Christiane Kaess: Der Syrien-Sondergesandte Kofi Annan will in Kürze in das von Unruhen erschütterte Land reisen. Er rechne mit einem baldigen Besuch, so der frühere UN-Generalsekretär gestern in New York nach einem Treffen mit seinem Nachfolger Ban Ki-moon. Und auch Annan rief Syriens Präsident Baschar al-Assad auf, das gewaltsame Vorgehen gegen die Opposition zu beenden.
7.500 Tote soll es nach Angaben der Vereinten Nationen in Syrien seit Ausbruch der Gewalt gegeben haben. Insbesondere die Stadt Homs ist in den vergangenen Wochen zu einem Symbol des Widerstands geworden. Etwa 100.000 Menschen sind dort von Truppen des Präsidenten Baschar al-Assad eingeschlossen. Gestern hat das syrische Regime einen Vorstoß gestartet, die Stadt nach wochenlangen Bombardements mit einer Bodenoffensive einzunehmen. Es ist äußerst schwierig, gesicherte Informationen aus Homs zu bekommen. Ich habe vor der Sendung mit Jacques Bérès gesprochen, er ist Mitgründer der Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Als heute 71jähriger arbeitet er seit 40 Jahren als Chirurg in Kriegsgebieten und er war bis vor kurzem in Homs, um dort Verletzte zu behandeln. Jacques Bérès ist illegal ohne Visum über den Libanon nach Syrien eingeschleust worden, mit Hilfe einer syrischen Ärzteorganisation. Das sei der einzige Weg, um seine Arbeit überhaupt möglich zu machen, sagt er. Ich habe ihn zuerst gefragt, wie er dann auf syrischem Terrain weiter nach Homs durchgekommen ist.
Jacques Bérès: Es war kompliziert. Als ich dort war, gab es noch einen Tunnel, um nach Homs reinzukommen, aber dieser Tunnel ist jetzt bombardiert und zerstört worden, und so weit ich weiß, ist er noch nicht wiederaufgebaut worden.
Kaess: Welche Situation haben Sie in Homs vorgefunden?
Bérès: Eine ganz katastrophale. Es ist tragisch. Man leidet selbst, wenn man das Ganze ungerechte Leiden dort sieht. Man sieht jede Menge unschuldige Leute, die getötet oder verletzt wurden. Ich habe einige Kämpfer der Freien Syrischen Armee behandelt, aber der Großteil sind Zivilisten, alte Männer und Frauen und kleine Kinder.
Kaess: Wo haben Sie gearbeitet, in einem Krankenhaus?
Bérès: In einem Behelfskrankenhaus, improvisiert in einem Privathaus, das Sympathisanten der syrischen Opposition eingerichtet hatten. Eine Notstruktur, man kann es gar nicht Krankenhaus nennen: ein Operationstisch, ein rudimentäres Narkosegerät, es gibt keinerlei Beleuchtung im Operationssaal, was sehr hinderlich ist, und ständig fällt der Strom aus.
Kaess: Was fehlt der Bevölkerung in Homs in erster Linie, wie ist die humanitäre Lage?
Bérès: Absolut katastrophal. Das schlimmste werden die fehlenden Lebensmittel in ein paar Tagen sein. Homs ist eine eingeschlossene Stadt, die sich mit gar nichts mehr versorgen kann. Man kann fast kein Brot mehr backen, es gibt Probleme mit Wasser, es gibt kaum mehr Elektrizität, und um die Generatoren zu nutzen, bräuchte man Diesel. Nein, es ist fürchterlich, was sich da abspielt, dazu noch die Bombardements und die Scharfschützen, es ist schrecklich.
Kaess: Mit welchem Material haben Sie gearbeitet?
Bérès: Mit sehr wenig. Aber es macht keinen Sinn, eine lange Liste davon zu machen, was alles fehlt. Man arbeitet mit dem, was man hat. Man muss das wenige tun, was man tun kann.
Kaess: Sind es vor allem die aufständischen Kämpfer, die von den Bombardements betroffen sind, oder die Zivilisten?
Bérès: Nein, es sind vor allem die Zivilisten. Seit den Weltkriegen hat sich das Verhältnis der Zivilisten und der Kämpfer, die getroffen sind, umgedreht. Bis zum Ersten Weltkrieg traf es 90 Prozent der Kämpfer und 10 Prozent der Zivilisten. Jetzt haben wir ein umgekehrtes Verhältnis. Dahinter steckt die perverse Logik, dass die Kämpfenden davon ausgehen, dass es effizienter sei, die Menschen zu verletzen, als sie zu töten. Verletzte muss man versorgen, es kostet Geld, es belastet die Gesellschaft, die Folgen dauern Jahre später noch an, viele können nicht mehr arbeiten, nicht mehr mithelfen, eine Nation aufzubauen. Außerdem: Die Kämpfer sind jung, sie sind bewaffnet, können sich also verteidigen und sie sind trainiert, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Zivilisten haben all das nicht, es trifft sie also zu 90 Prozent.
