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Die Linke
"Wir sind so stark wie nie"

Der Co-Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, hat sich gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigt. "Wir sind gestärkt aus der Wahl hervorgegangen", sagte Riexinger im Dlf. Es gebe keinen Grund, an der Parteispitze zu zweifeln.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Philipp May |
    Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger
    Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger (Imago)
    Der Vorwurf von Parteigründer Oskar Lafontaine, er habe sich mit der Entscheidung der Spitzenkandidatur für Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch während des ganzen Bundestagswahlkampfs nicht abfinden können, sei absurd, sagte Riexinger. "Jeder hat gesehen, dass wir sehr geschlossen in die Wahl gegangen sind." Er selbst habe das Konzept des Spitzenteams mitentwickelt. Hinter der Kritik Lafontaines vermute er persönliche Gründe oder Positionskämpfe - wobei er nicht den Eindruck habe, dass Wagenknecht Parteivorsitzende werden wolle, so Riexinger.
    Riexinger begrüßte die Kooperationsbereitschaft der neuen SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Wenn die SPD sich inhaltlich bewege, könne man zusammenarbeiten, so der Co-Parteichef der Linken. Positiv erwähnte er Nahles' Aussage, man dürfe sich nicht scheuen, den Kapitalismus zu kritisieren. Die Frage sei aber, ob das in der SPD mehrheitsfähig sei. Nahles hatte im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" an die Linke appelliert, ebenfalls einen Schritt auf die Sozialdemokraten zuzugehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Philipp May: Alles schaut auf ein mögliches Jamaika-Bündnis, auf die SPD, die in die Opposition will und natürlich auf die AfD, die erstmals im Bundestag ist. Nur um, bis vor einer Woche, die stärkste Oppositionspartei, die Linke, war es zunächst etwas stiller, doch die Ruhe ist jetzt vorbei. 9,2 Prozent hat die Linke erreicht, das zweitbeste Ergebnis der Geschichte, aber gerade bei denen, deren Interessen man vertreten will, nämlich den Arbeitern und den Arbeitslosten, holte die Linkspartei nur halb so viele Stimmen wie die AfD, und so bricht jetzt ein alter Richtungsstreit wieder auf. Parteigründer Oskar Lafontaine hat sich zu Wort gemeldet und der jetzigen Führung der Linkspartei eine verfehlte Flüchtlingspolitik vorgeworfen und darüber hinaus weitere Vorwürfe in Richtung Parteispitze erhoben. Also fragen wir nach bei der Führung: Am Telefon ist Bernd Riexinger, Co-Chef der Linken. Schönen guten Morgen!
    Bernd Riexinger: Guten Morgen, Herr May!
    May: Oskar Lafontaine hat Ihre Co-Vorsitzende Katja Kipping und Sie namentlich kritisiert. Über Sie schreibt er auf Facebook, ich lese vor: "Riexinger erreichte als Spitzenkandidat nur 2,9 Prozent bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wollte sich aber mit der Entscheidung für die Spitzenkandidatur für Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch während des ganzen Bundestagswahlkamps nicht abfinden." Stimmt das, haben Sie gestänkert?
    Riexinger: Das ist, glaube ich, ein absurder Vorwurf. Jeder, der die Wahl gesehen hat, hat gesehen, dass wir sehr geschlossen in die Wahl gegangen sind. Im Übrigen ist dieses Konzept, das wir da gewählt haben mit Spitzenthemen, mit Spitzenkandidatinnen und -kandidaten von mir selber mitentwickelt worden. Also ich halte diesen Vorwurf für völlig absurd. Auch im Übrigen, was er behauptet. Also wir haben in Baden-Württemberg einen enormen Zuwachs gehabt bei der Bundestagswahl: 6,4 Prozent – das hätte vor der Wahl niemand gedacht. Wir haben in Stuttgart über neun Prozent erzielt, wo ich selber kandidiert habe, sogar die AfD hinter uns gelassen. Ich persönlich habe das beste Erstimmenergebnis in ganz Baden-Württemberg gehabt. Also der Vorwurf ist in jeder Hinsicht absurd und ein übles Foulspiel, das er doch besser unterlassen sollte.
    "Wir sind ja gestärkt aus der Wahl hervorgegangen"
    May: Wie erklären Sie sich denn das üble Foulspiel? Was ist da vorgefallen?
    Riexinger: Das weiß ich nicht, was ihn da jetzt wirklich dazu getrieben hat, zumal wir ja auch vor einer wichtigen in Niedersachsen stehen. Ich halte das für strategisch und inhaltlich völlig verfehlt, solche Vorwürfe zu erheben. Die Wahl muss genauso aufgearbeitet werden, wie wir in den Wahlkampf gegangen sind, nämlich geschlossen und in großer Kooperation. Und wir sind ja gestärkt aus dieser Wahl hervorgegangen. Also eine Partei, die gestärkt aus der Wahl hervorgegangen ist, muss sich solche internen Diskussionen eigentlich nicht antun. Ich nehme an, da geht es um ganz persönliche Dinge oder um Positionskämpfe innerhalb der Partei, für die ich, ehrlich gesagt, gar kein Verständnis habe, zumal die Partei …
    May: Das heißt, Oskar Lafontaine will, dass Sahra Wagenknecht Sie ablöst an der Spitze - oder was glauben Sie?
    Riexinger: Ich habe nicht den Eindruck, dass Frau Wagenknecht irgendein Interesse hat, die Parteivorsitzende zu werden. Also davon gehe ich nicht aus. Und es gibt ja auch gar keinen Grund, an der Parteispitze in irgendeiner Form zu zweifeln. Die Parteispitze hat, glaube ich, einen guten Job gemacht. Wir haben die Partei zusammengeführt, wir sind so stark wie nie, wir haben einen guten Zulauf bei jungen Leuten bekommen. Ich weiß gar nicht, was es da für einen Grund gibt, an der Parteispitze irgendwelche Zweifel zu erheben.
    May: Aber jetzt hat Oskar Lafontaine ja noch mal nachgelegt in einem Interview mit der "Passauer Neuen Presse". Da hat er Sie auch noch mal wörtlich kritisiert, und zwar hat er gesagt: Ihre Forderung, alle, die nach Deutschland kommen wollen, auch aufzunehmen, und die anderen EU-Staaten sollen sich an den Kosten beteiligen, sei völlig unrealistisch.
    Riexinger: Na ja, diese Forderung steht ja nirgends so. Ich weiß gar nicht, wie er dazu kommt. Die Vorsitzenden vertreten das vom Parteitag verabschiedete Wahlprogramm, an das sich im Übrigen alle, die kandidiert haben, auch die nächsten vier Jahre zu halten haben. Das ist ihre Aufgabe. Dafür kritisiert zu werden, ist doch völlig absurd. Aber die flüchtlingspolitische Position der Linken ist da viel differenzierter. Wir haben drei Elemente unserer Flüchtlingspolitik: Dass wir erstens sagen, Menschen in Not muss geholfen werden, das Asylrecht darf nicht angetastet werden. Zweitens, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen, und dazu gehört insbesondere, dass wir Waffenexporte in Krisengebiete einstecken, dass wir Friedenspolitik machen, dass wir gerechte Handelspolitik machen, die ja viele Menschen in die Existenznot treibt. Und drittens, dass wir ein offensives Integrationsprogramm machen, das eine soziale Offensive beinhaltet, insofern, dass wir Wohnungen nicht nur für Flüchtlinge bauen wollen, sondern für Menschen, die hier …
    May: Alles klar …
    Riexinger: Nein, der Gedanke … Deswegen ist das absurd, dass wir die soziale Frage nicht in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt hätten. Genau das haben wir die ganze Zeit getan.
