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"Die Länder alleine werden das nicht stemmen können"

Der Aktionsrat Bildung kritisiert in einem Gutachten die Umsetzung der Ganztagsschule. Gutachten-Autor Wilfried Bos könnte sich eine verpflichtende Ganztagsschule vorstellen. Allerdings gehe dies nicht ohne Hilfe des Bundes.

Wilfried Bos im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Ganztagsschule, das war bis vor wenigen Jahren für Unionspolitiker ein Reizwort. Nicht vereinbar mit dem traditionellen Familienmodell und auch sonst Kram aus der sozialdemokratischen Reformpädagogikkiste! In den aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin ist das längst nicht mehr so. Dass wir mehr Ganztagsschulen brauchen, ist zwischen SPD und Union unumstritten. Nur, welche Ganztagsschule soll es sein? Denn nicht überall, wo Ganztagsschule draufsteht, ist auch Ganztagsschule drin! Das kritisierte heute der Aktionsrat Bildung in einem Gutachten. Geschrieben hat es der Dortmunder Schulentwicklungsforscher Wilfried Bos. Herr Bos, Sie fordern den Ausbau der echten Ganztagsschule. Was ist denn eine falsche Ganztagsschule?

    Wilfried Bos: Ach, eine falsche Ganztagsschule gibt es nicht. Es gibt aber suboptimale Ganztagsschulen. Suboptimale Ganztagsschule, das ist eine Ganztagsschule, wo morgens die Lehrer sind und die fahren dann um ein Uhr nach Hause, und dann kommen irgendwelche anderen Leute, die nachmittags eine Bespaßung mit den Kindern machen oder auf die Hausaufgaben aufpassen. Das ist ja auch gut und nicht schlecht, aber da nutzt man die Möglichkeiten von einem Ganztag überhaupt nicht aus, wenn man das so betreibt.

    Götzke: Sie haben in Ihrer Untersuchung festgestellt, dass der Anteil der Grundschüler, die – ich übernehme den Begriff jetzt trotzdem mal – an echten Ganztagsschulen sind, nur bei fünf Prozent liegt. 21 Prozent werden nur betreut oder bespaßt, wie Sie es gesagt haben. Wie sieht denn diese Bespaßung in der Regel aus?

    Bos: Das sind die großen drei Ts: Theater, Turnen und Tanzen. Und das ist es im Prinzip.

    Götzke: Ist doch auch nicht schlecht!

    Bos: Und die Hausaufgabenbetreuung eben. Es ist schön, wenn die Kinder überhaupt eine Hausaufgabenbetreuung haben, das ist ja auch wichtig, aber wenn Lehrer und Lehrerinnen den ganzen Tag vor Ort sind und weiteres pädagogisches Personal auch den ganzen Tag da ist, dann kann man doch viel besser binnendifferenzieren, dann kann man die Freizeitsachen abstimmen, vernünftig, mit den Dingen, die im Unterricht stattfinden sollen, man kann was tun für die besonders leistungsstarken Kinder, man kann was tun für die leistungsschwachen Kinder. Das bringt doch richtig viel, statt da einfach nur eine Hausaufgabenbetreuung und ein bisschen Sportprogramm.

    Götzke: Wenn die Lehrer bis zum Nachmittag an der Ganztagsschule bleiben, haben die Schüler dann nicht möglicherweise auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denen, die nur bis zum Mittag zur Schule gehen, was ja noch die Regel ist?

    Bos: Ja, natürlich haben die einen Wettbewerbsvorteil. Wir gehen also davon aus, an dieser Form der Ganztagsschule, die ich gerade skizziert habe, dass das natürlich auch dazu führt, dass weniger Kinder sitzenbleiben, dass weniger Kinder im unteren Kompetenzbereich bleiben, dass mehr Kinder auf höhere Kompetenzbereiche kommen.

    Götzke: Aber müsste man da nicht sagen, wenn wir Unterricht auch am Nachmittag stattfinden lassen, also insgesamt mehr Unterrichtsangebote machen, müsste man dann nicht die Ganztagsschule verpflichtend durchführen, einführen?

