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Honorée Fanonne Jeffers
„Great American Novel“ aus Schwarzer und weiblicher Perspektive

Die Geschichte einer jungen Schwarzen Frau und zugleich die Geschichte der Schwarzen in den USA: nichts Geringeres hat Honorée Fanonne Jeffers sich in ihrem Debütroman „Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“ vorgenommen. Das Ergebnis sind tausend fesselnde Seiten.

Von Julia Schröder |
Honorée Fanonne Jeffers: „Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois“
Barack Obama und Oprah Winfrey waren begeistert, als Honorée Fanonne Jeffers' „Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois“ im Jahr 2021 im Original erschien. (Foto: © Sydney A. Foster / Piper Verlag, Buchcover: Piper Verlag)
„Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“ – der Titel dieses Romans lässt eher schwere Kost als Schmökervergnügen erwarten. Selbst oder vielleicht gerade dann, wenn man weiß, dass es sich bei William Edward Burghardt Du Bois um den einflussreichsten afroamerikanischen Gelehrten und Publizisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts handelt, den Begründer einer Soziologie und Geschichtsschreibung der Schwarzen in den Vereinigten Staaten und Übervater des antirassistischen Kampfs um Emanzipation und Bürgerrechte.
Tatsächlich kommt dem 1963 gestorbenen Du Bois im Romandebüt der 1967 geborenen Lyrikerin Honorée Fanonne Jeffers große Bedeutung zu, nicht nur, weil jedem der elf Kapitel dieses fast tausendseitigen Buchs ein Zitat aus dessen Hauptwerken vorangestellt ist. So, gleich zu Anfang, aus seiner Essaysammlung „The Souls of Black Folk“ von 1903:
„Sie, die im Finstern wandelten, sangen Lieder in den alten Zeiten – Klagelieder –, denn sie waren müde im Herzen. Und daher habe ich jedem Gedanken, den ich hier niederschreibe, eine musikalische Phrase vorangestellt, ein bleibendes Echo dieser magischen alten Lieder, aus denen die Seele des schwarzen Sklaven zu den Menschen sprach.“
Du Bois benannte darin erstmals das Problem des „double consciousness“: die Tatsache, dass Afroamerikaner in den USA sich selbst durch die Augen einer rassistischen weißen Gesellschaft wahrnehmen. Die Auseinandersetzung damit grundiert auch die „Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“, aber es kommt etwas Wichtiges hinzu. Das sind die Frauen, die in diesem Buch die Hauptrolle spielen. Dass Jeffers das Kunststück gelingt, die „Great American Novel“ aus Schwarzer wie aus weiblicher Perspektive neu zu definieren und dabei, so viel sei vorweggenommen, durchgehend zu fesseln, ist diesen Frauenfiguren zu verdanken.

Sommer im ländlichen Georgia

Jeffers‘ Ich-Erzählerin Ailey Pearl Garfield wächst im Norden der USA auf und verbringt die Sommer der Siebziger- und Achtzigerjahre im Süden, im ländlichen Georgia:
„Als ich klein war, hatte ich meine Erwartungen an die Jahreszeiten. Der Sommer war für den Spaß da: Die Fahrt mit meiner Mutter und meinen Schwestern auf der Interstate nach Chicasetta und der Blick auf den Pfirsichpo bei Gaffney in South Carolina. Der hohe Wasserturm, der aussehen sollte wie eine reife Frucht, aber stattdessen aussah wie irgendwems Arsch. Das Unkrautrupfen mit meiner Granny, meinen Schwestern und manchmal Tante Pauline, und das abendliche Zusammensitzen auf der Veranda. Das Herumrennen zwischen den Pfirsich- und Pekannussbäumen, den Zedern, Kiefern und Eichen. […] Ich war frei.“
In der fiktiven Kleinstadt Chicasetta lebt die Familie von Aileys Mutter Belle seit Jahrhunderten auf einer Farm, einer früheren Plantage, wo ihre Vorfahren als Sklaven schufteten. Als junge Frau ist Belle Anfang der Sechziger zum Studieren nach Norden gegangen, in die nicht näher bezeichnete „Stadt“, und hat einen Sohn aus bourgeoisem Schwarzem Elternhaus geheiratet. Dessen Mutter trägt Chanelkostüm und weiße Handschuhe und ist von Stolz auf ihre helle Haut erfüllt. Sie verachtet ihre Schwiegertochter Belle, weil diese dunkel ist und weil sie die Küche des Schwarzen Südens mitgebracht hat.

