Geboren wurde die Hamburgerin Ingeborg Syllm im November 1912 in Kamerun. Sie studierte Medizin und schloss 1938 ihre Doktorarbeit an der Universitätsklinik von Hamburg-Eppendorf über die damalige Arme-Leute-Seuche Diphtherie ab. Als ihr die Nazis untersagten, die mündliche Prüfung abzulegen, reiste sie mit 38 Reichsmark in der Tasche allein in die USA.
In New York und Cincinnati studiert sie noch einmal, lernt in der Ambulanz von Brooklyn das Elend von Familien kennen und wird an die beste Kinderklinik der USA berufen, wo sie dem jüdischen Biochemiker Mitja Rapoport begegnet, dem sie ihr Leben lang die Treue halten wird. Für die Kommunistische Partei der USA besuchen beide Slums und diskutieren sonntags in Arbeiterschlafzimmern über eine bessere Welt. Vier Kinder gehen aus dieser Ehe hervor.
Als beide 1950 den Stockholmer Appell zur Ächtung von Atomwaffen unterzeichnen, droht ihnen die Vorladung vor das McCarthy Komitee. Bei Nacht und Nebel verlässt die Familie New York. Schließlich geht sie nach Ostberlin, wo Mitja Rapoport die naturwissenschaftliche Ausrichtung der DDR weitreichend prägt und Ingeborg Syllm-Rapoport die Kinderheilkunde der Charité revolutioniert.
In der Langen Nacht über die Ärztin Ingeborg Syllm-Rapoport, die vor wenigen Monaten im Alter von 104 Jahren verstarb, reflektiert die sich differenziert erinnernde feine alte Dame ihren lebenslangen Kampf für eine humane und gerechte Welt.
Es ist ein besonderer Tag im UKE, dem Universitätsklinikum in Hamburg – Eppendorf.
Eine besondere Doktorandin wird geehrt. Ihre Doktorarbeit hatte die 26-jährige Inge Syllm 77 Jahre zuvor über die damalige Volksseuche Diphtherie geschrieben. Die Prüfung darf sie im Dritten Reich nicht ablegen.
Sie rettete sich in die USA und promoviert und flieht mit ihrem Mann Samuel Mitja Rapoport vor den antikommunistischen Tribunalen des Senators McCarthy nach Wien, verfolgt von US Geheimagenten und findet Zuflucht in der DDR, wo sie in Berlin habilitiert.
An der Charité begründet sie die Neonatologie – die Rettung und Betreuung von Frühgeborenen. Daneben zieht sie vier Kinder gross. Und nun wird sie geehrt. Nach ihrem mit 102 Jahren glänzend bestandenen Rigorosum feiert die Hamburger Universität sich selbst und lädt zur Feier ihrer Promotion. Es ist ein besonderes Fest und alle Verwandten, die internationale Presse und Verehrer aus Übersee sind da.
Sie rettete sich in die USA und promoviert und flieht mit ihrem Mann Samuel Mitja Rapoport vor den antikommunistischen Tribunalen des Senators McCarthy nach Wien, verfolgt von US Geheimagenten und findet Zuflucht in der DDR, wo sie in Berlin habilitiert.
An der Charité begründet sie die Neonatologie – die Rettung und Betreuung von Frühgeborenen. Daneben zieht sie vier Kinder gross. Und nun wird sie geehrt. Nach ihrem mit 102 Jahren glänzend bestandenen Rigorosum feiert die Hamburger Universität sich selbst und lädt zur Feier ihrer Promotion. Es ist ein besonderes Fest und alle Verwandten, die internationale Presse und Verehrer aus Übersee sind da.
Erfolgreiche Promotion mit 102 Jahren
Im Alter von 102 Jahren hat Prof. Dr. med. Ingeborg Syllm-Rapoport im Mai erfolgreich ihre mündliche Prüfung zur Promotion abgelegt. Ärzteblatt
Mickey Rapoport, Mathematiker in Bonn
Was ist denn das Geheimnis, das Ihre Mutter noch so fit ist?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass sie sich für alles interessiert. Sie fragt zum Beispiel, warum in der Kaufhalle, wenn man an der Kasse steht, warum die Waren einzeln durchgezogen werden und nicht, dass Sie sagen, fünf mal Milch, haben Sie sich schon mal darüber Gedanken gemacht.
Als die Wende kam wurde ja alles anders und da hat sie das beobachtet und das hat sie interessiert.
Und allgemein, sie interessiert sich auch für mein Gebiet in dem Sinne, dass sie wissen möchte, was da passiert. Sie interessiert sich für alles, sie hat am Tag mindestens vierzig Telefongespräche, es ist dort ständig besetzt.
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass sie sich für alles interessiert. Sie fragt zum Beispiel, warum in der Kaufhalle, wenn man an der Kasse steht, warum die Waren einzeln durchgezogen werden und nicht, dass Sie sagen, fünf mal Milch, haben Sie sich schon mal darüber Gedanken gemacht.
Als die Wende kam wurde ja alles anders und da hat sie das beobachtet und das hat sie interessiert.
Und allgemein, sie interessiert sich auch für mein Gebiet in dem Sinne, dass sie wissen möchte, was da passiert. Sie interessiert sich für alles, sie hat am Tag mindestens vierzig Telefongespräche, es ist dort ständig besetzt.
Tom Rapoport, der Erstgeborene, Boston, Harvard MIT
Mein Bruder ist ja ein sehr bekannter Mathematiker geworden und Bonn ist eine der Hochburgen der Mathematik in Deutschland, auch in Europa wahrscheinlich, er ist nicht nur bekannt als Mathematiker sondern auch als einer der sehr gute Leute herausgebracht hat.
Ich bin Professor für Zellbiologie an der Harvard Universität.
Wenn Sie in Boston sind, sind Sie dann aus der Welt?
Ich rufe jeden Tag an, das ist ein Ritual, jeden Morgen rufe ich an. Und das Erstaunliche ist, sie will immer beteiligt werden am Leben.
Ich erzähle ihr dann über meine Wissenschaft im Labor und den Leuten im Labor und sie werden es nicht glauben. Aber sie kennt die Namen der Leute die sie nie getroffen hat und hört sich auch die wissenschaftlichen Sachen an, ohne dass sie das langweilig findet.
Geben Sie mir ein Bild, ein wichtiges Erlebnis, dass Ihre Mutter charakterisiert.
Ich würde mal sagen, wenn ich einen Satz meiner Mutter zitieren soll: "Professor werden kann jeder."
Damit war gemeint, dass Titel Schall und Rauch sind und das eigentliche, was zählt ist das wissenschaftliche Resultate. Für sie sind Hierarchien nichts.
Für sie spielen Menschen eine Rolle, ob das eine Hausfrau ist oder eine Reinigungsfrau, ne Schwester, ein Professor oder der Staatsmann oder weiß ich was, das spielt keine Rolle für sie.
Ich bin Professor für Zellbiologie an der Harvard Universität.
