Bettina Klein: Die NATO hat in Libyen auch gestern Angriffe aus der Luft gegen Ziele geflogen, die mit Staatschef Gaddafi in Verbindung gebracht werden. Sind die Angriffe vom UNO-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung gedeckt? – So sehr bis heute Kritik an den NATO-Einsätzen geübt wird, so klar scheint nach Meinung von Beobachtern vor Ort zu sein, dass ohne sie Gaddafi noch im Amt wäre.
In Treue fest verbunden noch immer mit dem libyschen Diktator Gaddafi, das gilt für die Afrikanische Union. Sie wartet offenbar bis zum letzten Moment, bis sie sich von Gaddafi lossagt. Er könnte ja doch noch zurückkehren, so wird spekuliert. Der libysche Übergangsrat der Rebellen wird jedenfalls von der Afrikanischen Union nicht anerkannt.
Über die Situation in Libyen möchte ich jetzt sprechen mit dem Nahost-Experten und Publizisten Michael Lüders. Ich grüße Sie.
Michael Lüders: Schönen guten Tag, Frau Klein.
Klein: Es gab oder gibt weiter Luftangriffe auf Hochburgen Gaddafis. Welche Rolle spielt die NATO im Augenblick dort?
Lüders: Die NATO versucht jetzt, so schnell wie möglich das Ende Gaddafis herbeizuführen. Aber ich denke, sie wäre auch gut beraten, ihr Engagement so bald wie möglich einzustellen, denn wenn der Eindruck entsteht, dass die libysche Revolution, der libysche Aufstand allzu sehr mit der NATO zusammenhängt und ihren Luftangriffen, dann wird das eine schwere Bürde werden für die politische Neuordnung in Libyen.
Es ist ja klar, dass ohne die NATO diese Rebellen niemals in der Lage gewesen wären, in die Hauptstadt Tripolis einzumarschieren, aber dennoch: Jetzt ist die Zeit gekommen, die Libyer auch selbst ihre Geschäfte regeln zu lassen. Es ist ja auch interessant, dass die Übergangsregierung weniger auf eine militärische Lösung setzt, um die letzte größere, noch in der Hand von Gaddafi-Getreuen befindliche Stadt Sirte zu erobern, sondern vielmehr auf Verhandlungen.
Klein: Aber es muss jetzt noch so lange diese Einsätze geben, bis Gaddafi tatsächlich weg ist? Dem würden Sie schon zustimmen?
Lüders: Es ist auf jeden Fall zu befürchten, dass Gaddafi, wenn er nicht endgültig ausgeschaltet wird, immer wieder versuchen wird, aus dem Hintergrund eine terroristische Aktion zu orchestrieren, die die Übergangsregierung destabilisieren würde. Einer der Gründe dafür, dass die NATO den libyschen Rebellen zur Hilfe gekommen ist, ist ja der, dass man sich darüber im klaren war, dass mit Gaddafi ein Staat, ein künftiger Staat nicht zu machen sein würde, dass er sich rächen könnte an den Europäern für deren Ablehnung seiner Politik, und man will hier nun wirklich sicher gehen, dass der Mann ein für allemal ausgeschaltet wird, sei es, dass er vor Gericht landet, oder eben im Kampf stirbt.
Klein: Sie haben es gerade noch mal angesprochen, was ja schon seit Monaten eigentlich diskutiert wird: Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass dies eine Revolution von außen war, von der NATO gesteuert. Tatsache ist ja aber, dass es ohne diese NATO-Angriffe, diesen Einsatz nicht ein Ende des Gaddafi-Regimes gegeben hätte. Also das eine ist doch nicht ohne das andere zu haben gewesen. Muss man das nicht auch in aller Klarheit immer wieder dazu sagen?
Lüders: Auf jeden Fall! Das ist ganz eindeutig, dass es ohne den NATO-Einsatz den Rebellen sehr schlecht ergangen wäre. Der Beginn dieses Einsatzes hing ja damit zusammen, dass die Aufständischen in Bengasi damals an die internationale Staatengemeinschaft sich gewendet hatten mit der dringenden Bitte, dass man ihnen helfe, andernfalls würden Gaddafis Truppen in Bengasi ein Massaker anrichten.
Die NATO hat reagiert, auch sehr zurecht reagiert, wie ich meine, aber nichtsdestotrotz: Ohne NATO-Einsatz wäre dieser Aufstand nicht erfolgreich gewesen, der sich sehr schnell dann auch von der NATO gelöst hat.