Schreckliche Samstage mit dem Großvater

Just diese dünkelhafte Großmutter, genannt Nana, ist womöglich mitverantwortlich für das Trauma, das Aileys Kindheit und Jugend überschattet.
„Unter der Woche, zu Hause mit meinen Schwestern und Eltern, fühlte ich mich geborgen. Aber am Wochenende gab es die Stunden, die ich im Haus der Eltern meines Vaters verbrachte. Diese schrecklichen Samstage, wenn Miss Delores ihren halben Tag freinahm und Nana shoppen ging. Wenn diese Frauen mich Gandee auslieferten und den Bädern, die er für uns einließ. Wenn er mir drohte, dass er jeden töten würde, den ich liebte, sollte ich je irgendwem erzählen, was er mit mir machte.“
Der Missbrauch durch den Großvater, von dem die Eltern nichts erfahren dürfen, wird Ailey bis ins Erwachsenenalter prägen und ihre älteren Schwestern mindestens so sehr. Die mittlere büffelt an der Ivy-League-Uni und schafft den Anschluss an ein urbanes Milieu durch stählerne Härte gegenüber sich selbst, die älteste, ein ebenso kluges wie schönes Mädchen, versucht den Ausbruch auf andere Weise und richtet sich am Ende mit Drogen zu Grunde. Das liebevolle Elternhaus, wie es die kleine Ailey erlebt hat und die jugendliche Ailey erinnert, hat ebenso seine Bruchstellen und Schmerzpunkte wie das Familienleben im Süden.

Auf den Spuren von Alice Walker

Vieles davon erkennt Ailey wieder in ihren Lieblingslektüren, den Romanen Schwarzer Autorinnen wie Zora Neale Hurston, Toni Morrison und Alice Walker. Klassische Topoi, die aus deren Büchern bekannt sind, versammelt auch Honorée Fanonne Jeffers in ihrem Roman: Diskriminierung, die schwierige Emanzipation von rassistischen Stereotypen, sexualisierte Gewalt in der Familie und der Community, aber auch weibliche Selbstverachtung und den Colorism innerhalb Schwarzer Gemeinschaften, der genau abschätzt, wie hell oder dunkel eine Person of Color ist.
Eine Erfahrung, von der der afroamerikanische Gelehrte W. E. B. Du Bois ebenfalls berichtete. In einer 1936 erschienenen Zeitungs-Kolumne schrieb er:
„Ein prominenter Schwarzer, der weiß aussah und der zu neun Zehnteln oder mehr weißer Abstammung war, heiratete eine prominente weiße Frau, deren einwandfreier Charakter außer Frage stand. Und dennoch weigerten sich die farbigen Freunde und Verwandten des Paares, es zu besuchen, und zwar ohne jeden Grund, denn sie selbst waren es, die stets argumentiert hatten, dass der Mann das Recht hatte zu heiraten, wen er wollte, ungeachtet der Grenzen der Hautfarbe.“
Wie viel Jeffers‘ Romandebüt dem Denken von Du Bois verdankt, wird bereits bei der Lektüre dieser Kolumnen deutlich. Im Unterschied zum Großteil seiner Arbeiten liegen sie seit kurzem in deutscher Übersetzung vor. Entstanden sind sie während einer ausgedehnten Reise durch Hitler-Deutschland im Jahr der Olympischen Spiele. Du Bois, erschüttert von der Judenverfolgung, erlebt mit, wie ein nicht auf der Hautfarbe basierender Rassismus funktioniert, während man ihm, dem Schwarzen Gelehrten, respektvoll und ohne Vorbehalte zu begegnen scheint. Vor dieser Folie erweitert er seine Theorie, dass Rassismus grundsätzlich seinen Gegenstand „nicht vorfindet, sondern er-findet“, wie es im Nachwort des Herausgebers heißt.

