"Ich hatte ein Stück geschrieben - Der Stellvertreter - das die Frage stellt, wieso konnte ein Mensch, der sich für den Stellvertreter Christi auf Erden hält, wieso konnte der zum Holocaust schweigen. Er hat sogar geschwiegen, Pius XII., zum Abtransport der Juden aus Italien. Dieses Stück hat kolossalen Ärger gemacht, und in Basel formierte sich ein Fackelzug von 4000 Teilnehmern gegen die Aufführung dieses Stücks im Stadttheater, und es mussten immer 200 Polizisten das Theater bewachen, 100 innen, 100 außen, es musste bei Licht gespielt werden, es waren immer Polizisten mit auf der Bühne, um die Schauspieler gegen Tätlichkeiten von Krawallern zu schützen, und das hat Jaspers dank seiner Autorität abgestellt, - er fuhr zum Schweizer Rundfunk und sprach mit Muschg und dem Münsterpfarrer und einem katholischen Studentenpfarrer für das Stück und dann war Ruhe."
Der Schriftsteller Rolf Hochhuth erinnert sich, wie 1963 der schon 80-jährige Philosoph Karl Jaspers für sein angefeindetes Drama "Der Stellvertreter" öffentlich Partei ergriff. Jaspers riskierte damals seinen Ruf - denn, so glaubte man nicht nur in Deutschland, ein Philosoph müsse sich aus dem politischen Meinungsstreit heraushalten. Karl Jaspers aber tat das Gegenteil. In den 60er Jahren, seinem letzten Lebensjahrzehnt, äußerte er sich immer wieder als politischer Schriftsteller, der der deutschen Öffentlichkeit unbequeme Fragen auftischte.
"Sein Buch über die Bundesrepublik "Wohin treibt die Bundesrepublik?" - das hat einen unglaublichen Ärger gemacht, er wurde als Schwein, als Nato-Philosoph, als Kommunistenfreund, als Landesverräter beschimpft und so weiter. Bonn hat versucht ihn zu zähmen mit dem Bundesverdienstkreuz mit Schulterband und Stern, und Jaspers hat natürlich abgelehnt das anzunehmen. Er war als Persönlichkeit bewundernswert. Als Jaspers gestorben ist, hat die New York Times die Todesnachricht auf der Titelseite gebracht, so etwas war nie vorgekommen."
Als Karl Jaspers 1969 in seiner Schweizer Wahlheimat starb, war er weltberühmt. Doch schon in den 80er Jahren sei es still geworden um ihn und seine Philosophie, meint sein letzter Assistent, der Basler Kulturphilosoph Hans Saner. Vielleicht ändert sich das 2008. Denn zu seinem 125. Geburtstag hat die Universität in Oldenburg, seiner Vaterstadt, ein Karl-Jaspers-Jahr ausgerufen. Dessen wissenschaftlicher Organisator, der Philosophieprofessor Reinhard Schulz hat neben einer Ringvorlesung, Vorträgen und Workshops auch ein ungewöhnliches Medium ins Programm genommen:
"Wir haben das Hauptaugenmerk darauf gelegt, dass wir einen Brückenschlag herstellen, der in der Weise noch nicht gemacht worden ist, nämlich zwischen der Philosophie und der Kunst, vor allem in Gestalt einer Biographie- und Kunstausstellung wollten wir versuchen, ob wir eine andere Annäherung an das Werk von Karl Jaspers zustande bringen, und dass primär mit der Zielsetzung, Anstöße zu erzeugen in der größeren Öffentlichkeit, d h. über den Fachzirkel der Philosophen und der Geisteswissenschaftler hinaus, wir hoffen, dass uns das gelingt, weil man hier nicht nur über das Medium Sprache und Argumentation Leute erreicht, sondern indem man sie produktiv irritiert über das, was man ihnen zeigt, und dass man dann in einem zweiten, dritten Schritt ins Gespräch kommt über das, worum es eigentlich geht."
