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Die Macht der Militärs gerät ins Wanken

Die türkische Armee hat in der Landesverfassung eine machtvolle Ausnahmestellung: Sie führt einen eigenen Geheimdienst, in manchen Regionen des Landes sogar eine eigene Polizei und lange Zeit waren Generäle für die Justiz unantastbar. Diese Privilegien könnten bald dahinschmelzen, wenn die Türken einer Verfassungsänderung zustimmen.

Von Gunnar Köhne |
    In der politischen Talkshow eines türkischen Fernseh-Senders fliegen die Fetzen. Seit Wochen schon beharken sich Befürworter und Gegner der Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan in Medien und auf öffentlichen Plätzen. Gestritten wird dabei um das morgen statt findende landesweite Referendum über eine Verfassungsreform. 26 Paragrafen des Grundgesetzes sollen geändert oder völlig neu gefasst werden. Doch es geht um mehr als nur um eine juristische Reform, über die die knapp 50 Millionen wahlberechtigten Türken abstimmen sollen. Es geht - wieder einmal - um das politische Selbstverständnis der türkischen Republik. Und nicht zuletzt um die Rolle, die die Armee des Landes künftig spielen wird.

    Das Datum der Volksabstimmung ist von der religiös-konservativen Regierung nicht ohne Hintersinn gewählt worden. 12. September - bei diesem Datum denken die meisten Türken an den letzten gewaltsamen Militärputsch in der Türkei.

    Im Morgengrauen des 12. September 1980, also fast auf den Tag genau vor 30 Jahren, rollen im ganzen Land Panzer aus den Kasernen und besetzen die Straßenkreuzungen. Vor Regierungsgebäuden und Politikerwohnungen nehmen schwer bewaffnete Infanteristen Aufstellung. Die Operation "Fahne" hat begonnen. Die Regierung wird festgesetzt, eine Verhaftungswelle rollt über das Land. Vor allem Linke und kurdische Nationalisten werden zu Zehntausenden in Fußballstadien zusammengetrieben.

    Dem Militärputsch vorangegangen war eine Periode der politischen Lähmung und Gewalt in der Türkei. Auf den Straßen Ankaras und Istanbuls herrschten Ende der siebziger Jahre bürgerkriegsähnliche Zustände. Linke und faschistische Gruppen bekämpften sich blutig - und der Staat reagiert hilflos. Hinzu kam eine riesige Wirtschaftskrise: Die Inflation lag bei hundert Prozent, internationale Kredite für die Türkei waren wegen der Besetzung Nord-Zyperns blockiert. Die Generäle fühlten sich berufen, die Republik Mustafa Kemal Atatürks vor dem vermeintlichen Untergang zu bewahren. Zum dritten Mal in der erst jungen Geschichte des Landes

    Unmittelbar nach seiner Machtübernahme lässt der damalige Juntachef, General Kenan Evren eine neue Verfassung in Auftrag geben. Die soll die Macht des Militärs festschreiben. Und sie soll den Einfluss von Linken und Gewerkschaften eingrenzen. Zwei Jahre später, im November 1982, wird die Neufassung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Die Türken votieren - wie erwartet - zu 91 Prozent mit "Ja". Der Text beginnt mit einer langen Präambel. In den ersten Absätzen heißt es da:

    "Diese Verfassung, die die ewige Existenz des türkischen Vaterlandes und der türkischen Nation sowie die unteilbare Einheit des Großen Türkischen Staates zum Ausdruck bringt entsprechend der Auffassung vom Nationalismus, wie sie Atatürk, der Gründer der Republik Türkei, der unsterbliche Führer und einzigartige Held, verkündet hat mit dem Ziel, die ewige Existenz, die Wohlfahrt, das materielle und geistige Glück der Republik Türkei als ehrenvolles und gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie der Welt entschlossen auf das Niveau moderner Zivilisation zu heben"

    Das Wort Demokratie erscheint erst später in der Präambel. Dafür ist von Rechten und Pflichten des Bürgers gegenüber dem Nationalstaat die Rede. Außerdem von Vaterland, Volk, Ehrfurcht, Treue, Mühsal und immer wieder von den "unabänderlichen Prinzipien" Atatürks.

    Zwar finden sich in dem 177 Artikel umfassenden Werk alle üblichen Grundrechte, etwa die Meinungs- und Pressefreiheit, die Religionsfreiheit oder der Schutz des Privatlebens. Doch viele dieser Grundrechte - im Text überschrieben mit "Grundrechte und -pflichten" - werden im Text eingeschränkt oder in widersprüchliche Zusammenhänge gestellt.

    Der Armee wird in der Verfassung eine machtvolle Ausnahmestellung eingeräumt. So wird der Nationale Sicherheitsrat gleichwertig mit anderen legislativen Organen des Staates genannt. Der Sicherheitsrat wird zwar formal vom Staatspräsidenten geleitet, de facto hatte aber bislang die dort versammelte Armeespitze das Sagen. Sogenannte "Empfehlungen" des Gremiums konnte keine Regierung ignorieren.