Wenn Sie in Boston sind, sind Sie dann aus der Welt?
Ich rufe jeden Tag an, das ist ein Ritual, jeden Morgen rufe ich an. Und das Erstaunliche ist, sie will immer beteiligt werden am Leben.
Ich erzähle ihr dann über meine Wissenschaft im Labor und den Leuten im Labor und sie werden es nicht glauben. Aber sie kennt die Namen der Leute die sie nie getroffen hat und hört sich auch die wissenschaftlichen Sachen an, ohne dass sie das langweilig findet.
Geben Sie mir ein Bild, ein wichtiges Erlebnis, dass Ihre Mutter charakterisiert.
Ich würde mal sagen, wenn ich einen Satz meiner Mutter zitieren soll: "Professor werden kann jeder."
Damit war gemeint, dass Titel Schall und Rauch sind und das eigentliche, was zählt ist das wissenschaftliche Resultate. Für sie sind Hierarchien nichts.
Für sie spielen Menschen eine Rolle, ob das eine Hausfrau ist oder eine Reinigungsfrau, ne Schwester, ein Professor oder der Staatsmann oder weiß ich was, das spielt keine Rolle für sie.
Ingeborg Rapoport: Mein Urgrossvater war eigentlich schon ein aufgeklärter Jude
Er war zwar Jurist war aber ein Musiker und versponnener verträumter Mensch und er hat Musik gemacht, sodass die Leute auf der Strasse stehenblieben und zuhörten. Also das ist alles auf der Seite meiner Mutter.
Die anderen Seite: mein Grossvater war Dermatologe in Aachen und ein robuster, eigentlich unmusischer, sehr lebenslustiger, kraftvoller Mensch. Und der hat diese kleine Grossmutter, die von ihrem Vater die Musik geerbt hatte, geheiratet, er war stolz auf sie, aber er hat sie nicht verstanden.
Auch er war ein atheistischer Mensch sogar, aber er konnte, als er zu einem Dermatologenkongress ungefähr um 1900 fahren wollte, nicht nach Moskau fahren, wenn er nicht konvertierte. Also sind sie alle protestantisch geworden. Die ganze Familie auf einen Schlag, sie haben nie vorher eine Synagoge gesehen und sind auch nie danach in einen Synagoge gegangen.
Also solch einer Familie bin ich aufgewachsen, von der anderen Seite, mein Vater war aus einer richtig antisemitischen Familie.
Meine Eltern hatten sich gleich nach ihrer Hochzeit nach Kamerun eingeschifft, wo mein Vater als Kolonialkaufmann in einer kleinen deutschen Siedlung, in Kribi, tätig war. Meine Mutter wurde sehr bald schwanger, und zur Geburt des Kindes fuhren auch Omima und meine Tante Irm, die jüngere Schwester meiner Mutter, nach Kribi. Tante Irm lernte dort Hans Paschen kennen, der auch jahrelang für deutsche Firmen in Südwestafrika gearbeitet hatte, ein grosser Jäger war und sich – zwanzig Jahre älter als Irm – leidenschaftlich in das temperamentvolle Mädchen mit den rotblonden Haaren verliebte. Diese Liebe wurde von Irm aus ganzem Herzen erwidert und hielt über lnternierung, finanzielle Nöte und all die Jahre an, die Onkel Hans gelähmt im Rollstuhl zubrachte. Aus der Ehe zwischen Onkel Hans und Tante Irm entstammen meine beiden Cousinen: Hilde, zehn Monate jünger als ich, und nach zehnjähriger Ehe noch Ursula, die später mit ihrer Mutter nach England ausgewandert ist und dort heiratete.
Die anderen Seite: mein Grossvater war Dermatologe in Aachen und ein robuster, eigentlich unmusischer, sehr lebenslustiger, kraftvoller Mensch. Und der hat diese kleine Grossmutter, die von ihrem Vater die Musik geerbt hatte, geheiratet, er war stolz auf sie, aber er hat sie nicht verstanden.
Auch er war ein atheistischer Mensch sogar, aber er konnte, als er zu einem Dermatologenkongress ungefähr um 1900 fahren wollte, nicht nach Moskau fahren, wenn er nicht konvertierte. Also sind sie alle protestantisch geworden. Die ganze Familie auf einen Schlag, sie haben nie vorher eine Synagoge gesehen und sind auch nie danach in einen Synagoge gegangen.
Also solch einer Familie bin ich aufgewachsen, von der anderen Seite, mein Vater war aus einer richtig antisemitischen Familie.
Meine Eltern hatten sich gleich nach ihrer Hochzeit nach Kamerun eingeschifft, wo mein Vater als Kolonialkaufmann in einer kleinen deutschen Siedlung, in Kribi, tätig war. Meine Mutter wurde sehr bald schwanger, und zur Geburt des Kindes fuhren auch Omima und meine Tante Irm, die jüngere Schwester meiner Mutter, nach Kribi. Tante Irm lernte dort Hans Paschen kennen, der auch jahrelang für deutsche Firmen in Südwestafrika gearbeitet hatte, ein grosser Jäger war und sich – zwanzig Jahre älter als Irm – leidenschaftlich in das temperamentvolle Mädchen mit den rotblonden Haaren verliebte. Diese Liebe wurde von Irm aus ganzem Herzen erwidert und hielt über lnternierung, finanzielle Nöte und all die Jahre an, die Onkel Hans gelähmt im Rollstuhl zubrachte. Aus der Ehe zwischen Onkel Hans und Tante Irm entstammen meine beiden Cousinen: Hilde, zehn Monate jünger als ich, und nach zehnjähriger Ehe noch Ursula, die später mit ihrer Mutter nach England ausgewandert ist und dort heiratete.
Zuerst fand ich es sogar lustig, in Kamerun geboren zu sein.
Ingeborg Syllm-Rapoport: Mein Geburtstag fällt auf den 2. September, und damals, 1912, galt dieses Datum als Gedenktag für den Sieg bei Sedan. Die kleine deutsche Siedlung hisste anlässlich meiner Geburt die Fahnen, da ich dort im Umkreis von Tausenden Kilometern das erste weisse Baby war. Draussen auf Reede lag jedoch ein britischer Kreuzer, dessen Besatzung annahm, die Fahnen würden Sedan gelten. Und so flaggte die britische Marine – mir zu Ehren – in Wahrheit natürlich aus politischer Höflichkeit – über die Toppen!
Mein Geburtsort spielte später, als ich 1938 aus Hitlerdeutschland emigrierte, für mein USA-Visum noch einmal eine wichtige Rolle. Das Visum sollte mir gerade ausgehändigt werden, als der amerikanische Botschaftsangestellte entdeckte, dass ich nicht in Deutschland geboren bin. Seine Vorschriften verlangten, dass nach Kribi telegrafiert und dort meine Geburt bestätigt werden musste. So wurde mir das Einreise-Visum Nr. 1 Kamerun – USA erteilt. Bei der Ankunft in New York wurde ich von oben bis unten gemustert, was mich an einen Ausruf meines kleinen Sohnes erinnert: "Mami, früher, als du noch ein Neger warst ..."
