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Die Linke vor dem Bundesparteitag
Geprägt von Auseinandersetzungen

Die große Koalition, der Aufstieg der AfD - all das könnten Steilvorlagen für die Linkspartei sein. Doch seit der Bundestagswahl köchelt der Streit zwischen den Parteichefs und der Fraktionsvorsitzenden immer weiter - und überlagert die Oppositionsarbeit.

Von Falk Steiner |
    Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht, Bernd Riexinger und Katja Kipping sprechen am 17.10.2017 in Potsdam (Brandenburg) nach dem ersten Tag der Fraktionsklausur der Linken zu den Journalisten.
    Die Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im Bundestag, Dietmar Bartsch (l-r) und Sahra Wagenknecht, und die Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping (dpa / Britta Pedersen)
    Eigentlich könnte die Linkspartei am Wochenende in Leipzig feiern. Immerhin hat sie dort, in Westsachsen, für viele überraschend ein Direktmandat gewinnen können. Eine gefühlte Ewigkeit musste Sören Pellmann am 24. September des vergangenen Jahres warten - dann war es klar: 1.200 Stimmen mehr als der bisherige CDU-Wahlkreis-Mandatsträger Thomas Feist. Das brachte der Linken das bundesweit vierte Direktmandat im Wahlkreis Leipzig II ein.
    Doch dafür interessierte sich schon am Wahlabend nur noch eine Minderheit. Denn da brach bereits los, was die Linkspartei seitdem in Atem hält: Sahra Wagenknechts Angriff auf die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Probleme im Zusammenhang mit Migration habe man zu sehr ignoriert, aus Sorge, damit Ressentiments zu schüren.
    "Natürlich müssen wir uns auch fragen, wo wurden wir nicht mehr als Protestpartei wahrgenommen, warum? Haben wir es uns vielleicht auch in der Flüchtlingsfrage wirklich zu einfach gemacht, in den Wahlveranstaltungen. In den Mails der letzten Wochen war das immer ein Thema, wo ich zumindest die Resonanz bekommen habe, das sei der Punkt, warum man uns nicht mehr wählen möchte - und zwar nicht von Menschen, die Rassisten sind, sondern die einfach finden, dass man bestimmte Probleme ansprechen muss."
    Nicht die einzige Breitseite Wagenknechts gegen Katja Kipping und Bernd Riexinger. Der Wahlkampf sei zu wenig auf die beiden Spitzenkandidaten, die Fraktionsvorsitzenden, zugeschnitten gewesen, hieß es etwa.
    Streitfrage: Was ist heute wirklich links?
    Oskar Lafontaine, der wortgewaltige saarländische Linkenchef und Lebenspartner Wagenknechts, geißelte per Facebook zwei Tage nach dem Wahltag die, so Lafontaine, "verfehlte Flüchtlingspolitik", die "das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit außer Kraft" gesetzt habe. Immer wieder stichelte Lafontaine, die Parteivorsitzenden überließen das Antworten in zentralen Fragen meist Gregor Gysi. Gysi wiederum zählt zu Lafontaines langjährigen Kontrahenten.
    Sahra Wagenknecht steht auf einer Bühne und spricht zur Besuchern der Wahlparty der Linken. In der Menge halten Menschen Plakate der Linken hoch. Sicht von oben.
    Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Linkspartei, spricht auf der Wahlparty der Linken am 24.09.2017 in Berlin zum Ausgang der Bundestagswahl 2017 (dpa / Jan Woitas)
    Spätestens seit dem Wahlabend prägen diese Auseinandersetzungen die Linkspartei. Bei einer Klausursitzung der Linken-Bundestagsfraktion im Herbst versuchen Kipping und Riexinger die Revolution gegen Wagenknecht. Und damit auch gegen Dietmar Bartsch, den zweiten Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag neben Wagenknecht. Der Führungsstil der Fraktionsspitze schmeckte in der Vergangenheit auch vielen Abgeordneten nicht - aber der Zweckfriede zwischen den beiden mächtigen Gruppierungen rund um Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht reicht aus, um Kipping und Riexinger in die Schranken zu weisen.
