Die neun Darsteller, die sich in ständig wechselnden Rollen durch die vielen Szenen der Bühnenfassung bewegen, die Wolfgang Engel von Karl Kraus´ Text montiert hat, sitzen anfangs auf langer Holzbank vor dem Eisernen Vorhang. Sie räsonieren und singen, sind verhalten oder brechen aus und wirken fast, als habe sie Marthaler arrangiert. Wir hören Propagandalieder, nationalistische Feindgesänge, militärisch-aggressive und auch kirchliche Lieder. Natürlich erklingt auch die "Die Wacht am Rhein". Es werden Pressemeldungen verlesen und es wird demonstriert, wie Meinungen und Kriegszustimmung gemacht werden. Ein Wiener korrigiert die Aussprache von Ausrufern oder Erzählern, und die Nachricht vom Attentat in Sarajewo provoziert "Serbien muss sterbien"-Sprechchöre. Auf dieser Bank sitzen keine dämonisierten Spießer, sondern einfach Menschen in Bearbeitung. Die erst von der Schönheit Venedigs schwärmen, dann aber auch von dessen Eroberung singen:
"In Venedig, in Venedig, ziehen wir als Sieger ein.
Holen in Venedig die Gipsstatuen und die Bilder ein.
Mit den schönen Bildern feuern wir dann an,
und als Held da dient ein echter Tizian.
Tschin, tscha, Handgranaten her."
Die Engelsche Fassung bleibt beim Ersten Weltkrieg, stellt aber mit ihren Spielszenen deutlich die grundsätzliche Frage, warum und wann Menschen in Kriege taumeln, wie sie bearbeitet werden und wie sie sich verändern. Krieg erscheint als Zurichtung, durch die sich Menschen als Feinde entdecken.
Kluge Diskurse zu Krieg und Heldentod
Wenn der Eiserne Vorhang hochgeht, zeigt Esther Bialas´ Bühnenbild eine für Kriegszeiten eingerichtete Turnhalle mit Feldbetten. Das hier im doppelten Sinn Theater gespielt wird, macht die Inszenierung immer wieder bewusst deutlich. Soldaten wird die militärische Grußordnung beigebracht, ein Militärpfarrer schwadroniert und Psychiater erklären einen Soldaten für verrückt, der eine kriegskritische Haltung zeigt. Wenn Wilhelm der II. gebraucht wird, fängt man einen Schauspieler ein und zwingt den Widerstrebenden in dessen Rolle. So fällt Wilhelm II. dann zwar von einem Seitpferd, verlangt aber von seinen Soldaten, das Lied vom alten McDonald und seiner Farm mit echten Tierlauten erklingen zu lassen. Ständig wechseln sich Karikaturen und ausgestellt falsches Pathos ab mit den ernst beschreibenden Szenen. Dabei gibt es extrem überzeichnete Bilder, aber auch ganz einfache Diskussionen zwischen den Figuren eines Nörglers und eines Optimisten, deren kluge Diskurse zu Krieg und Heldentod Ahmad Mesgarha und Matthias Reichwald Intensität verleihen. Engels Inszenierung spielt keine Kriegsszenen nach und geht auch nicht in den Schützengraben. Weder erklärt sie den Krieg, noch versucht sie mit der bekannten Tatsache zu erschüttern, dass der Krieg schlimm und der Mensch böse sein kann. Sondern sie zeigt, wie das Bewusstsein der Menschen bearbeitet wird. Pathos und Pädagogik gibt es in dieser Inszenierung nicht, wohl aber Eindeutigkeit. Es geht darum, wie Sprachhaltungen verführen und wie Haltungen und (auch mörderische) Handlungen entstehen.
In einer vielleicht doch zu großen Unmenge von kurzen Spielszenen, Songs, Couplets, Berichten. Vor allem aber mit einem tollen Ensemble von wunderbar präzisen Schauspielern. Eine Kriegsberichterstatterin, von Christine Hoppe als eine in ihren Erfindungsreichtum Verliebte gespielt, geht mit ihren Vorurteilen souverän um:
"Belgrad. Ich habe mich durchgeschlagen. Hier interessiert mich wie immer das allgemein menschliche Moment. Das soll eine Kultur sein? Diese Häuser sind mit den letzten Geschäftshäusern in der Wiener Vorstadt zu vergleichen. Sie haben deshalb die Bombardierung verdient."
Zum Schluss, nach einem blutigen Fronttheater-Spiel, erscheint Mars und verkündet den Menschen ihre göttliche Bestrafung, die ein Untergang ist. Wolfgang Engel spricht diesen Mars, ganz in Weiß und rausche-haarig, mit pathosfreier Ernsthaftigkeit. Seine gesamte Inszenierung überzeugte als großer Bilderreigen und mit ihren vorzüglichen Schauspielern.