Die richtigen Worte zu finden ist sehr kompliziert und manchmal ist es gar nicht unsere Schuld, wenn unser Gegenüber sie dann doch missversteht. Wir setzen Worte ein, um in Kontakt zu treten und um unseren Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Worte sind mächtig, sie können trösten, ein Lächeln hervorrufen, zum Nachdenken anregen und ein "Brückenschlag" sein. Genauso können sie aber auch verletzen, zerstören und demütigen. Worte können brutaler als körperliche Gewalt sein. Schon ein einziges Wort kann alles zerstören, was viele andere mühsam aufgebaut haben.
Dabei ist das gar nicht immer beabsichtigt, sondern bloß Folge eines Missverständnisses, weil man "aneinander vorbeiredet", "nicht dieselbe Sprache spricht" und sich im Endeffekt nur noch "um Kopf und Kragen redet". Manchmal ist es besser zu schweigen. Es gibt Situationen, in denen es gar keiner Worte bedarf, in denen die Stille aussagekräftig genug ist, weil "stillleben […] ihre eigene sprache [haben]".
Sprache kann – ob ausgesprochen oder stumm – ein Schatz und ein Geschenk sein. Worte zu sammeln, zu bewahren, ihre Bedeutung und Kraft nicht abzunutzen, sondern alle "leisen und vergessenen worte […] ins kleine album [zu legen]" und "den schatz der sätze […] vor der hektik gut" zu verstecken, ist sehr kostbar.
Mit Worten einen Zugang zu finden kommt uns oft anstrengend und mühsam vor, weil wir krampfhaft nach einem "Entschlüsselungsschlüssel" suchen, obwohl "unsere tore [längst offen] stehen". Man muss nur aufmerksam und "mutig genug [sein] hindurchzuschreiben".
Wir gratulieren den Gewinnern im Februar und danken euch allen für eure Einsendungen!
Die Monatsgewinner im Februar 2016:
mit und ohne worte
sprich mit mir
wütend zerrt der wind
an klapprigen fensterläden
und undichten fenstern
an klapprigen fensterläden
und undichten fenstern
antworte mir
zischend fauchend löscht
er tropfende kerzen
er tropfende kerzen
in der ferne
donnern wellen
gischtig an den strand
donnern wellen
gischtig an den strand
bedrohlich werfen wir uns
worte an den kopf
worte an den kopf
augen sprühen hass
augen flehen
augen flehen
sprache ohne worte
anheimelnde ruhe
knisternder kamin
knisternder kamin
auf dem tisch
früchtechaos
zerknülltes papier
früchtechaos
zerknülltes papier
stillleben
stillleben haben
ihre eigene sprache
ihre eigene sprache
welche worte
willst du hören
willst du lesen
willst du hören
willst du lesen
silbern glänzt wasser
in glutheißer sonne
in glutheißer sonne
silberhell perlen worte
aus kussroten mündern
aus kussroten mündern
gedanken wollen neu gedacht
und worte neu erfunden werden
und worte neu erfunden werden
ich schreie stumm
laut in die stille
laut in die stille
lippen formen gedanken
flüstern worte
flüstern worte
papier hält worte fest
papier kann zeiten überdauern
papier gibt zwischen
papier kann zeiten überdauern
papier gibt zwischen
gesagten
ungesagten
worten raum
… hält still gedanken fest
… hält still gedanken fest
manche bücher
müssten
leicht sein … glücklich
frei wie bunte vögel
müssten
leicht sein … glücklich
frei wie bunte vögel
andere
tonnenschwer wie blei
… müssten meere weinen
oder
glühn vor wilder leidenschaft
… müssten meere weinen
oder
glühn vor wilder leidenschaft
viele
sprechen die gleiche sprache
ohne
einander zu verstehen
sprechen die gleiche sprache
ohne
einander zu verstehen
ich hasse dich
ich liebe dich
sprache zerstört
sprache verbindet
ich liebe dich
sprache zerstört
sprache verbindet
Lara-Sophie Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
Brückenschlag
Torweg, stelzend im Wasser
den Horizont abgelaufene Stunden:
den Horizont abgelaufene Stunden:
Verlängert die Brücke
in jede Richtung des Worts
in jede Richtung des Worts
geradeheraus sollt ihr
die Enden der Sprache einreißen
die Enden der Sprache einreißen
kostbar ist jeder Balken
wertig soll er auch sein -
die Brücke wird halten
schon mit zwei Stützen allein
wertig soll er auch sein -
die Brücke wird halten
schon mit zwei Stützen allein
René Kartes, Jahrgang 1996
Physik
ich werde dir beweisen
es zumindest versuchen
dass dieses Gerüst bald einstürzt
das Fundament ist unstabil
unordentlich gelegte krumme Steine
selbst die Wände haben Risse
es wird einstürzen
aber du wirst mir nicht glauben
es zumindest versuchen
dass dieses Gerüst bald einstürzt
das Fundament ist unstabil
unordentlich gelegte krumme Steine
selbst die Wände haben Risse
es wird einstürzen
aber du wirst mir nicht glauben
ich versuche dir klarzumachen
dass das keine Interaktion ist
fundamentale Wechselwirkung
zwei Körper wirken auf einander ein
mit der gleichen Kraft
und erhalten die gleiche Kraft auch zurück
das kann man nicht allein
aber du wirst mal wieder nur widersprechen
dass das keine Interaktion ist
fundamentale Wechselwirkung
zwei Körper wirken auf einander ein
mit der gleichen Kraft
und erhalten die gleiche Kraft auch zurück
das kann man nicht allein
aber du wirst mal wieder nur widersprechen
ich habe versucht dir zu erklären
dass ich bald platzen werde
der Druck stieg in mir
brauchte einen Ausweg
fand keinen
bis er mich in Fetzen zerriss
nur dass du es nie verstanden hast
wie denn auch, hast ja nie Physik gelernt.
dass ich bald platzen werde
der Druck stieg in mir
brauchte einen Ausweg
fand keinen
bis er mich in Fetzen zerriss
nur dass du es nie verstanden hast
wie denn auch, hast ja nie Physik gelernt.
Yuliana Mosheeva, Jahrgang 1997
ring- und zeigefinger auf die handfläche gepresst, die anderen finger weit ausgestreckt
"ausdruck von gedanken in worten"
es ergrimmt mich was die großen märchenerzähler einst niederschrieben.
müssen es worte sein? buchstaben? silben? zeichen?
hand zur faust, zeigefinger entlang der unteren fingerglieder ausgestreckt, daumen mittig über dem zeigefinger aufgerichtet.
wer definiert, was ein wort ist?
_ . _
wer die Tore finden will, muss nicht nur die ohren, sondern auch die augen öffnen. darf keinen seiner sinne vernachlässigen.
finger gekrümmt und durch den daumen zu einem kreis geschlossen.
kann sprache nur den geist enthüllen,
ist unser herz mit stummheit geschlagen?
doch definitionen sehen in unserem herz auch nur den lebenserhaltenden muskel, der blut durch unseren körper schickt.
.
lebenserhaltend ja. doch so wie der begriff "herz" für uns so viel mehr bedeutet, lässt sich auch wort ausweiten.
hand zur faust, nur zeige- und mittelfinger ausgestreckt und gekreuzt.
einander verstehen, einander entschlüsseln.
_ . _ _
glaub mir, es gibt gar keinen schlüssel.
es ergrimmt mich was die großen märchenerzähler einst niederschrieben.
müssen es worte sein? buchstaben? silben? zeichen?
hand zur faust, zeigefinger entlang der unteren fingerglieder ausgestreckt, daumen mittig über dem zeigefinger aufgerichtet.
wer definiert, was ein wort ist?
