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Die Lage im Jemen
Krieg, Hunger, Cholera und kein Ende

Der Krieg im Jemen mit bislang mindestens 10.000 Toten ist Ursache einer schweren Wirtschaftskrise im Land, die Lebensmittel für viele Menschen fast unerschwinglich macht. Und die Versorgungslage könnte noch dramatischer werden, wenn die wichtige Hafenstadt Hudeida durch die Kämpfe zerstört wird.

Von Mark Kleber |
    Eine Jemenitin in einer Notunterkunft in der Provinz Hodeidah
    Eine Jemenitin in einer Notunterkunft in der Provinz Hudeida. Der Krieg konzentriert sich inzwischen auf die gleichnamige Hafenstadt, die Lebensader des Landes (AFP)
    So klingt das Leiden. Ein Baby schreit vor Hunger, in einer Klinik in der Hafenstadt Aden. Die Ärztin Aida AlSadeeq behandelt jeden Tag Kinder wie dieses kleine Mädchen:
    "Sie kam zu uns wegen akuter schwerer Unterernährung, die noch verschlimmert wird durch wässrigen Durchfall."
    Auch eines der Symptome von Cholera. Knapp 30 Millionen Einwohner hat der Jemen, jeder dritte von ihnen ist unterernährt. Damit hat sich die Zahl seit Beginn des Krieges vor vier Jahren verdreifacht. Und es könnte noch schlimmer kommen, warnte erst im September der Nothilfe-Koordinator der Vereinten Nationen für den Jemen, Mark Lowcock:
    "Wir verlieren den Kampf gegen den Hunger. Die Lage hat sich in den letzten Wochen auf alarmierende Weise verschlechtert. Wir könnten einen Punkt erreichen, ab dem wir nicht mehr verhindern können, dass eine große Zahl von Menschen verhungert. Wir erleben, dass in manchen Gebieten Menschen anfangen Blätter zu essen, weil sie nichts anderes mehr haben."
    Menschen warten darauf, von einer internationalen Hilfsorganisation Essen zu erhalten
    Die aktuelle Nahrungsmittelkrise im Jemen könnte sich im schlimmsten Fall zu einer Hungersnot ausweiten (Mohammed Mohammed/dpa )
    Nahrunsmittel sind für viele zu teuer geworden
    Die gesamte Wirtschaft des Jemen steckt in einer so tiefen Krise, dass Essen für viele Menschen fast unerschwinglich geworden ist. Um ein Drittel seien Grundnahrungsmittel teurer geworden, so der Sprecher des Welternährungsprogrammes, Herve Verhoosel:
    "Die Kosten für Grundnahrungsmittel sind seit Juni letzten Jahres um ein Drittel gestiegen."
    Das liegt auch daran, dass die jemenitische Währung, der Rial, in den letzten Monaten ein Drittel an Kaufkraft verloren hat, eine Folge der schweren Wirtschaftskrise. Erst vor wenigen Tagen feuerte Staatschef Hadi deshalb seinen Ministerpräsidenten, Ahmed bin Dager. Er trage die Schuld an der schwachen Wirtschaftsleistung und habe den Kollaps der Währung nicht abwenden können. Eine hilflose Geste, um der Wut vieler Jemeniten die Spitze zu nehmen. Denn die Ursache für die Krise bleibt: Der Krieg im Jemen.
    Mindestens 10.000 Kriegstote bislang
    Eine Demonstration in der von den Huthi-Rebellen gehaltenen früheren Hauptstadt Sanaa. Sie richtet sich gegen Saudi-Arabien, das zusammen mit anderen Staaten gegen die Huthis Krieg führt. Ein Huthi-Vertreter gibt sich unerschrocken:
    "Die jemenitische Bevölkerung ist heute auf die Straße gegangen, um der ganzen Welt zu zeigen, dass wir nicht hinnehmen, durch Hunger und Belagerung zu sterben."