Eine ungewöhnliche Annäherung an einen ungewöhnlichen Philosophen. Karl Jaspers hat nie ein Philosophiestudium absolviert - Er war Jurist, Arzt, Psychiater und Psychologe, - bevor er die Philosophieprofessur in Heidelberg antrat und neben Heidegger der wichtigste Vertreter der deutschen Existenzphilosophie wurde.
Eine Kunstausstellung passt aber auch deshalb zu Jaspers, weil sich nach seiner Philosophie das Wesentliche nicht in Begriffen dingfest machen lässt, sondern nur in Chiffren, in Symbolen gegeben ist, die jeder für sich und immer aufs neue deuten muss.
Neben Werken der Künstler bietet die gerade eröffnete Ausstellung aber auch eine biographische Schau, die die englische Jaspers-Forscherin Suzanne Kirkbright gestaltet hat.
"Wir hatten von Herrn Professor Saner aus Basel einige noch nie gesehene Objekte, persönliche Gegenstände von Jaspers für die Ausstellung zur Verfügung gestellt bekommen. Zum Beispiel der Globus von Karl Jaspers, der nach seiner Absetzung von den Nazis 1937 vor ihm auf dem Schreibtisch stand, und der für ihn symbolisch den neuen Schritt seiner Denkweise darstellte, also der Schritt von der Existenzphilosophie hin zu seiner Weltgeschichte der Philosophie."
Die Nazis hatten Karl Jaspers aus der Universität vertrieben, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Und einen Ruf an die Universität Basel lehnte er ab, da man seine Frau nicht ausreisen lassen wollte. So lebten beide bis Kriegsende in ständiger Angst vor Verhaftung und Deportation. Jaspers hatte sechs Ampullen Zyankali besorgt, die auf dem Nachttisch bereitlagen.
"Wir haben dieses vielleicht noch hochgiftige Mittel von Herrn Saner zur Verfügung gestellt bekommen, und wir können in Verbindung mit anderen Dokumenten zeigen, wie kritisch die Situation für Jaspers und seine Frau war."
Es war eine Grenzsituation, von der auch in Jaspers' Philosophie die Rede ist. Grenzsituationen sind Lebenslagen, die man nicht einfach verlassen kann, wo der Mensch Problemen wie Leid, Schuld und Verstrickung - im letzten - der Endlichkeit, dem Sterbenmüssen, ausgeliefert ist. Er kann versuchen das zu verdrängen, sich in das alltägliche Man zu flüchten, wie Heidegger die Entfremdung nannte, oder aber die Grenzsituation anzunehmen, sich den Fragen und der Verantwortung zu stellen, das heißt die Existenz, das Selbstsein wieder zu finden.
Diese Art des Philosophierens nennt Jaspers Existenzerhellung. Sein Denken entwickelte sich dabei weniger über die Lektüre von Vorläufern wie Kierkegaard und Nietzsche. Es verdankte weit mehr seiner Arbeit als Psychiater und Psychologe, aber auch familiären Erfahrungen.
Suzanne Kirkbright:
"Herausstreichen würde ich das Verhältnis zum jüngeren Bruder Enno, ein faszinierendes Kapitel der Lebensgeschichte, auch mit einer Tragödie verbunden, weil Enno im Alter von 40 Anfang der 30er Jahre Selbstmord begangen hatte und das kollidierte unmittelbar mit der Herausgabe von Jaspers Existenzphilosophie und die Thematik Selbstmord, Schuld ist nichts Vorgemachtes, sondern nacherlebt im tragischen Ende des eigenen Bruders. Es gibt auch überlieferte Briefe von Jaspers an den jüngeren Bruder, die genau jene Punkte zur Sprache bringt, die für ihn existenzphilosophisch reell sind: wie stellt sich der einzelne zu Fragen wie Selbstmord, wie stellt sich der Mensch überhaupt zur moralischen Schuld, was für Prinzipien kann man im Leben haben, dass man Krisensituationen, Leidsituationen vermeiden kann, das ist in gewisser Weise fast wortwörtlich in Briefen mit dem eigenen Bruder dargestellt worden."