Mein Geburtsort spielte später, als ich 1938 aus Hitlerdeutschland emigrierte, für mein USA-Visum noch einmal eine wichtige Rolle. Das Visum sollte mir gerade ausgehändigt werden, als der amerikanische Botschaftsangestellte entdeckte, dass ich nicht in Deutschland geboren bin. Seine Vorschriften verlangten, dass nach Kribi telegrafiert und dort meine Geburt bestätigt werden musste. So wurde mir das Einreise-Visum Nr. 1 Kamerun – USA erteilt. Bei der Ankunft in New York wurde ich von oben bis unten gemustert, was mich an einen Ausruf meines kleinen Sohnes erinnert: "Mami, früher, als du noch ein Neger warst ..."
Mein sehnlichster Wunsch und mein ganzes Leben wollte ich Arzt sein.
Ingeborg Rapoport: Ich operierte meinen Bären, der zu meinem Erstaunen statt eines Blinddarms Sägespäne in seinem Bauch enthielt. Meine Puppen, soweit ich überhaupt mit ihnen spielte, waren stets arm und krank, in Lumpen gekleidet, auf der Flucht vor dem Krieg. Als ich klein war, fand mein Berufswunsch die allgemeine Zustimmung der Familie. Ich wurde als die Enkelin meines Grossvaters Feibes sozusagen als Fortsetzerin der Arzttradition in der Familie angesehen.
Naja und dann habe ich, als mein Vater uns verliess wurde die Frage, ob ich Arzt werden wollte, sehr kritisch beurteilt, da wurde mir immer gesagt, ich müsse sehr schnell Geld verdienen, um die Familie zu unterstützen und es hat unerträgliche Abende und Nachmittage gegeben, wo ich bearbeitet wurde und wo ich weggelaufen bin, kann ich mich genau erinnern, schreiend. Ja.
Und dann habe ich es doch durchgesetzt, dadurch dass eine sehr nette ältere Lehrerin mir ein Stipendium gewährte und dann dachte ich eben, das ich eben nach einem Semester oder einem Jahr, wenn ich mich bewährte im Studium, ein Stipendium von der Uni kriegte, das war ja dann gleich bei den Nazis vorbei.
Naja und dann habe ich, als mein Vater uns verliess wurde die Frage, ob ich Arzt werden wollte, sehr kritisch beurteilt, da wurde mir immer gesagt, ich müsse sehr schnell Geld verdienen, um die Familie zu unterstützen und es hat unerträgliche Abende und Nachmittage gegeben, wo ich bearbeitet wurde und wo ich weggelaufen bin, kann ich mich genau erinnern, schreiend. Ja.
Und dann habe ich es doch durchgesetzt, dadurch dass eine sehr nette ältere Lehrerin mir ein Stipendium gewährte und dann dachte ich eben, das ich eben nach einem Semester oder einem Jahr, wenn ich mich bewährte im Studium, ein Stipendium von der Uni kriegte, das war ja dann gleich bei den Nazis vorbei.
"Man muss den Mut haben, sich zu blamieren!"
Ingeborg Rapoport: Ich hatte von meinem dreizehnten Lebensjahr an Nachhilfestunden für Kinder begüterter Familien gegen Geld gegeben, das ich für das Studium sparte. Als Fräulein Warnick davon erfuhr, bot sie mir ein Stipendium an, das sie bis zu meinem Staatsexamen zahlte, auch dann noch, als ich bereits mit gelbem Juden-Ausweis studierte. Meine kleine Omima gab ihr dieses Geld als meinen "Anteil an ihrem Erbe" bei ihrer Auswanderung zurück. Ohne Fräulein Warnick hätte ich in Hitler- Deutschland nicht zu Ende studieren können, da für "Jüdischstämmige" keine Leistungsstipendien mehr gegeben wurden. Mehr noch als das Geld und die Schätze des Perikles ist es ein Leitspruch, den sie mir ins Herz gelegt hat und der diese Lehrerin zur ständigen Begleiterin meines Lebens gemacht hat: "Man muss den Mut haben, sich zu blamieren!"
Antisemitismus habe ich immer gespürt.
Ingeborg Rapoport: Also von dieser einen Bemerkung auf der Strasse, dass ich Halbjüdin sei, etwas, wovon ich keine Ahnung habe als ich zwölf war ungefähr, da hab ich immer Antisemitismus gespürt.
Bei uns zuhause war davon nicht die Rede. Aber im Umfeld habe ich immer. Ich hatte auch eine entfernte Cousine, die sehr politisch war, die eine sozialistische Umkreis ging, ein sehr begabter Mensch ein Conferencier, die hat auch eine Rolle in meinem Leben gespielt, aber sie hat mich nicht beeinflusst, politisch.
Also ich blieb bis zu dem Zeitpunkt der Hitler Machtergreifung immer ein unpolitisches Schaf. Ich verstehe gar nicht, wie die grossen Bewegungen der Welt an mir vorbei gehen konnten.
Wie wurde die Machtergreifung Hitlers auch dann die erste Wahl, die Märzwahl, wie wurde die in der Verwandtschaft im jüdischen Umfeld diskutiert.
Also die meisten in unserem Umfeld dachten, das es so ein Überschwang wäre und das es sich bald geben würde wieder. Aber meine Mutter nicht.
Meine Mutter war von dem ersten Moment an zu tiefst geschockt und hat geglaubt, dass es lange Zeit dauern würde.
Das habe ich nicht verstanden. Auf der einen Seite ist Ihre Mutter dieses happy go lucky girl
Doch gegen Antisemitismus war sie sehr empfindlich. Also ich hatte einen Onkel, einen Bruder meines Vaters und der hat einmal zuhause eine antisemitische Bemerkung gemacht. Sie hat ihn glattwegs aus dem Hause geworfen. Der gleiche Onkel, der dann nach der Machtergreifung das Bild meiner Grossmutter väterlicherseits konfisziert und nach Hause nach, sagte, so ein Bild dürfe nicht in einem nicht-arischen Haushalt hängen. Der auch immer antisemitisch blieb.
Nur der älteste Bruder meines Vaters war nicht antisemitisch, die anderen waren alle sehr konservativ und antisemitisch.
Und Ihre Mutter, was hat Ihre Mutter gedacht, weil ein Kind wegzuschicken ist ja erstmal etwas sehr schmerzhaftes.
Bei uns zuhause war davon nicht die Rede. Aber im Umfeld habe ich immer. Ich hatte auch eine entfernte Cousine, die sehr politisch war, die eine sozialistische Umkreis ging, ein sehr begabter Mensch ein Conferencier, die hat auch eine Rolle in meinem Leben gespielt, aber sie hat mich nicht beeinflusst, politisch.