Sexismus in der Bürgerrechtsbewegung

Dieser Befund wird auf unterschiedlichste Weise lebendig in der Fülle einprägsamer Haupt- und Nebenfiguren in Jeffers‘ „Liebesliedern von W. E. B. Du Bois“. Allen voran gilt das für Aileys Eltern. Ein ganzes Kapitel schildert, was sie in der Bürgerrechtsbewegung der Sechziger, in den Jahren vor Aileys Geburt, erlebt haben. Geschmackliche und erotische Verirrungen ihres nachmaligen Vaters inbegriffen, der unter dem Einfluss eines mit mehreren Frauen lebenden „Brothers“ sein neu erwachtes Schwarzes Selbstbewusstsein mit afrikanischen Gewändern dekoriert und mit einer attraktiven „Sister“ rumgemacht hat, während seine Ehefrau den Aktivisten und seinen Harem verköstigen durfte.
„,Es ist mein Job, meine Familie zu versorgen. Aber für einen wildfremden Negro zu kochen, der es mit drei kleinen Dummchen treibt? Das war nicht ausgemacht,‘
,Wir sind Afrikaner, Belle. Im Mutterland ist Polygamie ganz normal.‘
,Soweit ich weiß, leben wir da aber nicht mehr. Gerade deine Familie ist da ziemlich lange nicht mehr gewesen, würde ich sagen.‘
,Ich kann nichts dafür, dass ich hellhäutig bin, Belle. Ich wurde so geboren.‘“
Kontrastfiguren sind die Church Ladys in Chicasetta, Georgia, Aileys alte Verwandte auf der Farm und ihre Nachbarinnen, die keine Sonntagspredigt verpassen und den Jungen nichts durchgehen lassen. Die nächste Generation repräsentieren Aileys Mitschülerinnen, ihre Kommilitoninnen am College und später an der Universität. Unter ihnen werden Fragen von Race, gesellschaftlichem Status und erwünschtem Sexualverhalten mindestens so rücksichtslos ausgehandelt wie unter den Jugendfreunden und ersten Verehrern des heranwachsenden Mädchens.
Schließlich ist da Aileys Urgroßonkel, der zu ihrem Mentor wird. Als junger College-Student in den Zwanzigerjahren war er dem von ihm lebenslang verehrten Du Bois persönlich begegnet. Dass diese wichtige Figur den sprechenden Spitznamen „Root“ trägt, darf man getrost als Verbeugung vor einem Buch deuten, das 1976 die Geschichte der Sklaverei in den USA in Romanform erzählte: Alex Haleys erfolgreich verfilmten Klassiker „Roots“.

Das Scharnier der ganzen Konstruktion

Onkel Root, vielleicht der am liebevollsten geschilderte Charakter in Jeffers‘ Roman, hat viele Jahrzehnte als Geschichtsprofessor gearbeitet und gibt letztlich den Ausschlag, dass Ailey Pearl Garfield nicht, wie geplant, Ärztin wird, sondern als Historikerin ­– wie Alex Haley vor mehr als vier Jahrzehnten – in ihre eigene Familiengeschichte eintaucht.
„(…) als ich schließlich anfing, in das Forschungsmaterial einzutauchen, hatten die Geschichten der Menschen zu mir gesprochen. Ganz gleich, wie trocken die Sprache der Bücher und Aufsätze auch war, ich konnte die Menschen in Gedanken vor mir sehen. Ihre altmodische Kleidung aus Wolle, ihre hochgeschnürten Stiefel. Ich legte ihnen Stimmen in den Mund und formte die Worte, die sie womöglich sagten. Aber sie waren keine Romanfiguren. Sie waren echte Menschen.“
Diese Wendung ist das entscheidende Scharnier in der Konstruktion des Romans. Jeffers verflicht nämlich zwei Zeitebenen und lässt nach und nach sichtbar werden, wie eng beide zusammenhängen. Die eine ist Aileys Gegenwart. Sie umfasst gut dreißig Jahre von ihrer Kindheit und Jugend bis ins neue Jahrtausend, ihr Coming of Age und schließlich ihren Weg in die historische Forschung in den Old South Collections, also den Archiven, in denen die Geschichten der Sklavenhalter wie der Versklavten dokumentiert sind. Die andere Handlungsebene der „Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“ schreitet mit ungleich größeren Schritten voran. Auch sie reicht bis in die Gegenwart, aber sie beginnt in den Zeiten der indigenen Creek, der Landnahme durch weiße Europäer und der Hoch-Zeit des westafrikanischen Sklavenhandels.  