Bei Jaspers rücken die Fragen und Probleme des Lebens wieder in den Mittelpunkt in der Philosophie, die als akademisches Fach an vielen Universitäten zur reinen Philosophiegeschichte erstarrt war, wo man die Abfolge von Denksystemen studierte und sich in philologischer Textexegese erging. Professorenphilosophie - nannte Jaspers das abfällig und rief zu einem individuellen und selbstständigen Denken auf. Das fasziniert gestern wie heute.
"Ich habe als 12-, 13-jähriger Schüler in der Bibliothek meines Vaters ein kleines Bändchen mit dem Titel Einführung in die Philosophie gefunden, auf dem Buch hinten abgebildet ein streng blickender Norddeutscher, was mich irgendwie angezogen hat, ich hatte zu diesem Zeitpunkt gar nicht vor, mich näher über Philosophie zu informieren. habe mir dann aber vorgenommen, das Buch etwas genauer anzuschauen, und bin daran hängen geblieben und habe mit einiger Mühe, aber letztlich mit Erfolg, den Band durchgearbeitet, und kann sagen, dass Karl Jaspers in mir den Funken der Philosophie gezündet hat."
Thomas Sören Hoffmann, der in Bonn Philosophie lehrt, schildert, wie ihn Jaspers in die Philosophie initiiert hat. Ähnliches hat er nun selbst vor, wenn er im Rahmen des Jaspers-Jahres im Juli eine Sommerschule für Studenten und Philosophieinteressierte an der Universität Oldenburg anbietet.
"Ich bin der Meinung, dass Karl Jaspers jemand ist, der in der Tat für die Philosophie einnehmen kann, durch den Philosophie etwas Fesselndes werden kann, etwas mehr als bloß akademischer Betreib sein kann - und es reizt mich, das versuchsweise an junge Leute weiterzugeben. Karl Jaspers ist ein Mann, mit dem man in hohem Maße das Stichwort von der Authentizität des Denkens verbinden kann, niemand der in irgendeiner Weise akademische Stereotypen reproduziert, niemand, für den Philosophie in Dogmen und Lehrsätzen besteht, niemand, der mit seinen Büchern bloß Regale füllen will, sondern jemand der Philosophie als gelebtes denkerisches Leben versteht und vermitteln möchte."
Philosophie heißt: Auf dem Wege sein. Das Denken erstarrt nicht zu festen Antworten. Die Devise gilt auch für Jaspers selbst. Sein Philosophieren hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, hat seinen Schwerpunkt verschoben. Von der frühen Orientierung an der Wissenschaft zur Existenzphilosophie, und weiter über eine Philosophie der Vernunft, hin zum dem was er Weltphilosophie nannte. Dazu gehörte auch das politisch-moralische Engagement, erläutert der Basler Philosoph Hans Saner, Karl Jaspers letzter Assistent und Freund.
"Dieses Nachdenken über die Bundesrepublik war auch eine Art des Philosophierens, aber ein Philosophieren, das nicht primär gerichtet war auf die Erhellung der eigenen Existenz sondern das war die Sorge um die Welt. Dass sich das auf die BRD gerichtet hat, hat natürlich mit dem Krieg zu tun, und mit der Katastrophe, in der das Undenkbare geschehen ist, und die Sorge der späten Zeit ist, es könnte wieder geschehen und man muss das Übel in all seinen Frühspuren früh erkennen, man darf nicht vergessen, es ist die Zeit des Kalten Krieges, in der die verfeindeten Blöcke sich bis zum Irrsinn aufgerüstet haben, also dass ein besorgter Mensch den Eindruck haben konnte, es ist fast wahrscheinlicher, dass das Unheil geschieht als dass es nicht geschieht, die große Überraschung war eigentlich, dass es nicht geschehen ist."
Weltphilosophie hat bei Jaspers auch noch weiteren Sinn. Sie fordert eine philosophische Rede, die von aller Welt verstanden werden kann. Und in der Tat bemühte sich Jaspers darum, Fremdwörter zu vermeiden, bemühte sich um eine Sprache, die für den Mann auf der Straße verständlich ist.