Also ich blieb bis zu dem Zeitpunkt der Hitler Machtergreifung immer ein unpolitisches Schaf. Ich verstehe gar nicht, wie die grossen Bewegungen der Welt an mir vorbei gehen konnten.
Wie wurde die Machtergreifung Hitlers auch dann die erste Wahl, die Märzwahl, wie wurde die in der Verwandtschaft im jüdischen Umfeld diskutiert.
Also die meisten in unserem Umfeld dachten, das es so ein Überschwang wäre und das es sich bald geben würde wieder. Aber meine Mutter nicht.
Meine Mutter war von dem ersten Moment an zu tiefst geschockt und hat geglaubt, dass es lange Zeit dauern würde.
Das habe ich nicht verstanden. Auf der einen Seite ist Ihre Mutter dieses happy go lucky girl
Doch gegen Antisemitismus war sie sehr empfindlich. Also ich hatte einen Onkel, einen Bruder meines Vaters und der hat einmal zuhause eine antisemitische Bemerkung gemacht. Sie hat ihn glattwegs aus dem Hause geworfen. Der gleiche Onkel, der dann nach der Machtergreifung das Bild meiner Grossmutter väterlicherseits konfisziert und nach Hause nach, sagte, so ein Bild dürfe nicht in einem nicht-arischen Haushalt hängen. Der auch immer antisemitisch blieb.
Nur der älteste Bruder meines Vaters war nicht antisemitisch, die anderen waren alle sehr konservativ und antisemitisch.
Und Ihre Mutter, was hat Ihre Mutter gedacht, weil ein Kind wegzuschicken ist ja erstmal etwas sehr schmerzhaftes.
Meine Mutter wollte mich retten.
Ingeborg Rapoport: Sie war ganz sicher, dass ich in Deutschland keine Zukunft mehr hätte. Als Arzt und sie wusste auch nicht ob es überhaupt keine Zukunft geben würde. Sie hätte auch gerne meinen Bruder herausgebracht, aber das war damals. Erstens wurde er eingezogen in den Arbeitsdienst und wir haben ihm auch nicht zugetraut. Er war unter Frauen aufgewachsen, ein sehr verzärtelter Junge und viel jünger als ich. Er ist erst nach dem Kriege weggegangen in die USA. Er hat den Krieg überlebt.
Der Mann an ihrer Seite: Samuel Mitja Rapoport
Ingeborg Rapoport: Mitja – ich werde ihn so nennen, obgleich er in den USA mit seinem anderen, eigentlichen Namen "Sam" (von Samuel) gerufen wurde –, Mitja also machte mit Katie Dodd Visite auf der Säuglingsstation. Es war ein großer Raum mit vielen Säuglingsbettchen, im Hintergrund eine lange Fensterflucht. So traten mir die beiden entgegen, links Mitja, rechts Katie. Ich muss ihnen wohl vorgestellt worden sein, denn ich kann mir nicht denken, dass ich meine Schüchternheit überwunden und dies von mir aus fertiggebracht hätte. Der eine einzige Augenblick funkelnder, flirtender Neugier in Mitjas Augen genügte, mich in unbeschreibliche Verwirrung zu versetzen.
"Ich gefalle ihm", dachte ich. Und zum ersten Mal seit Wumo war dieses plötzliche Gefühl einer Erschütterung da. Ich kann es nicht beschreiben, es kann ja weder Liebe noch Verliebtheit gewesen sein, noch nicht einmal Wohlgefallen, denn mir war Mitjas Äußeres nicht besonders aufgefallen, und gesprochen haben wir nicht miteinander. Nein – es war einfach wie ein Blitz, ein schicksalhafter Blitz. Meine Verwirrung war so groß und anhaltend, dass wir am folgenden Tag, als wir einander wieder begegneten und jemand uns fragte, ob wir einander schon vorgestellt seien, gleichzeitig, wie aus einem Munde antworteten: Mitja mit "ja" und ich mit "nein", wodurch sich meine Verlegenheit noch qualvoll steigerte. Ich hoffte nur, dass Mitja sie nicht bemerkt hatte.
"Ich gefalle ihm", dachte ich. Und zum ersten Mal seit Wumo war dieses plötzliche Gefühl einer Erschütterung da. Ich kann es nicht beschreiben, es kann ja weder Liebe noch Verliebtheit gewesen sein, noch nicht einmal Wohlgefallen, denn mir war Mitjas Äußeres nicht besonders aufgefallen, und gesprochen haben wir nicht miteinander. Nein – es war einfach wie ein Blitz, ein schicksalhafter Blitz. Meine Verwirrung war so groß und anhaltend, dass wir am folgenden Tag, als wir einander wieder begegneten und jemand uns fragte, ob wir einander schon vorgestellt seien, gleichzeitig, wie aus einem Munde antworteten: Mitja mit "ja" und ich mit "nein", wodurch sich meine Verlegenheit noch qualvoll steigerte. Ich hoffte nur, dass Mitja sie nicht bemerkt hatte.
Zum 100. Geburtstag des Forscherehepaares Ingeborg und Mitja Rapoport
Medizin - eine Biowissenschaft. Von: Werner Binus, Rita Gürtler, Herbert Hörz, Gisela Jacobasch, Burkhard Schneeweiß,Claus Wagenknecht
Am 27. November 2012 wäre der berühmte Biochemiker, Antifaschist und Kommunist Prof. Dr. Mitja Rapoport (1912–2004) 100 Jahre alt geworden. Prof. Dr. Ingeborg Rapoport, die ausgewiesene Forscherin auf dem Gebiet der Neonatologie, feierte am 2. September 2012 ihren 100. Geburtstag. Dem bedeutenden Forscherehepaar zu Ehren organisierte die "Helle Panke" gemeinsam mit der Leibniz-Sozietät am 26. November 2012 eine Veranstaltung, in der Wegbegleiter, Schüler sowie anwesende Gäste das Wort nahmen, um das außergewöhnliche Leben und Wirken der Rapoports in sehr persönlicher Weise zu schildern und zu würdigen. Zugleich erhält der interessierte Leser einen Einblick in die medizinische Forschung als biowissenschaftliche Disziplin. - Mehr
Medizin - eine Biowissenschaft. Von: Werner Binus, Rita Gürtler, Herbert Hörz, Gisela Jacobasch, Burkhard Schneeweiß,Claus Wagenknecht
Am 27. November 2012 wäre der berühmte Biochemiker, Antifaschist und Kommunist Prof. Dr. Mitja Rapoport (1912–2004) 100 Jahre alt geworden. Prof. Dr. Ingeborg Rapoport, die ausgewiesene Forscherin auf dem Gebiet der Neonatologie, feierte am 2. September 2012 ihren 100. Geburtstag. Dem bedeutenden Forscherehepaar zu Ehren organisierte die "Helle Panke" gemeinsam mit der Leibniz-Sozietät am 26. November 2012 eine Veranstaltung, in der Wegbegleiter, Schüler sowie anwesende Gäste das Wort nahmen, um das außergewöhnliche Leben und Wirken der Rapoports in sehr persönlicher Weise zu schildern und zu würdigen. Zugleich erhält der interessierte Leser einen Einblick in die medizinische Forschung als biowissenschaftliche Disziplin. - Mehr
Samuel Mitja Rapoport galt als bedeutendster Vertreter der Biochemie der DDR und gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten der Charité. Mehr
Ich war dieser neuen Heimat dankbar
Ingeborg Rapoport: Man sollte es fast für unmöglich halten – und doch war es so. Ich liebte die USA, das Land, die Menschen, die Vielfältigkeit der Landschaften und der Bevölkerung, die Ideen von Toleranz und Freiheit die ursprünglichen und eigentlichen Amerika.