    "Sündenböcke suchen - das ist die Strategie der Rechten"
    May: Völlig klar, dass die Linke für die am wenigsten restriktivste Flüchtlingspolitik eingetreten ist. Nur, die Zahlen sind ja trotzdem nicht von der Hand zu weisen: Gerade unter den sogenannten Arbeitern und den Arbeitslosen wählen doppelt so viele Leute die AfD wie die Linkspartei und zwar häufig eben auch ganz konkret aufgrund des Flüchtlingsthemas. Wie wollen Sie die wieder zurückholen?
    Riexinger: Ich glaube, dass der Zusammenhang erst mal ein bisschen mehr geprüft werden kann, ob das wirklich so stimmt, dass die Arbeiter uns da verlassen haben. Ich meine, wir haben eine völlig andere Zusammensetzung der Lohnabhängigen und der Beschäftigten heute als vor zehn Jahren. Sondern heute sind viel mehr Menschen beschäftigt im Dienstleistungsbereich, in der Pflege, in ähnlichen Bereichen. Dort haben wir enorm zugelegt. Das heißt, unsere Strategie, Beschäftigtengruppen, gerade zum Beispiel Frauen in der Pflege und so weiter, zu erreichen, ist ja voll aufgegangen. Auch 14 Prozent der Gewerkschafterinnen, was es noch nie gegeben hat, haben uns gewählt. Also ich würde diese Zusammenhänge nicht einfach so locker herstellen, aber selbst wenn sie stimmen würden, darf die Linke doch darauf nicht hereinfallen. Das ist doch genau immer schon seit 100 Jahren praktisch die Strategie der Rechten und der extremen Rechten, Sündenböcke zu suchen für die Miseren im Land, auch für die sozialen Miseren im Land. Das können im Übrigen, wie man es früher erlebt hat, Juden sein, das können Muslime sein, das können Migranten sein und sind jetzt eben Flüchtlinge. Das ist ein Muster rechter Politik, und dieses Muster darf die Linke nicht nur nicht übernehmen, sondern sie muss da in der Gesellschaft ganz massiv dagegenarbeiten. Und das Dagegenarbeiten muss immer zwei Elemente beinhalten: erstens, dass man klar und entschlossen Rassismus, Nationalismus, rechtspopulistischen Positionen entgegentritt überall in der Gesellschaft und ihnen nicht die öffentlichen Räume überlässt. Und zweitens, dass man natürlich den sozialen Nährboden angeht und sagt, umso gerechter eine Gesellschaft ist, umso weniger werden die Menschen drauf reinfallen, dass man nach unten tritt und nach oben buckelt.
    "Es geht darum, einen Wall gegen den Rassismus aufzubauen"
    May: Verstehe ich alles, verstehe ich alles. Nichtsdestotrotz: Es gibt ja ganz offensichtlich in Ihrer Kernzielgruppe Ängste vor der Migration, die Sie nicht nehmen konnten.
    Riexinger: Ja, ohne Zweifel, das ist, glaube ich, eine Aufgabe, die auch nicht so kurzfristig zu erledigen ist. Diese Ängste sind ja latent die ganze Zeit in der Gesellschaft vorhanden. Die sind natürlich auch verursacht durch die extreme gesellschaftliche Spaltung und dass ja viele Menschen in prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse abgedrängt werden. Das ist, was wir den ganzen Wahlkampf über thematisiert haben. Dass wir da noch besser durchdringen müssen und noch mehr machen müssen, ist völlig klar. Wir haben ja auch als Partei wirklich Konzepte entwickelt. Wir gehen in soziale Brennpunkte, wir machen Haustürbesuche, wir haben begriffen, dass es nicht ausreicht, diese Leute abstrakt nur anzusprechen oder über die Medien, sondern man muss mit den Menschen direkt reden, ihnen zuhören. Das sind aber alles Konzepte, die nicht kurzfristig wirken, sondern die mittel- und langfristig wirken. Aber es geht doch darum, einen Wall gegen den Rassismus aufzubauen und einen Wall gegen die Positionen der AfD aufzubauen. Das ist die Aufgabe der Linken, und überall, wo die CDU im Übrigen rechte Positionen am extremsten oder flüchtlingsfeindlichste Positionen am extremsten übernommen hat, hat sie doch bei den Wahlen am meisten verloren.