Und ferner meint Weltphilosophie eine Überwindung des Eurozentrismus, einen Dialog der Kulturen. Jaspers entwickelte hier eine optimistische Perspektive, gestützt auf seine Geschichtsphilosophie.
Hans Saner:
"Jaspers glaubte zu sehen, dass in der Zeit von etwa 800 vor Chr. Bis 200 v. Chr. eine mehrere Kulturen zugleich gründende Zeit war, die er Achsenzeit nannte, deren Mitte etwa um 500 gelegen ist. Das galt für ihn für China, Indien, für das so genannte Abendland, also jene westlichen Kulturen, die über Europa hinausgingen, das galt für Persien, für Israel und die eine oder andere Kultur.
Er sah also seinen Gedanken einer möglichen Weltkommunikation oder universalen Kommunikation, sozusagen gesichert in dem Faktum, die Achsenzeit war nicht bloß eine Idee für ihn, sondern ein aufweisbares Faktum, ... Die Achsenzeit ist das, was uns interkulturell die Möglichkeit des wechselseitigen Verstehens gibt."
Konfuzius und Laotse hätten in dieser Achsenzeit für China ethische Grundlagen geschaffen, die sich mit jenen der zeitgleichen europäischen Antike in ein Gespräch bringen lassen. Mit solchen Überlegungen zu einem Dialog der Kulturen ist Jaspers modern und war es schon zu einer Zeit, als Heidegger in arrogantem Provinzialismus behauptete: Denken, also Philosophieren, könnten eigentlich nur die Griechen und die Deutschen.
Solcher Borniertheit trotzend und weitsichtig hatte sich Jaspers zuhause einen Globus auf den Schreibtisch gestellt, als ihm Nazis den Weg in die Öffentlichkeit versperrten, als sie ihm Rede- und Publikationsrecht verweigerten.
"Der Blick ist ab 1937 bewusst in die weite Welt hinaus gerichtet worden, sicher auch als eine individuelle Gegenstrategie gegen den Imperialismuswahn der rechts und der links stehenden politischen Mächte, dieser Hinweis, das europäische Gefängnis muss überwunden und gesprengt werden. Und wir können es sprengen, weil es so etwas wie eine Frühverwandtschaft der unterschiedlichen Kulturen untereinander gibt. Und alles was wichtig geworden ist, für die kulturelle Entwicklung auf die Moderne hin, ist früh angelegt, in unterschiedlichen Kulturen und nicht bloß in einer. Und von daher kann man ein bisschen diesen Satz verstehen: "Wahrheit ist, was uns verbindet", nämlich was von Anfang an uns gemeinsam war in unseren metaphysischen, philosophischen und religiösen Fundamenten."
Wahrheit ist, was uns verbindet - und das ist Kommunikation. Das Zitat bildet auch das Motto des Jaspers-Jahres an der Universität Oldenburg. Sein wissenschaftlicher Organisator Reinhard Schulz hegt dabei gemischte Gefühle.
Einerseits die Befürchtung, dass Jaspers-Jahr könne ein Opfer der Event-Mode sein, die inzwischen auch die Wissenschaftskultur erobert: ein Strohfeuer der Aufmerksamkeit, von der nichts übrig bleibt als Asche und Vergessen.
"Das wäre das Worst-Case-Szenario und die Hoffnung, die ich vor Augen habe, ist, dass es gelingt, mit diesen ganz unterschiedlichen Herangehensweisen über das Jahr 2008 hinaus ... - vielleicht die nationale und internationale Jaspers-Forschung ein wenig befruchten zu können in der Weise, dass junge Wissenschaftler ein stärkeres Interesse wieder an Jaspers bekommen durch Schritte, die in nächster Zeit zu tätigen sind, wo es beispielsweise um den Verbleib der Jaspers-Bibliothek geht, und es von Rolf Hochhuth die Forderung gibt, dass Oldenburg ein Jaspers-Haus einrichtet, es steht jetzt ein Generationswechsel an, wo man sagen kann: letztmalig mit diesem 125 Geburtstag sind Zeitzeugen da, die ihn persönlich kannten, das wird am 150. Geburtstag nicht mehr der Fall sein, und von daher ist das so etwas wie eine letzte Chance, die alte abtretende Generation und die jungen Forscher, die wir gewinnen wollen, in ein Gespräch zu bringen, um darüber möglicherweise der Jaspers-Forschung insgesamt neuen Auftrieb zu geben."