Ich war dieser neuen Heimat dankbar, dass sie mich vor der Hitlerverfolgung gerettet hat, und bin ein durch und durch loyaler USA-Bürger gewesen.
Es ist absurd zu denken, dass die amerikanischen Kommunisten keine loyalen citizens seien. Mitja fühlte den USA gegenüber wie ich.
Ich war dieser neuen Heimat dankbar, dass sie mich vor der Hitlerverfolgung gerettet hat, und bin ein durch und durch loyaler USA-Bürger gewesen.
Es ist absurd zu denken, dass die amerikanischen Kommunisten keine loyalen citizens seien. Mitja fühlte den USA gegenüber wie ich.
Sie sah Kinder an Unterernährung sterben
Und das in einem so reichen Land wie in den USA. Trotzdem war sie in ihrer Zeit in Cincinnati politisch nicht aktiv. Zu einem wirklichen politischen Engagement kam es erst durch meinen Vater. Dieser hatte sich schon in seiner frühen Jugend in Wien als Jude politisiert. Er brachte ihr die Ideen des Kommunismus nahe.
Ingeborg Rapoport: Knapp drei Jahre blieben uns noch in unserer zweiten Heimat, ehe wir erneut vertrieben wurden. Was geschah in diesen Jahren? Fühlten wir uns bedroht, machten wir uns Sorgen, lösten wir uns gar innerlich bereits von den USA? Keine Spur! Alles »ging seinen normalen Gang«. Wir arbeiteten, waren glücklich miteinander und freuten uns jedes Jahr über ein neues Kindchen.
Ingeborg Rapoport: Knapp drei Jahre blieben uns noch in unserer zweiten Heimat, ehe wir erneut vertrieben wurden. Was geschah in diesen Jahren? Fühlten wir uns bedroht, machten wir uns Sorgen, lösten wir uns gar innerlich bereits von den USA? Keine Spur! Alles »ging seinen normalen Gang«. Wir arbeiteten, waren glücklich miteinander und freuten uns jedes Jahr über ein neues Kindchen.
Die McCarthy-Verfolgungen von Kommunisten und Sympathisanten waren in vollem Gange.
Wer vor das sogenannte "Unamerican Committee– das Komitee für unamerikanische Aktivitäten" zitiert wurde, musste über sich und seine Freunde Aussagen machen, Namen nennen, denunzieren, andere Menschen in Schwierigkeiten bringen. Wer die Aussage verweigerte, wanderte wegen »contempt of court – Mißachtung des Gerichtes« ins Gefängnis.
Ingeborg Rapoport: Ich hielt meine Abreisepläne absolut geheim, lediglich Katie weihte ich ein. Auch unsere schwarze Aufwartefrau, die täglich bis mittags bei uns arbeitete, durfte keinerlei Veränderung in unserem Leben ahnen. Nur meine Mu bat ich telefonisch kurzfristig um ihren Besuch. Sie kam sofort und half mir, an einem einzigen Nachmittag und Abend alles Notwendige für die Kinder, Mitja und mich, Sommer und Wintersachen, sowie Dinge, von denen ich mich nicht trennen wollte, zu packen. Meine arme Mu, die gerade erst wieder einige Monate in dem Glück schwamm, nun wieder beide Kinder in der Nähe zu haben, konnte es schwer fassen, warum sie eines wieder hergeben sollte. Auch für Katie war es ein schwerer Abschied, nicht nur, dass sie mit uns sozusagen ihre Adoptiv-Familie verlor, wir ließen ihr auch das große, hypothekenbelastete Haus zurück mit allem Drum und Dran, was ich nicht hatte auflösen oder mitnehmen können, dazu unseren Kater Bibo und den schweren Gang zu Ashley Weech, um ihm mitzuteilen, dass wir die USA "bei Nacht und Nebel" verlassen hätten. Sie verlor kein Wort der Klage oder des Vorwurfes. Erst am nächsten Morgen, beim Abschied auf dem Flugplatz merkte man, wie schwer ihr zumute war.
Abreise aus der zweiten Heimat
Ingeborg Rapoport: Ja, ich hab auch keine bitteren Gefühle, ich habe ein zweites Heimatgefühl immer noch für USA und alle ihre politischen Untaten schmerzen mich mehr als bei anderen Ländern.
Sie haben ja auch mein Leben gerettet, mir eine wunderbare Ausbildung gegeben und mir meinen Mann und drei Kinder und ich habe es auch geliebt, das Land und liebe es auch immer noch.
Sie haben ja auch mein Leben gerettet, mir eine wunderbare Ausbildung gegeben und mir meinen Mann und drei Kinder und ich habe es auch geliebt, das Land und liebe es auch immer noch.
Das dritte Leben der Ärztin Ingeborg Rapoport
Im Februar 1952 begrüßte uns Fritz Oberdörster mit seinem strahlendsten Lächeln im Namen des Staatssekretärs für Hochschulwesen der DDR auf dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. "Ich gratuliere Ihnen", verkündete er Mitja freudig, "man hat Sie zum Kommissarischen Direktor des Instituts für Physiologische Chemie der Humboldt-Universität vorgesehen!" Er überreichte Mitja einen riesigen Strauß roter Rosen. Nicht allein, dass dieser nicht wusste, was er fallen lassen sollte: Kinder, Koffer oder Taschen, um eine Hand freizubekommen zum Empfang der Rosen – er war auch wie vor den Kopf geschlagen durch diese Perspektive! Also kein Forschungsinstitut für Blut, sondern ein Universitätslehrstuhl! Und Vorlesungen waren das letzte, was Mitja sich ersehnt hatte!
Ingeborg Rapoport: Wir kamen im Januar oder Februar an, also im kalten Winter und im März, Ende März habe ich schon wieder angefangen zu arbeiten oder im April und zwar in Buch in einem großen Magistratskrankenhaus.
Ich wurde sehr schnell Oberärztin dort und habe als Oberärztin dort ein Jahr oder anderthalb Jahre gearbeitet und dann hatte ich so’n Gefühl, nicht genügend gefordert zu sein.
Und da hat der Mitja mir vorgeschlagen, ob ich mich nicht habilitieren wollte und das habe ich gleich gewollt.