    Geradezu sinnbildlich ist der Moment, als Bernd Riexinger bei der Klausurtagung in Potsdam zuerst das Wort ergreifen will - und Sahra Wagenknecht ihm in die Parade fährt.
    "Also ich darf Sie ganz herzlich begrüßen… Bernd, das ist die Pressekonferenz der Fraktion. Also, ich begrüße Sie auch ganz herzlich."
    Doch bei dem Streit innerhalb der Linken geht es keineswegs nur um Macht und persönliche Interessen. Es geht auch um die inhaltliche und strategische Ausrichtung der Linkspartei. Und die Köpfe, um die es geht, stehen jeweils für unterschiedliche Richtungen. So kreist der Streit in der Partei um die Fragen: Was ist heute wirklich links? Was ist wirklich solidarische Politik?
    Gemeinsamer Leitantrag auf dem Parteitag im Fokus
    Der Fraktions-Ko-Vorsitzende Dietmar Bartsch meint: "Ich bin der Auffassung, dass der Parteitag in einer Sache Klartext sprechen muss. Und ich werde das auf dem Parteitag auch tun: Ein Weiter so, dass wir denjenigen, die uns freundlich oder weniger freundlich begleiten, immer wieder die Chance geben, die Geschichte zu erzählen, dass es Auseinandersetzungen zwischen Fraktion und Partei gebe, was im Übrigen einigermaßen absurd ist, das kann nicht so weitergehen."
    Auf dem Parteitag in Leipzig steht dabei inhaltlich vor allem der gemeinsame Leitantrag des Parteivorstandes um Kipping und Riexinger im Zentrum der Aufmerksamkeit.
    Dort heißt es: "Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen durch einen sofortigen Stopp von Waffenexporten und friedliche Konfliktlösungen. Und wir treten für eine gerechte Weltwirtschaft ein und für eine Entwicklungszusammenarbeit, die das Leben der Menschen vor Ort verbessert, statt den Interessen der deutschen Wirtschaft zu dienen. Wir wollen das Sterben im Mittelmeer und an den europäischen Außengrenzen beenden. Dafür brauchen wir sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges, faires System der Aufnahme von Geflüchteten und einen Lastenausgleich in Europa. Statt Abschiebung wollen wir Bleiberechte für Menschen und statt Familien auseinanderzureißen wollen wir sie zusammenführen."
    Arbeitsmigration als strittiger Punkt
    Es sind nur zwei Worte, die aber gleich wieder für neuen Streit innerhalb der Linken sorgen. "Offene Grenzen" - aber für wen? Offene Grenzen für alle? Oder nur für Asylsuchende?
    Fabio de Masi war einst Büroleiter Sahra Wagenknechts, dann drei Jahre lang Europaabgeordneter, seit vergangenem Herbst ist der Hamburger für die Linke im Bundestag. Er nimmt die Fraktionsvorsitzende inhaltlich in Schutz. Die Linke wolle das Asylrecht verteidigen.
    "Vor allem wollen wir aber Fluchtursachen bekämpfen. Denn die Menschen, die zu uns kommen, kommen ja nicht wegen dem schönen Wetter. Und das heißt eben unfaire Handelspolitik, Waffenexporte in Spannungsgebiete, Regime-Change-Kriege wie in Syrien, in Libyen et cetera. Jetzt gibt es gar keinen Dissens darüber, dass wir das Asylrecht verteidigen, auch nicht bei Sahra Wagenknecht, aber wir haben uns dagegen gewandt, zu sagen: offene Grenzen für alle."
    Und Wagenknecht selbst unterstreicht: "Na, das Interessante ist ja, dass der Leitantrag sich um die eigentlich strittige Frage drückt. Das heißt, die ist ausgeklammert. Was allerdings auch sinnvoll ist. Weil man eben Dinge, die in der Diskussion stehen, auch nicht per Mehrheitsbeschluss auf einem Parteitag entscheiden kann."
    Die strittige Frage sei: "Wie stehen wir zu Arbeitsmigration? In der Linken ist überhaupt nicht strittig, wie wir zum Asylrecht für Verfolgte stehen. Das verteidigen wir. Und deswegen sage ich auch, offene Grenzen für Menschen, die verfolgt werden, die zum Beispiel aus der Türkei fliehen, weil Erdogan sie mit jahrelangen Haftstrafen bedroht, selbstverständlich brauchen wir die. Das stellt niemand infrage."
