele sind skeptisch gegenüber der Rhetorik und den Politikern generell und werfen ihnen Unaufrichtigkeit vor. Andererseits muss man natürlich sagen, wenn alle immer darlegen würden, was objektiv ist, wäre es schwierig, seine Position durchzusetzen."
Eine klare Grenzziehung gäbe es in dieser Frage allerdings nicht. Im Allgemeinen würde lediglich die sachliche Argumentation als legitim angesehen. Emotionale Strategien, die darauf abzielten, die Zuhörer zu überreden, würden als manipulativ abgelehnt. In der politischen Kommunikation in Deutschland würden ohnehin nur selten Versuche unternommen, die festgezurrten Positionen des politischen Gegenübers oder des Wählers tatsächlich zu erschüttern. Diplomatische Zurückhaltung sei angesagt, findet Norbert Gutenberg:
"Merkel und ihre Generation von Leuten aus der DDR sind das beste Beispiel dafür, dass es offenbar eine implizite Norm gibt, die ich funktional und kommunikationsethisch nicht begründen kann, sondern die einfach Sitte ist in der politischen Kommunikation in Deutschland, dass man in der Politik nicht Klartext redet oder nur selten Klartext redet. Die ganzen Dissidenten aus der DDR, die sich 1990 einsozialisiert haben in den Westen, der über sie gekommen war, die redeten damals anders. Und es dauerte ein Jahr, da konnten die genauso reden wie die Westpolitiker inklusive Merkel. Das hat die sich von den anderen, zum Beispiel von Kohl einfach abgeguckt."
Dass ein Kommunikationsstil auf diese Weise übernommen werde, sei völlig normal, aber dass in Deutschland diese Form der Blümchenrhetorik so sehr gepflegt werde, sei trotzdem bedauerlich, sagt Gutenberg:
"Das ist eine der Erblasten, die Rhetorik mit sich herumträgt, die Tatsache, dass es so etwas gibt wie Blümchenrhetorik, also die Kunst zu reden aber dabei nix zu sagen, also, eine Diplomatenrhetorik. Das wird dann übertragen auf die Rhetorik überhaupt, als ob das die Kunst wäre. Und ich verstehe auch nicht, warum es immer so inhaltsleer sein muss."
Der Wahlkampf 2013 hat gezeigt, dass es Politikerinnen und Politiker mit Blümchenrhetorik sehr weit bringen können. Im politischen Raum wird Rhetorik immer mehr als bloße Technik verstanden. Die Wissenschaft möchte das ändern. Im Januar dieses Jahres haben sich Forscher aus ganz Europa zur Rhetorischen Gesellschaft in Europa zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, den Austausch und den Wissenstransfer anzukurbeln, um der Rhetorik wieder mehr Gewicht zu geben.
"Die Griechen und Römer haben das sehr gepflegt. Es wurden Lob- und Tadelreden gehalten, wenn die Olympioniken zurückkamen. Das macht bei uns die Bildzeitung. Die standen auf der Agora. Der Spieler, der gewonnen hat, wurde gelobt, und wenn er verloren hat, dann musste er auch dort stehen und wurde dann öffentlich geschmäht."
Heute stehen Gewinner und Verlierer auf der Seite eins oder im Internet, am Pranger sozialer Netzwerke. Der Marktplatz, die Agora, sie ist zu einer großen Bühne geworden, zugänglich für Millionen. Das zeige, wie wichtig die Rhetorik quasi als eine Art Ordnungsrahmen des öffentlichen Raumes sei, wo Menschen einander begegneten und interagierten, argumentiert Professor Georg Mein von der Universität Luxemburg. Zwar machten viele Menschen vieles richtig, in dem sie bewusst oder unbewusst die antiken Regeln der Rhetorik beherzigten. Das gelte für Politiker, Juristen, Wissenschaftler oder Manager gleichermaßen. Die klassische Redegliederung zum Beispiel von Einleitung, These, Antithese, Synthese und Schlussfolgerung gehöre in den westlichen Kulturkreisen zum rhetorischen Bildungsgut. Nur leider hätten es die meisten vergessen, weil der Rhetorikbegriff heute stark eingeengt werde, so Mein:
"Man hat die Rhetorik immer mehr abgewertet zu einer reinen Sprechkunst, zu einer Ausdruckskunst und hat den Begriff der Redekunst sozusagen entsubstanzialisiert. Und das hat dazu geführt, dass Rhetorik sich immer mehr ausgelagert hat zu einer berufsbegleitenden Veranstaltung, dass Rhetorik zu einem Soft Skill geworden ist, zu einer Zusatzkompetenz, aber nicht mehr zu einer Schlüsselkompetenz."
Diesem Substanzverlust möchten die Kongressteilnehmer dadurch begegnen, dass sie der Rhetorik wieder zu ihrem wissenschaftlichen Stellenwert verhelfen. Mein brachte einen Masterstudiengang für europäische Rhetorik ins Gespräch, denn die Nachfrage nach überzeugenden, effizienten Kommunikationsmustern sei enorm. Mein erklärt:
"Das, was man auf dem freien Markt an rhetorischen Kursen belegen kann, hat häufig das Niveau von Kindergeburtstagen, also das ist leider sehr unterentwickelt."
