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Die Landstraße auf Schienen ist der Schlüssel zur Gotthard-Sanierung

Das Gotthard-Straßentunnel muss komplett erneuert werden. Die Instandsetzungsarbeiten können jedoch erst beginnen, wenn der Basistunnel für die Bahn befahrbar ist. Denn rund 900.000 Lkw, die jährlich durch den Straßentunnel fahren, müssen während der dreijährigen Vollsperrung umgeleitet werden.

Von Alexander Grass |
    Es ist der 5. September 1980. Der Tag an dem der Gotthard-Straßentunnel eröffnet wird.

    Die Wilhelm Tell Ouvertüre von Rossini wird gespielt. Bald werden sich Kinder aus Nord und Süd die Hände reichen. Und Bundesrat Hans Hürlimann hält seine berühmte Gotthard-Tunnel Rede.

    "Dieser Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr. In der baulichen Gestaltung ist diese Straße unter dem Berg nicht für den Transport von Gütern angelegt."

    Doch Bundesrat Hans Hürlimann sollte sich täuschen. Heute rollen 900.000 Lastwagen pro Jahr durch den Tunnel. Erschütterungen, Abgase, Salze haben den Tunnel schnell altern lassen. Das Bauwerk muss komplett erneuert werden. Thomas Rohrbach vom Schweizerischen Bundesamt für Straßen:

    "Es ist ein langer komplizierter Tunnel und das bedeutet: Er muss für die Sanierung gesperrt werden. Das heißt Größenordnung 900 Tage Bauzeit um diesen Tunnel wieder neu zu machen quasi."

    Während der Sanierungsarbeiten im Tunnel soll der Auto- und der Lastwagenverkehr auf die Eisenbahn verladen werden.

    "Wenn dieser Tunnel saniert wird, steht der neue Gotthard Basistunnel der Eisenbahn zur Verfügung. Und das ist ein großes Glück für die Sanierung. Man Lastwagen auf die Bahn verladen und durch den Tunnel schicken."

    Diese Landstraße auf Schienen ist der Schlüssel zur Sanierung. Aber dort, wo die Lastwagen auf die Schiene verladen werden sollen, im Norden und im Süden des Gotthards gibt es Widerstand. Markus Züst ist Landammann, das heißt Regierungsmitglied im Kanton Uri.

    "Wir haben seit 20 Jahre eine Baustelle. Es sieht so aus dass wir für weitere 20 Jahre mit so etwas leben müssen. Das ist für uns nicht akzeptabel"

    Der Kanton Uri befindet sich im Norden des Gotthards, das Tessin im Süden. Dort, in Biasca sollen die Lastwagen an einem Terminal auf die Schiene verladen werden.

    Hier in Biasca brauche es Arbeitsplätze für Einheimische, schimpft ein Mann neben der Gotthardautobahn. Aber doch nicht für Parkplatzwächter von auswärts. Biasca habe schon genug Opfer gebracht für den Nord-Süd-Verkehr. Gegen den Lastwagenterminal ist auch Biascas Gemeindepräsident Jean Francois Dominé.

    Über 2000 Lastwagen sollten künftig an 20 Stunden pro Tag in Biasca verladen werden, sagt Dominé und er warnt vor Flutlichtern, vor Lärm und Stau. Biasca brauche das Land für Industrieansiedlungen, für hochwertige und nachhaltige Arbeitsplätze. Biasca werde wahrscheinlich alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um das Projekt zu Fall zu bringen.

    Die Standortgemeinden wollen also das nötige Land für die Verladestationen nicht freigeben. Das wiederum gefährdet die Sanierung. Doch die politische Debatte wird noch komplizierter. Der Transport durch den Gotthard ist die Lebensader für den südlichen schweizer Landesteil, das Tessin. Da werde mit Schönwetterszenarien gerechnet, es werde massive Einschränkungen geben, wird im Tessin befürchtet. Der Tessiner Ständerat Filippo Lombardi.

    Da gebe es nicht nur einige wenige Prozent oder zehn Prozent Arbeitsplatzverluste. Es werde nachgerade zu einem Firmensterben kommen. Und nach der Tunnel-Sanierung sei dann jenes Personal abgewandert, das es für den Wiederaufbau der Betriebe brauche.

    So mobilisiert der Kanton Tessin für den Bau einer zweiten Tunnelröhre, die zum Zeitpunkt der Sanierung bereit stehen solle. Eine zweite Röhre aber kostet zwei Milliarden Franken. Zudem ist sie für die Alpenschützer inakzeptabel. Mehr Tunnel gleich mehr Verkehr, so lautet dort die Gleichung. Bis zu den Sommerferien will die Schweizer Landesregierung ein Konzept vorlegen, wie es nun weitergehen soll. Widerstand ist ihr gewiss. Doch Widerstand kostet Zeit. Und genau die haben die Planer in Bern eben nicht.