Ich konnte nicht bei Mitja habilitieren, weil ich ja auch die Vorbildung nicht hatte, ich war ja kein Biochemiker wollte in Pädiatrie habilitieren und da bin ich zu Professor Dost, dem damaligen Leiter der Charité gegangen und hab ihn gefragt, ob ich nicht bei ihm habilitieren könnte. Und sagte ihm, dass ich die Experimente bei Mitja im Institut machen könnte.
Und da hat er gesagt, "Naja, wenn Sie zurückkommen und bei mir habilitiert sind, dann müssen Sie bei mir als einfacher Assistent anfangen und kriegen natürlich nicht das Gehalt, das Ihrer Ausbildung dann entsprechen würde." Und da habe ich gesagt, das ist mir ganz egal. Der war natürlich nicht Genosse und ist ja dann auch geflohen, bei Nacht und Nebel auch, aber er war mir die ganze Zeit sehr gewogen.
Ich wurde sehr schnell Oberärztin dort und habe als Oberärztin dort ein Jahr oder anderthalb Jahre gearbeitet und dann hatte ich so’n Gefühl, nicht genügend gefordert zu sein.
Und da hat der Mitja mir vorgeschlagen, ob ich mich nicht habilitieren wollte und das habe ich gleich gewollt.
Ich konnte nicht bei Mitja habilitieren, weil ich ja auch die Vorbildung nicht hatte, ich war ja kein Biochemiker wollte in Pädiatrie habilitieren und da bin ich zu Professor Dost, dem damaligen Leiter der Charité gegangen und hab ihn gefragt, ob ich nicht bei ihm habilitieren könnte. Und sagte ihm, dass ich die Experimente bei Mitja im Institut machen könnte.
Und da hat er gesagt, "Naja, wenn Sie zurückkommen und bei mir habilitiert sind, dann müssen Sie bei mir als einfacher Assistent anfangen und kriegen natürlich nicht das Gehalt, das Ihrer Ausbildung dann entsprechen würde." Und da habe ich gesagt, das ist mir ganz egal. Der war natürlich nicht Genosse und ist ja dann auch geflohen, bei Nacht und Nebel auch, aber er war mir die ganze Zeit sehr gewogen.
Ein Biochemiker aus den USA an der Humboldt-Universität in Berlin (DDR)
Ingeborg Rapoport: Ich weiß nicht, wie es sich herumgesprochen hatte, dass ein Biochemiker aus den USA nach Berlin an die Humboldt-Universität gekommen war. Aber sehr schnell scharten sich vier junge Enthusiasten um Mitja, die sich nach einer modernen Ausbildung sehnten. Mitja war kaum älter als sie und aus den USA an den kameradschaftlichen Umgang aller Mitarbeiter im Labor gewöhnt, ohne die pompöse Hierarchie zu beachten, die in deutschen Kliniken und Instituten auch nach dem Krieg noch üblich war. Aus einer der Inneren Kliniken der Charité meldete sich Eberhard Götze, später Direktor des Instituts für Pathophysiologie in Jena; aus Greifswald fand sich der Botanikstudent Eberhard Hofmann ein, jetzt Lehrstuhlinhaber für Biochemie an der Universität Leipzig; aus Leipzig kam der Chemiker Günter Sauer, dessen unverfälschtes Sächsisch Mitja in Gesprächen über eine wichtige Schlüsselsubstanz im Stoffwechsel stets in Verzweiflung versetzte, da er den akustischen Unterschied zwischen dem sogenannten ATP und dem ADP nie wahrnehmen konnte – und schließlich komplettierte Hans-Joachim Raderecht den Kreis, ein Pharmazeut aus Rostock, später Leiter des Zentrallabors der Kliniken von Berlin-Buch, mit dem Mitja ein Praktikumsbuch schrieb, das neun Auflagen erlebte und Grundlage der modernen biochemischen Laborausbildung der Medizinstudenten in der ganzen DDR wurde. Das besondere dieser Praktikumsanleitung bestand in der Art der Fragestellungen, in den Anstößen zur kritischen Bewertung der eigenen Ergebnisse, in der wissenschaftlichen Durchdringung selbst einfacher Probleme.
Ingeborg Rapoport und die Neugeborenenmedizin
Zunächst war ich wieder Oberärztin an der Klinik und dann vertrat ich oft meinen Chef, der viel krank war und dann habe ich die Neonatologie mitgeholfen, die Neugeborenenmedizin.
Ja, das hat mich sehr gewurmt, wir waren ja ungefähr einen Kilometer entfernt von dem geburtshilflichen Teil der Charité und die Kinder mussten, so krank sie waren, so lebensbedroht, mussten sie in einem normalen Krankentransport in unsere Klinik überführt werden und war natürlich furchtbar für die Kinder und einige sind schon auf dem Transport gestorben, dass das nicht so weitergehen konnte, sahen auch die Geburtshelfer, aber sie wollten gern einen Pädiater ins Haus kriegen, der mehr von den Kindern verstünde als sie, aber das wollte ich nicht. Ich wollte eine größere Veränderung, ich wollte eine Verschmelzung der Beiden, dem Teil der Pädiatrie, der sich mit Neugeborenen beschäftigte und 37’34 und der geburtshilflichen Fürsorge für die Kinder. Und erst dann, wenn das auch örtlich realisiert wird und gedanklich erst recht, kann was Gutes für die Kinder herauskommen.
Die Säuglingssterblichkeit wurde dramatisch, natürlich in der ganzen DDR. Es ist nicht auf meinem eigenen Boden nur gewachsen. Das war das Schöne an der DDR: Es gab keine Ellenbogenangelegenheit, sondern die waren alle am gleichen Strang und das fühlt man auch, das war über alle Weltanschauungen hinweg war das ein starkes Bindeglied und noch heute sagen alte Kollegen, die schöne alte Zeit, erinnern Sie noch und auch das Verhältnis von Ärzten zu Schwestern hat sich ja entscheidend verändert.
Ja, das hat mich sehr gewurmt, wir waren ja ungefähr einen Kilometer entfernt von dem geburtshilflichen Teil der Charité und die Kinder mussten, so krank sie waren, so lebensbedroht, mussten sie in einem normalen Krankentransport in unsere Klinik überführt werden und war natürlich furchtbar für die Kinder und einige sind schon auf dem Transport gestorben, dass das nicht so weitergehen konnte, sahen auch die Geburtshelfer, aber sie wollten gern einen Pädiater ins Haus kriegen, der mehr von den Kindern verstünde als sie, aber das wollte ich nicht. Ich wollte eine größere Veränderung, ich wollte eine Verschmelzung der Beiden, dem Teil der Pädiatrie, der sich mit Neugeborenen beschäftigte und 37’34 und der geburtshilflichen Fürsorge für die Kinder. Und erst dann, wenn das auch örtlich realisiert wird und gedanklich erst recht, kann was Gutes für die Kinder herauskommen.
