Jürgen Liminski: Im Entwurf des Koalitionsvertrages ist zu lesen - und ob das morgen noch der Fall sein wird, ist freilich offen -, heute jedenfalls steht da der Satz: "Wir brauchen neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss." Darüber wollen wir nun sprechen mit dem vorsitzenden Richter am Landessozialgericht in Darmstadt, Jürgen Borchert. Zunächst mal guten Morgen.
Jürgen Borchert: Hallo, Herr Liminski.
Liminski: Herr Borchert, ist der geplante Kapitalstock der richtige Weg, um die Pflegeversicherung demografiefest zu machen?
Borchert: Zunächst mal muss man doch feststellen, dass Pflege von seinem Wesen her das Schenken von Zeit ist, und das geht eben nur von Mensch zu Mensch. Bei den rasant zunehmenden Pflegeproblemen spüren wir immer stärker, dass uns die familiären Pflegeressourcen und die Zeit schenkenden Menschen fehlen. Da muss man wissen, dass bei der sogenannten demografischen Entwicklung der wesentliche Ursachenfaktor die zunehmende Kinderlosigkeit ist, die dramatische Kinderlosigkeit in Deutschland - wir sind Weltmeister -, und erst in zweiter Linie ist dafür die zunehmende Lebenserwartung verantwortlich. Wenn also die Geburtenarmut das Problem ist, dann muss man hier ansetzen, und genau das hat das Bundesverfassungsgericht 2001 mit dem sogenannten Pflegeurteil verlangt, nämlich die Kindererziehung bei der Pflege, genauso aber bei der Rente und bei der Krankenversicherung, bei all den Systemen, wo die Jungen die Alten versorgen, den monetären, den Geldbeiträgen gleichwertig zu behandeln, damit junge Menschen Eltern werden und erträglich materiell leben können. Die werden nämlich zurzeit erdrosselt durch die immer stärkere Sozialverbeitragung ihres Einkommens, und da ist die wesentliche Ursache für die lawinös zunehmende Kinderarmut zu suchen.
Liminski: Sie plädieren also eher dafür, die Kaufkraft der Familien zu erhöhen, statt sie zum Sparen für diesen Kapitalstock anzuleiten oder zu verpflichten. Aber wer sorgt denn dann für das Alter vor?
Borchert: Jedenfalls ist klar, dass man den Zwängen der Alterung nicht durch Finanztricks entkommen kann. Die geplante Kapitaldeckung löst das Problem jedenfalls nicht, sondern verschärft es eher.
Liminski: Wie soll man das verstehen, wenn Geld da ist, womit man die Pflege bezahlen könnte, die Pflegekräfte?
Borchert: Jetzt könnte ich es mir leicht machen und einfach das Stichwort "Hypo Real" nennen, wo riesige Summen aus eben solcher Kapitaldeckung verwaltet werden und wurden, und um ein Haar wäre all das futsch gewesen, und das Disaster wurde nur aufgefangen durch den Steuerzahler und damit durch das Umlageverfahren. Ich sage Ihnen aber noch drei weitere Gründe: erstens die Verschlimmerung der Nachfrageschwäche. Man muss wissen, dass Sparen, was hier vorgesehen wird, immer nur durch Konsumverzicht zu erreichen ist, und das wesentliche ökonomische Problem der deutschen Wirtschaft ist jetzt zurzeit die Nachfrageschwäche. Das ist das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft. Stellen Sie sich vor, wir investieren nur noch, aber die Leute konsumieren nicht, dann können sie sich das Investieren schenken. Das funktioniert nicht. Hub und Schub der volkswirtschaftlichen Aggregate werden aus dem Takt gebracht.
Das Zweite ist die Austrocknung des Mittelstandes. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Manager, der diese Riesensummen da zu verwalten hat. Das hat uns ja die Hypo Real gezeigt, was das für riesige Summen sind. 120, 150, 180 Milliarden Euro waren da immer als Steuerstütze im Gespräch. Stellen Sie sich vor, Sie wären so ein Manager. Sie können das nur verwalten, indem Sie die ersten börsennotierten Adressen bedienen, und dadurch leidet der Mittelstand. Das ist das zweite Problem, das wir in Deutschland haben, dass nämlich der Mittelstand kreditmäßig ausgetrocknet wird, und das hängt ursächlich mit dieser Kapitaldeckung zusammen, die uns schon Riester im großen Stil gebracht hat.
