Friedbert Meurer: Thomas Reiter, deutscher Astronaut, ist 2006 mit der Discovery ins All geflogen und natürlich auch wieder zurück. Heute ist er Direktor für bemannte Raumfahrt bei der europäischen Weltraumorganisation ESA. Guten Morgen, Herr Reiter!
Thomas Reiter: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Geht es Ihnen heute so wehmütig wie Major Tom?
Reiter: Ja, es ist schon ein bisschen ein trauriger Moment für alle die, die Gelegenheit hatten, in diesen fantastischen Maschinen mal in den Weltraum fliegen zu dürfen. Das waren immerhin insgesamt 355 Leute, 24 davon kamen aus Europa, sieben Deutsche waren dabei. Aber der Blick ist natürlich in die Zukunft gerichtet.
Meurer: Was war für Sie persönlich so fantastisch bei Ihrem Flug mit der Discovery?
Reiter: Na ja, generell kann man sagen, dass bei solchen Reisen in den Weltraum zwei Phasen besonders dynamisch sind. Das ist einmal der Start und natürlich dann die Rückkehr zur Erde, der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Auch die kritischsten Phasen sind das. Und wenn man mit diesen Urgewalten in weniger als neun Minuten von der Erdoberfläche in eine Höhe von etwa 150, 180 Kilometern gehoben wird und auf eine Geschwindigkeit von fast 28.000 Kilometern pro Stunde beschleunigt wird, dann ist das natürlich ein unheimlich beeindruckendes Gefühl.
Meurer: Beeindruckend oder auch strapaziös? Sie sind, glaube ich, auch Tornados geflogen. Das ist kein Vergleich für einen solchen Flug?
Reiter: Nein. Die Belastungen sind eigentlich nicht so hoch beim Start. Man wird maximal mit dem Dreieinhalbfachen der Erdanziehungskraft in die Sitze gepresst, aber man nimmt diese Beschleunigung gewissermaßen im Liegen auf, und das ist bei Weitem nicht so anstrengend, wie wenn man jetzt in dem Cockpit von solchen Flugzeugen wie dem Tornado sitzt, wo man auch teilweise wesentlich höhere Beschleunigungen da noch auszuhalten hat.
Meurer: Wie haben Sie die Landung damals erlebt? Ich meine, es hatte damals, das war dann im Jahr 2003, drei Jahre, bevor Sie geflogen sind, dieses zweite Unglück gegeben mit der "Challenger". Was ist Ihnen da in der Landephase damals durch den Kopf gegangen?
Reiter: Es ist so, dass es, bevor man den Bremsimpuls abgibt, im Orbit sehr hektisch ist an Bord, muss ich sagen. Es sind sehr viele Dinge zu tun, der Kommandant, der Pilot müssen das Shuttle entsprechend steuern, der Rest der Besatzung muss die Konfiguration so vorbereiten, dass man eben für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre bereit ist, sodass man eigentlich wenig Zeit hat, sich da irgendwelche Gedanken zu machen. Aber selbstverständlich geht einem das schon mal kurz durch den Kopf, man denkt, ja, das war diese Phase, in der das eben drei Jahre zuvor passiert ist. Aber mehr Gedanken verschwendet man daran nicht. Es ist klar, dass diese Raumflüge mit einem gewissen Risiko belastet sind, und das ist eben eine Entscheidung, die man letztendlich trifft, bevor man den Beruf ergreift, ob man bereit ist, diese Risiken einzugehen. Auf der anderen Seite stehen natürlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die mit der Durchführung solcher Raumfahrt-Missionen verbunden sind, und das wägt man eben gegeneinander ab.
Meurer: Aber der Preis war hoch, Herr Reiter. Zwei von fünf Space Shuttles sind explodiert. 2003 war es die Columbia, ich muss mich korrigieren. Die Challenger, das war ja in den 80er-Jahren. War das Space Shuttle doch nicht so gut, wenn zwei von fünf Maschinen in einer Katastrophe endeten?