Aus dem Dunkel der Geschichte

Diese Zeitebene bekommt ihren Raum in acht Abschnitten, die sich deutlich von den anderen Romankapiteln unterscheiden. Jeffers nennt sie „Songs“. In einem ganz anderen Ton ruft sie da ins Dunkel der Geschichte und lässt einen chthonischen Chor besingen, was niemand mehr wissen, allenfalls träumen kann.
„Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten. An ihre Vorfahren, ihren Boden, ihre Bäume, ihr Wasser.“
Es beginnt mit einem entflohenen Sklaven, einem Coromantee, in Afrika geboren und über den Atlantik verschleppt. Anfang des 18. Jahrhunderts findet er in einem Clan der Creek Zuflucht und eine Frau. Die Nachfahrin dieser Verbindung heiratet Generationen später einen Schotten, der sich, wie so viele Europäer, das Land der Creek unter den Nagel reißt. Und bald hat er, dank der nun überall erlaubten Sklavenhaltung und dank der neuen Baumwollverarbeitungsmaschinen, seine eigene florierende Plantage.
„Die Eindringlinge im Land waren keine Engländer mehr und keine Schotten, denn es war eine Revolution durchgefochten worden. Sie waren jetzt ,Amerikaner‘, waren ,Weiße‘, und für die Creek mochte weiß Frieden symbolisieren, für die Eindringlinge aber nicht. Und jene, die Coromantee oder Igbo oder Wolof oder Fulbe geheißen hatten, waren jetzt ,Negroes‘ oder ,Sklaven‘. Und die Creek waren jetzt ,Indianer‘ (…) und unser Land hieß nicht mehr, wie die Leute es nannten. Die weißen Männer nannten uns jetzt ,Georgia‘.“
Auf dieser Plantage leben und leiden Aileys Vorfahren für Generationen, auf den Feldern, in den Sklavenhütten, in der Küche des Herrenhauses. Die „Songs“ erzählen von diesen Vorfahren in scheinbar einfacher chronologischer Anordnung, manchmal in biblisch anmutenden Ahnentafeln. Sie erzählen von himmelschreiendem Unrecht: von der Vertreibung der indigenen Stämme, den vielfach gebrochenen Verträgen der Weißen, der Sklaverei. Sie erzählen davon, wie profitabel dieses Unrecht war, das darauf basierte, Menschen zu berauben und auszurotten, sie als Arbeitstiere zu sehen und zu behandeln, sie zu verkaufen, auszupeitschen, zu vergewaltigen. Die „Songs“ erzählen, wie mit dem Ende der Sklaverei nach dem Bürgerkrieg nicht unbedingt bessere Zeiten für die Freigelassenen anbrachen, wie die zu kurz Gekommenen unter den Weißen sie fortan zu Sündenböcken machten für alles, was ihnen vorenthalten wurde.

Familiengeheimnis im Archiv

Vor allem erzählen diese Kapitel von der Überlebenskraft der Frauen in den Sklavenquartieren, angefangen bei einer Ahnfrau, die mehr sieht als andere Menschen und in Träumen durch die Zeiten reist. Nach und nach wird in den „Songs“ ein Familiengeheimnis offenbar, auf das auch Ailey in ihrer Forschung stößt, in Hausbüchern, historischen Fotografien und Briefen, in Zeitzeugengesprächen mit ihren ältesten Verwandten, die sie auf Tonband dokumentiert.
Damit finden die beiden Handlungsstränge zusammen. Und so schmerzlich es für Ailey ist, in den Archiven den Spuren all der Grausamkeit und all des Leids zu folgen, findet sie damit doch Antworten auf schmerzhafte Leerstellen in ihrem eigenen Leben. Auch wenn am Ende alles sich wieder öffnet:
„Ich verstehe, dass die Geschichte bald zu Ende sein wird. Dass ich aufwachen werde, mit einer Frage. Und dann noch einer weiteren, aber die Frage ist, was ich wollte. Die Frage ist der Punkt. Die Frage ist mein Atem.“
„Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“ wurden in den USA als epochaler Roman gefeiert. Zu Recht. Honorée Fanonne Jeffers reicht hier an das heran, womit Autorinnen und Autoren vor ihr Maßstäbe in der Schwarzen Literatur gesetzt haben, und wandelt in deren großen Fußstapfen mit bewunderungswürdigem Mut. Der Erfolg des Originals hat aber auch mit der Sprache des Romans zu tun, genauer gesagt, damit, wie die Autorin die unterschiedlichen Varietäten des amerikanischen Englisch einsetzt. Anders als etwa Alice Walker in der „Farbe Lila“ lässt Jeffers ihre Schwarzen Figuren, die sich selbst als „black“ ebenso wie als „Negro“ bezeichnen, nicht durchgehend die Schwarze Umgangssprache, das African American Vernacular English sprechen. Ihre Ich-Erzählerin Ailey, deren Eltern und Prägefiguren sind Angehörige einer afroamerikanischen, bürgerlichen Bildungsschicht. Sie beherrschen das Black American English, aber sie benutzen es nur in bestimmten Situationen. So wird Ailey als Kind von ihrer Mama ermahnt, korrekt, also Standard English, zu sprechen. Die Verwandten auf der Farm in Georgia hingegen, ebenso die „Brothers“ und „Sisters“ in der städtischen Black-Power-Bewegung markieren mit dem Schwarzen Soziolekt ihre Reviere und grenzen sich damit von den Weißen ab.