    May: Zur Linken gehören ja im weitesten Sinne auch die Sozialdemokraten, die ja jetzt mit Ihnen gemeinsam höchstwahrscheinlich, zu 99,9 Prozent, in die Opposition gehen werden. Jetzt kommen Sie insgesamt nur noch auf 30 Prozent der Stimmen zusammen mit den Sozialdemokraten. Bleiben Sie jetzt ewige Oppositionsparteien oder werden Sie aufeinander zugehen?
    Riexinger: Das kommt drauf an. Also wenn es tatsächlich eine inhaltliche Bewegung gibt bei der SPD, wenn sie wieder sozialdemokratischer wird, wenn sie klarer wird in der Formulierung einer Alternative gegen Jamaika, was wir künftig haben werden oder auch gegen die konservative Politik, dann auf jeden Fall werden wir sowohl parlamentarisch wie außerparlamentarisch zusammenarbeiten können, wenn die Richtung sogar die ist, dass Frau Nahles sagt, wir müssen uns auch nicht scheuen, den Kapitalismus zu kritisieren, dann ist das eine Bewegung in die ganz richtige Richtung.
    May: Das hat sie ja jetzt gemacht in einem Interview mit dem "Spiegel". Genau das.
    Riexinger: Genau, also das kann ich nur begrüßen. Die Frage ist, ob das tatsächlich in der SPD mehrheitsfähig ist, aber es würde, glaube ich, für das Land extrem wichtig sein und auch für die Chance, wieder eine linke Mehrheit im Land zu erringen, wenn sich die SPD nach links bewegt und wenn man gemeinsam klare Oppositionspolitik machen kann gegen das, was uns jetzt bevorsteht, nämlich ein im Großen und Ganzen "Weiter so".
    "Felder, auf denen Annäherung mit SPD möglich ist"
    May: Herr Riexinger, eine Frage noch: Sie hat das ja schon angedeutet, Andrea Nahles, dass sie offen ist für eine Kooperation im Bundestag, hat aber auch ein Entgegenkommen Ihrer Partei gefordert, hat gesagt, das SPD-Bashing müsste aufhören. Wie könnte das aussehen konkret, welche Angebote können Sie der SPD machen?
    Riexinger: Wir haben ja im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere bei der Bekämpfung prekärer Arbeit – also sachgrundlose Befristungen, Leiharbeit, Werkverträge, Tarifflucht – durchaus Gemeinsamkeiten in der Programmatik. Die hat ja die SPD nur nicht angewandt. Wir hatten ja eine rot-rot-grüne Mehrheit. Wir hätten ohne Probleme das Ende der sachgrundlosen Befristungen beschließen können. Das haben sie nicht gemacht, aber ich glaube, da gibt es schon Felder, auf denen eine Annäherung möglich ist. Es gibt aber auch Felder, wo es richtig große Unterschiede gibt, zum Beispiel, dass die SPD auf eine Vermögenssteuer verzichtet hat in diesem Wahlkampf, aber ohne gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen ist eben keine langfristige Sozialpolitik zu machen. Ich glaube, da muss es weiterhin eine Auseinandersetzung geben, aber ich war ja schon immer dafür, dass man sagt, wo bestehen denn Gemeinsamkeiten, auch Gemeinsamkeiten, wo man mit den Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen im außerparlamentarischen Bereich zusammenarbeiten kann und Bündnisse schmieden kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.