Der Schriftsteller Rolf Hochhuth erinnert sich, wie 1963 der schon 80-jährige Philosoph Karl Jaspers für sein angefeindetes Drama "Der Stellvertreter" öffentlich Partei ergriff. Jaspers riskierte damals seinen Ruf - denn, so glaubte man nicht nur in Deutschland, ein Philosoph müsse sich aus dem politischen Meinungsstreit heraushalten. Karl Jaspers aber tat das Gegenteil. In den 60er Jahren, seinem letzten Lebensjahrzehnt, äußerte er sich immer wieder als politischer Schriftsteller, der der deutschen Öffentlichkeit unbequeme Fragen auftischte.
"Sein Buch über die Bundesrepublik "Wohin treibt die Bundesrepublik?" - das hat einen unglaublichen Ärger gemacht, er wurde als Schwein, als Nato-Philosoph, als Kommunistenfreund, als Landesverräter beschimpft und so weiter. Bonn hat versucht ihn zu zähmen mit dem Bundesverdienstkreuz mit Schulterband und Stern, und Jaspers hat natürlich abgelehnt das anzunehmen. Er war als Persönlichkeit bewundernswert. Als Jaspers gestorben ist, hat die New York Times die Todesnachricht auf der Titelseite gebracht, so etwas war nie vorgekommen."
Als Karl Jaspers 1969 in seiner Schweizer Wahlheimat starb, war er weltberühmt. Doch schon in den 80er Jahren sei es still geworden um ihn und seine Philosophie, meint sein letzter Assistent, der Basler Kulturphilosoph Hans Saner. Vielleicht ändert sich das 2008. Denn zu seinem 125. Geburtstag hat die Universität in Oldenburg, seiner Vaterstadt, ein Karl-Jaspers-Jahr ausgerufen. Dessen wissenschaftlicher Organisator, der Philosophieprofessor Reinhard Schulz hat neben einer Ringvorlesung, Vorträgen und Workshops auch ein ungewöhnliches Medium ins Programm genommen:
"Wir haben das Hauptaugenmerk darauf gelegt, dass wir einen Brückenschlag herstellen, der in der Weise noch nicht gemacht worden ist, nämlich zwischen der Philosophie und der Kunst, vor allem in Gestalt einer Biographie- und Kunstausstellung wollten wir versuchen, ob wir eine andere Annäherung an das Werk von Karl Jaspers zustande bringen, und dass primär mit der Zielsetzung, Anstöße zu erzeugen in der größeren Öffentlichkeit, d h. über den Fachzirkel der Philosophen und der Geisteswissenschaftler hinaus, wir hoffen, dass uns das gelingt, weil man hier nicht nur über das Medium Sprache und Argumentation Leute erreicht, sondern indem man sie produktiv irritiert über das, was man ihnen zeigt, und dass man dann in einem zweiten, dritten Schritt ins Gespräch kommt über das, worum es eigentlich geht."
Eine ungewöhnliche Annäherung an einen ungewöhnlichen Philosophen. Karl Jaspers hat nie ein Philosophiestudium absolviert - Er war Jurist, Arzt, Psychiater und Psychologe, - bevor er die Philosophieprofessur in Heidelberg antrat und neben Heidegger der wichtigste Vertreter der deutschen Existenzphilosophie wurde.
Eine Kunstausstellung passt aber auch deshalb zu Jaspers, weil sich nach seiner Philosophie das Wesentliche nicht in Begriffen dingfest machen lässt, sondern nur in Chiffren, in Symbolen gegeben ist, die jeder für sich und immer aufs neue deuten muss.