    Wenn es wirklich nur darum ginge, sagt Parteichefin Katja Kipping, verstehe sie nicht, warum die Fraktionsvorsitzende Wagenknecht nach der Bundestagswahl der eigenen Partei Fehler in der Flüchtlingsdebatte vorgehalten habe. Natürlich brauche die Partei ein Einwanderungskonzept, an dem seit langem ja auch bereits gearbeitet werde.
    Katja Kipping steht am Rednerpult des Bundestags und spricht.
    Nach der Bundestagswahl ist die Frage nach der Haltung der Linken zur Arbeitsmigration ein zentraler Punkt für Parteichefin Katja Kipping. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    "Es gab offensichtlich seit Schließung der Wahllokale ein starkes Bedürfnis von einigen wenigen, dass die Partei ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik verändert. Das ist erstmal legitim, man darf jede Programmatik in Frage stellen. Aber am Ende entscheiden bei uns nicht zwei einzelne Personen sondern bei uns entscheidet der Souverän - das ist der Parteitag."
    Dietmar Bartsch, der Ko-Vorsitzende der Linken im Bundestag, erwartet in diesem Punkt jedoch keine abschließende Klarheit vom Parteitag in Leipzig.
    "Wir müssen diese Diskussionen nicht nur aushalten, wir müssen sie diskutieren wollen. Und das trifft im Übrigen auch für das Thema Migration, Flüchtlinge, Fluchtursachen zu. Also wer denn irgendwie glaubt, qua Vorstands-, Fraktions- oder Parteitagsbeschlüssen Diskussionen zu beenden, dem kann ich gern einen Kurzvortrag über Struktur, Arbeitsweise und Ende der SED halten. Das wird nicht funktionieren."
    Leitantrag soll Antworten geben
    "Ich denke, genau eine Erkenntnis, die wir aus dem Scheitern des Staatssozialismus gezogen haben, ist, dass wir eine demokratische Mitgliederpartei sind. Dass bei uns nicht eine kleine Gruppe von Leuten entscheidet und alle anderen nur hinterherzulaufen haben, sondern ganz im Gegenteil, die Erkenntnis aus dem Scheitern des Staatssozialismus ist, demokratische Prinzipien sind hochzuhalten und wir sind eine demokratische Mitgliederpartei", antwortet Katja Kipping.
    In ihrem Selbstverständnis müsse sie natürlich die Mehrheitsentscheidungen des Parteitages nicht immer gut finden, aber doch mittragen. Und das erwartet sie offensichtlich auch von der Fraktionsvorsitzenden. Dass Wagenknecht Ruhe gibt und Parteitagsbeschlüsse akzeptiert. Bernd Riexinger wiederum hofft, dass die Kernanliegen der Linken in Leipzig zur Geltung kommen.
    "Unsere Aufgabe ist, Gemeinsamkeiten herzustellen und deutlich zu machen, dass die Auseinandersetzung nicht zwischen Migranten und Deutschen verläuft. Sondern dass die Auseinandersetzung geht immer noch zwischen oben und unten. Und auf diesen Kernsatz der Linken sollten wir nicht verzichten."
    Auch für Riexinger ist der Leitantrag richtungsweisend - nicht nur in Bezug auf die Flüchtlingspolitik.
    "Es gibt auch keine substanziellen Gegenanträge dazu. Und dieser Antrag ist geeignet, die inhaltlichen Differenzen zu klären - das ist die Aufgabe dieses Parteitages. Wir haben öffentliche Auseinandersetzungen über die Asylpolitik, wir haben eine gewisse Auseinandersetzung um die Frage Umgang mit Rechts, und wir haben eine Auseinandersetzung darüber, was sind denn die Aufgaben der Partei, welche Partei wollen wir sein. Zu all diesen drei Fragen gibt der Leitantrag Antwort und die Delegierten werden jetzt eben entscheiden, welche inhaltliche Orientierung sie geben wollen. Und ich bin überzeugt, das werden sie auch tun."