    Bos: Ich hätte keine Probleme, das verpflichtend einzuführen, aber dass Politik das anders sieht und sagt, nein, wir müssen auch einen Teil der Eltern, die das nicht wollen, mit berücksichtigen, das ist nachvollziehbar. Da muss man einfach dann die Eltern überzeugen.

    Götzke: Die Frage ist nur, wer das Ganze finanziert.

    Bos: Ja, das sollen nicht die Eltern zusätzlich machen, sondern da muss mehr Geld von der Politik in die Hand genommen werden. Das sollte doch kein Problem sein. Wir haben die Hypo Real Estate, die hat also so viele Milliarden innerhalb ganz kurzer, weniger Wochen gekriegt, da wird man doch noch mal so ein paar Milliarden eben zusammenkriegen können, um den Ganztag einzuführen!

    Götzke: Wenn das alles so leicht wäre, woher kommen denn dann überhaupt die Widerstände? Hängt es an den Eltern, hängt es an den Lehrern?

    Bos: Ich sehe die Widerstände nicht. Wir haben ja so, was rein nominell gesehen Schulen angeht, ist das ja ein gutes Programm gewesen. Es ist ja viel ausgebaut worden, das kann auch weiter werden. Wir haben eher das Problem, dass wir sagen, die Umsetzung innerhalb der Ganztagsschulen, das ist noch nicht optimal.

    Götzke: Oder hängt es auch so ein bisschen damit zusammen, dass die Lehrer dann doch lieber um 14 Uhr nach Hause gehen, statt um 18 Uhr?

    Bos: Das haben jetzt Sie gesagt!

    Götzke: Aber es liegt ja schon auch ein organisatorisches Problem darin, Sie haben es ja vorhin so erläutert, die Lehrer gehen um 14 oder 13 Uhr nach Hause und dann kommen die Betreuungskräfte. Das Ganze bedeutet ja einen erhöhten Organisationsaufwand, wenn die Lehrer länger bleiben und die Betreuungskräfte zwischendurch dann auch irgendwie da sein müssen.

    Bos: Ja, aber die Lehrer haben dann, wenn die auch bis 16 Uhr da bleiben, wie wir das ja eigentlich wollen, die haben dann auch Feierabend. Die sollen ja auch ihre Unterrichtsvorbereitung, ihre Unterrichtskooperationen mit den Kollegen, das soll ja alles dann auch stattfinden. Die Lehrer sollen dann ja nicht erst um vier nach Hause gehen und sollen dann noch die ganzen Klassenarbeiten korrigieren oder so was.

    Götzke: Sie nennen das Ganze ja optimale Rhythmisierung. Wie sieht die denn genau aus?

    Bos: Die Rhythmisierung heißt einfach, dass der ganze Tag genutzt wird, um Freizeitangebote und Unterricht optimal aufeinander einzustimmen und das miteinander zu verzahnen. Eben nicht, dass nur bis mittags, ein Uhr, Unterricht ist und dann kommt irgendetwas anderes, dann wird nur noch Freizeit gemacht, sondern dass auch durchaus an dem einen Vormittag mal was Freizeitmäßiges stattfindet und dafür am anderen Nachmittag eine Differenzierung zwischen Schwächeren und Stärkeren stattfindet und mit denen wieder entsprechend Unterricht gemacht wird. Das verstehen wir unter Rhythmisierung.

    Götzke: Die Ganztagsschule ist auch ein Thema bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen. Was würden Sie Bundesbildungsministerin Wanka und den Landesministerinnen und -ministern da mit auf den Weg geben?

    Bos: Die sollen Wege finden, dass Bundesgeld wieder in die Länder fließen kann, in so ein Programm, wie wir es die letzten zehn Jahre hatten, indem also erhebliches Geld vom Bund genommen wurde, um die Ganztagsschulen auszubauen und das zu ermöglichen. Die Länder alleine werden das nicht stemmen können und da muss man einfach Mittel und Wege finden, wie man das hinkriegt.

    Götzke: Der Dortmunder Schulentwicklungsforscher Wilfried Bos fordert mehr echte Ganztagsschulen. Danke!


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