Das grundsätzliche politische Problem ist natürlich die Frage, in welchen Ländern interveniert die NATO und wenn ja, aus welchen Gründen: Warum interveniert man in Libyen, warum interveniert man nicht im Jemen, oder beispielsweise in Syrien?
Und die Antwort lautet nüchtern gesehen, dass es hier natürlich nicht allein um die Wahrung von Menschenrechten, oder die Verteidigung internationalen Rechtes ging. In Libyen haben sich die Dinge für die Rebellen günstig gefügt. Geopolitisch spielt Libyen bei weitem nicht die Rolle wie etwa Syrien. Deswegen konnte die NATO hier relativ problemlos intervenieren, auch Russland und China konnte man auf die westliche Seite ziehen, aber das war gewissermaßen ein einzigartiger geschichtlicher Glücksfall aus Sicht der Rebellen. Es wird sicherlich nicht davon auszugehen sein, dass die NATO noch einmal Lust verspüren wird, irgendwo auf der Welt Rebellen militärisch zur Seite zu stehen.
Klein: Ja. – Ich würde ganz gerne kurz noch dabei bleiben. Sie haben den Hilferuf der arabischen Staaten angesprochen im Frühjahr oder zu Beginn des Jahres, die UNO-Resolution. Was ist denn auf der anderen Seite von einem Satz zu halten, den wir heute Morgen hier im Programm bei uns vom Sicherheitsexperten und früheren Staatssekretär Walther Stützle gehört haben, der gesagt hat, die NATO habe einen Krieg in Libyen angezettelt?
Lüders: Ich glaube, dass das in der Sache keine Aussage wäre, die zuträfe. Die Aufständischen waren ein Teil der arabischen Revolution, die nun seit Monaten die gesamte Region erschüttert. Sie sind Teil einer historischen Umbruchbewegung. Und in dieser Situation standen sie vor der Alternative, entweder massakriert zu werden, oder aber die NATO und die Arabische Liga um Hilfe zu bitten.
Sie haben letzteres getan. Die NATO hat sich hier engagiert, ist dabei teilweise auch weit über das ursprüngliche UN-Mandat hinausgegangen. Aber nichtsdestotrotz: die Behauptung, dass die NATO diesen Krieg nun angezettelt habe, erscheint doch sehr abwegig. Ohne Intervention der NATO, ohne einen Aufstand der libyschen Rebellen wäre Gaddafi niemals von der Macht zu vertreiben gewesen.
Klein: Wie viel Gewicht hat denn die Kritik, oder muss die Kritik haben, dass, was Sie gerade angedeutet haben, eben diese Luftangriffe zum Beispiel, wo möglich oder tatsächlich nicht von dem UNO-Mandat gedeckt sind?
Lüders: Das ist alles eine Frage der Interpretation. Natürlich: Ursprünglich wollte ja die UN-Resolution die Menschen in Libyen schützen, aber die Frage ist natürlich, wie interpretiert man ein solches Mandat, sind Angriffe auf zivile Einrichtungen oder auf Bab al-Asisija, den Wohnkomplex von Gaddafi, sind die vom Völkerrecht gedeckt. Darüber kann man jetzt endlos streiten und diskutieren.
Es ist auch ganz klar, dass die westlichen Staaten, die NATO-Partner sich eins waren in der Zielsetzung, nicht allein die libyschen Zivilisten zu schützen, sondern Gaddafi zu stürzen, und man kann in der Tat die Frage stellen: Ist man da nicht zu weit gegangen?
Ganz eindeutig war die Bewaffnung libyscher Rebellen nicht gedeckt durch das Mandat der Vereinten Nationen. Hier hat sich also eine eigene Dynamik entwickelt und klar ist auch, dass weder Franzosen, noch Briten allein aus Selbstlosigkeit geholfen hätten. Die Briten und die Franzosen haben aber anders als die Deutschen viel früher verstanden, was dort in der Region passiert, und die Franzosen insbesondere waren daran interessiert, ihre Schwarte wett zu machen, nämlich noch drei Tage vor dem Weggang des tunesischen Diktators der dortigen Polizei Hilfe anzubieten. Da hat Sarkozy rechtzeitig erkannt, dass er einen Fehler gemacht hat, und er hat umgeschwenkt, während man in Berlin bis heute noch nicht so richtig begriffen hat, was eigentlich die arabische Revolution bedeutet und wie notwendig es wäre, eine gemeinsame europäische Politik zu formulieren, die maßgeblich mitgetragen wird auch von Berlin. Man hat den Eindruck, dass diese Bundesregierung sich für die arabische Revolution schlicht und ergreifend nicht interessiert.