Neben Werken der Künstler bietet die gerade eröffnete Ausstellung aber auch eine biographische Schau, die die englische Jaspers-Forscherin Suzanne Kirkbright gestaltet hat.
"Wir hatten von Herrn Professor Saner aus Basel einige noch nie gesehene Objekte, persönliche Gegenstände von Jaspers für die Ausstellung zur Verfügung gestellt bekommen. Zum Beispiel der Globus von Karl Jaspers, der nach seiner Absetzung von den Nazis 1937 vor ihm auf dem Schreibtisch stand, und der für ihn symbolisch den neuen Schritt seiner Denkweise darstellte, also der Schritt von der Existenzphilosophie hin zu seiner Weltgeschichte der Philosophie."
Die Nazis hatten Karl Jaspers aus der Universität vertrieben, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Und einen Ruf an die Universität Basel lehnte er ab, da man seine Frau nicht ausreisen lassen wollte. So lebten beide bis Kriegsende in ständiger Angst vor Verhaftung und Deportation. Jaspers hatte sechs Ampullen Zyankali besorgt, die auf dem Nachttisch bereitlagen.
"Wir haben dieses vielleicht noch hochgiftige Mittel von Herrn Saner zur Verfügung gestellt bekommen, und wir können in Verbindung mit anderen Dokumenten zeigen, wie kritisch die Situation für Jaspers und seine Frau war."
Es war eine Grenzsituation, von der auch in Jaspers' Philosophie die Rede ist. Grenzsituationen sind Lebenslagen, die man nicht einfach verlassen kann, wo der Mensch Problemen wie Leid, Schuld und Verstrickung - im letzten - der Endlichkeit, dem Sterbenmüssen, ausgeliefert ist. Er kann versuchen das zu verdrängen, sich in das alltägliche Man zu flüchten, wie Heidegger die Entfremdung nannte, oder aber die Grenzsituation anzunehmen, sich den Fragen und der Verantwortung zu stellen, das heißt die Existenz, das Selbstsein wieder zu finden.
Diese Art des Philosophierens nennt Jaspers Existenzerhellung. Sein Denken entwickelte sich dabei weniger über die Lektüre von Vorläufern wie Kierkegaard und Nietzsche. Es verdankte weit mehr seiner Arbeit als Psychiater und Psychologe, aber auch familiären Erfahrungen.
Suzanne Kirkbright:
"Herausstreichen würde ich das Verhältnis zum jüngeren Bruder Enno, ein faszinierendes Kapitel der Lebensgeschichte, auch mit einer Tragödie verbunden, weil Enno im Alter von 40 Anfang der 30er Jahre Selbstmord begangen hatte und das kollidierte unmittelbar mit der Herausgabe von Jaspers Existenzphilosophie und die Thematik Selbstmord, Schuld ist nichts Vorgemachtes, sondern nacherlebt im tragischen Ende des eigenen Bruders. Es gibt auch überlieferte Briefe von Jaspers an den jüngeren Bruder, die genau jene Punkte zur Sprache bringt, die für ihn existenzphilosophisch reell sind: wie stellt sich der einzelne zu Fragen wie Selbstmord, wie stellt sich der Mensch überhaupt zur moralischen Schuld, was für Prinzipien kann man im Leben haben, dass man Krisensituationen, Leidsituationen vermeiden kann, das ist in gewisser Weise fast wortwörtlich in Briefen mit dem eigenen Bruder dargestellt worden."
Bei Jaspers rücken die Fragen und Probleme des Lebens wieder in den Mittelpunkt in der Philosophie, die als akademisches Fach an vielen Universitäten zur reinen Philosophiegeschichte erstarrt war, wo man die Abfolge von Denksystemen studierte und sich in philologischer Textexegese erging. Professorenphilosophie - nannte Jaspers das abfällig und rief zu einem individuellen und selbstständigen Denken auf. Das fasziniert gestern wie heute.
