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"Die Lasten müssen gerecht unter den Staaten verteilt werden"

Amartya Sen, indischer Philosoph und Nobelpreisträger für Ökonomie, glaubt, dass die Konferenz in Bali einen wichtigen Beitrag für mehr Klimaschutz leisten kann. Ziel müsse es sein, einen gerechten Weg zu finden, um die Lasten aufzuteilen. Klar sei dabei aber auch, dass das gegenwärtige Problem der Erderwärmung nicht vorrangig an China oder Indien liege, sondern durch die industrielle Entwicklung in Europa und den USA maßgeblich verursacht worden sei.

Moderation: Philipp Krohn | 08.12.2007
    Philipp Krohn: Zu einem weltweiten Aktionstag gegen den Klimawandel haben heute Umweltorganisationen aufgerufen. In Deutschland wird eine zentrale Kundgebung in der Hauptstadt abgehalten, außerdem kann jeder in seinem eigenen Haus mitmachen, Gruppen wie der BUND haben die Aktion "Licht aus" ins Leben gerufen: Um 20.00 Uhr sollen möglichst viele Menschen für fünf Minuten ihre Lichter ausschalten, um für einen sparsamen Umgang mit Energie zu werben. Wie das gehen soll, beschäftigt seit Beginn der Woche auch die Diplomaten auf Bali. Die Versuchen sich auf künftige Schritte für den Klimaschutz zu einigen. Ich hatte vor dieser Sendung Gelegenheit, mit dem indischen Philosophen Amartya Sen zu sprechen, er hat 1998 den Nobelpreis für Ökonomie erhalten und beschäftigt sich mit der Frage der Armutsbekämpfung und mit der Gerechtigkeit. Zunächst habe ich ihn gefragt, ob die Konferenz auf Bali ihn hoffnungsfroh stimmt, dass sich die Menschheit selbst rettet.

    Amartya Sen: Es hängt davon ab, welche Maßnahmen ergriffen werden und das nicht nur in Bali. Bali ist ein wichtiges Treffen, sehr wichtig sogar, aber die weltweiten Initiativen, die sich gegen den Klimawandel richten, müssen auch aus anderen Feldern kommen. Bali ist ein Regierungstreffen, aber es muss auch zivilgesellschaftliche Initiativen von überall auf der Welt geben. Wenn Sie mich fragen, ob die Menschheit gerettet werden kann, was auch immer retten heißen mag, dann muss die Antwort ja sein. Kann Bali dazu beitragen? Ja. Wird Bali allein die Welt retten? Nein.

    Krohn: Auf welche Initiativen setzen Sie denn?

    Sen: Nun, unser Einfluss auf das Klima ist sehr vielfältig. Alles was wir tun, wirkt sich darauf aus. Selbst wenn wir atmen, stoßen wir Kohlendioxid aus. Deshalb darf man aber nicht verlangen, dass wir aufhören sollen zu atmen. Wir müssen uns fragen, wie wir künftiges Leben schützen können und wie wir es ermöglichen, dass auch künftiges Leben in Freiheit und Wohlstand erblüht. Das bezieht nicht nur menschliches Leben ein, sondern alles, was für uns einen Wert hat, das Fortbestehen anderer Arten, Tierarten zum Beispiel, denn es wird ein eigenartiger Unterschied gezogen zwischen dem Interessen an menschlichem Leben und dem anderer Arten. Wir sollten den Menschen nicht nur als einen Patienten ansehen, sondern auch als einen Agenten, der in der Lage ist, zu reflektieren, zu entscheiden und sich zu engagieren. Und dieses Engagement bedeutet nicht nur, Einsatz für menschliches Leben, besonders das von ärmeren Menschen, sondern auch, dass die seltenen Arten nicht aussterben.

    Krohn: Was bedeutet das für den Einzelnen? Ist sein Kampf gegen den Klimawandel wirksamer als ein politischer Kampf?

    Sen: Nun, ich meine, dass Regierungen nicht handeln werden, ohne dass Druck auf sie ausgeübt wird. Man muss diese Frage mit Hilfe demokratischer Prinzipien beantworten. In den drei Ländern, in denen ich mich am längsten aufgehalten habe - Indien, Großbritannien und die USA - funktioniert das Prinzip, dass die Opposition Druck auf die Regierung ausübt und sie damit zur Verantwortung zwingt. Und wenn es dann so ist, wie es für einige Zeit in den USA der Fall war, dass die demokratische Kontrolle eingeschränkt ist, weil Gesetzgebung und Regierung in derselben Hand liegen und sie dann auch noch den obersten Gerichtshof zu ihren Gunsten besetzen, dann verliert die Opposition viel Einfluss. Und wenn dieses Land dann auch noch eine schlechte Umweltpolitik betreibt, wie die USA, dann gibt es zu wenig Druck auf die Regierung. Auch die öffentliche Kritik reicht dann nicht aus. Das ist ein Fehler. Es geht nicht nur darum, ob die USA richtig handeln, was ich nicht glaube, sondern auch, ob die demokratische Kontrolle ausreichend genutzt wird. Eine Politik gegen den Klimawandel muss von der Zivilgesellschaft genauso unterstützt werden, wie von den Verwaltungsbeamten.

