Auf einem Parteitag Ende Juni wird die Linke vorzeitig eine neue Führungsspitze wählen, denn am 20. April 2022 hatte die bisherige Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow ihren Rücktritt angekündigt. Sie begründete dies mit unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei, mit persönlichen Motiven, aber auch mit dem Umgang der Linken mit Sexismus in den eigenen Reihen. Dieser habe "eklatante Defizite" der Partei offengelegt. Es geht um mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei.
Seither führt die Co-Vorsitzende Janine Wissler die Linke alleine. Es wurde viel darüber spekuliert, ob auch Wissler hinschmeißen würde. Doch jetzt ist klar: Wissler steht nicht nur bis zum Parteitag als Vorsitzende zur Verfügung, sie will auch darüber hinaus noch an der Spitze bleiben und Ende Juni für den Vorsitz kandidieren.
Obwohl sie bei der letzten Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, zog die Linke als Fraktion in den Bundestag ein. Möglich machte dies die Grundmandatsklausel. Zuletzt hatte die Partei bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland den Einzug in die Parlamente verpasst.
Wie ist der personelle Neuanfang geplant und wer kandidiert?
Normalerweise wäre der Vorstand erst im Februar 2023 neu gewählt worden, das zieht die Partei nun auf den Parteitag Ende Juni vor. Angesichts der schwierigen Lage der Linken sei ein neues Mandat des Parteitages notwendig, hieß es zur Begründung am 24. April.
Dem Vorstand gehören 44 Mitglieder an. Klar ist, dass laut Statuten der Partei zwei Menschen die Linke führen müssen, darunter mindestens eine Frau. Die Partei besetzt diese Doppelspitze stets mit einer Person aus dem Westen und einer Person aus dem Osten. Neben diesem Rahmen existieren auch offene, heimliche oder abgesprochene Versuche, den verschiedenen Strömungen der Partei im Vorstand eine Stimme oder sogar einen Vorteil zu verschaffen. Inzwischen besteht der Linken-Parteivorstand aus 44 Mitgliedern, der Geschäftsführende Vorstand aus zwölf Mitgliedern. Eine Verkleinerung des Vorstands wird immer wieder in Erwägung gezogen, wurde aber zuletzt stets verworfen.
Neben der derzeitigen Bundesvorsitzenden Janine Wissler wird auch Martin Schirdewan, Abgeordneter im Europaparlament, für den Linken-Parteivorsitz kandidieren. Schirdewan ist Co-Fraktionsvorsitzender der Linken im EU-Parlament.
Der sächsische Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann hatte bereits öffentlich bekundet, für den Vorsitz bereitzustehen. Damit muss sich Parteichefin Wissler auf eine mögliche Kampfkandidatur einstellen.
Wer wählt (noch) die Linke?
Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte Die Linke mit 7,8 Prozent der Stimmen ihre besten Werte unter den 18- bis 24-Jährigen. Allerdings verlor sie deutlich an Zustimmung bei den Menschen ab 45, wo sie im Vergleich zu 2017 teilweise um mehr als die Hälfte einbrach.
Dieser Generationenunterschied spiegelt sich auch in den internen politischen Auseinandersetzungen – zum Beispiel in der Frage, welche Rolle die Klimapolitik in der Ausrichtung der Partei spielen sollte.
Eine „Arbeiterpartei“ war die Linke nie, sie konnte allerdings seit 2005 enttäuschte SPD-Wähler und Teile gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer gewinnen. Dieser „Hartz-IV-Effekt“ ließ in den vergangenen Jahren deutlich nach, zumal die SPD und auch die Grünen besonders zur Bundestagswahl 2021 wieder vermehrt linke Forderungen wie eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns stellten. Damit steht die Linke vor der strategischen Frage, welche Rolle sie im gegenwärtigen Parteiensystem einnehmen möchte.
Bei welchen Themenbereichen kann Die Linke in gewissen Wählergruppen punkten?
Wähler und Wählerinnen weisen der Linken grundsätzlich eine hohe Kompetenz bei Sozialthemen und der Vertretung von Belangen der Menschen aus dem Osten Deutschlands zu. Diese Erkenntnis hat in der Partei zu Forderungen geführt, sich wieder auf die „soziale Frage“ und die Belange der „kleinen Leute“ zu konzentrieren.
Die Linke müsse sich aber auch als zeitgemäße Gerechtigkeits- und konsequente Friedenspartei präsentieren, sagte Janine Wissler im Dlf.
Die Partei hat aber auch einen Generationswechsel hinter sich: etwa 14.500 Mitglieder verstarben seit 2011, 14.500 Mitglieder der Generation 60 plus traten aus der Partei aus. Zugleich traten seit damals 21.000 Mitglieder ein, die heute höchstens 40 Jahre alt sind.
Sie stehen für Themen wie Klimapolitik, den Schutz von Minderheiten und Geflüchteten oder Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensformen. Während Sahra Wagenknecht diese Mitglieder als „Lifestyle-Linke“ bezeichnet, versucht der Großteil der Partei, eine „verbindende Klassenpolitik“ zu schaffen, die klassische und moderne Themen vereint. Bislang gelang es aber selten und meist nur in den Städten, mit dieser Strategie auch Wähler und Wählerinnen jenseits der Kernanhängerschaft zu mobilisieren.
Welche thematischen Konflikte gibt es innerhalb der Linken?
Insgesamt hat die Partei viele inhaltliche Konflikte vertagt oder nicht angerührt. Dazu gehört die Haltung zu autoritären Staaten, zu denen eine historische Verbundenheit (Russland) oder eine ideologische Verbundenheit (Venezuela, Kuba) besteht.
Auch die Frage, ob die Linke im Bund auf eine Regierungsbeteiligung hinarbeiten soll, war und ist durchaus umstritten. Nachdem die Ausrichtung auf ein Bündnis mit SPD und Grünen sich im Wahlkampf 2021 jedoch als strategischer Fehler entpuppte, dürfte diese Diskussion zunächst beendet sein.
Welche Rolle die Klimapolitik in der Themenhierarchie spielen soll, ist in der Praxis ebenfalls ungeklärt – wie bei einigen anderen Themen haben Parteivorstand, der sie als Kernthema sieht, und die eher klassisch orientierte Bundestagsfraktion unterschiedliche Ansichten. Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler hat ihre Partei dazu aufgerufen, nicht länger Klimaschutz und Soziale Gerechtigkeit als Gegensätze zu betrachten. Beides gehöre zusammen, sagte sie im Dlf.
Ebenfalls umstritten ist das bedingungslose Grundeinkommen, für das sich Teile der Partei einsetzen. Hier soll in absehbarer Zeit eine Entscheidung per Mitgliederentscheid herbeigeführt werden.
Der Konflikt über den Umgang mit Geflüchteten hingegen gilt vorläufig als befriedet. Hier hatte sich eine Gruppe um die Linken-Prominente Wagenknecht nach 2015 nicht mit der Forderung nach einer restriktiveren Einwanderungspolitik durchgesetzt, die mit der Verhinderung von Lohndumping und Billig-Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt begründet wurde.
Wissler forderte von ihrer Partei weniger öffentlichen Streit und mehr Geschlossenheit. Derzeit gebe es zu viele widersprüchliche Botschaften. Dadurch könne die Linke ihr Potenzial nicht nutzen, sagte sie.