Drittens ist der "capital meltdown", "asset meltdown" zu nennen, die Kernschmelze dieser Kapitaldeckung, dass wir uns nämlich klar machen müssen: Alle diese Unternehmen, die da die Fonds von den Pflegesparern verwalten, müssen die Deckungskapitalien zum selben Augenblick auf den Markt werfen, wenn nämlich die Beitragszahler immer geringer werden, von der Zahl her und von ihren Beiträgen her, und das bedeutet, diese Deckungskapitalien, die alle zur gleichen Zeit auf den Markt geworfen werden müssen - das sind ja Bundesanleihen, Kommunalobligationen, Pfandbriefe, Aktienpakete, Immobilien und dergleichen -, werden im Preis nur noch durch die Kellerdecke rasseln und nichts mehr wert sein. Das heißt, wir stellen fest: Die Leute an den Finanzmärkten, die werden sich freuen, die haben sich schon über Riester gefreut, aber für die Zukunft des Landes bedeutet die Anhäufung dieser weiteren Kapitalien zusätzlichen Sprengstoff zur Demografiebombe, bei der die Zündschnur jetzt pünktlich im Jahr 2010 losbrennt.
Liminski: Wenn kapitalgedeckte Sicherungssysteme unzuverlässig sind, wie Sie sagen, bleibt dann nur das Umlageverfahren. Aber reicht das eben nicht aus, oder wollen Sie unterschiedliche Beiträge erheben lassen?
Borchert: In der Ökonomie wurde eine Zeit lang heftig darüber gestritten, ob Kapitaldeckung und Umlageverfahren eigentlich qualitativ wirklich was Verschiedenes sind. Aber wenn Sie jetzt die Parität ansprechen, dann nur Folgendes: Die sogenannte paritätische Finanzierung, die hochgehalten wird vor allen Dingen von Gewerkschaften hierzulande, ist eine Chimäre. Sie verstellt den Blick auf die einfache Tatsache, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge beides vorenthaltener Lohn sind. Jeder Buchhalter in jedem Unternehmen kann Ihnen das unschwer erklären. Politiker scheinen das nicht zu wissen. Es wird einheitlich unter Personalabgaben verbucht, und deswegen wird das so gemacht, weil man nicht will, dass die Menschen sehen, wie hoch ihre komplette Belastung mit den Soziallasten ist. Es wäre viel vernünftiger, mit den Menschen ehrlich umzugehen und ihnen zu sagen, wie hoch die Lasten sind, damit man da auch die Bereitschaft wecken kann, an die Kerne des Problems ranzugehen, und die sind eben familienpolitischer Natur.
Liminski: Also gehören die sozialen Sicherungssysteme insgesamt auf den Prüfstand, statt sie mit einem neuen Element, eben diesem zusätzlichen Kapitalpfeiler zu versehen?
Borchert: Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Jahre 2000/2001 die Mühe gemacht, intensivst in diese Problematik der sogenannten demografischen Entwicklung einzusteigen, und das Urteil, was dann am 3. April 2001 gefällt wurde, ist ja nach Anhörung von Sachverständigen gefällt worden. Und da ist der Kern dieses Urteils die Aussage, dass man hier ansetzen muss: Die Kindererziehung eben als das Element werten, was der Sozialversicherung, was der sozialen Stabilität in diesem Lande überhaupt erst das Fundament verschafft. Alles, was im Augenblick mit angedacht wird, bedeutet das Umrücken von Möbeln und das anders Streichen von Tapeten oder Umhängen von Gardinen, während das Fundament des Ganzen weggespült wird. Deswegen muss man immer wieder daran erinnern: Die Familienpolitik ist der Dreh- und Angelpunkt für eine vernünftige Pflegepolitik in der Zukunft.
Liminski: Herr Borchert, wäre eine Möglichkeit, privat, wer kann, eine Reserve anzulegen, wenn man den staatlichen Institutionen oder den Versicherungen, überhaupt der Zukunft des Staates nicht mehr so recht traut?