    Linken-Parteichef Bernd Riexinger nimmt am 25.11.2017 am Landesparteitag der Linken Baden-Württemberg in Stuttgart-Möhringen (Baden-Württemberg) teil. 
    Linken-Parteichef Bernd Riexinger: "Auseinandersetzung geht immer noch zwischen oben und unten" (dpa / Sebastian Gollnow)
    Während die einen, allen voran die Parteivorsitzenden, in der Linken betonen, wie gut die Partei insgesamt dastehe, schütten andere Wasser in den Wein. Dass die Partei im vergangenen Jahr erstmals seit langem wieder gewachsen sei, sei Trump und dem Wahljahr geschuldet - nicht der Linken selbst, heißt es aus der Fraktionsführung.
    Dass die Partei inzwischen neue Milieus anspreche, die früher vor allem die Grünen gewählt haben, auch das begeistert nicht uneingeschränkt. Bei den Arbeitslosen und Arbeitern hat die Partei bei den vergangenen Wahlen deutlich schlechter als in der Vergangenheit abgeschnitten - und viele davon haben zuletzt ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Ein Ärgernis für alle in der Linken - da herrscht ausnahmsweise Einigkeit: Unisono, von Kipping über Riexinger und Bartsch bis hin zu Wagenknecht ist klar, dass die AfD dieser Bevölkerungsgruppe keine substantiellen Angebote mache, um deren Probleme wirklich zu lösen. Kipping nennt sie einen "Teil der großen Hartz-IV-Koalition." Dagegen sei die Linke die einzige Kraft in der Bundespolitik, die eine wirklich sozialere Politik anstrebe.
    Aber alles Bemühen um inhaltliche Profilierung und Abgrenzung zu den anderen Oppositionsparteien im Bund droht in den internen Streitigkeiten der Linkspartei unterzugehen.
    Keine Gegenkandidaten in Sicht
    Der Parteitag in Leipzig ist ein Wahlparteitag. Die Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping stehen dort zur Wiederwahl, so wie der gesamte Bundesvorstand. Bislang hat sich kein Gegenkandidat für die Parteispitze beworben. Auch nicht Sahra Wagenknecht. Eine Frage an ihren Vertrauten Fabio de Masi: Warum denn eigentlich nicht?
    "Parteivorsitzende oder Parteivorsitzender der Linken zu sein ist ja eine große Aufgabe." - "Ist Sahra Wagenknecht zu klein für so eine Aufgabe?" - "Nein, sie ist nicht zu klein für so eine Aufgabe. Sie hat eine andere große Aufgabe, sie ist Fraktionsvorsitzende. Und wenn sie jetzt kandidieren würde als Parteivorsitzende würde jeder sagen 'absoluter Griff nach der Macht'. Sie hat das nicht vor. Sie hat nie angestrebt, Parteivorsitzende zu werden, und erstmal haben wir 60.000, über 60.000 Mitglieder und vor allem deren Interessen zählen. Und die haben einen Anspruch darauf, dass es Parteivorsitzende gibt, die sich um die Partei kümmern, das kann man als Fraktionsvorsitzende nicht zusätzlich."
    Ähnlich sieht es Dietmar Bartsch. Der war 2012 auf dem Parteitag in Göttingen gegen Bernd Riexinger angetreten und verlor.
    Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag
    Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, wird zum moderaten Parteiflügel gezählt. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Damals war Riexinger noch auf Wunsch und mit Unterstützung von Oskar Lafontaine angetreten. Doch von der einstigen Harmonie zwischen dem schwäbischen Gewerkschafter und dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden ist nicht mehr viel übrig. Riexinger steht klar zu Katja Kipping - und Kipping für einen anderen Kurs als Lafontaine und Wagenknecht.
    Innerhalb der Linken wird sehr genau geschaut, wer sich in der Partei wie verhält. Und Sahra Wagenknecht hält seit Monaten andere Konstellationen - neben der Linkspartei - für möglich. Sie flirtet mit dem Gedanken einer linken Bewegung. Angekündigt hat Wagenknecht das Projekt, die Gründung selbst ist überfällig. Nun heißt es, Anfang September könne es losgehen. Aber welche Art von "Links "wäre das dann ? Was würde Wagenknechts Bewegung von der Partei "Die Linke" unterscheiden?
