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Die Lunte brennt

Das Säbelrasseln am 38. Breitengrad wird wieder lauter. Nach dem Angriff des Nordens auf die zum Süden gehörende Insel Yeonpyeong sehen Südkorea und sein Bündnispartner USA eine neue Stufe der militärischen Gewalt von Seiten Nordkoreas erreicht.

Von Martin Fritz |
    Vor sieben Wochen, am 10. Oktober, zeigte Nordkorea der Welt seine doppelte Natur: Durch die Hauptstadt Pjöngjang marschierten Tausende von Soldaten und führten ihre Waffen vor. Doch die größte Militärparade seit der Staatsgründung 1948 diente nicht dazu, die Nation oder die Streitkräfte selbst zu feiern, sondern den 65. Geburtstag der Kommunistischen Partei. Sozialismus und Militarismus – das sind die beiden Herzen, die in der Brust dieses ungewöhnlichen Staates schlagen.

    Der oberste Machthaber Kim Jong-il ist auch ein solcher Zwitter. Er ist einerseits Generalsekretär der Arbeiterpartei und andererseits der Vorsitzende der Nationalen Verteidigungskommission. Laut Verfassung ist letzteres das höchste Staatsamt. Das Präsidentenamt bleibt für immer dem Vater Kim Jong-ils vorbehalten - Kim Il-sung. Der 1994 verstorbene Staatsgründer liegt aufgebahrt in seinem früheren Palast in Pjöngjang. Kim Il-sung hatte Nordkorea als sozialistischen Staat gegründet und mit Hilfe der Arbeiterpartei regiert. Sein Sohn Kim Jong-il vertraut dagegen mehr auf das Militär. Diese zwei Charakterzüge des politischen Systems bestimmen bis heute das Verhalten der nordkoreanischen Führung.

    Als sozialistischer Staat befindet sich Nordkorea in einem ständigen Wettbewerb mit dem kapitalistischen Süden und muss seine Systemüberlegenheit beweisen. Kim Il-sung und sein Sohn Jong-il haben den Menschen immer wieder Wohlstand versprochen. Doch schon lange geht es nicht mehr aufwärts. Weite Teile der Bevölkerung leben in Armut und in Hunger. 2009 war das Pro-Kopf-Einkommen in Nordkorea achtzehnmal kleiner als im Süden. Mit umgerechnet 776 Euro im Jahr gehört Nordkorea zu den ärmsten Staaten in Asien. Auch ihr zweites großes Versprechen, nämlich Sicherheit, konnten die beiden Kim-Herrscher bisher nicht erfüllen. 57 Jahre nach dem Krieg ist die koreanische Halbinsel immer noch geteilt und erstarrt entlang des 38. Breitengrades vor Waffen. Auf beiden Seiten der entmilitarisierten Zone stehen über eine Million Soldaten. Immer noch ist kein Friedensvertrag mit dem damaligen Hauptkriegsgegner USA zustande gekommen. Dabei lautet die offizielle Staatsdoktrin in Nordkorea "Das Militär zuerst", und die Rüstung verschlingt einen großen Teil des nationalen Einkommens.

    Machthaber Kim Jong-il ist daher in wachsende Erklärungsnot geraten, warum er bisher keines der beiden Versprechen gehalten hat. Letztes Jahr musste er sich sogar zum ersten Mal für die schlechte Versorgung entschuldigen. Nun soll die Wende bis 2012 gelingen: Wenn sein Vater Kim Il-sung seinen 100. Geburtstag feiert, soll im Land der Wohlstand ausbrechen. Doch aus eigener Kraft kann dies nicht gelingen. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Führung ist weltweit isoliert. Kim hat nur eine einzige Trumpfkarte: Sein hochgerüstetes Land liegt an der Grenzlinie zwischen den alten Blöcken Ost und West. Geopolitisch ist Nordkorea der einzige direkte Pufferstaat mit einer Landgrenze zwischen China und den USA, den größten Mächten des 21. Jahrhunderts. Außerdem sitzt das verarmte Land mitten in Ostasien zwischen China, Südkorea und Japan, den Werkbänken der Welt. Nordkoreas drei Nachbarn sind die weltgrößten Produzenten von Autos, Elektronik und anderen wichtigen Konsumgütern. Ihre Geschäfte und ihr Wohlstand leiden schnell unter Streit und Spannungen. Diese spezielle strategische Lage versucht Nordkoreas Führung für sich auszunutzen. Der jüngste Zwischenfall ereignete sich am Dienstag dieser Woche. Die "Tagesschau" berichtete über den Tod von zwei Soldaten und zwei Zivilisten auf der Insel Yeonpyeong:

    "Die Granaten schlugen um 14.34 Uhr Ortszeit auf der südkoreanischen Insel ein. Nicht nur Militärgebäude, sondern auch 60 zivile Einrichtungen wurden zerstört. Einige Einwohner suchten Schutz in Bunkern des Militärs, andere nutzten Fischerboote zur Flucht auf Nachbarinseln. Südkoreas Präsident Lee berief das nationale Sicherheitskabinett in einem Bunker ein. Die Armee wurde in die höchste Alarmbereitschaft versetzt."

    Abgefeuert wurden die 170 Geschosse aus nordkoreanischen Geschützen an der Küste, die von der angegriffenen Insel Yeonpyeong mit bloßem Auge zu sehen ist. Immer wieder sind in diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten Schüsse gefallen. Denn Nordkorea hat die Grenzlinie nie anerkannt, die von den Vereinten Nationen nach dem Krieg willkürlich gezogen wurde. Yeonpyeong wird von Zivilisten bewohnt. Die Insel wurde vom Norden noch nie direkt beschossen. Die nordkoreanische Armee rechtfertigte ihren Angriff in dieser Woche damit, dass sie nur das Feuer erwidert habe. Südliche Truppen hätten in der Region über mehrere Tage ein Manöver abgehalten. Doch Südkorea und sein Bündnispartner USA sehen nun eine neue Stufe der militärischen Gewalt von Seiten Nordkoreas erreicht. US-Präsident Barack Obama schickte den Flugzeugträger "USS George Washington" von Japan nach Südkorea in Marsch und kündigte ein gemeinsames Seemanöver mit dem Süden an, das am Sonntag beginnen soll. Obama in einem Interview des US-Fernsehsenders ABC:

    "Südkorea ist unser Verbündeter seit dem Korea-Krieg. Unsere Unterstützung für Südkorea gehört zu diesem Bündnis."

    Inzwischen zeichnet sich ab, dass der Angriff aus dem Norden minutiös geplant worden war. Nach Informationen aus südkoreanischen Regierungskreisen hatten Führer Kim Jong-il und sein jüngster Sohn Jong-un, der seine Nachfolge antreten soll, die Armee-Einheit an der Küste kurz vor dem Angriff besucht und mit dem lokalen Befehlshaber gesprochen. Das deutet darauf hin, dass der Feuerbefehl direkt von der Staatsspitze kam. Die meisten Nordkorea-Kenner waren sich über das Wichtigste Motiv für diesen Befehl schnell einig: Nordkorea will unbedingt mit den USA ins Gespräch kommen. Der Angriff sollte in Washington Aufmerksamkeit für Pjöngjang erzeugen. Der langjährige ARD-Ostasien-Korrespondent Mario Schmidt sagt:

    "Was Nordkorea in der Vergangenheit immer sehr häufig getan hat: Sie versuchen, den Druck zu erhöhen, den Preis hochzutreiben für mögliche Verhandlungen, also ich lese das, was gerade passiert, so, dass Nordkorea versucht, an den Verhandlungstisch zurückzukommen, aber den Preis hochtreibt, um möglichst viel Entwicklungshilfe zu bekommen."

    Tatsächlich hatte Nordkorea in den vergangenen Wochen die USA mehrfach provoziert, ohne dabei auf ein großes Echo zu stoßen. Vor dem G-20-Gipfel und dem Besuch von US-Präsident Barack Obama in Seoul gaben nordkoreanische Soldaten an der Grenze gezielte Schüsse ab. Dann entdeckten US-Satelliten einen Rohbau im Atomkomplex Yongbyon, der offenbar ein Leichtwasserreaktor werden soll. Diesen Bau hatte Pjöngjang im März angekündigt. Fast zeitgleich zeigte Nordkorea dem renommierten US-Nuklearexperten Siegfried Hecker eine geheime Anlage zur Anreicherung von waffentauglichem Uran. Er habe 2000 Zentrifugen gesehen, berichtete Hecker nach seiner Reise.

    "Mir ist die Kinnlade heruntergefallen. Ich war verblüfft, als ich Hunderte von Zentrifugen in drei verschiedenen Orten sah. Es war sauber und modern. Sie haben tatsächlich das wahrgemacht, was sie angekündigt haben."

    Kurz darauf tauchten in japanischen Medien Gerüchte über einen bevorstehenden dritten Atomtest auf. Doch Washington reagierte in allen Fällen moderat. Ganz offensichtlich will sich die Obama-Administration nicht provozieren lassen. Der Artillerieangriff diese Woche auf Zivilisten lässt sich daher als jüngster Versuch sehen, die USA zur Beschäftigung mit Nordkorea zu zwingen. Korea-Experte Markus Tidten von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte diesem Sender:

    "Das ist ein langer Wunsch Nordkoreas, eigentlich schon seit Ende des Koreakrieges, dass man in Ermangelung eines Friedensvertrages endlich mit den USA ein Abkommen haben möchte, einen Friedensvertrag, der Nordkorea sozusagen völkerrechtlich sichert, dass sie aus dem Süden heraus, wo ja 30.000 amerikanische Soldaten stationiert sind, keinerlei Bedrohung mehr erfahren müssen."

    In den USA begann prompt eine Diskussion darüber, ob man mit militärischer Härte reagieren oder an den Verhandlungstisch zurückkehren sollte. Es ist eine alte Debatte, die bereits unter Präsident George W. Bush geführt wurde. Auf der einen Seite stehen die Falken im Verteidigungsministerium und in der Republikanischen Partei, die das Kim-Regime durch Sanktionen und Isolierung stürzen wollen. Die Haltung erklärt sich durch die traumatischen Erinnerungen der US-Generäle aus dem Korea-Krieg. Die von den USA geführten UNO-Truppen hatten nämlich ganz Nordkorea erobert, mussten jedoch einer chinesischen Invasion weichen. Auf der anderen Seite finden sich die Tauben in der Demokratischen Partei und im Außenministerium, die auf Entspannung durch Dialog setzen. Sie verweisen auf die Erfolge bei den sogenannten Sechsparteiengesprächen mit Nordkorea unter der Leitung von China. Dabei hatten die USA, China, Russland, Südkorea und Japan zusammen mit Nordkorea im Jahr 2005 beschlossen, einen Rahmen für ein Friedensabkommen auf der koreanischen Halbinsel auszuhandeln. Der bekannte Korea-Analyst Leon Sigal betonte daher in dieser Woche:

    "Nordkorea sucht bessere Beziehungen mit uns, den USA, Südkorea und Japan. Wir müssen testen, ob sie wirklich bessere Beziehungen wollen, nicht sofort, aber wenn die jetzige Situation überwunden ist. Auch in Südkorea wächst die Erkenntnis, dass eine Abkoppelung auf der Halbinsel in Pjöngjang nicht gut ankommt. In der Vergangenheit haben Gespräche ja funktioniert."

    Der Knackpunkt bleibt das Atomprogramm Nordkoreas. Die Gretchenfrage auf der koreanischen Halbinsel lautet: Wie hält Pjöngjang es mit der Atombombe? Lange Zeit sah es so aus, als ob Machthaber Kim auf sein Atomprogramm verzichten würde, falls er dafür genügend Wirtschaftshilfe bekommt. Doch mit dem zweiten Atomtest im Mai letzten Jahres stellte Kim klar, dass sein Land Nuklearmacht bleiben und als solche anerkannt werden will. Sein Vorbild sind Indien und Pakistan, deren Nuklearwaffen von den USA auch akzeptiert wurden. Doch die Obama-Administration will die Sechser-Gespräche nur fortsetzen, wenn der Norden konkret nuklear abrüstet. Bilaterale Friedensverhandlungen stehen derzeit gar nicht auf der Agenda. Dagegen verlangt Nordkorea direkte Verhandlungen auf Augenhöhe, sozusagen von Atommacht zu Atommacht. Für viele amerikanische Militärs und Politiker ist das eine unzumutbare Vorstellung. Dabei vergessen sie, dass ihre eigene Politik dazu beigetragen hat, Nordkorea zum Atomwaffenstaat zu machen.

    Bis Anfang dieses Jahrzehnts gingen politische Beobachter davon aus, dass Nordkoreas Drohung mit der Atombombe in erster Linie der Erpressung diente. Der Nuklearkomplex von Yongbyon wurde oberirdisch und damit für Satelliten sichtbar angelegt. Die dazugehörige Botschaft an die USA lautete: Wir sind gefährlich, aber würden auf die Bombe verzichten, falls dies politisch und wirtschaftlich honoriert wird. Ihre Ziele hat Nordkoreas Führung immer offen formuliert. Prinzipiell sollen die USA Nordkorea nicht mehr als Feind behandeln und die Herrschaft der Kim-Familie anerkennen. Im Detail fordert Pjöngjang einen Friedensvertrag als Schlusspunkt des Korea-Krieges, diplomatische Beziehungen, den Abzug der US-Truppen aus Südkorea, das Ende aller Sanktionen und massive Wirtschaftshilfe.

    Die erste Atompokerrunde wurde 1993/94 ausgespielt. Pjöngjang verließ den Atomwaffensperrvertrag und begann mit der Wiederaufarbeitung von plutoniumhaltigen Brennstäben. Das folgende Kriegsgeschrei endete im Genfer Rahmenabkommen mit einem Tauschgeschäft: Für die Stilllegung von Yongbyon sollte Nordkorea zwei Kernkraftwerke und Öllieferungen im Wert von 4,5 Milliarden US-Dollar erhalten. Die zweite Atomkrise knapp zehn Jahre später folgte zunächst einem ähnlichen Muster. US-Präsident George W. Bush reihte Pjöngjang im Januar 2002 in die "Achse des Bösen" ein. Die acht Jahre zuvor versprochenen Reaktoren waren da immer noch im Rohbau. Bush:

    "Es kann nicht sein, dass in Nordkorea Kinder verhungern, während eine riesige Armee ernährt wird. Ich appelliere an Nordkorea, seine Grenze zu öffnen und bekräftige meine Entschlossenheit, die weltweit gefährlichsten Staaten an der Beschaffung von Massenvernichtungswaffen zu hindern."

    Mit dieser Begründung bereitete Bush den Krieg gegen den Irak vor. Dadurch sah sich die Führung in Pjöngjang als mögliches Ziel des nächsten US-Angriffes. Denn im Herbst 2002 beschuldigte der US-Sondergesandte James Kelly Pjöngjang, heimlich Uran für Atomwaffen anzureichern. Darauf baute Pjöngjang zum zweiten Mal eine atomare Schreckenskulisse auf. Es trat erneut aus dem Sperrvertrag aus, fuhr den Reaktor wieder hoch und nahm die Plutoniumfabrik in Betrieb. Nur atomar bewaffnet sei man vor einem US-Angriff sicher, so das Kalkül.

    Trotzdem saß Nordkorea schon wenige Monate später bei den Sechser-Gesprächen in Peking mit Gastgeber China, den USA, Südkorea, Japan und Russland am Verhandlungstisch. Wie zehn Jahre zuvor sollte Nordkorea dort sein Atomprogramm gegen Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Hilfe tauschen. Doch diesmal bestand auf US-Seite kein politischer Wille für ein solches Geschäft. Washington setzte sogar internationale Banken unter Druck, ihre Geschäfte mit Nordkorea einzustellen. Bald war dadurch bargeldloser Zahlungsverkehr mit dem Ausland für Nordkorea kaum noch möglich. Selbst Privatkonten im Ausland wurden eingefroren. Darauf reagierte die nordkoreanische Führung auf ihre Weise: Mit dem Atomtest im Oktober 2006 stellte sie klar, dass es kein Bluff gewesen war, als sie im Februar 2005 ihr Land offiziell zur Nuklearmacht erklärt hatte. Erst da begriff die Bush-Administration, dass ihre Politik der Eindämmung gescheitert war.