Probleme des Übersetzens

In der deutschen Übersetzung sind diese feinen Unterschiede nicht vollständig zu repräsentieren. Die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder stellen das Problem und ihre Lösungsansätze im Nachwort ausführlich dar.
„(…) stets droht die Gefahr, dass von dem ursprünglich alternativen Englisch im Deutschen entweder gar nichts mehr zu erkennen ist oder ein fehlerhaftes, ja schlechtes Stummeldeutsch, das die Schwarzen Figuren ungebildet und einfältig klingen lässt.“
Die Übersetzerinnen haben sich entschieden, spezifische Begriffe des heutigen Black American English ebenso wie überkommene Jargon-Bezeichnungen aus der Zeit der Sklaverei nicht zu übersetzen, wie Honky oder Cracker für Weiße oder Pickaninny für armes, kleines, schwarzes Würmchen. Ihr Glossar im Anhang ist deshalb für das Verständnis des Romans mindestens so wichtig wie das Verzeichnis der Personen und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse. Um, wie sie schreiben, einen Eindruck von Sprachfärbung und Sound zu geben, lassen sie zuweilen ganze Original-Phrasen im übersetzten Text stehen. Etwa, als Mitte der Sechzigerjahre Aileys Mutter mit ihrer eigenen Mutter in Georgia telefoniert:
„,Nennen sich die Leute bei euch im Süden jetzt irgendwie anders als ,Negroes‘?‘
,Wie denn anders, Baby?‘
,Na, Schwarze?‘
,Warum sollten sie? That ain‘t a nice thing to call nobody.‘“
Das ist ein meist gut funktionierender Behelf. Den ganzen Reiz des Originals, die Registerwechsel, die subtile Entwicklung des Erzähltons im Lauf von Aileys Erwachsenwerden etwa, kann diese Übersetzung jedoch nicht vermitteln, ebenso wenig die lapidare Einfachheit der „Songs“, deren mal nach Altem Testament, mal nach Gospel, mal nach Legende klingenden Sound. Gerade da werden ohne Not besonders umständliche Formulierungen gewählt, wie etwa „fasste den Beschluss“ für ein simples „decided“, und wo Jeffers schreibt „she was taken aback by her feelings“, wirkt die deutsche Fassung „überkamen sie ungeahnte Gefühle“ nicht archaisch, sondern angestaubt.
Doch trotz der kleinen Mängel eröffnet auch die Lektüre der Übersetzung dieses schon im Umfang monumentalen Werks eine neue Perspektive auf die Gegenwart und auch auf die Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten. Honorée Fanonne Jeffers liefert nicht nur spannenden und bewegenden Lesestoff. Vielmehr gelingt ihr die historische Korrektur einer weiß dominierten Wahrnehmung und damit letztlich die Umkehrung des von Du Bois beschriebenen „double consciousness“. Wer „Die Liebeslieder des W. E. B. Du Bois“ gelesen hat, darf nicht nur Amerika künftig mit etwas anderen Augen sehen.
Honorée Fanonne Jeffers: „Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“
Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch und Gesine Schröder
Piper Verlag, München
968 Seiten, 28 Euro.
W. E. B. Du Bois: „Along the color line”. Eine Reise durch Deutschland 1936
Herausgegeben von Oliver Lubrich. Aus dem Englischen von Johanna von Koppenfels
C. H. Beck Verlag, München
168 Seiten, 20 Euro.