"Ich habe als 12-, 13-jähriger Schüler in der Bibliothek meines Vaters ein kleines Bändchen mit dem Titel Einführung in die Philosophie gefunden, auf dem Buch hinten abgebildet ein streng blickender Norddeutscher, was mich irgendwie angezogen hat, ich hatte zu diesem Zeitpunkt gar nicht vor, mich näher über Philosophie zu informieren. habe mir dann aber vorgenommen, das Buch etwas genauer anzuschauen, und bin daran hängen geblieben und habe mit einiger Mühe, aber letztlich mit Erfolg, den Band durchgearbeitet, und kann sagen, dass Karl Jaspers in mir den Funken der Philosophie gezündet hat."
Thomas Sören Hoffmann, der in Bonn Philosophie lehrt, schildert, wie ihn Jaspers in die Philosophie initiiert hat. Ähnliches hat er nun selbst vor, wenn er im Rahmen des Jaspers-Jahres im Juli eine Sommerschule für Studenten und Philosophieinteressierte an der Universität Oldenburg anbietet.
"Ich bin der Meinung, dass Karl Jaspers jemand ist, der in der Tat für die Philosophie einnehmen kann, durch den Philosophie etwas Fesselndes werden kann, etwas mehr als bloß akademischer Betreib sein kann - und es reizt mich, das versuchsweise an junge Leute weiterzugeben. Karl Jaspers ist ein Mann, mit dem man in hohem Maße das Stichwort von der Authentizität des Denkens verbinden kann, niemand der in irgendeiner Weise akademische Stereotypen reproduziert, niemand, für den Philosophie in Dogmen und Lehrsätzen besteht, niemand, der mit seinen Büchern bloß Regale füllen will, sondern jemand der Philosophie als gelebtes denkerisches Leben versteht und vermitteln möchte."
Philosophie heißt: Auf dem Wege sein. Das Denken erstarrt nicht zu festen Antworten. Die Devise gilt auch für Jaspers selbst. Sein Philosophieren hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, hat seinen Schwerpunkt verschoben. Von der frühen Orientierung an der Wissenschaft zur Existenzphilosophie, und weiter über eine Philosophie der Vernunft, hin zum dem was er Weltphilosophie nannte. Dazu gehörte auch das politisch-moralische Engagement, erläutert der Basler Philosoph Hans Saner, Karl Jaspers letzter Assistent und Freund.
"Dieses Nachdenken über die Bundesrepublik war auch eine Art des Philosophierens, aber ein Philosophieren, das nicht primär gerichtet war auf die Erhellung der eigenen Existenz sondern das war die Sorge um die Welt. Dass sich das auf die BRD gerichtet hat, hat natürlich mit dem Krieg zu tun, und mit der Katastrophe, in der das Undenkbare geschehen ist, und die Sorge der späten Zeit ist, es könnte wieder geschehen und man muss das Übel in all seinen Frühspuren früh erkennen, man darf nicht vergessen, es ist die Zeit des Kalten Krieges, in der die verfeindeten Blöcke sich bis zum Irrsinn aufgerüstet haben, also dass ein besorgter Mensch den Eindruck haben konnte, es ist fast wahrscheinlicher, dass das Unheil geschieht als dass es nicht geschieht, die große Überraschung war eigentlich, dass es nicht geschehen ist."
Weltphilosophie hat bei Jaspers auch noch weiteren Sinn. Sie fordert eine philosophische Rede, die von aller Welt verstanden werden kann. Und in der Tat bemühte sich Jaspers darum, Fremdwörter zu vermeiden, bemühte sich um eine Sprache, die für den Mann auf der Straße verständlich ist.
Und ferner meint Weltphilosophie eine Überwindung des Eurozentrismus, einen Dialog der Kulturen. Jaspers entwickelte hier eine optimistische Perspektive, gestützt auf seine Geschichtsphilosophie.