    Forderung nach einer "Sammlungsbewegung"
    Eine Partei? Nein, die soll es nicht werden. Es gehe darum, dem konservativ-nationalen Narrativ etwas entgegenzusetzen, die Diskurshoheit zurückzuerlangen, heißt es von Unterstützern.
    Fabio de Masi beschreibt das Ziel so: "Eine Sammlungsbewegung ist in Deutschland bitter notwendig, weil es Mehrheiten gibt für linke Politik, nämlich Steuergerechtigkeit, mehr öffentliche Investitionen, Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, Entspannungs- und Friedenspolitik."
    Und das reiche weit in die SPD-Wählerschaft hinein, viele Menschen würden sich freuen.
    "Es geht darum, dass Menschen sagen: Wir sind ja eigentlich eine Mehrheit, gegen die permanent regiert wird. Und wir nehmen unsere Interessen jetzt selbst in die Hand."
    Die Namen, die sich Sahra Wagenknecht auf ihrem Weg in die Sammlungsbewegung anschließen könnten, sind noch nicht sehr zahlreich. Während Wagenknecht und Lafontaine Unterstützer wie den französischen Linksaußen Jean-Luc Mélenchon, dem gescheiterten Präsidentschaftskandidaten von 2017, gefunden haben, ist in Deutschland eine Massenbewegung nicht in Sicht.
    Rudolf Dreßler hat seine Unterstützung zugesagt, der langjährige und profilierte Sozialpolitiker der SPD. Und der Berliner Dramaturg Bernd Stegemann, in Fachkreisen geschätzt, einem breiteren Publikum hingegen kaum bekannt. Wenn die Bewegung Anfang September starten soll, müsste Wagenknecht mehr in die Waagschale werfen können als das. Fabio de Masi wird voraussichtlich selbst dabei sein, erwartet aber einige weitere, prominentere Akteure - nicht zuletzt aus der SPD.
    "Also ich rede jetzt nicht von Olaf Scholz oder Andrea Nahles, sondern ich rede zum Beispiel von Menschen wie Susi Neumann oder anderen."
    Ein Name, der politischen Beobachtern in diesem Zusammenhang sofort in den Sinn käme: Mathias Miersch. Der SPD-Bundestagsabgeordnete vertritt regelmäßig linke Minderheitsmeinungen in seiner Partei. Müsste der nicht längst von Sahra Wagenknecht angesprochen worden sein?
    "Bei einer Sammlungsbewegung, die überparteilich organisiert werden soll, mit zwei Hauptprotagonisten, die allerdings aus meiner Sicht die Frage aufwerfen, ob sie eine parteiübergreifende Sammlungsbewegung haben wollen, da wäre ich erst nochmal vorsichtig."
    Bartsch: "Es ist deutliche Luft nach oben"
    Tatsächlich sind bislang keine bekannten, aktiven Grünen oder SPD-Politiker als Unterstützer für Wagenknechts Sammlungsbewegung bekannt. Ihr Ko-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch warnt aber davor, diese nur vor dem Hintergrund der parteiinternen Diskurse zu betrachten.
    "Als jemand, der nun wiederum kein Initiator ist, bin ich da dafür, dass diese ausgesprochene Einladung erst mal sehr breit ist. Und dass man möglichst viele gewinnt. Und da würde ich mir nur wünschen, dass nicht als erstes alle Bedenken, alle Vorurteile aufgerufen sind. Die haben wir doch alle, auch die Initiatoren. Sondern die Chance gesehen wird, was kann es sein, wenn wir gemeinsam agieren. Deswegen hat es meine wohlwollende Begleitung. Es ist kein Projekt gegen die Linke."
    Sahra Wagenknecht selbst will ihre Bewegung aber durchaus auch auf die eigene Partei wirken lassen.
    "Natürlich wünsche ich mir auch, dass die Linke die Positionen verlässt, wo sie sich isoliert von den Abgehängten und von denen, denen es in dieser Gesellschaft nicht gut geht. Wir müssen auch als Linke darüber nachdenken, warum kommen so wenige zu uns, die von der SPD enttäuscht sind? Also, natürlich ist das Ziel, auch Parteien zu verändern."
    Ihr Kollege in der Fraktionsspitze, Dietmar Bartsch, ist skeptisch, was den Erfolg der Bewegung angeht.
    "Ich sehe aktuell keine gesellschaftliche Stimmung, die danach schreit. Es sind nicht Zehntausende auf der Straße die schreien:'Wir brauchen'. Dann wäre es ja auch einfach zu sagen: 'Wir machen'. Es ist natürlich etwas, was vom Kopf her organisiert wird. Und das macht es auch schwierig. Aber der Versuch ist zumindest löblich. Und zu sagen, das machen wir auf gar keinen Fall, wir sind schon ganz schön gut, finde ich auf jeden Fall problematisch. Denn bei allem Erfolg, den die Linke vorweisen kann: Es ist deutliche Luft nach oben."
    Doch das Hauptproblem der Sammlungsbewegung könnte etwas anderes sein: mangelnde Absprachen.
    Riexinger sieht "bislang keine Bewegung"
    Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, sagt: "Es hat bisher keine Diskussion mit der Partei stattgefunden, das kritisiere ich auch. Ich denke, wenn Führungsverantwortliche so ein Projekt ins Leben rufen, wäre es angemessen, dieses Vorhaben mit der Partei zu diskutieren. Auch wenn man sagt, man will ja auch Einfluss nehmen auf die Linke selber - was ja für Leute, die gar nicht in der Partei sind, völlig legitim ist."
    Und überhaupt: Für ihn sei das ganze Vorhaben bislang recht konturlos.
    "Also ich sehe bisher keine Bewegung."
    Er sieht in Wagenknechts Vorhaben Konfliktpotenzial mit der Partei.
    "Wenn der Eindruck entsteht, da wird eine Nebenstruktur aufgebaut zur Partei, dann würde es schaden. Das sollte man lassen."
    Für den langjährigen Gewerkschafter ist aber klar, dass zehn Prozent Stimmenanteil für die Partei mager ist angesichts der sozialen Themen, für die die Linke stehen möchte.
    "Ich sehe nicht, dass da gerade Hunderttausende von Menschen auf der Straße sind, die einfach eingesammelt werden müssten. Sondern ich sehe, dass man hier in einem bewussten politischen Prozess Bündnisse schließt mit Organisationen, die meisten politischen Menschen sind ja in Organisationen, die ähnliche Interessen, ähnliche Vorstellungen haben wie wir, und da zum Beispiel eine starke Bewegung von Mietern und Mieterinnen auf die Beine stellt, die da zum Beispiel dem Seehofer, der da überhaupt nix dazu sagt bisher, Druck unterm Arsch machen - auf Schwäbisch."
    Das würde auch der Partei Die Linke helfen, den Diskurs in die richtige Richtung verschieben - weit weg von dem, was die AfD bewegt.
    Katja Kipping bemüht ein Beispiel: "Es gibt diese Geschichte vom Revolutionär, der sieht eine Gruppe an sich vorbeiziehen und sagt sich: Oh, ich muss herausfinden, wohin sie laufen, damit ich sie anführen kann. Nein, aktuell erleben wir doch, dass viele, viele Parteien und politische Akteure dem Diskurs und den Deutungsmustern der Rechten nachgeben. Das hat jetzt nicht dazu geführt, dass die AfD kleiner geworden ist. Sondern wir erleben das Gegenteil, die autoritäre Rechte ist im Aufwind, weil ihre Entschiedenheit die Mitte nach Rechts treibt. Und jetzt braucht es Entschiedenheit von Links, um die Mitte auch wieder nach Links zu bewegen."
    Der Kurs der Linken bleibt damit unklar, der Streit des Spitzenpersonals übertönt die inhaltliche Debatte. Und wenn am kommenden Wochenende beim Parteitag geredet wird, werden viele Beobachter auf den Applaus für Sahra Wagenknecht, auf den Applaus für Katja Kipping lauschen und daran messen, wohin sich die Waagschale im internen Machtkampf der Linken neigt.