Kaess: Unterstützen die Zivilisten dennoch die Aufständischen?
Bérès: Ja, total, mit einer erbitterten Entschlossenheit. Sie sind geradezu großartig. Das sind Menschen, die seit Wochen friedlich demonstrieren. Sie sind hoch motiviert und sie sind sich sicher, dass sie gewinnen werden und ihre Freiheit erkämpfen werden. Das ist ihnen zu wünschen. Es ist ein beträchtlicher Preis, den sie zahlen. Man kann nur hoffen, dass sie so schnell wie möglich gewinnen, weil sie es absolut verdienen.
Kaess: Wer sind die Oppositionellen? Gibt es religiöse Fundamentalisten unter ihnen?
Bérès: Vielleicht gibt es die. Ich habe sie nicht getroffen. Und wenn man sich mit den Aufständischen unterhält, lachen die darüber und sagen, die kennen wir nicht. Ich bin in keinster Weise für die Islamisten, aber wir können jetzt nicht sagen, wir helfen der Opposition nicht, weil sie vielleicht eines Tages die Salafisten unterstützt. Das weiß ich auch nicht.
Kaess: Es ist schwierig für die internationale Gemeinschaft und vor allem für die westlichen Länder, eine Lösung für Syrien zu finden. Was empfehlen Sie?
Bérès: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe gar keine Empfehlung. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die westlichen Länder zu sehr auf ihre dramatischen Misserfolge in Irak, in Afghanistan und die Situation in Libyen konzentrieren, wo man sich militärisch eingemischt hat. Es ist wirklich sehr schwierig, hier eine Entscheidung zu treffen. Man sagt sich, lieber keine falsche Gruppe bewaffnen, so wie das die CIA zuerst in Afghanistan mit Bin Laden gemacht hat.
Kaess: Werden Sie nach Homs zurückkehren?
Bérès: Ja, im Prinzip werde ich bald zurückkehren.
Kaess: Mit welcher Motivation?
Bérès: Um den Menschen dort zur Seite zu stehen, ihnen zu helfen mit dem, was ich chirurgisch tun kann, vielleicht auch nur symbolisch. Die Menschen dort sind anzuerkennen. Sie sind auf eine Weise dankbar, die absolut bewegend ist.
Kaess: Jacques Bérès, französischer Arzt, der in der syrischen Stadt Homs Verletzte versorgt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
7.500 Tote soll es nach Angaben der Vereinten Nationen in Syrien seit Ausbruch der Gewalt gegeben haben. Insbesondere die Stadt Homs ist in den vergangenen Wochen zu einem Symbol des Widerstands geworden. Etwa 100.000 Menschen sind dort von Truppen des Präsidenten Baschar al-Assad eingeschlossen. Gestern hat das syrische Regime einen Vorstoß gestartet, die Stadt nach wochenlangen Bombardements mit einer Bodenoffensive einzunehmen. Es ist äußerst schwierig, gesicherte Informationen aus Homs zu bekommen. Ich habe vor der Sendung mit Jacques Bérès gesprochen, er ist Mitgründer der Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Als heute 71jähriger arbeitet er seit 40 Jahren als Chirurg in Kriegsgebieten und er war bis vor kurzem in Homs, um dort Verletzte zu behandeln. Jacques Bérès ist illegal ohne Visum über den Libanon nach Syrien eingeschleust worden, mit Hilfe einer syrischen Ärzteorganisation. Das sei der einzige Weg, um seine Arbeit überhaupt möglich zu machen, sagt er. Ich habe ihn zuerst gefragt, wie er dann auf syrischem Terrain weiter nach Homs durchgekommen ist.
Jacques Bérès: Es war kompliziert. Als ich dort war, gab es noch einen Tunnel, um nach Homs reinzukommen, aber dieser Tunnel ist jetzt bombardiert und zerstört worden, und so weit ich weiß, ist er noch nicht wiederaufgebaut worden.
Kaess: Welche Situation haben Sie in Homs vorgefunden?
Bérès: Eine ganz katastrophale. Es ist tragisch. Man leidet selbst, wenn man das Ganze ungerechte Leiden dort sieht. Man sieht jede Menge unschuldige Leute, die getötet oder verletzt wurden. Ich habe einige Kämpfer der Freien Syrischen Armee behandelt, aber der Großteil sind Zivilisten, alte Männer und Frauen und kleine Kinder.
Kaess: Wo haben Sie gearbeitet, in einem Krankenhaus?