Klein: Die Einschätzung des Publizisten und Nahost-Experten Michael Lüders. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
In Treue fest verbunden noch immer mit dem libyschen Diktator Gaddafi, das gilt für die Afrikanische Union. Sie wartet offenbar bis zum letzten Moment, bis sie sich von Gaddafi lossagt. Er könnte ja doch noch zurückkehren, so wird spekuliert. Der libysche Übergangsrat der Rebellen wird jedenfalls von der Afrikanischen Union nicht anerkannt.
Über die Situation in Libyen möchte ich jetzt sprechen mit dem Nahost-Experten und Publizisten Michael Lüders. Ich grüße Sie.
Michael Lüders: Schönen guten Tag, Frau Klein.
Klein: Es gab oder gibt weiter Luftangriffe auf Hochburgen Gaddafis. Welche Rolle spielt die NATO im Augenblick dort?
Lüders: Die NATO versucht jetzt, so schnell wie möglich das Ende Gaddafis herbeizuführen. Aber ich denke, sie wäre auch gut beraten, ihr Engagement so bald wie möglich einzustellen, denn wenn der Eindruck entsteht, dass die libysche Revolution, der libysche Aufstand allzu sehr mit der NATO zusammenhängt und ihren Luftangriffen, dann wird das eine schwere Bürde werden für die politische Neuordnung in Libyen.
Es ist ja klar, dass ohne die NATO diese Rebellen niemals in der Lage gewesen wären, in die Hauptstadt Tripolis einzumarschieren, aber dennoch: Jetzt ist die Zeit gekommen, die Libyer auch selbst ihre Geschäfte regeln zu lassen. Es ist ja auch interessant, dass die Übergangsregierung weniger auf eine militärische Lösung setzt, um die letzte größere, noch in der Hand von Gaddafi-Getreuen befindliche Stadt Sirte zu erobern, sondern vielmehr auf Verhandlungen.
Klein: Aber es muss jetzt noch so lange diese Einsätze geben, bis Gaddafi tatsächlich weg ist? Dem würden Sie schon zustimmen?
Lüders: Es ist auf jeden Fall zu befürchten, dass Gaddafi, wenn er nicht endgültig ausgeschaltet wird, immer wieder versuchen wird, aus dem Hintergrund eine terroristische Aktion zu orchestrieren, die die Übergangsregierung destabilisieren würde. Einer der Gründe dafür, dass die NATO den libyschen Rebellen zur Hilfe gekommen ist, ist ja der, dass man sich darüber im klaren war, dass mit Gaddafi ein Staat, ein künftiger Staat nicht zu machen sein würde, dass er sich rächen könnte an den Europäern für deren Ablehnung seiner Politik, und man will hier nun wirklich sicher gehen, dass der Mann ein für allemal ausgeschaltet wird, sei es, dass er vor Gericht landet, oder eben im Kampf stirbt.
Klein: Sie haben es gerade noch mal angesprochen, was ja schon seit Monaten eigentlich diskutiert wird: Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass dies eine Revolution von außen war, von der NATO gesteuert. Tatsache ist ja aber, dass es ohne diese NATO-Angriffe, diesen Einsatz nicht ein Ende des Gaddafi-Regimes gegeben hätte. Also das eine ist doch nicht ohne das andere zu haben gewesen. Muss man das nicht auch in aller Klarheit immer wieder dazu sagen?
Lüders: Auf jeden Fall! Das ist ganz eindeutig, dass es ohne den NATO-Einsatz den Rebellen sehr schlecht ergangen wäre. Der Beginn dieses Einsatzes hing ja damit zusammen, dass die Aufständischen in Bengasi damals an die internationale Staatengemeinschaft sich gewendet hatten mit der dringenden Bitte, dass man ihnen helfe, andernfalls würden Gaddafis Truppen in Bengasi ein Massaker anrichten.
Die NATO hat reagiert, auch sehr zurecht reagiert, wie ich meine, aber nichtsdestotrotz: Ohne NATO-Einsatz wäre dieser Aufstand nicht erfolgreich gewesen, der sich sehr schnell dann auch von der NATO gelöst hat.
Das grundsätzliche politische Problem ist natürlich die Frage, in welchen Ländern interveniert die NATO und wenn ja, aus welchen Gründen: Warum interveniert man in Libyen, warum interveniert man nicht im Jemen, oder beispielsweise in Syrien?