Reiter: Eine hoch komplexe Maschine war das Shuttle. Die Vorstellung, dass man durch die Wiederverwendbarkeit Kosten sparen kann, hat sich nicht bestätigt. Und diese enorme Komplexität hat sicherlich zu diesen beiden tragischen Unfällen beigetragen. Nun kann man lange darüber philosophieren, inwieweit der Betrieb, die Entscheidungen, die dann vor dem Start der Challenger oder vor der Rückkehr der Columbia getroffen wurden, mit einen Beitrag dazu geleistet haben. Sicherlich war das zum Teil der Fall. Also die absolute Sicherheit wird es bei einer Technologie, die wirklich an die Grenze des technisch Machbaren geht, nicht geben. Im Vergleich dazu die russische Sojus-Kapsel ausgesprochen robust. Ich möchte sie mal als den VW-Käfer der Raumfahrzeuge bezeichnen. Nicht besonders bequem, nicht besonders komfortabel, aber ausgesprochen zuverlässig und toi, toi, toi bisher keinerlei solcher Katastrophen.
Meurer: Mit dem VW-Käfer sind Sie ja auch geflogen, zehn Jahre vorher. Was haben die Russen da besser gemacht mit der Sojus?
Reiter: Na ja, es ist eben ein Fluggerät, das bei Weitem nicht auf diese enorme technische Komplexität aufbaut. Es ist eine sehr pragmatische Entwicklung, sehr pragmatisches Design, und es ist eben keine wiederverwendbare Kapsel, sondern eine Sojus wird gebaut, erfüllt ihre Mission und wird nach der Rückkehr dann letztendlich ins Museum gebracht. Das ist jetzt mal in ganz kurzen Worten einer der wesentlichen Unterschiede.
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Entwicklung dahin gehend fortgesetzt wird, dass man in Zukunft natürlich aus diesen Erfahrungen des Shuttles lernen wird, und es ist selbstverständlich ein ganz entscheidendes Ziel, auch diese Raumfahrzeuge so sicher wie nur irgendwie möglich zu machen.
Meurer: Herr Reiter, die NASA arbeitet ja an einem Anschlussprogramm für Space Shuttle. Man liest, ab 2016 soll es soweit sein. Wie wird denn die neue Raumfähre aussehen, wissen Sie das?
Reiter: Ja. Es wird also nicht mehr so ein Fluggerät sein, das Flügel hat wie das Shuttle, sondern man kehrt wieder zu einer Kapsel zurück, aus eben den genannten Erfahrungen, die man gemacht hat. Kosten-Nutzen-Erwägungen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die NASA möchte den Transport zur Internationalen Raumstation kommerzialisieren, was bedeuten soll, dass man heute den Auftrag für die Entwicklung dieser Kapsel, die dann Astronauten in dem von Ihnen genannten Zeitraum zur ISS und wieder zurück bringen soll, an zwei Firmen gegeben hat, SpaceX und Orbital Sciences. SpaceX hat bereits zwei erfolgreiche Testflüge einer neu entwickelten Trägerrakete und einer Kapsel durchgeführt, ein weiterer Testflug steht Ende des Jahres an. Die zweite Firma, deren Erstflug steht noch bevor. Und man hat eben aufgrund der Erfahrungen im Apollo-Programm, im Shuttle-Programm, bei der Entwicklung vieler Trägerraketen natürlich eine Menge Erfahrungen sammeln können, sodass man diese Erfahrungen in die Neuentwicklung einfließen lassen wird und zum einen natürlich die Kosten entsprechend senken möchte, ohne auf eine Steigerung der Sicherheit natürlich zu verzichten.
Meurer: Ganz kurz, Herr Reiter. Würden Sie gerne noch mal ins All fliegen?
Reiter: Selbstverständlich, aber das, fürchte ich, wird ein Wunsch bleiben. Ich habe jetzt die Aufgabe, eben bei der ESA das Programm für bemannte Raumfahrt und den Satellitenbetrieb zu managen, und da ist eine Rückkehr in den aktiven Dienst unwahrscheinlich.
Meurer: Thomas Reiter, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der ESA, 2006 flog er mit dem Space Shuttle Discovery. Heute landet das Schwesterschiff sozusagen, die Atlantis, gegen Mittag deutscher Zeit, die letzte Landung eines Space Shuttles. Danke, Herr Reiter, und auf Wiederhören.