Die Säuglingssterblichkeit wurde dramatisch, natürlich in der ganzen DDR. Es ist nicht auf meinem eigenen Boden nur gewachsen. Das war das Schöne an der DDR: Es gab keine Ellenbogenangelegenheit, sondern die waren alle am gleichen Strang und das fühlt man auch, das war über alle Weltanschauungen hinweg war das ein starkes Bindeglied und noch heute sagen alte Kollegen, die schöne alte Zeit, erinnern Sie noch und auch das Verhältnis von Ärzten zu Schwestern hat sich ja entscheidend verändert.
"Die Rapoports – Unsere drei Leben" ist ein Film über zwei warmherzige Wissenschaftler mit streitbaren Ansichten. Der Film erzählt auch von einer großen Liebe zwischen zwei Menschen, die mit ihren über 90 Jahren wirken, als seien sie noch immer frisch verliebt. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Grimme Preis 2005. Mehr und Grimme Preis 2005
Tom Rapoport, Boston, Harvard MIT
Meine Eltern, ich und meine jüngere Schwester, wir haben die Staatsbürgerschaft gewechselt. Wir sind am Anfang in der DDR noch Österreicher gewesen, sogar noch zu dem Zeitpunkt als noch die Mauer war, 20’07 also konnten dann auch Urlaub machen, in Österreich sind wir meistens gefahren, was nach 61 auch den meisten verwehrt war.
Naja, ich fühlte mich da unwohl in dieser privilegierten Position und – wie gesagt - wir sind gewechselt in die DDR Staatsbürgerschaft. Aber mein Bruder und meine ältere Schwester, die sind bis zum heutigen Tage Österreicher geblieben.
Naja, ich fühlte mich da unwohl in dieser privilegierten Position und – wie gesagt - wir sind gewechselt in die DDR Staatsbürgerschaft. Aber mein Bruder und meine ältere Schwester, die sind bis zum heutigen Tage Österreicher geblieben.
Ich bin DDR-Bürgerin geworden.
Ingeborg Rapoport: Und ich wollte auch, weil ich gesehen habe, dass die Privilegien, die wir hatten als Österreicher nicht gut waren unter den Kollegen. Wir konnten immer nach Österreich fahren zum Urlaub und Bergsteigen, das konnten die anderen eben nicht und das war natürlich peinlich.
Und wie sind Sie mit den Anderen dann umgegangen, also Michael und Fufu.
Das haben wir gar nicht erwähnt. Ihre Wahl war ihre Wahl. Das haben wir respektiert, wir haben darüber nicht diskutiert. Wir haben natürlich über einzelne Fragen der Weltanschauung diskutiert.
Mickey hatte es ja sehr schwer hier. Der ist ja nicht ohne Grund weg gegangen von hier. Der hat hier studiert und ist dann nach Paris gegangen mit Erlaubnis der hiesigen Behörde als Österreicher, war auch in Princeton und ist dann mit eigenem Willen hierher zurückgekommen und wollte hier Mathematik machen, er ist mit Sack und Pack gesagt hatte, und dann hat er gesehen, dass man ihn diskriminiert und das man ihm gesagt hat, "Du hast hier kein Fortkommen, wenn Du Österreicher bleibst." Und das hat er sich nicht gefallen lassen. Da hat er gesagt, das tue ich nicht. Und damit blieb er auch auf, ich glaube auf einem Gehalt von 600 stecken und er hatte keine Möglichkeit sich weiterzuentwickeln, das hat man ihm auch gesagt und da ist er dann weggegangen und er ist bis heute bitter. Für uns war es schmerzhaft, dass er wegging, aber wir haben weder gesagt, er soll bleiben, noch irgendwelche Kritik daran geübt. Ich konnte ja das verstehen, das Österreich bleiben hatte für ihn ja keine finanzielle Bedeutung, sondern die Bedeutung, dass er frei Zugang zur internationalen Wissenschaft auch Reisen konnte, das haben wir auch verstanden.
Und wie sind Sie mit den Anderen dann umgegangen, also Michael und Fufu.
Das haben wir gar nicht erwähnt. Ihre Wahl war ihre Wahl. Das haben wir respektiert, wir haben darüber nicht diskutiert. Wir haben natürlich über einzelne Fragen der Weltanschauung diskutiert.
Mickey hatte es ja sehr schwer hier. Der ist ja nicht ohne Grund weg gegangen von hier. Der hat hier studiert und ist dann nach Paris gegangen mit Erlaubnis der hiesigen Behörde als Österreicher, war auch in Princeton und ist dann mit eigenem Willen hierher zurückgekommen und wollte hier Mathematik machen, er ist mit Sack und Pack gesagt hatte, und dann hat er gesehen, dass man ihn diskriminiert und das man ihm gesagt hat, "Du hast hier kein Fortkommen, wenn Du Österreicher bleibst." Und das hat er sich nicht gefallen lassen. Da hat er gesagt, das tue ich nicht. Und damit blieb er auch auf, ich glaube auf einem Gehalt von 600 stecken und er hatte keine Möglichkeit sich weiterzuentwickeln, das hat man ihm auch gesagt und da ist er dann weggegangen und er ist bis heute bitter. Für uns war es schmerzhaft, dass er wegging, aber wir haben weder gesagt, er soll bleiben, noch irgendwelche Kritik daran geübt. Ich konnte ja das verstehen, das Österreich bleiben hatte für ihn ja keine finanzielle Bedeutung, sondern die Bedeutung, dass er frei Zugang zur internationalen Wissenschaft auch Reisen konnte, das haben wir auch verstanden.
Tom Rapoport: Mein Bruder ist ja ein sehr bekannter Mathematiker geworden. Er ist nicht nur bekannt als Mathematiker sondern auch als einer der sehr gute Leute herausgebracht hat und ich bin mehr in die Fußstapfen meines Vaters gegangen, wo ich Biochemiker oder Zellbiologe geworden. Ich hab erst Chemie und dann Biochemie bei meinem Vater. Ich muss das ein bisschen qualifizieren.
Mein Vater war der Chef des Instituts, also ich war nicht ganz direkt bei ihm, das war untergliedert in ganz verschiedene Gruppen, ich war also in einer Untergruppe und habe dort meine Promotion gemacht, aber de facto war mein Vater immer im Hintergrund und ich hab natürlich immer mit ihm die Resultate diskutiert und wie gesagt, die papers wurden immer von ihm redigiert. Ihn betrachte ich als mein Hauptlehrer.
Mein Vater war der Chef des Instituts, also ich war nicht ganz direkt bei ihm, das war untergliedert in ganz verschiedene Gruppen, ich war also in einer Untergruppe und habe dort meine Promotion gemacht, aber de facto war mein Vater immer im Hintergrund und ich hab natürlich immer mit ihm die Resultate diskutiert und wie gesagt, die papers wurden immer von ihm redigiert. Ihn betrachte ich als mein Hauptlehrer.
"Ich habe meine Promotion für die Opfer gemacht"
Zum Tod der Berliner Kinderärztin Ingeborg Rapoport: Die berühmte Berliner Kinderärztin Ingeborg Rapoport ist tot. Mit 102 Jahren hatte sie 2015 ihre Doktorarbeit nachgeholt, die sie als Jüdin in Nazi-Deutschland nicht verteidigen durfte. Ein Interview von damals.