    Trotz der scharfen Verurteilung des Atomtests durch die Vereinten Nationen kam daher schnell Bewegung in die Sechser-Verhandlungen. Bush ging nun auf Kompromisskurs, sodass innerhalb weniger Monate eine Einigung gelang. Die Atomanlage Yongbyon wurde im Juli 2007 stillgelegt und der Reaktorkühlturm im Juni 2008 gesprengt. Im Gegenzug hoben die USA Handelssanktionen auf und strichen Nordkorea im Oktober 2008 von der Liste der Terrorstaaten. Doch die verabredeten Friedensgespräche begannen nicht. Daraufhin testete Nordkorea erneut ein Langstreckenrakete und zum zweiten Mal eine Atombombe, um seine Abschreckungsmittel vorzuführen.

    Die Atomwürfel waren gefallen, weil der nukleare Schild dem Regime einfach zu viele Vorteile bietet. Die Existenz der Atomwaffe erhöht den Druck auf China, Nordkorea wirtschaftlich zu versorgen, um sich genug politischen Einfluss auf das instabile Land vor seiner Haustür zu sichern. Und Nordkoreas Armee, die das Fundament der Kim-Herrschaft bildet, braucht die Atom- und Raketenrüstung, damit die militärische Abschreckung glaubwürdig bleibt, weil ihre konventionellen Waffen völlig veraltet sind.

    Zur Erinnerung: Kim Jong-il behält weiter seine beiden Ziele im Blick: Sicherheit und Wohlstand für sein Land, was zugleich seine eigene Herrschaft sichert. Diese Ziele kann er nur erreichen, wenn eine Einigung mit den USA zustande kommt. Seine eigene Position hat sich stark verbessert: Erstens: Kim ist atomar bewaffnet und damit militärisch unangreifbar. Südkoreas Hauptstadt Seoul mit ihren 20 Millionen Einwohnern liegt in Reichweite seiner Artilleriegeschütze und ließe sich durch eine Atombombe leicht auslöschen. Zweitens: Kim hat in China einen treuen Verbündeten, der seine Herrschaft um beinahe jeden Preis stützt. Peking braucht Nordkorea nicht nur als Puffer zu Südkorea und den USA. Ein Friedensabkommen in Korea würde auch den Einfluss der USA in dieser Weltregion verringern. Drittens: Kim hat seine Nachfolge geregelt und fühlt sich zuhause sicher. Falls die USA in nächster Zeit keine neuen Gespräche anbieten, könnte Kim die militärische Gewaltschraube problemlos weiterdrehen.

    Einige Politiker und Militärs in den USA, Südkorea und Japan verzögern Gespräche mit Pjöngjang in der Hoffnung, das Regime werde von innen kollabieren, weil Kim Jong-il offenbar gesundheitlich stark angeschlagen ist. Deshalb war die Aufregung über die Nachfolgeregelung innerhalb der Herrscherfamilie groß. Doch langjährige Nordkorea-Beobachter warnen vor einer Fehleinschätzung. Kim Jong-il wolle seine Macht nicht an seinen Sohn abgeben, sondern wie sein eigener Vater Kim Il-sung bis zum letzten Atemzug selbst herrschen. Der japanische Regierungsberater und Korea-Spezialist Hajime Izumi von der Universität Shizuoka:

    "Die meisten Leute denken, dass die Nachfolgefrage für Kim Jong-il am wichtigsten ist. Doch das steht für ihn nur an zweiter oder dritter Stelle. Für ihn zählt am meisten, noch möglichst lange zu leben und an der Macht zu bleiben. Er macht daher gerade das Gleiche wie sein Vater: Er delegiert die alltägliche Regierungsarbeit an seinen Sohn, um die eigene Gesundheit zu schonen. Darum geht es."

    Die Geschichte könnte sich wiederholen: Während Kim Jong-il in den achtziger Jahren als designierter Nachfolger die Alltagsgeschäfte lenkte, blieb sein Vater Kim Il-sung noch 16 Jahre lang am Leben. Er starb, die Zügel der Macht fest in der Hand, mit 82 Jahren. Sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-il ist erst 69 Jahre alt. Dank der modernen Medizin könnte er noch gut einige Jahre leben. Die Lunte am Pulverfass Korea brennt wieder, und die drohende Explosion lässt sich wohl nur durch ein Zugehen auf Nordkorea verhindern. Für einen solchen Schritt hatte Südkoreas Präsident Kim Dae-jung vor zehn Jahren den Friedensnobelpreis erhalten. Barack Obama könnte sich seinen eigenen Nobelpreis im Nachhinein in Korea verdienen.