Borchert: Das private Anlegen nützt Ihnen ja nur dann etwas, wenn die Anlagemöglichkeiten im Lande vorhanden sind, und solange wir den qualifizierten Nachwuchs nicht haben, der die Produktivität sichert, dass aus diesen gesparten Geldern später auch eine vernünftige Rendite fließen kann, solange nützt das private Sparen überhaupt nichts.
Jürgen Borchert: Hallo, Herr Liminski.
Liminski: Herr Borchert, ist der geplante Kapitalstock der richtige Weg, um die Pflegeversicherung demografiefest zu machen?
Borchert: Zunächst mal muss man doch feststellen, dass Pflege von seinem Wesen her das Schenken von Zeit ist, und das geht eben nur von Mensch zu Mensch. Bei den rasant zunehmenden Pflegeproblemen spüren wir immer stärker, dass uns die familiären Pflegeressourcen und die Zeit schenkenden Menschen fehlen. Da muss man wissen, dass bei der sogenannten demografischen Entwicklung der wesentliche Ursachenfaktor die zunehmende Kinderlosigkeit ist, die dramatische Kinderlosigkeit in Deutschland - wir sind Weltmeister -, und erst in zweiter Linie ist dafür die zunehmende Lebenserwartung verantwortlich. Wenn also die Geburtenarmut das Problem ist, dann muss man hier ansetzen, und genau das hat das Bundesverfassungsgericht 2001 mit dem sogenannten Pflegeurteil verlangt, nämlich die Kindererziehung bei der Pflege, genauso aber bei der Rente und bei der Krankenversicherung, bei all den Systemen, wo die Jungen die Alten versorgen, den monetären, den Geldbeiträgen gleichwertig zu behandeln, damit junge Menschen Eltern werden und erträglich materiell leben können. Die werden nämlich zurzeit erdrosselt durch die immer stärkere Sozialverbeitragung ihres Einkommens, und da ist die wesentliche Ursache für die lawinös zunehmende Kinderarmut zu suchen.
Liminski: Sie plädieren also eher dafür, die Kaufkraft der Familien zu erhöhen, statt sie zum Sparen für diesen Kapitalstock anzuleiten oder zu verpflichten. Aber wer sorgt denn dann für das Alter vor?
Borchert: Jedenfalls ist klar, dass man den Zwängen der Alterung nicht durch Finanztricks entkommen kann. Die geplante Kapitaldeckung löst das Problem jedenfalls nicht, sondern verschärft es eher.
Liminski: Wie soll man das verstehen, wenn Geld da ist, womit man die Pflege bezahlen könnte, die Pflegekräfte?
Borchert: Jetzt könnte ich es mir leicht machen und einfach das Stichwort "Hypo Real" nennen, wo riesige Summen aus eben solcher Kapitaldeckung verwaltet werden und wurden, und um ein Haar wäre all das futsch gewesen, und das Disaster wurde nur aufgefangen durch den Steuerzahler und damit durch das Umlageverfahren. Ich sage Ihnen aber noch drei weitere Gründe: erstens die Verschlimmerung der Nachfrageschwäche. Man muss wissen, dass Sparen, was hier vorgesehen wird, immer nur durch Konsumverzicht zu erreichen ist, und das wesentliche ökonomische Problem der deutschen Wirtschaft ist jetzt zurzeit die Nachfrageschwäche. Das ist das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft. Stellen Sie sich vor, wir investieren nur noch, aber die Leute konsumieren nicht, dann können sie sich das Investieren schenken. Das funktioniert nicht. Hub und Schub der volkswirtschaftlichen Aggregate werden aus dem Takt gebracht.
Das Zweite ist die Austrocknung des Mittelstandes. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Manager, der diese Riesensummen da zu verwalten hat. Das hat uns ja die Hypo Real gezeigt, was das für riesige Summen sind. 120, 150, 180 Milliarden Euro waren da immer als Steuerstütze im Gespräch. Stellen Sie sich vor, Sie wären so ein Manager. Sie können das nur verwalten, indem Sie die ersten börsennotierten Adressen bedienen, und dadurch leidet der Mittelstand. Das ist das zweite Problem, das wir in Deutschland haben, dass nämlich der Mittelstand kreditmäßig ausgetrocknet wird, und das hängt ursächlich mit dieser Kapitaldeckung zusammen, die uns schon Riester im großen Stil gebracht hat.