Reiter: Auf Wiederhören, Herr Meurer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Reiter: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Geht es Ihnen heute so wehmütig wie Major Tom?
Reiter: Ja, es ist schon ein bisschen ein trauriger Moment für alle die, die Gelegenheit hatten, in diesen fantastischen Maschinen mal in den Weltraum fliegen zu dürfen. Das waren immerhin insgesamt 355 Leute, 24 davon kamen aus Europa, sieben Deutsche waren dabei. Aber der Blick ist natürlich in die Zukunft gerichtet.
Meurer: Was war für Sie persönlich so fantastisch bei Ihrem Flug mit der Discovery?
Reiter: Na ja, generell kann man sagen, dass bei solchen Reisen in den Weltraum zwei Phasen besonders dynamisch sind. Das ist einmal der Start und natürlich dann die Rückkehr zur Erde, der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Auch die kritischsten Phasen sind das. Und wenn man mit diesen Urgewalten in weniger als neun Minuten von der Erdoberfläche in eine Höhe von etwa 150, 180 Kilometern gehoben wird und auf eine Geschwindigkeit von fast 28.000 Kilometern pro Stunde beschleunigt wird, dann ist das natürlich ein unheimlich beeindruckendes Gefühl.
Meurer: Beeindruckend oder auch strapaziös? Sie sind, glaube ich, auch Tornados geflogen. Das ist kein Vergleich für einen solchen Flug?
Reiter: Nein. Die Belastungen sind eigentlich nicht so hoch beim Start. Man wird maximal mit dem Dreieinhalbfachen der Erdanziehungskraft in die Sitze gepresst, aber man nimmt diese Beschleunigung gewissermaßen im Liegen auf, und das ist bei Weitem nicht so anstrengend, wie wenn man jetzt in dem Cockpit von solchen Flugzeugen wie dem Tornado sitzt, wo man auch teilweise wesentlich höhere Beschleunigungen da noch auszuhalten hat.
Meurer: Wie haben Sie die Landung damals erlebt? Ich meine, es hatte damals, das war dann im Jahr 2003, drei Jahre, bevor Sie geflogen sind, dieses zweite Unglück gegeben mit der "Challenger". Was ist Ihnen da in der Landephase damals durch den Kopf gegangen?
Reiter: Es ist so, dass es, bevor man den Bremsimpuls abgibt, im Orbit sehr hektisch ist an Bord, muss ich sagen. Es sind sehr viele Dinge zu tun, der Kommandant, der Pilot müssen das Shuttle entsprechend steuern, der Rest der Besatzung muss die Konfiguration so vorbereiten, dass man eben für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre bereit ist, sodass man eigentlich wenig Zeit hat, sich da irgendwelche Gedanken zu machen. Aber selbstverständlich geht einem das schon mal kurz durch den Kopf, man denkt, ja, das war diese Phase, in der das eben drei Jahre zuvor passiert ist. Aber mehr Gedanken verschwendet man daran nicht. Es ist klar, dass diese Raumflüge mit einem gewissen Risiko belastet sind, und das ist eben eine Entscheidung, die man letztendlich trifft, bevor man den Beruf ergreift, ob man bereit ist, diese Risiken einzugehen. Auf der anderen Seite stehen natürlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die mit der Durchführung solcher Raumfahrt-Missionen verbunden sind, und das wägt man eben gegeneinander ab.
Meurer: Aber der Preis war hoch, Herr Reiter. Zwei von fünf Space Shuttles sind explodiert. 2003 war es die Columbia, ich muss mich korrigieren. Die Challenger, das war ja in den 80er-Jahren. War das Space Shuttle doch nicht so gut, wenn zwei von fünf Maschinen in einer Katastrophe endeten?