    Krohn: Sie haben von sich aus ihr Heimatland Indien angesprochen. Kann das Land den selben Entwicklungspfad wie die USA verflogen?

    Sen: Das hoffe ich nicht und ich hoffe auch, dass die USA in der Zukunft nicht so weitermachen wie bisher. Es gab eine Zeit, da haben sich die Menschen nicht um den Klimawandel geschert. Die Natur schien ihnen unzerstörbar und egal was die Menschen ihr antun würden, die Natur würde sich schon wieder davon erholen. Heute wissen wir, dass das falsch war. Aber darin liegt nicht das Problem. Es ist inzwischen klar, dass die Politik, die die USA im 19. Jahrhundert und bis heute verfolgten, was übrigens in weiten Teilen auch für Europa und zunehmend auch für China und Indien gilt, das Problem noch verschärft.

    Wir müssen aber dahinkommen, das so klug zu verändern, dass die Lasten gerecht unter den Staaten verteilt werden. Wenn Sie nach Peking fahren und die Luft atmen, ist das schrecklich. Wenn sie aber mit den Chinesen über ihren Beitrag zur globalen Erwärmung sprechen, werden Sie eine eindeutige Reaktion erhalten und zwar diese: Ihr Amerikaner und Europäer habt die Welt so lange verschmutzt und in dem Moment, in dem wir beginnen uns zu industrialisieren, sollen sich die Regeln plötzlich ändern und wir sollen das nicht genauso dürfen. Das ist nicht angemessen.

    Wir müssen einen Weg finden, wie wir die Lasten aufteilen und dabei müssen wir bedenken, dass einige Länder ihren Reichtum gebildet haben, ohne auch nur einen Deut an die Umwelt zu denken. Das wir das Problem der Erderwärmung haben, liegt ja nicht an China oder Indien, sondern daran, was in Europa und den USA gelaufen ist. Hier liegt also die Frage, globaler Gerechtigkeit, die bei diesem Problem im Mittelpunkt steht.

    Krohn: Wenn diese Gesellschaften sich in Freiheit entwickeln sollen, was für Sie ja die wichtigste Forderung überhaupt ist, wie können die Menschen dort den Willen entwickeln, etwas für den Klimaschutz zu tun? Müssen Sie dann auf Konsum verzichten?

    Sen: Ich glaube, das nichts falsch daran ist, mehr zu konsumieren, denn ein gutes Leben zu führen, ist das Beste, was passieren kann. Der Konsum trägt dazu erheblich bei. Ich vertrete nicht die Ansicht, dass auf Konsum zu verzichten, zu fasten, der Weg ist, ein gutes Leben zu führen. Das habe ich früher nicht gedacht und das denke ich auch heute nicht. Andererseits ist es wichtig, dass jeder berücksichtigt, was die Folgen seines eigenen Handelns sind. Und das bezieht den Konsum mit ein.

    Es gibt einige Arten von Konsum, die sehr viel mehr Verschmutzung bewirken als andere und es gibt auch Konsumarten, die einen besser befähigen, mit Umweltverschmutzung und Schäden umzugehen. Wenn die Menschen eine gute Bildung erhalten, kann das dabei helfen, unnötige Gewalt auszuüben und Terrorismus zu verhindern, genauso, wie die Umwelt zu schützen oder ein besseres Leben zu führen, weil es leichter ist, eine Arbeit zu finden. Betrachtet man all dies, sollte man keine Haltung einnehmen, die sich gegen den Konsum wendet. Und es ist sehr wichtig, dass die Teilhabe der Menschen darauf beruht, dass sie verstehen, welche diese Herausforderungen sind. Einige dieser Veränderungen durch den Klimawandel später wieder zu beheben, wird dann sehr viel teurer sein, als heute. Deshalb müssen alle jetzt handeln.

    Krohn: Als wie wichtig erachten Sie als Ökonom den Klimawandel im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Problemen?

    Sen: Ich kann keine Konkurrenz zwischen ihnen erkennen. Am häufigsten ist ja das Leben der ärmsten Menschen betroffen. Wenn die Luft verschmutzt ist, wer wird am meisten darunter leiden? Es sind nicht die Menschen in großen Häusern, die eine gut funktionierende Klimaanlage haben. Stattdessen betrifft es die, die in baufälligen Hütten leben, oder auf der Straße sehr viel mehr. Ich glaube, wenn wir Armutsbekämpfung verstehen, als einen Zuwachs an Freiheit, oder als eine Beseitigung der Unfreiheit, dann müssen wir dazu auch die Unfreiheit zählen, keine saubere Luft atmen zu können, nicht an Trinkwasser heran zu kommen, keine Angst haben zu müssen vor Epidemien, die vermeidbar wären und nicht gezwungen zu sein, seine Heimat zu verlassen, weil der Meerwasserspiegel ansteigt. Wenn ein Drittel von Bangladesch oder die kompletten Malediven überschwemmt werden, möchte man nicht in der Situation der Menschen dort sein. Es geht also nicht darum, zu vergleichen, welches Gewicht die Armut hat, die durch Umweltschäden verursacht worden ist, die Beseitigung von ökologischer Armut ist ein Teil des Kampfes gegen die Armut auf der Welt.

    Krohn: Im Deutschlandfunk war das der indische Philosoph und Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen.