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Die Letzten ihrer Art

Hier in den letzten verbliebenen Wäldern Vietnams sollen sie leben: Die seltensten Affen der Welt. Versteckt im Geäst der manchmal tausend Jahre alten Urwaldriesen. Nachts finden manche Unterschlupf in den Höhlen der Felsen, die immer wieder die dichte Vegetation dieser Wälder durchbrechen. Zwischen Zikadenlärm und Vogelgezwitscher verrät kein Laut ihre Anwesenheit. Zu sehen bekommen wir sie erst recht nicht. Und das ist schade, denn zu den Languren zählen die schönsten Affen der Welt. Ihr schlanker Körper ist von einem meist außerordentlich fantasievoll gezeichneten Fell bedeckt. Die Kleideraffen beispielsweise wirken mit ihrem weißen Gesicht beinah wie Zauberwesen aus dem Wald. Tatsächlich umgeben die Tiere Rätsel, die Wissenschaftler erst allmählich lösen. Dazu gehört auch die Entdeckung immer neuer Langurenarten in Vietnam. Aber für die Erforschung dieser neuen Arten bleibt nicht viel Zeit: denn meist existieren nur noch wenige hundert Tiere

Von Kristin Raabe |
    Für gefangene, misshandelte und verletzte Languren gibt es in Vietnam einen Zufluchtsort.

    Grundsätzlich, wenn Tiere hier neu ankommen gehen die durch eine sechswöchige Quarantänezeit. Für die Neuankömmlinge sind hier diese vier Einheiten, natürlich auch alles heizbar auf Generator, wir können auch gewährleisten, das hier alles warm ist, das ist natürlich besonders im Winter wichtig. Viele Tiere kommen eben aus dem Süden und im Winter wird es hier recht kalt. Und dieser Temperatursturz in den Wintermonaten, da unten hat es dann immer noch über 30 Grad. Hier oben haben wir dann unter zehn Grad. Das ist natürlich fatal für die Tiere, die eh gesundheitlich angeschlagen sind, Lungenentzündung kommt vor, ob es dann dort entstanden ist, auf dem Transport entstanden ist, oder hier, ist natürlich schwer zu rekonstruieren, es war aber schon verschiedentlich Todesursache.

    Ulrike Streicher ist stolz auf ihre Tierklinik. In den Innenräumen blitzt der Chirurgenstahl der medizinischen Geräte. Die Medikamente und Betäubungsmittel stehen sauber aufgereiht in Regalen und Schränken. Alles wirkt steril. Ein Kunststück, wenn man bedenkt, wo diese Tierklinik liegt. Schon ein Blick durch die Fenster verrät: Wir befinden uns am Rande des Dschungels. Und da wollte Ulrike Streicher immer schon hin. Die energische Tierärztin mit den zurückgebundenen blonden Haaren arbeitet im Primate Rescue Center, im Primatenrettungszentrum. Insgesamt 130 Affen aus ganz Vietnam muss sie hier, am Rande des Cuc Phuong Nationalparks, medizinisch versorgen. Sie alle stammen aus dem illegalen Tierhandel, wurden von Forstbeamten konfisziert und dann in das Rettungszentrum gebracht. Gegründet hat dieses in Asien einmalige Projekt der Deutsche Tilo Nadler. Anfang der 90er Jahre kam er nach Vietnam, um hier den wieder entdeckten Delacour-Langur zu beobachten. Der gelernte Ingenieur für Klimatechnik weiß inzwischen mehr über Languren als jeder andere:

    Das Besondere ist, dass sie einen extrem langen Schwanz haben. Sie haben ein ganz spezielles außerordentlich kompliziertes Verdauungssystem. Sie haben einen mehrkammerigen Magen, so ein bisschen ähnlich wie eine Kuh, bis zu fünf Kammern bei einigen Arten und dort werden die Blätter eben fermentiert, damit sie als Nahrung aufgeschlossen werden können. Und diese Nahrung ist eben sozusagen die Grundlage für ihr Überleben und in vielen Zoos speziell in nordamerikanischen oder europäischen ist es natürlich sehr kompliziert außerhalb des Habitates erstens die entsprechenden Laubsorten und zweitens das ganze Jahr über zur Verfügung zu stellen. Diese ganze Geschichte hat natürlich Einfluss auf die Reproduktion. Das ist natürlich klar, wenn man ständig Bauchschmerzen hat, dann hat man keine Lust mehr zur Liebe.