Ingeborg Rapoport, geborene Syllm, hat ihre alten Genossen am 23. März 2017 verlassen, die stahlsanfte Mutter von vier Kindern, die ihren Mann, den genialen Biochemiker Samuel Mitja Rapoport und ihre eigene Forschungsarbeit so sehr liebte, wie die Utopie eines humanen Sozialismus, dass sie ihr zugewandtes Wesen auch nicht verlor, als sie nur noch Schemen sehen konnte, sie war mit sich im Reinen als sie am 23. März 2017 verstarb. Am 2. September wäre Ingeborg Rapoport, geborene Syllm 105 Jahre alt geworden. Die Geschichte ihrer drei Exile ist noch lange nicht auserzählt.
Meine ersten drei Leben: Erinnerungen. die 1997 bei der edition ost in Berlin erschien und 2002 von NORA der Verlagsgemeinschaft Dyck & Westerheide in Berlin wieder aufgelegt worden ist. ISBN-10: 3935445814
Prof. Dr. Ingeborg Rapoport gehört zum Kreis der international anerkannten Kinderärzte aus der DDR. Sie war eine leidenschaftliche Forscherin, akademische Lehrerin und engagierte Leiterin der Abteilung für Neugeborene an der Berliner Charité. 1938 mußte die sogenannte 'Halbjüdin' ihre Familie in Hamburg verlassen. In den USA konnte sie weiter studieren und holte sich ihr berufliches Rüstzeug bei weltberühmten amerikanischen Kinderärzten. Dort wurde sie auch Sozialistin. Sie lernte ihren späteren Mann Sam (Mitja) Rapoport kennen. Als Biochemiker von Weltrang auf dem Gebiet der Erforschung des Blutes wurde er in den USA mit hohen Auszeichnungen geehrt.
In der McCarthy-Ära mußten die Rapoports neuerlich emigrieren. Beide fanden in der DDR neue Wirkungsstätten. Zeit ihres Lebens gehörten sie zu jenen Wissenschaftlern, die nicht müde wurden, sich für die Verbesserung des Gesundheitswesens und die Entwicklung der medizinischen Forschung einzusetzen. Nun, jenseits der achtzig, hat Ingeborg Rapoport sich entschlossen, ihre Erinnerungen an ein langes Leben aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Die lebendige Schilderung vielfältiger Beobachtungen, ihre eindeutige politische Position, ein produktiver Widerspruchsgeist bezeugen, daß das Leben in der DDR keineswegs umsonst gelebt war.
Prof. Dr. Ingeborg Rapoport gehört zum Kreis der international anerkannten Kinderärzte aus der DDR. Sie war eine leidenschaftliche Forscherin, akademische Lehrerin und engagierte Leiterin der Abteilung für Neugeborene an der Berliner Charité. 1938 mußte die sogenannte 'Halbjüdin' ihre Familie in Hamburg verlassen. In den USA konnte sie weiter studieren und holte sich ihr berufliches Rüstzeug bei weltberühmten amerikanischen Kinderärzten. Dort wurde sie auch Sozialistin. Sie lernte ihren späteren Mann Sam (Mitja) Rapoport kennen. Als Biochemiker von Weltrang auf dem Gebiet der Erforschung des Blutes wurde er in den USA mit hohen Auszeichnungen geehrt.
In der McCarthy-Ära mußten die Rapoports neuerlich emigrieren. Beide fanden in der DDR neue Wirkungsstätten. Zeit ihres Lebens gehörten sie zu jenen Wissenschaftlern, die nicht müde wurden, sich für die Verbesserung des Gesundheitswesens und die Entwicklung der medizinischen Forschung einzusetzen. Nun, jenseits der achtzig, hat Ingeborg Rapoport sich entschlossen, ihre Erinnerungen an ein langes Leben aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Die lebendige Schilderung vielfältiger Beobachtungen, ihre eindeutige politische Position, ein produktiver Widerspruchsgeist bezeugen, daß das Leben in der DDR keineswegs umsonst gelebt war.
Ingeborg Rapoport, Gertrud Zucker (Illustr.). Eselsohren: Ein Lesebuch weint. Edition Märkische LebensArt; Auflage: 1 (27. Februar 2017). ISBN-10: 3943614123
Im Spielzimmer herrscht große Aufregung. Eines der Bücher weint bitterlich. Es wurde von Joshi schlecht behandelt und hat nun auf vielen Seiten umgeknickte Ecken, sogenannte Eselsohren. Auch die Puppen und Plüschtiere sind deshalb traurig. Weil sie aber nicht wissen, wie sie dem armen Buch helfen können, suchen sie Rat bei Jam, der kleinen Schwester des Jungen, der mit dem Buch so gedankenlos umgegangen ist. Jam hat eine tolle Idee und sie beschließen, gemeinsam etwas zu tun, damit Joshi lernt, dass man Bücher nicht so behandeln darf. Das zu schaffen ist nicht einfach, aber zum Glück finden sie überall liebe und freundliche Helfer.
Im Spielzimmer herrscht große Aufregung. Eines der Bücher weint bitterlich. Es wurde von Joshi schlecht behandelt und hat nun auf vielen Seiten umgeknickte Ecken, sogenannte Eselsohren. Auch die Puppen und Plüschtiere sind deshalb traurig. Weil sie aber nicht wissen, wie sie dem armen Buch helfen können, suchen sie Rat bei Jam, der kleinen Schwester des Jungen, der mit dem Buch so gedankenlos umgegangen ist. Jam hat eine tolle Idee und sie beschließen, gemeinsam etwas zu tun, damit Joshi lernt, dass man Bücher nicht so behandeln darf. Das zu schaffen ist nicht einfach, aber zum Glück finden sie überall liebe und freundliche Helfer.
Haben Sie mit den Gedanken gespielt aus der Partei auszutreten?
Ingeborg Rapoport: Nie. Jetzt, nach der Wende hat sich die Partei sehr gewandelt, das ist nicht mehr meine Partei. Ich bin noch immer in der Linken aber eigentlich ist das eine ist teils Formsache, teils habe ich keine Alternative und ich bin es auch den alten Genossen schuldig bei ihnen zu bleiben.
Jochanan Shelliem hat Ingeborg Rapoport in Berlin besucht, Szenen der Promotionsfeier am UKE in Hamburg aufgezeichnet, Tom Rapoport am MIT in Boston befragt, zeichnet verantwortlich für die Montage und ist sehr glücklich dieser besonderen Familie begegnet zu sein.
Es sprachen Götz Aly und Wolfram Koch. Die von Katharina Marie Schubert gelesenen Zitate sind der Autobiografie "Meine ersten drei Leben" von Ingeborg Rapoport entlehnt. Ton und Technik: Melanie Inden. Redaktion: Monika Künzel.