    Hinter den schiitischen Huthis steht auch der Iran. Der Krieg im Jemen ist zum Teil ein Stellvertreterkrieg geworden zwischen Iran und Saudi-Arabien. Laut Schätzungen hat er bisher mindestens 10.000 Menschen das Leben gekostet. Immer wieder sterben auch Kinder durch Bomben der saudi-arabischen Luftwaffe. Im August traf eine Bombe irrtümlich einen Schulbus, Dutzende Schüler starben. Ein Vater trauert, er hat gleich zwei Söhne verloren:
    "Gerade standen meine Söhne noch vor mir, dann waren sie in Stücke gerissen. Es war ein furchtbarer Schock. Ich konnte nicht einmal weinen, so groß war mein Schmerz darüber, dass ich meine Kinder verloren habe."
    Ein jemenitischer Junge wird medizinisch versorgt, nachdem er einen Luftangriff auf einen Schulbus überlebt hat.
    Ein jemenitischer Junge wird medizinisch versorgt, nachdem er einen Luftangriff auf einen Schulbus überlebt hat. (dpa-Bildfunk / Abdulkareem Al-Zarai)
    Saudi-Arabiens zwiespältige Rolle
    Der saudische Prinz Khaled Bin Salman gibt sich angesichts der verheerenden Lage im Jemen verständnisvoll:
    "Uns bewegt das sehr, und Saudi-Arabien hat für den Jemen mehr gespendet als jedes andere Land."
    Mehrere hundert Millionen Dollar sagte Saudi-Arabien bei einer Geberkonferenz für den Jemen in diesem Jahr zu. Doch Prinz Khaled Bin Salman macht auch deutlich: Saudi-Arabien werde alles zu seinem Schutz tun, koste es, was es wolle.
    Vor gut zwei Monaten schien eine neue Runde der Friedensgespräche in greifbarer Nähe, nach zwei Jahren Pause. Der UN-Sondergesandte David Griffiths zeigte sich verhalten zuversichtlich, dass die Kriegsparteien seiner Einladung nach Genf folgen. Doch der Termin platzte, wofür beide Seiten einander die Schuld gaben. Wann es neue Gespräche geben werde, sei unklar, erklärte David Griffiths ernüchtert:
    "Es ist zu früh für mich, um sagen zu können, wann die nächste Runde der Beratungen stattfinden wird."
    Martin Griffiths, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Jemen, bei einer Pressekonferenz kurz vor Beginn der neuen Friedensgespräche über den Bürgerkrieg im Jemen.
    Martin Griffiths, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Jemen (dpa/ Keystone/Salvatore Di Nolfi)
    Jemens Außenminister: "Die UN dramatisiert die Lage"
    Ein aktueller UN-Bericht wirft allen Kriegsparteien im Jemen Menschenrechtsverletzungen vor, was der jemenitische Außenminister Al Jamani brüsk zurückweist:
    "Man nutzt die Menschrechtslage aus, um uns zu erpressen und zu übertreiben. Ich habe Mark Lowcock klar gesagt: Ihr wisst, dass die UN die Lage dramatisiert, um Mittel zu bekommen."
    Doch die Lage im Jemen könnte noch dramatischer werden. Denn der Krieg konzentriert sich inzwischen auf die Lebensader des Landes, die wichtige Hafenstadt Hudeida. Über zwei Drittel aller Importe kommen über Hudeida ins Land. Aus Sicht der von Saudi-Arabien geführten Koalition aber auch Waffen aus dem Iran für die Huthi-Rebellen, die die Stadt verteidigen. Hilfsorganisationen warnen vor den Konsequenzen, sollte der Hafen durch die Kämpfe zerstört werden. Auch UN-Experte Mark Lowcock ist alarmiert:
    "Hudeida spielt eine zentrale Rolle, um Leben zu retten. Wenn die Einfuhren über Hudeida auch nur für kurze Zeit eingeschränkt werden, dann sind die Konsequenzen für die Menschen katastrophal."
    Überdies leidet rund eine Million Menschen im Jemen an Cholera. Dass sich die Lage im Jemen in absehbarer Zeit verbessert, scheint aussichtslos. Schon jetzt sprechen die UN von der weltweit größten humanitären Katastrophe.