Und die Antwort lautet nüchtern gesehen, dass es hier natürlich nicht allein um die Wahrung von Menschenrechten, oder die Verteidigung internationalen Rechtes ging. In Libyen haben sich die Dinge für die Rebellen günstig gefügt. Geopolitisch spielt Libyen bei weitem nicht die Rolle wie etwa Syrien. Deswegen konnte die NATO hier relativ problemlos intervenieren, auch Russland und China konnte man auf die westliche Seite ziehen, aber das war gewissermaßen ein einzigartiger geschichtlicher Glücksfall aus Sicht der Rebellen. Es wird sicherlich nicht davon auszugehen sein, dass die NATO noch einmal Lust verspüren wird, irgendwo auf der Welt Rebellen militärisch zur Seite zu stehen.
Klein: Ja. – Ich würde ganz gerne kurz noch dabei bleiben. Sie haben den Hilferuf der arabischen Staaten angesprochen im Frühjahr oder zu Beginn des Jahres, die UNO-Resolution. Was ist denn auf der anderen Seite von einem Satz zu halten, den wir heute Morgen hier im Programm bei uns vom Sicherheitsexperten und früheren Staatssekretär Walther Stützle gehört haben, der gesagt hat, die NATO habe einen Krieg in Libyen angezettelt?
Lüders: Ich glaube, dass das in der Sache keine Aussage wäre, die zuträfe. Die Aufständischen waren ein Teil der arabischen Revolution, die nun seit Monaten die gesamte Region erschüttert. Sie sind Teil einer historischen Umbruchbewegung. Und in dieser Situation standen sie vor der Alternative, entweder massakriert zu werden, oder aber die NATO und die Arabische Liga um Hilfe zu bitten.
Sie haben letzteres getan. Die NATO hat sich hier engagiert, ist dabei teilweise auch weit über das ursprüngliche UN-Mandat hinausgegangen. Aber nichtsdestotrotz: die Behauptung, dass die NATO diesen Krieg nun angezettelt habe, erscheint doch sehr abwegig. Ohne Intervention der NATO, ohne einen Aufstand der libyschen Rebellen wäre Gaddafi niemals von der Macht zu vertreiben gewesen.
Klein: Wie viel Gewicht hat denn die Kritik, oder muss die Kritik haben, dass, was Sie gerade angedeutet haben, eben diese Luftangriffe zum Beispiel, wo möglich oder tatsächlich nicht von dem UNO-Mandat gedeckt sind?
Lüders: Das ist alles eine Frage der Interpretation. Natürlich: Ursprünglich wollte ja die UN-Resolution die Menschen in Libyen schützen, aber die Frage ist natürlich, wie interpretiert man ein solches Mandat, sind Angriffe auf zivile Einrichtungen oder auf Bab al-Asisija, den Wohnkomplex von Gaddafi, sind die vom Völkerrecht gedeckt. Darüber kann man jetzt endlos streiten und diskutieren.
Es ist auch ganz klar, dass die westlichen Staaten, die NATO-Partner sich eins waren in der Zielsetzung, nicht allein die libyschen Zivilisten zu schützen, sondern Gaddafi zu stürzen, und man kann in der Tat die Frage stellen: Ist man da nicht zu weit gegangen?
Ganz eindeutig war die Bewaffnung libyscher Rebellen nicht gedeckt durch das Mandat der Vereinten Nationen. Hier hat sich also eine eigene Dynamik entwickelt und klar ist auch, dass weder Franzosen, noch Briten allein aus Selbstlosigkeit geholfen hätten. Die Briten und die Franzosen haben aber anders als die Deutschen viel früher verstanden, was dort in der Region passiert, und die Franzosen insbesondere waren daran interessiert, ihre Schwarte wett zu machen, nämlich noch drei Tage vor dem Weggang des tunesischen Diktators der dortigen Polizei Hilfe anzubieten. Da hat Sarkozy rechtzeitig erkannt, dass er einen Fehler gemacht hat, und er hat umgeschwenkt, während man in Berlin bis heute noch nicht so richtig begriffen hat, was eigentlich die arabische Revolution bedeutet und wie notwendig es wäre, eine gemeinsame europäische Politik zu formulieren, die maßgeblich mitgetragen wird auch von Berlin. Man hat den Eindruck, dass diese Bundesregierung sich für die arabische Revolution schlicht und ergreifend nicht interessiert.
Klein: Die Einschätzung des Publizisten und Nahost-Experten Michael Lüders. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.