Hans Saner:
"Jaspers glaubte zu sehen, dass in der Zeit von etwa 800 vor Chr. Bis 200 v. Chr. eine mehrere Kulturen zugleich gründende Zeit war, die er Achsenzeit nannte, deren Mitte etwa um 500 gelegen ist. Das galt für ihn für China, Indien, für das so genannte Abendland, also jene westlichen Kulturen, die über Europa hinausgingen, das galt für Persien, für Israel und die eine oder andere Kultur.
Er sah also seinen Gedanken einer möglichen Weltkommunikation oder universalen Kommunikation, sozusagen gesichert in dem Faktum, die Achsenzeit war nicht bloß eine Idee für ihn, sondern ein aufweisbares Faktum, ... Die Achsenzeit ist das, was uns interkulturell die Möglichkeit des wechselseitigen Verstehens gibt."
Konfuzius und Laotse hätten in dieser Achsenzeit für China ethische Grundlagen geschaffen, die sich mit jenen der zeitgleichen europäischen Antike in ein Gespräch bringen lassen. Mit solchen Überlegungen zu einem Dialog der Kulturen ist Jaspers modern und war es schon zu einer Zeit, als Heidegger in arrogantem Provinzialismus behauptete: Denken, also Philosophieren, könnten eigentlich nur die Griechen und die Deutschen.
Solcher Borniertheit trotzend und weitsichtig hatte sich Jaspers zuhause einen Globus auf den Schreibtisch gestellt, als ihm Nazis den Weg in die Öffentlichkeit versperrten, als sie ihm Rede- und Publikationsrecht verweigerten.
"Der Blick ist ab 1937 bewusst in die weite Welt hinaus gerichtet worden, sicher auch als eine individuelle Gegenstrategie gegen den Imperialismuswahn der rechts und der links stehenden politischen Mächte, dieser Hinweis, das europäische Gefängnis muss überwunden und gesprengt werden. Und wir können es sprengen, weil es so etwas wie eine Frühverwandtschaft der unterschiedlichen Kulturen untereinander gibt. Und alles was wichtig geworden ist, für die kulturelle Entwicklung auf die Moderne hin, ist früh angelegt, in unterschiedlichen Kulturen und nicht bloß in einer. Und von daher kann man ein bisschen diesen Satz verstehen: "Wahrheit ist, was uns verbindet", nämlich was von Anfang an uns gemeinsam war in unseren metaphysischen, philosophischen und religiösen Fundamenten."
Wahrheit ist, was uns verbindet - und das ist Kommunikation. Das Zitat bildet auch das Motto des Jaspers-Jahres an der Universität Oldenburg. Sein wissenschaftlicher Organisator Reinhard Schulz hegt dabei gemischte Gefühle.
Einerseits die Befürchtung, dass Jaspers-Jahr könne ein Opfer der Event-Mode sein, die inzwischen auch die Wissenschaftskultur erobert: ein Strohfeuer der Aufmerksamkeit, von der nichts übrig bleibt als Asche und Vergessen.
"Das wäre das Worst-Case-Szenario und die Hoffnung, die ich vor Augen habe, ist, dass es gelingt, mit diesen ganz unterschiedlichen Herangehensweisen über das Jahr 2008 hinaus ... - vielleicht die nationale und internationale Jaspers-Forschung ein wenig befruchten zu können in der Weise, dass junge Wissenschaftler ein stärkeres Interesse wieder an Jaspers bekommen durch Schritte, die in nächster Zeit zu tätigen sind, wo es beispielsweise um den Verbleib der Jaspers-Bibliothek geht, und es von Rolf Hochhuth die Forderung gibt, dass Oldenburg ein Jaspers-Haus einrichtet, es steht jetzt ein Generationswechsel an, wo man sagen kann: letztmalig mit diesem 125 Geburtstag sind Zeitzeugen da, die ihn persönlich kannten, das wird am 150. Geburtstag nicht mehr der Fall sein, und von daher ist das so etwas wie eine letzte Chance, die alte abtretende Generation und die jungen Forscher, die wir gewinnen wollen, in ein Gespräch zu bringen, um darüber möglicherweise der Jaspers-Forschung insgesamt neuen Auftrieb zu geben."