Drittens ist der "capital meltdown", "asset meltdown" zu nennen, die Kernschmelze dieser Kapitaldeckung, dass wir uns nämlich klar machen müssen: Alle diese Unternehmen, die da die Fonds von den Pflegesparern verwalten, müssen die Deckungskapitalien zum selben Augenblick auf den Markt werfen, wenn nämlich die Beitragszahler immer geringer werden, von der Zahl her und von ihren Beiträgen her, und das bedeutet, diese Deckungskapitalien, die alle zur gleichen Zeit auf den Markt geworfen werden müssen - das sind ja Bundesanleihen, Kommunalobligationen, Pfandbriefe, Aktienpakete, Immobilien und dergleichen -, werden im Preis nur noch durch die Kellerdecke rasseln und nichts mehr wert sein. Das heißt, wir stellen fest: Die Leute an den Finanzmärkten, die werden sich freuen, die haben sich schon über Riester gefreut, aber für die Zukunft des Landes bedeutet die Anhäufung dieser weiteren Kapitalien zusätzlichen Sprengstoff zur Demografiebombe, bei der die Zündschnur jetzt pünktlich im Jahr 2010 losbrennt.
Liminski: Wenn kapitalgedeckte Sicherungssysteme unzuverlässig sind, wie Sie sagen, bleibt dann nur das Umlageverfahren. Aber reicht das eben nicht aus, oder wollen Sie unterschiedliche Beiträge erheben lassen?
Borchert: In der Ökonomie wurde eine Zeit lang heftig darüber gestritten, ob Kapitaldeckung und Umlageverfahren eigentlich qualitativ wirklich was Verschiedenes sind. Aber wenn Sie jetzt die Parität ansprechen, dann nur Folgendes: Die sogenannte paritätische Finanzierung, die hochgehalten wird vor allen Dingen von Gewerkschaften hierzulande, ist eine Chimäre. Sie verstellt den Blick auf die einfache Tatsache, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge beides vorenthaltener Lohn sind. Jeder Buchhalter in jedem Unternehmen kann Ihnen das unschwer erklären. Politiker scheinen das nicht zu wissen. Es wird einheitlich unter Personalabgaben verbucht, und deswegen wird das so gemacht, weil man nicht will, dass die Menschen sehen, wie hoch ihre komplette Belastung mit den Soziallasten ist. Es wäre viel vernünftiger, mit den Menschen ehrlich umzugehen und ihnen zu sagen, wie hoch die Lasten sind, damit man da auch die Bereitschaft wecken kann, an die Kerne des Problems ranzugehen, und die sind eben familienpolitischer Natur.
Liminski: Also gehören die sozialen Sicherungssysteme insgesamt auf den Prüfstand, statt sie mit einem neuen Element, eben diesem zusätzlichen Kapitalpfeiler zu versehen?
Borchert: Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Jahre 2000/2001 die Mühe gemacht, intensivst in diese Problematik der sogenannten demografischen Entwicklung einzusteigen, und das Urteil, was dann am 3. April 2001 gefällt wurde, ist ja nach Anhörung von Sachverständigen gefällt worden. Und da ist der Kern dieses Urteils die Aussage, dass man hier ansetzen muss: Die Kindererziehung eben als das Element werten, was der Sozialversicherung, was der sozialen Stabilität in diesem Lande überhaupt erst das Fundament verschafft. Alles, was im Augenblick mit angedacht wird, bedeutet das Umrücken von Möbeln und das anders Streichen von Tapeten oder Umhängen von Gardinen, während das Fundament des Ganzen weggespült wird. Deswegen muss man immer wieder daran erinnern: Die Familienpolitik ist der Dreh- und Angelpunkt für eine vernünftige Pflegepolitik in der Zukunft.
Liminski: Herr Borchert, wäre eine Möglichkeit, privat, wer kann, eine Reserve anzulegen, wenn man den staatlichen Institutionen oder den Versicherungen, überhaupt der Zukunft des Staates nicht mehr so recht traut?
Borchert: Das private Anlegen nützt Ihnen ja nur dann etwas, wenn die Anlagemöglichkeiten im Lande vorhanden sind, und solange wir den qualifizierten Nachwuchs nicht haben, der die Produktivität sichert, dass aus diesen gesparten Geldern später auch eine vernünftige Rendite fließen kann, solange nützt das private Sparen überhaupt nichts.