_ . _
wer die Tore finden will, muss nicht nur die ohren, sondern auch die augen öffnen. darf keinen seiner sinne vernachlässigen.
finger gekrümmt und durch den daumen zu einem kreis geschlossen.
kann sprache nur den geist enthüllen,
ist unser herz mit stummheit geschlagen?
doch definitionen sehen in unserem herz auch nur den lebenserhaltenden muskel, der blut durch unseren körper schickt.
.
lebenserhaltend ja. doch so wie der begriff "herz" für uns so viel mehr bedeutet, lässt sich auch wort ausweiten.
hand zur faust, nur zeige- und mittelfinger ausgestreckt und gekreuzt.
einander verstehen, einander entschlüsseln.
_ . _ _
glaub mir, es gibt gar keinen schlüssel.
ring- und zeigefinger auf die handfläche gepresst, die anderen finger weit ausgestreckt.
ist es nicht das, was wir immer und immer wieder sagen wollen?
mit all unseren worten, taten, gesten, blicken, gebärden, lauten, geräuschen.
es ist gar nicht der schlüssel, den wir finden müssen. unsere Tore stehen offen.
wären wir nur mutig genug, hindurchzuschreiben.
mit all unseren worten, taten, gesten, blicken, gebärden, lauten, geräuschen.
es ist gar nicht der schlüssel, den wir finden müssen. unsere Tore stehen offen.
wären wir nur mutig genug, hindurchzuschreiben.
Karen Schmitt, Jahrgang 1996
Ohne Worte.
in schwarzen nächten leuchtet schnee
noch unschuldig und ohne spur
wird die dunkelheit geweckt
von einem kind das bei sich nur
noch unschuldig und ohne spur
wird die dunkelheit geweckt
von einem kind das bei sich nur
ein kleines album trägt in dem
sorgsam jene worte wohnen
die vor der hektik gut versteckt
auf weichen sanften seiten thronen
sorgsam jene worte wohnen
die vor der hektik gut versteckt
auf weichen sanften seiten thronen
wenn der mond am himmel leuchtet
wenn hund und katz schon träume träumen
geht das kind den berg hinauf
blickt über dörfer und den bäumen
wenn hund und katz schon träume träumen
geht das kind den berg hinauf
blickt über dörfer und den bäumen
in solchen nächten findet es
die leisen und vergessenen worte
die der nachtwind aufwärts trägt
zum hohen berg an jenem orte
die leisen und vergessenen worte
die der nachtwind aufwärts trägt
zum hohen berg an jenem orte
sinkt eins allein zu boden nieder
und das kind hebt es dann auf
legt das wort ins kleine album
blickt zum sternenhimmel auf
und das kind hebt es dann auf
legt das wort ins kleine album
blickt zum sternenhimmel auf
wenn worte wider wände hallen
trotz der macht des widerstands
wenn winde lettern westwärts tragen
ins nirgendwo ins nimmerland
trotz der macht des widerstands
wenn winde lettern westwärts tragen
ins nirgendwo ins nimmerland
dann gibt das kind - die sammlerin der
worte diesen ein neues heim
es weiß durch den schatz der sätze
ist es nie wirklich allein
worte diesen ein neues heim
es weiß durch den schatz der sätze
ist es nie wirklich allein
irgendwann und irgendwo
wird das kind die liebe finden
und ihr dann all die worte geben
um sie damit an sich zu binden
wird das kind die liebe finden
und ihr dann all die worte geben
um sie damit an sich zu binden
nach jahr und tag trifft es auf sie
am straßenrand mit tiefem blick
das kind das öffnet seinen mund
um zu sprechen doch spricht es nicht
am straßenrand mit tiefem blick
das kind das öffnet seinen mund
um zu sprechen doch spricht es nicht
stattdessen sehen sie sich nur an
musik schwillt langsam an zum forte
wenn zwei dieselbe sprache sprechen
verstehen sie sich auch ohne worte.
musik schwillt langsam an zum forte
wenn zwei dieselbe sprache sprechen
verstehen sie sich auch ohne worte.
Jing Wu, Jahrgang 1995