Bérès: In einem Behelfskrankenhaus, improvisiert in einem Privathaus, das Sympathisanten der syrischen Opposition eingerichtet hatten. Eine Notstruktur, man kann es gar nicht Krankenhaus nennen: ein Operationstisch, ein rudimentäres Narkosegerät, es gibt keinerlei Beleuchtung im Operationssaal, was sehr hinderlich ist, und ständig fällt der Strom aus.
Kaess: Was fehlt der Bevölkerung in Homs in erster Linie, wie ist die humanitäre Lage?
Bérès: Absolut katastrophal. Das schlimmste werden die fehlenden Lebensmittel in ein paar Tagen sein. Homs ist eine eingeschlossene Stadt, die sich mit gar nichts mehr versorgen kann. Man kann fast kein Brot mehr backen, es gibt Probleme mit Wasser, es gibt kaum mehr Elektrizität, und um die Generatoren zu nutzen, bräuchte man Diesel. Nein, es ist fürchterlich, was sich da abspielt, dazu noch die Bombardements und die Scharfschützen, es ist schrecklich.
Kaess: Mit welchem Material haben Sie gearbeitet?
Bérès: Mit sehr wenig. Aber es macht keinen Sinn, eine lange Liste davon zu machen, was alles fehlt. Man arbeitet mit dem, was man hat. Man muss das wenige tun, was man tun kann.
Kaess: Sind es vor allem die aufständischen Kämpfer, die von den Bombardements betroffen sind, oder die Zivilisten?
Bérès: Nein, es sind vor allem die Zivilisten. Seit den Weltkriegen hat sich das Verhältnis der Zivilisten und der Kämpfer, die getroffen sind, umgedreht. Bis zum Ersten Weltkrieg traf es 90 Prozent der Kämpfer und 10 Prozent der Zivilisten. Jetzt haben wir ein umgekehrtes Verhältnis. Dahinter steckt die perverse Logik, dass die Kämpfenden davon ausgehen, dass es effizienter sei, die Menschen zu verletzen, als sie zu töten. Verletzte muss man versorgen, es kostet Geld, es belastet die Gesellschaft, die Folgen dauern Jahre später noch an, viele können nicht mehr arbeiten, nicht mehr mithelfen, eine Nation aufzubauen. Außerdem: Die Kämpfer sind jung, sie sind bewaffnet, können sich also verteidigen und sie sind trainiert, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Zivilisten haben all das nicht, es trifft sie also zu 90 Prozent.
Kaess: Unterstützen die Zivilisten dennoch die Aufständischen?
Bérès: Ja, total, mit einer erbitterten Entschlossenheit. Sie sind geradezu großartig. Das sind Menschen, die seit Wochen friedlich demonstrieren. Sie sind hoch motiviert und sie sind sich sicher, dass sie gewinnen werden und ihre Freiheit erkämpfen werden. Das ist ihnen zu wünschen. Es ist ein beträchtlicher Preis, den sie zahlen. Man kann nur hoffen, dass sie so schnell wie möglich gewinnen, weil sie es absolut verdienen.
Kaess: Wer sind die Oppositionellen? Gibt es religiöse Fundamentalisten unter ihnen?
Bérès: Vielleicht gibt es die. Ich habe sie nicht getroffen. Und wenn man sich mit den Aufständischen unterhält, lachen die darüber und sagen, die kennen wir nicht. Ich bin in keinster Weise für die Islamisten, aber wir können jetzt nicht sagen, wir helfen der Opposition nicht, weil sie vielleicht eines Tages die Salafisten unterstützt. Das weiß ich auch nicht.
Kaess: Es ist schwierig für die internationale Gemeinschaft und vor allem für die westlichen Länder, eine Lösung für Syrien zu finden. Was empfehlen Sie?
Bérès: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe gar keine Empfehlung. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die westlichen Länder zu sehr auf ihre dramatischen Misserfolge in Irak, in Afghanistan und die Situation in Libyen konzentrieren, wo man sich militärisch eingemischt hat. Es ist wirklich sehr schwierig, hier eine Entscheidung zu treffen. Man sagt sich, lieber keine falsche Gruppe bewaffnen, so wie das die CIA zuerst in Afghanistan mit Bin Laden gemacht hat.
Kaess: Werden Sie nach Homs zurückkehren?
Bérès: Ja, im Prinzip werde ich bald zurückkehren.
Kaess: Mit welcher Motivation?
Bérès: Um den Menschen dort zur Seite zu stehen, ihnen zu helfen mit dem, was ich chirurgisch tun kann, vielleicht auch nur symbolisch. Die Menschen dort sind anzuerkennen. Sie sind auf eine Weise dankbar, die absolut bewegend ist.
Kaess: Jacques Bérès, französischer Arzt, der in der syrischen Stadt Homs Verletzte versorgt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.