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Die langen Schatten der Vergangenheit

Als Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof steht Baltasar Garzón mit spektakulären Fällen stets im Rampenlicht. Auch durch Ermittlungen gegen lateinamerikanische Diktaturen wurde er bekannt. Nun soll der bekannte Jurist angeklagt werden. Begründung: Er hat Recht gebeugt.

Von Hans-Günter Kellner |
    Franco-Anhänger verhafteten Emilio Silva 1936 in einem nordspanischen Dorf, richteten ihn mit zwölf weiteren Männern hin und verscharrten die Leichen im Straßengraben. Erst vor zehn Jahren fand sein Enkel gleichen Namens nach langen Nachforschungen das Grab, exhumierte die sterblichen Überreste seines Großvaters und bestattete ihn. Aus der Initiative Silvas wurde eine regelrechte Bewegung, Tausende von Hinterbliebenen der Repressionsopfer des Franco-Regimes begannen mit der Suche nach ihren Angehörigen. Mit der Anzeige der Verbrechen des Regimes bei Untersuchungsrichter Baltasar Garzón wollten die Hinterbliebenen die juristische Aufarbeitung der spanischen Vergangenheit anstoßen. Dass Garzón dafür nun auf die Anklagebank soll, schockiert Emilio Silva:

    "Wie kann es sein, dass sich die erste juristische Untersuchung im Zusammenhang mit der Diktatur nicht mit den Tätern von damals beschäftigt, sondern mit dem Ermittlungsrichter, der diese Verbrechen untersuchen wollte? Als wären die Opfer die Täter. Das stellt doch die Geschichte auf den Kopf!"

    Garzón ermittelt schon seit Jahren gegen Diktaturen: gegen Militärs in Argentinien, Uruguay oder Guatemala. Gegen Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet erließ er sogar schon 1998 einen Haftbefehl. Den Antrag darauf stellte damals der in Madrid lebende chilenische Rechtsanwalt Juan Garcés. Er versucht zu erklären, warum im Falle Chiles Garzón ermitteln durfte und warum er für die gleichen Ermittlungen im Falle des Franco-Regimes wegen Rechtsbeugung angeklagt werden soll:

    "In Spanien mussten die Richter zwischen 1936 bis 1976 gegenüber Franco und seinem Regime einen Treueeid ablegen. Viele dieser Richter arbeiten noch heute am Obersten Gerichtshof . Die Ermittlungen gegen lateinamerikanische Diktatoren störten sie wenig. Aber jetzt, wo junge Richter wie Garzón auch im Falle des Franco-Regimes die gleichen rechtlichen Prinzipien umsetzen wollen, leistet die alte Garde großen Widerstand."

    Mehr als 113.000 Menschen verschwanden zwischen dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 und 1945. Mehr als 100.000 Menschen wurden in Scheinverfahren zum Tode verurteilt, heißt es in Ermittlungsakten Garzóns. Seine These: Der Staatsterrorismus wäre ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das nach internationalem Recht nicht verjährt.

    Die rechtsradikalen Organisationen, die Garzón beschuldigen, er habe wissentlich gegen geltendes Recht verstoßen, stützen sich hingegen vor allem auf zwei Argumente: Zum einen habe er ein Amnestiegesetz von 1977 ignoriert, das die Taten jener Jahre annulliere. Zudem hätte es die Gesetze über Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Tatzeit gar nicht gegeben. Der Oberste Gerichtshof folgt diesen Thesen in seinen Vorermittlungen grundsätzlich. Doch mit dieser Argumentation hätten selbst die Alliierten 1945 niemals die Verantwortlichen des Dritten Reiches anklagen können, erklärt Garcés:

    "Die Verteidigung benutzte bei den Nürnberger Verfahren gegen die Verantwortlichen des Dritten Reiches vergleichbare Argumente wie heute der Oberste Gerichtshof. Diese Thesen wurden schon damals abgewiesen. Hier geht es auf gewisse Weise um eine Art spanische Version der Verfahren von Nürnberg. Mit dem Unterschied, dass die Richter hier gegenüber Franco einen Treueeid abgeleistet haben."

    Selbst Befürworter einer engagierteren Aufarbeitung des Franco-Regimes stellen jedoch den Sinn einer juristischen Untersuchung der Ereignisse jener Jahre in Frage. Der Hauptverantwortliche, Diktator Francisco Franco ist ja schon seit 1975 tot. Garcés verteidigt die Untersuchungen hingegen:

    "Wir wissen ja nicht, ob einige mutmaßliche Verantwortliche nicht doch noch leben. Ich denke, es gibt da schon noch so manchen. Das ist ja der Grund für die massiven Versuche, eine richterliche Untersuchung zu verhindern."

    Ob er damit ganz konkret jemanden beschuldigt, will der Rechtsanwalt jedoch nicht erklären. Emilio Silva will jedenfalls durch alle Instanzen klagen, wenn Garzón nicht weiterermitteln darf:

    "Am Ende bleibt uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die Menschenrechtskonvention verpflichtet die Staaten, den Hinterbliebenen bei der Klärung des Schicksals Verschwundener zu helfen. Irgendwann könnte ein ausländisches Gericht mit einer Untersuchung unserer Diktatur beginnen, so wie wir hier andere Diktaturen untersucht haben."