    Und deswegen gibt es kaum Languren in Zoos. Ihr besonderer Magen und ihre Vorliebe für Laub machen es auch Ulrike Streicher nicht immer leicht, ihnen zu helfen. Wenn die Tiere bei ihr ankommen, dann sind sie oft von unwissenden Tierhändlern mit Obst gefüttert worden. Die Forstbeamten, die die Tiere konfiszierten, wissen es kaum besser. Das Obst zerstört die empfindliche Magenflora der Languren - und das ist oft lebensbedrohlich. Streicher:

    Wir haben Überlebensraten um die 70 Prozent im besten Fall. Schrecklich. Also letztes Jahr war ein sehr frustrierendes Jahr auch für uns, wir hatten sehr viele Tiere, die in sehr schlechtem Zustand ankamen und die dann nur noch einen Tag oder zwei Tage gelebt haben. Und das ganze ist dann unheimlich frustrierend auch, die ganze Arbeit, man steckt unheimlich viel Arbeit in die Tiere hinein, das fängt an, dass man sich um die Beschlagnahmung bemüht, um die ganzen Papiere bemüht, dann dahin fliegt, fährt, oft 24 Stunden mit dem Auto dahinrast, in aller Eile, dann unter Diskussionen und Mühen die Tiere dort rausholt, und dann kriegt man sie gerade noch bis hier auf den Hof und dann sterben sie doch, das ist dann schon sehr frustrierend.

    Gerade kämpft die deutsche Tierärztin um das Überleben eines jungen Kleideraffen. Ängstlich hockt das Tier in der hintersten Ecke in einem kahlen Raum der Tierklinik. An seinem Hals befindet sich eine Schwellung - von der Kette, mit der es angekettet war. Trotzdem erträgt das Jungtier die vorsichtige Untersuchung der deutschen Tierärztin. Das Abtasten des leicht geblähten Bauches scheint das Weibchen irgendwie sogar zu genießen. Sollte sie sich wieder erholen, dann landet sie in einem geräumigen und abwechslungsreich gestalteten Außenkäfig des Rettungszentrums.

    Mehr als zehn verschiedene Arten leben hier. Viele haben ein auffällig schön gezeichnetes Fell. Der goldfarbene Cat-Ba-Langur und die schwarz-weißen Delacour-Languren zum Beispiel. Viele dieser Arten kommen ausschließlich in Vietnam vor. Dass dieses Land so ungewöhnlich viele einzigartige Affenarten beherbergt, liegt an seiner Geographie: Lange Reihen von felsigen Bergen, große Gewässer und Täler wechseln sich ab. Dadurch entstehen isolierte Lebensräume, in denen sich die Tiere völlig unabhängig von der Außenwelt entwickeln können. In den Tälern und Gewässern gibt es allerdings schon lange keine unberührte Natur mehr. 80 Millionen Vietnamesen brauchen viel Reis und Fisch. Lediglich die unzugänglichen Waldgebiete auf den Karstformationen haben die Zerstörung durch den Vietnamkrieg und den Raubbau im Anschluss an den Krieg halbwegs überstanden. Und genau dort befinden sich die letzten Rückzugsgebiete der Languren. Tilo Nadler glaubt, dass sie eine Chance haben dort zu überleben. Allerdings nur, wenn der Holzeinschlag und die illegale Jagd aufhören.

    Das zum Beispiel, das sind Cat-Ba-Languren, die hier drin sind. Dahinten ist der Junge und die Mutter sitzt da oben, das ist also die weltseltenste Primatenart, die überhaupt existiert. Es gibt vielleicht noch 40 bis 60 Tiere, die existieren.

    Cat Ba ist eine Insel in der Halong-Bucht. Und das ist das einzige Vorkommensgebiet dieser Art. Es bestünde die Möglichkeit, da noch was zu machen, zumal das Gebiet als solches erhalten ist und der Jagddruck auch nun reduziert ist. Wobei es da zwei Hauptprobleme gibt. Das eine ist die Zersplitterung der Population, also das Habitat ist intakt, aber die einzelnen Gruppen innerhalb des Habitats sind soweit auseinander, und jede Gruppe hat ja nun mal ihr Territorium, so dass sie eigentlich keinen Antrieb haben irgendwo da irgendwo hin zu wandern. Wo sie sitzen, haben sie genug zu fressen und freuen sich des Lebens, die sitzen da also mehr oder weniger isoliert und das ist eine Gefahr, aus biologischem Grund und die andere große Gefahr ist die Entwicklung Cat Bas zum Touristenzentrum. Das hat inzwischen dazu geführt, dass im vergangenen Jahr ein Teil des Nationalparks aus dem Nationalpark ausgegliedert wurde zur Touristenentwicklung. Also man hat gesagt, das Stück Nationalpark gehört dem Tourismus, da bauen wir jetzt sonst was hin, Hotels, Golfplatz, weiß der Kuckuck, so und da hat natürlich der Sinn eines Nationalparkkonzeptes, der ist damit natürlich verloren gegangen, also wenn man einen Nationalpark irgendwann, wenn man braucht, eben auflösen kann oder da was raus schneiden, dann ist die Frage wozu braucht man überhaupt einen Nationalpark.

    Nach elf Jahren in Vietnam ist Tilo Nadler ganz schön frustriert. Im Laufe der Jahre musste er mit ansehen, wie immer mehr Affen an den Rand des Aussterbens gedrängt wurden. Dabei sieht die Naturschutzstrategie Vietnams auf dem Papier eigentlich ganz gut aus. Aber es mangelt an der Durchsetzung der Gesetze.

    Innerhalb der Nationalparks und in ihrer näheren Umgebung leben vor allem ethnische Minderheiten, von denen es in Vietnam über 50 gibt. Sie wohnen für gewöhnlich in einfachen Stelzenhäusern, tragen oft noch ihre selbstgewebte Kleidung, betreiben Reisanbau und halten einige Hühner und Schweine. Strom und Telefon gibt es in kaum einem Minderheiten-Dorf und der nächste Arzt ist meist einen stundenlangen Fußmarsch durch unwegsames Gelände entfernt. Der Wald ist oft die einzige Möglichkeit, das Familieneinkommen aufzubessern.

    Die lokale Bevölkerung ist sehr arm und natürlich ist der illegale Holzeinschlag auch eine sehr gute Einkommensquelle und natürlich geht es da auch um das Überleben der Familie, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt mit lokalen Rangern. Manchmal auch mit kleinen Holzbetrieben. Wir haben ja nicht so die Probleme von großen Holzkonzessionen wie in Malaysia oder Indonesien. Es ist ja wirklich mehr eine Problemlage auf der lokalen Ebene. Schon anders. Wir haben keine großen Firmen, die jetzt korrupt sind oder illegalen Holzeinschlag betreiben, sondern es ist wirklich sehr stark basierend auf der Armut vor Ort. Aber das Problem, da sind natürlich überall auch Funktionäre und Regierungsbeamte, die die Augen schließen und eben korrumpierbar sind.

    Frank Momberg kam vor sechs Jahren nach Vietnam, um für die Naturschutzorganisation Flora und Fauna International, kurz FFI, einige Projekte durchzuführen. Heute ist er der Direktor der Südostasienabteilung von FFI. Seiner Erfahrung nach sind die ethnischen Minderheiten auf dem Land zwar sehr arm, aber dem Naturschutz gegenüber durchaus aufgeschlossen. Vorausgesetzt man bietet ihnen alternative Einkommensquellen an. Das können beispielsweise Bienen sein, deren Honig sich gewinnbringend verkaufen lässt, oder eine Zucht von schmackhaften Pilzen.

    Aber ein großer Teil der 80 Millionen Vietnamesen lebt in den Städten. Und der sorgt auch für die Ausbeutung der Wälder:

    Das größte Problem ist wirklich das Konsumverhalten, dass Wildtiere gegessen werden, dass Wildtiere für die Produktion von traditioneller Medizin verwendet werden und besonders als Aphrodisiaka gelten. Ob nun eingelegt in Reiswein oder als Balsam verabreicht, also je reicher die Menschen werden, desto entwickelter sie werden, also jetzt haben wir ja gerade in den urbanen Zentren haben wir wirklich eine Mittelklasse, die sich jetzt entwickelt. Und die wollen Wildtierprodukte, weil das irgendwie interessanter ist, genauso wie Tigerknochen, Primatenknochen, die Nachfrage steigt. Und das ist ein ganz großes Problem.

    Die Einstellung eines ganzen Volkes zu verändern - das braucht Zeit. Und die haben die meisten Langurenarten Vietnams nicht mehr.

    Es ist auch erstaunlich, wenn wir Zahlen vergleichen, es gibt 70.000 bis 80.000 Orang-Utans, es gibt 120.000 Schimpansen, da gibt es soviel finanzielle Unterstützung, die sind so bekannt weltweit. Aber diese attraktiven Affenarten, die es in Vietnam gibt, die sind viel gefährdeter. Keine Art hat mehr als 500 Individuen und trotzdem sind sie der Weltöffentlichkeit überhaupt nicht bekannt in der Bedrohung.

    Frank Momberg setzt auf drei verschiedene Strategien, um die Languren zu retten. Er unterstützt die Ranger, damit sie die Gesetze besser durchsetzen können. Außerdem arbeitet er mit der lokalen Bevölkerung in und um die Naturschutzgebiete. Und immer gibt es Bildungsprojekte, die in allen Teilen der Bevölkerung ein Bewusstsein für den Schutz der einzigartigen Affen schaffen sollen. Doch bei all dem kämpfen die Tierschützer immer wieder mit einem Problem. Robert Primmer, der aus Südafrika stammende FFI-Koordinator für die vietnamesischen Affen, ist jedes Mal erregt, wenn er darüber spricht.

    20 Prozent vom Geld eines Naturschutzprojektes abzuzweigen wird nicht als Korruption angesehen. Es ist quasi ein normaler Bestandteil des ganzen Geschäfts. Wenn jemand beispielsweise einen Job als Ranger bei der Forstbehörde haben möchte, dann funktioniert das wie folgt: Seine Familie muss Verbindungen zur Forstbehörde haben, dann gibt seine Familie diesem Verwandten oder Bekannten ein Geschenk in Form von Geld. Aber auf diesen Job bewerben sich zehn Leute, und wer immer die engste Beziehung zu dem Forstbeamten hat und wer am meisten Geld rausrückt bekommt letztendlich die Stelle. So läuft das hier. 20 Millionen Dong, über 1000 Dollar kostet ein Job bei der Forstbehörde. Irgendwie muss dieses Geld natürlich wieder reinkommen. Also verkauft ein Ranger das Holz, das er gerade konfisziert hat, wieder zurück an den Holzschmuggler. Korruption ist ein riesiges Problem in diesem Land, vielleicht das größte Problem für den Naturschutz.

    Die Korruption macht es schwer, gegen den illegalen Holzeinschlag im Lebensraum der Languren vorzugehen. Dabei kann jeder Vietnamreisende in den ländlichen Regionen sehen, wie sich die Landschaft durch die Landwirtschaft und den Holzeinschlag verändert hat. Rechts und links der schmalen Wege erstreckt sich die grün leuchtende Symmetrie der Reisfelder. Dazwischen ragen immer wieder schroffe Felsen auf, als wollten sie mit ihrer Wildheit die Ruhe der Reisfelder zerstören, die praktisch jeden Quadratmeter bis zum Fuß der Felsen bedecken. Auf den grün bewachsenen Hängen dieser Karstfelsformationen zeigen sich immer wieder rotbraune Wunden. Es sind gerodete Flächen, auf denen zwei bis drei Jahre lang Maniok angebaut wurde, solange bis sämtlicher Humus weggespült war. Auf diesen Flächen werden dann oft Holzstämme ins Tal gerollt. Danach wächst dort nichts mehr, und kein Affe findet jemals wieder Nahrung.

    Im Primatenrettungszentrum im Cuc Phuong Nationalpark kann Thilo Nadler zu jedem Affen eine Gesichte erzählen.

    Das ist jetzt vielleicht auch etwas besonderes, das sind die braunen Kleideraffen. Kleideraffen gab es ja in der Vergangenheit nur zwei in Vietnam, jetzt haben wir drei. 1997 haben wir den hier bekommen. Richard heißt der. Der sah nun anders aus als die beiden bisher bekannten, der schwarzschenkelige und der rotschenkelige Kleideraffe. Und als wir dann noch ein Tier bekamen. Und ich in der Sammlung der Forstuniversität in Hanoi, noch ein ausgestopftes Tier fand, war dann klar, dass das was anderes sein musste, stellte sich heraus, dass das eine neue bis dahin unbekannte Affenart ist. Und jetzt haben wir sozusagen seit 1997 drei Kleideraffen in Vietnam.