Reiter: Eine hoch komplexe Maschine war das Shuttle. Die Vorstellung, dass man durch die Wiederverwendbarkeit Kosten sparen kann, hat sich nicht bestätigt. Und diese enorme Komplexität hat sicherlich zu diesen beiden tragischen Unfällen beigetragen. Nun kann man lange darüber philosophieren, inwieweit der Betrieb, die Entscheidungen, die dann vor dem Start der Challenger oder vor der Rückkehr der Columbia getroffen wurden, mit einen Beitrag dazu geleistet haben. Sicherlich war das zum Teil der Fall. Also die absolute Sicherheit wird es bei einer Technologie, die wirklich an die Grenze des technisch Machbaren geht, nicht geben. Im Vergleich dazu die russische Sojus-Kapsel ausgesprochen robust. Ich möchte sie mal als den VW-Käfer der Raumfahrzeuge bezeichnen. Nicht besonders bequem, nicht besonders komfortabel, aber ausgesprochen zuverlässig und toi, toi, toi bisher keinerlei solcher Katastrophen.
Meurer: Mit dem VW-Käfer sind Sie ja auch geflogen, zehn Jahre vorher. Was haben die Russen da besser gemacht mit der Sojus?
Reiter: Na ja, es ist eben ein Fluggerät, das bei Weitem nicht auf diese enorme technische Komplexität aufbaut. Es ist eine sehr pragmatische Entwicklung, sehr pragmatisches Design, und es ist eben keine wiederverwendbare Kapsel, sondern eine Sojus wird gebaut, erfüllt ihre Mission und wird nach der Rückkehr dann letztendlich ins Museum gebracht. Das ist jetzt mal in ganz kurzen Worten einer der wesentlichen Unterschiede.
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Entwicklung dahin gehend fortgesetzt wird, dass man in Zukunft natürlich aus diesen Erfahrungen des Shuttles lernen wird, und es ist selbstverständlich ein ganz entscheidendes Ziel, auch diese Raumfahrzeuge so sicher wie nur irgendwie möglich zu machen.
Meurer: Herr Reiter, die NASA arbeitet ja an einem Anschlussprogramm für Space Shuttle. Man liest, ab 2016 soll es soweit sein. Wie wird denn die neue Raumfähre aussehen, wissen Sie das?
Reiter: Ja. Es wird also nicht mehr so ein Fluggerät sein, das Flügel hat wie das Shuttle, sondern man kehrt wieder zu einer Kapsel zurück, aus eben den genannten Erfahrungen, die man gemacht hat. Kosten-Nutzen-Erwägungen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die NASA möchte den Transport zur Internationalen Raumstation kommerzialisieren, was bedeuten soll, dass man heute den Auftrag für die Entwicklung dieser Kapsel, die dann Astronauten in dem von Ihnen genannten Zeitraum zur ISS und wieder zurück bringen soll, an zwei Firmen gegeben hat, SpaceX und Orbital Sciences. SpaceX hat bereits zwei erfolgreiche Testflüge einer neu entwickelten Trägerrakete und einer Kapsel durchgeführt, ein weiterer Testflug steht Ende des Jahres an. Die zweite Firma, deren Erstflug steht noch bevor. Und man hat eben aufgrund der Erfahrungen im Apollo-Programm, im Shuttle-Programm, bei der Entwicklung vieler Trägerraketen natürlich eine Menge Erfahrungen sammeln können, sodass man diese Erfahrungen in die Neuentwicklung einfließen lassen wird und zum einen natürlich die Kosten entsprechend senken möchte, ohne auf eine Steigerung der Sicherheit natürlich zu verzichten.
Meurer: Ganz kurz, Herr Reiter. Würden Sie gerne noch mal ins All fliegen?
Reiter: Selbstverständlich, aber das, fürchte ich, wird ein Wunsch bleiben. Ich habe jetzt die Aufgabe, eben bei der ESA das Programm für bemannte Raumfahrt und den Satellitenbetrieb zu managen, und da ist eine Rückkehr in den aktiven Dienst unwahrscheinlich.
Meurer: Thomas Reiter, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der ESA, 2006 flog er mit dem Space Shuttle Discovery. Heute landet das Schwesterschiff sozusagen, die Atlantis, gegen Mittag deutscher Zeit, die letzte Landung eines Space Shuttles. Danke, Herr Reiter, und auf Wiederhören.
Reiter: Auf Wiederhören, Herr Meurer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
und Diskussionen nicht zu eigen.