Rhetorik ist stets am Erfolg ausgerichtet, ihr Ziel ist es, zu überzeugen. Wie sehr das Wort überzeugen kann, wie sehr Menschen sich täuschen können, die nur die Tat schätzen, aber das Wort missachten, das habe der erste Wahlkampf des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gezeigt, daran erinnert der Saarbrücker Jurist Maximilian Herberger. Mit dem kleinen Wörtchen "Change" und der Glaubensformel "Yes, we can", sei es ihm gelungen, seine Landsleute für sich einzunehmen:
"Damals war interessant, dass ihm vorgeworfen wurde: just words also, nur Worte und da hat er eine Rede gehalten, wo er nur aus der Verfassung vorgelesen hat: Just words- ja, sind das auch nur Worte? Und man würde sich wünschen, dass es hier auch einmal Wahlkämpfe geben würde, wo die Frage, was sagen wir, rhetorisch ein Thema wäre."
Nein, die Kanzlerin, Angela Merkel, sie hat im Bundestagswahlkampf gemessen an rhetorischen Maßstäben nicht den Versuch unternommen, zu überzeugen. Sie habe weder mit Argumenten gearbeitet, um die Wähler zu umgarnen, noch mit emotionalen Strategien. Stattdessen habe sich die Kanzlerin ganz auf ihre Person verlassen, analysiert Ramona Früh:
"Frau Merkel kann sicher am meisten durch ihre Person punkten, weil sie es schafft, glaubwürdig rüber zu kommen."
Dass die Glaubwürdigkeit des Redners, also sein ethos, ein Pfund ist, mit dem er wuchern kann, das ist bereits seit Aristoteles bekannt. Gute Argumente reichen längst nicht immer aus. Aber wie weit darf ein Kommunikator gehen, um sein Publikum dazu zu bewegen, seinen Standpunkt zu wechseln? Die ethische Frage, heiligt der Zweck die Mittel, wurde auf diesem Kongress nur am Rande diskutiert. Ramona Früh - bis März dieses Jahres wissenschaftliche Mitarbeiterin der Freien Universität Berlin - hat an einem Projekt zur Erforschung der rhetorischen Verunsicherung mitgearbeitet. Sie kommt zu dem Schluss, dass es erlaubt sein muss, zu übertreiben, um den Adressaten zu verunsichern:
"Viele sind skeptisch gegenüber der Rhetorik und den Politikern generell und werfen ihnen Unaufrichtigkeit vor. Andererseits muss man natürlich sagen, wenn alle immer darlegen würden, was objektiv ist, wäre es schwierig, seine Position durchzusetzen."
Eine klare Grenzziehung gäbe es in dieser Frage allerdings nicht. Im Allgemeinen würde lediglich die sachliche Argumentation als legitim angesehen. Emotionale Strategien, die darauf abzielten, die Zuhörer zu überreden, würden als manipulativ abgelehnt. In der politischen Kommunikation in Deutschland würden ohnehin nur selten Versuche unternommen, die festgezurrten Positionen des politischen Gegenübers oder des Wählers tatsächlich zu erschüttern. Diplomatische Zurückhaltung sei angesagt, findet Norbert Gutenberg:
"Merkel und ihre Generation von Leuten aus der DDR sind das beste Beispiel dafür, dass es offenbar eine implizite Norm gibt, die ich funktional und kommunikationsethisch nicht begründen kann, sondern die einfach Sitte ist in der politischen Kommunikation in Deutschland, dass man in der Politik nicht Klartext redet oder nur selten Klartext redet. Die ganzen Dissidenten aus der DDR, die sich 1990 einsozialisiert haben in den Westen, der über sie gekommen war, die redeten damals anders. Und es dauerte ein Jahr, da konnten die genauso reden wie die Westpolitiker inklusive Merkel. Das hat die sich von den anderen, zum Beispiel von Kohl einfach abgeguckt."
Dass ein Kommunikationsstil auf diese Weise übernommen werde, sei völlig normal, aber dass in Deutschland diese Form der Blümchenrhetorik so sehr gepflegt werde, sei trotzdem bedauerlich, sagt Gutenberg:
"Das ist eine der Erblasten, die Rhetorik mit sich herumträgt, die Tatsache, dass es so etwas gibt wie Blümchenrhetorik, also die Kunst zu reden aber dabei nix zu sagen, also, eine Diplomatenrhetorik. Das wird dann übertragen auf die Rhetorik überhaupt, als ob das die Kunst wäre. Und ich verstehe auch nicht, warum es immer so inhaltsleer sein muss."
Der Wahlkampf 2013 hat gezeigt, dass es Politikerinnen und Politiker mit Blümchenrhetorik sehr weit bringen können. Im politischen Raum wird Rhetorik immer mehr als bloße Technik verstanden. Die Wissenschaft möchte das ändern. Im Januar dieses Jahres haben sich Forscher aus ganz Europa zur Rhetorischen Gesellschaft in Europa zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, den Austausch und den Wissenstransfer anzukurbeln, um der Rhetorik wieder mehr Gewicht zu geben.