    Um ganz sicherzugehen, dass er eine neue Art von Kleideraffen entdeckt hatte, brauchte Tilo Nadler allerdings noch Unterstützung. Und die fand er am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Dort arbeitet der Genetiker Christian Roos.


    Gerade bei den Kleideraffen gibt es das Problem, dass es sehr viele Farbvarianten gibt und es gibt auch Mischformen zwischen den drei Hauptfarbgruppen und es ist dann unklar, welcher Art das entsprechende Tier angehört und dazu kann die Genetik dann einen wichtigen Beitrag leisten, um dann zum Beispiel auch die Verbreitung bestimmter Arten aufzuklären.

    Der genetische Vergleich bewies: Tilo Nadler hatte tatsächliche eine neue Art von Kleideraffen entdeckt, die ausschließlich in Zentralvietnam vorkam. Nach diesem Erfolg wollte Christian Roos Ordnung in das Artenchaos der vietnamesischen Affen bringen. Er sammelte immer mehr Proben, verglich sie untereinander und förderte immer mehr Überraschendes zu Tage: Der in Ha Giang im Norden beheimatete Francoise-Langur hat mit seinem chinesischen Verwandten sowenig gemein, dass er eine neue Art bildet. Eigentlich braucht er einen neuen Namen. Den soll ihm aber ein Sponsor geben, der den Schutz dieser neu entdeckten Langurenart finanziert. Bislang sucht Christian Roos noch vergeblich nach einem potenten Geldgeber.

    Der Phayre Langur, dessen Proben der Genetiker analysiert, ist auch kein Phayre Langur - obwohl er genauso aussieht. Inzwischen heißt er schlicht "grauer Langur".

    Mittlerweile sind die Verwandtschaftsbeziehungen der vietnamesischen Affenarten weitestgehend geklärt. Und auch für den Tierschutz bringen die genetischen Untersuchungen von Christian Roos immer wieder wichtige Ergebnisse:

    Die rotschenkeligen Kleideraffen, die in europäischen Zoos gehalten werden, kommen alle aus Südlaos. Es gibt aber auch Verbindungen von Südlaos nach Vietnam über einige Hauptrouten und viele Kleideraffen, die in Vietnam beschlagnahmt werden kommen aus Südlaos.

    Der Genetiker hat inzwischen so viele Proben von den verschiedensten Langurenarten gesammelt, dass er anhand der genetischen Unterschiede nicht nur verschiedene Arten auseinander halten kann. Er erkennt auch die feinen Unterschiede zwischen einem rotschenkeligen Kleideraffen aus Vietnam und einem rotschenkligen Kleideraffen aus Südlaos. Wenn er Proben von konfiszierten Tieren aus dem illegalen Tierhandel untersucht, kann er also genau bestimmen, woher das jeweilige Tier stammt. Dann ist schnell klar in welchen Gebieten am meisten gewildert wird. Die Tierschützer wissen dann also, wo sie möglichst bald eingreifen müssen.

    Besonders wichtig sind die genetischen Untersuchungen bei Langurenarten, die kurz vor dem Aussterben stehen. Roos:

    Wir versuchen eine genetische Überwachung der Populationen aufzubauen, wobei wir möglichst alle Individuen einer Art untersuchen wollen. Dadurch eben auch überprüfen wollen, inwieweit die Populationen schon genetisch verarmt sind, um möglicherweise dann auch wieder Populationen zu verbinden, möglicherweise über kleine Brücken zwischen Gebirgsregionen, oder auch Populationen umzusiedeln, um dann diesen genetischen Flaschenhals gering zu halten und eine stabile genetisch gesunde Population aufrechtzuerhalten.

    Von einem "genetischen Flaschenhals" sprechen Experten, wenn eine Tierart durch eine Umweltkatastrophe oder eine Seuche sehr plötzlich auf wenige Individuen geschrumpft ist. Die Gene dieser wenigen Individuen stellen dann das einzige Reservoir dar, aus dem sich die Population bei ihrem Wachstum bedienen kann. Ein genetischer Flaschenhals lässt sich auch Generationen später im Genpool einer Tierart nachweisen. Dann sind sich alle Individuen untereinander genetisch sehr ähnlich, da sie alle von wenigen Ahnen abstammen. In Vietnam durchlaufen beispielsweise die Cat Ba Languren einen solchen genetischen Flaschenhals. Es gibt weniger als 60 Tiere. Früher lebten einmal 3000 Tiere auf der Cat Ba Insel in der Halong Bucht. Erst in den letzten 10 Jahren sind so viele Tiere gejagt worden, dass der Cat Ba Langur nun der seltenste gewöhnliche Affe der Welt ist. Seltener sind mit weniger als 30 Tieren nur noch die östlichen schwarzen Schopfgibbons, die allerdings zu den Menschenaffen zählen. Für den Cat-Ba-Langur und die östlichen Schopfgibbons besteht nur noch wenig Hoffnung. Für einige andere gefährdeten Affen plant Tilo Nadler ein kühnes Projekt:

    Jetzt kommen wir hier an unsere Freianlage. Wir haben zwei Freianlagen mit relativ ursprünglichem Baumbestand. Mit nahezu Primärwaldcharakter. Eine Anlage, die haben wir schon nun schon seit sechs Jahren, das ist die hier mit zwei Hektar Fläche und die neue, der Berg dahinten, mit 4 Hektar Fläche, wo wir Langurengruppen haben, hier haben wir Delacour-Languren. Auf der anderen haben wir Hatinh-Languren und Gibbons. Und das ist gedacht als erste Stufe sozusagen für eine Wiederauswilderung, wir wollen also sehen, wie die Tiere hier wenn sie aus dem Käfig kommen im natürlichen Habitat zurechtkommen. Und wenn wir die Vorraussetzung haben, in Gebieten des natürlichen Vorkommens, dann wollen wir die Tiere in eine Freianlage des natürlichen Habitats bringen und auch wieder nach einer entsprechenden Trainingszeit wieder zurück in die freie Wildbahn. Das bedeutet natürlich auch, dass wir unbedingt sicherstellen müssen, dass der Jagddruck in diesem Gebiet gleich null ist, sonst würde das natürlich wenig Sinn machen, die Tiere dahin zu bringen, wenn sie schon nach kurzer Zeit wieder dem Jäger zum Opfer fallen.

    Wir haben Glück: Die scheuen schwarz-weißen Delacour-Languren, die in Deutschland auch Pandalanguren genannt werden, zeigen sich am Rand des Freigeheges. Mit einem Fernglas ist zu sehen, wie sie sich genüsslich ein Blatt nach dem anderen in den Mund stopfen. Das Gelände bietet ihnen genug Nahrung. Tilo Nadler muss sie nicht mit zusätzlichem Futter versorgen. Eine gute Vorbereitung also für die Wiederauswilderung, die schon bald in Phong Nhga Ke Bang erfolgen soll, einem Naturschutzgebiet im nördlichen Teil von Zentralvietnam. Das Projekt ist allerdings umstritten. Robert Primmer:

    Ich glaube, dass Wiederaussiedelung reine Zeitverschwendung ist, vor allem, weil wir einem Tier nicht beibringen können, mit anderen Tieren derselben Art oder fremden Arten umzugehen. Diese Affen wissen nicht, wie sie sich ein eigenes Revier zulegen. Sie wissen nicht, wie sie auf andere wilde Gruppen zugehen sollen, oder wie sie selbst in solchen Gruppen aufgenommen werden können. Wenn ein Affe, der zuvor in Gefangenschaft gelebt hat, mit einer wilden Gruppe derselben Art in Kontakt kommt, dann kann er mit den hierarchischen Strukturen innerhalb der Gruppe nicht umgehen und wird wahrscheinlich von seinen wilden Artgenossen getötet. Aber der einzige Grund, warum wir überhaupt Affen wiederauswildern ist doch, damit sie die Anzahl der frei lebenden Tiere erhöhen und den Genpool der wilden Populationen erweitern. Was bringt es also, wenn in 90 Prozent der Fälle der ausgewilderte Affe getötet wird? Ich darf gar nicht daran denken, wie viel Geld verschwendet wird, bis man, nach vielleicht zehn Jahren, einen Affen soweit hat, dass man glaubt, er hätte in freier Wildbahn tatsächlich eine Chance. Ich kann verstehen, dass wir seltene Arten in Gefangenschaft züchten, um für den absoluten Notfall noch diesen großen Genpool zur Verfügung zu haben, für den Fall, dass diese Art im Freiland nahezu ausgestorben ist. Aber Wiederauswilderung ist meistens nur ein Vorwand, um Geld lockerzumachen. Da will ich mal ehrlich sagen, was ich denke. So einfach ist das.

    Der FFI-Koordinator für die Affen Vietnams ist sich sicher, dass sich mit dem Geld, das bei einem einzigen Wiederauswilderungsprojekt verschwendet würde, problemlos gleich zwei Arten in freier Wildbahn retten ließen. Das beweisen die vielen fehlgeschlagenen Wiederauswilderungsprojekte für Affen. Lediglich ein Projekt mit Löwenäffchen in Brasilien war nach ungefähr zwölf Jahren und vielen Fehlschlägen endlich erfolgreich. Es kostete Unsummen.

    Es ist viel schwerer, einen Geldgeber davon zu überzeugen, ein Tier in freier Wildbahn zu retten, als finanzielle Mittel für ein Wiederauswilderungsprojekt locker zu machen. Wiederauswilderung ist sexy. Einen Zaun um ein Schutzgebiet zu bauen ist nicht sexy. Geldgeber verstehen gar nicht, was hier wirklich vor sich geht. Es ist ziemlich einfach, die Leute vor dem Fernseher zu überzeugen, wenn viele Affen hinter Dir im Käfig herumturnen. "Wir entlassen sie in die freie Wildbahn, wenn ihr uns nur das Geld dafür gebt." Wir aber sagen, dass es da in diesem Gebiet ungefähr 40 Affen gibt, die wir gerne retten möchten, die wir aber leider nicht zu Gesicht kriegen - na dann ist es viel schwerer, die Leute zu überzeugen.

    Robert Primmer ist mit Tilo Nadler befreundet. Aber in diesem Punkt werden sich die beiden Tierschützer nie einig sein. Außer vielleicht, wenn der Deutsche mit seinem Wiederauswilderungprojekt tatsächlich Erfolg haben sollte. Dass sich eine Affenart auch in freier Wildbahn retten lässt, beweist ein Projekt in der Nähe der nördlichen Provinzhauptstadt Ha Giang. Dort waren Robert Primmer und Frank Momberg von FFI sehr erfolgreich mit dem Schutz des Stumpfnasen-Tonkin-Affen.

    So seltsam wie sein Name ist auch sein Aussehen. Auf den wenigen Photos, die es von ihm gibt, wirkt er als wäre er ein haariges Wesen von einem anderen Planeten. Er ähnelt den Ewoks aus der Star-Wars-Trilogie.

    Also vielleicht wirklich eine der beeindruckendsten Affenarten, die es weltweit gibt. Also mit blauem Gesicht und wülstigen Lippen, also ja wirklich komisch sehen sie aus. Haben nur kleine " Uh" Unklaute, die sie hervorrufen. Und leben sehr zurückgezogen in diesen unzugänglichen Karstgebieten. Es gibt kein einziges Tier in Zoos weltweit. Es gab mal ein einziges Tier, was hier im Primatenzentrum im Vietnam gehalten worden ist. Aber weil wir so wenig wissen über seine Ernährungsweise ist dieses Tier schon nach kurzer Zeit gestorben in Gefangenschaft.

    Sicher wissen die Forscher über die seltsamen Stumpfnasen-Tonkin-Affen im Moment noch so gut wie gar nichts.

    Wir wissen, dass sie in kleinen Familiengruppen, normalerweise so zwischen fünf bis sieben Tieren leben. Aber auf Grund des großen Jagddruckes kommt es auch zu Veränderungen der Sozialstrukturen. Das haben wir bei anderen Affenarten beobachtet, wie beispielsweise den Goldschopflanguren, wo diese Tiere durchaus in sehr großen Gruppen von 40 bis 60 Tieren lebten und jetzt nur noch in sehr kleinen Gruppen von 5 bis 7 Tieren. Und das kommt durch den Jagddruck. Aber auf Grund dieser starken Verdünnung in der Landschaft, wo nur noch sehr kleine Gruppen bestehen, kommt es auch zur Isolierung einzelner Gruppen, also einem verringerten Sozialaustausch zwischen Primatengruppen. Also deswegen wissen wir nicht, ob die jetzige Familienstruktur wirklich der normalen natürlichen Struktur entsprechen würde.

    Demnächst soll eine Plattform in den Baumkronen entstehen. Dann kann ein Verhaltensforscher, die Tiere endlich aus der Nähe beobachten. Damit das überhaupt möglich wurde, musste Robert Primmer sehr viel Reisschnaps trinken.

    Es ist sehr einfach, die Leute feiern gerne. Und die Minderheiten trinken gerne. Also feiern wir erst einmal zusammen. Wir trinken, reden und dann fangen sie oft an Lieder über den Wald zu singen. Wir erzählen dann etwas über diesen ganz besonderen Affen in ihrem Wald. Dadurch lenken wir ihre Aufmerksamkeit auf diese bedrohte Tierart. Wir werfen Ideen in den Raum. Die Minderheiten greifen diese Ideen schnell auf. In Tung Ba zum Beispiel saßen wir einmal in einer munteren Runde bei einigen Gläsern Reisschnaps zusammen. Wir haben dann vorgeschlagen einige Regeln aufzustellen, die helfen sollten, den Stumpfnasen-Tonkin-Affen zu schützen. Am Ende haben die Dorfbewohner von Tung Ba, diese Regeln dann selbst aufgestellt. Dabei kam letztendlich heraus, dass sie jeden daran hindern wollten, in die Kernzone des Schutzgebietes auch nur hineinzugehen. Sie haben also beschlossen, das Gebiet mit einer Demarkationslinie zu kennzeichnen. Außerdem haben sie eine dorfeigene Rangertruppe aufgestellt, die aufpasst, dass niemand Holz aus der Kernzone herausholt oder dort jagt. Wir haben nur einen Ball ins Rollen gebracht, der immer größer und größer wird.

    Als Robert Primmer von Afrika nach Asien kam, hatte er zunächst Probleme mit der Mentalität der Vietnamesen. Heute weiß er, wie er mit den Menschen umgehen muss, damit sie den Naturschutz unterstützen.

    Es basiert einfach darauf, dass niemand hier sein Gesicht verlieren will. Wenn ein Familienvater sagt: Ich bin einverstanden mit diesen Regelungen und die Person, die in der Rangfolge über ihm steht sagt, ich mache diese Regeln, dann verliert der Familienvater sein Gesicht, wenn er die Regeln bricht. Aber auch die Person, die die Regeln macht. Der Gesichtsverlust ist also eine Art von Kontrolle die in den Hierarchien in Vietnam sowohl von oben nach unten, wie auch von unten nach oben funktioniert. Als ich vor zwei Jahren zuerst in dieses Gebiet kam, hörte ich ständig Schüsse, heute höre ich keine Schüsse mehr. Und das nur, weil die Leute selbst Regeln aufgestellt haben, weil wir Vereinbarungen mit ihnen getroffen haben, die sie selbst unterschrieben haben. Dagegen zu verstoßen würde Gesichtsverlust bedeuten. Außerdem war es natürlich wichtig, ihnen Alternativen für die Jagd auf den Affen anzubieten. Ohne diese alternativen Einkommensquellen hätten sie sicherlich keine Regeln für den Schutz des Affens geschaffen. Aber es hat funktioniert. Diese Gruppe von Affen hat sich stabilisiert. Sie haben wieder Nachwuchs. Aber wenn wir heute dort nicht mehr aktiv wären, dann wäre binnen kürzester Zeit wieder alles so wie vorher.

    Der Dschungel, in dem die letzten Stumpfnasen-Tonkin-Affen leben, gehört wahrscheinlich zu den unzugänglichsten Wäldern der Welt. Obwohl die Vegetation sehr dicht ist und hier riesige Bäume wachsen, besteht der Boden nicht aus Erde. Scharfe Felsen bilden den Untergrund. Sie sind glitschig und von Moos bewachsen. Wer sich in diesem Gelände bewegen will, muss gut trainiert sein - so wie die Männer der dorfeigenen Schutztruppe von Tung Ba. Der Stumpfnasen-Tonkin-Affe ist allerdings nicht zu sehen, nicht einmal aus der Ferne auf einer Baumkrone. Aber es ist gut zu wissen, dass er in diesem Wald sicher ist.