    Doch schon nach ihrer erstmaligen Machtübernahme im Sommer 2002 hatte die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP, unter Tayyip Erdogan versprochen, eine neue Verfassung vorzulegen, die europäischen Rechtsnormen entspricht. Nachdem die Türkei Ende 2004 zur EU-Beitrittskandidatin erkoren worden war, drängte auch Brüssel auf eine Revision der Verfassung.

    Die Regierung gab 2004 bei einem liberalen Rechtsprofessor eine komplette Neufassung in Auftrag, die sich radikal von allen Vorgängertexten unterschied. So war etwa nicht mehr von "türkischem Volk" die Rede, sondern von "Bürgern der türkischen Republik" - eine Forderung von nicht-türkischen Minderheiten wie Kurden und Armeniern.

    Doch Erdogan ließ diesen Entwurf in einer Schublade verschwinden - es war schnell klar, dass er dafür nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit im Parlament erhalten würde. Denn die Opposition geißelte den Entwurf unisono als "Anschlag auf die Fundamente des Landes".

    Besonders empört reagierte das Militär, denn es sah in den Reformbestrebungen seine alte Machtposition gefährdet. Zu diesem Zeitpunkt fühlten sich die Generäle noch unangreifbar. Und Politik gegen sie schien kaum durchsetzbar.

    Seit Gründung der türkischen Republik sah sich die Armee als einzig wahre Hüterin des Erbes von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk - selbst ein General. Drei Mal putschten sie gewählte Regierungen von der Macht, wenn sie die Prinzipien des Kemalismus in Gefahr sahen. Unter diesen Prinzipien verstanden sie insbesondere den Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion, und die Einheit des Landes. Noch vor wenigen Jahren genügte ein in drohendem Ton verfasstes Communiqué aus dem Generalstab, um die Regierung von einem Gesetzesvorhaben abzubringen.

    Der Verteidigungsminister spielt in der Türkei nur die Rolle eines Statisten. Die Verteidigungspolitik des Landes wird im Generalstab bestimmt, das Verteidigungsbudget war bis vor Kurzem noch geheim. Die Armee hat ihren eigenen Geheimdienst und in ländlichen Gebieten mit der "Jandarma" auch ihre eigene Polizei.

    Dennoch hat sich in den vergangenen Jahren in der Türkei ein aufsehenerregender Machtwechsel vollzogen: Die zivile Politik übernimmt mehr und mehr die Kontrolle des Landes - und das Militär ist ins zweite Glied zurückgetreten. Den Vorwand dafür lieferten einige selbstherrliche Generäle selbst.

    Gemeinsam mit gleichgesinnten Journalisten, Lehrern, Professoren und Beamten sollen mindestens ein Dutzend hoher Armeeoffiziere, darunter auch Generäle, im Jahr 2004 Pläne für einen Staatsstreich gegen die amtierende Regierung ausgearbeitet haben. Der umstürzlerische Geheimbund trug den Namen "Ergenekon". Die Gruppe, die sich nach der mythischen Urheimat der Türken benannt hat, soll Attentate und Anschläge geplant und durchgeführt haben. Ihr Ziel: die Stimmung im Land so weit anzuheizen, dass die Armee einen Grund zum Putschen erhält. In der Öffentlichkeit und in den Medien sollte die derzeitige gemäßigt religiöse Regierung verantwortlich gemacht werden, um den Staatsstreich zu rechtfertigen.

    Doch der Plan wurde vereitelt, Dutzende mutmaßliche Verantwortliche wurden in mehreren Verhaftungswellen seit 2007 festgesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung". Noch nie ist in der Türkei mit solcher Härte gegen den tiefen Sumpf des extremen Nationalismus vorgegangen worden. Und vor allem wurde noch nie zuvor die bislang so allmächtige Armeeführung herausgefordert. Der Istanbuler Publizist Oral Calislar zu der Bedeutung des Ergenekon-Verfahrens für die Türkei:

    "Das Ergenekon-Verfahren ist, wenn man so will, eine Abrechnung mit all denen in der Türkei, die noch immer mit gewaltsamen Umstürzen liebäugeln. Hier steht also nicht nur eine Gruppe von Menschen vor Gericht, sondern eine politische Haltung, eine politische Mentalität, mit der die Türkei viele Jahrzehnte leben musste. Ich bin überzeugt, dass die Anklage und die Verhaftungen weitere politische Morde verhindert haben."

    Das Militär schweigt zerknirscht zum Ergenekon-Komplex. Zu kompromittierend sind die Enthüllungen über das Treiben einiger Top-Generäle. Plötzlich sieht sich die Armee einem Bombardement von Enthüllungen ausgesetzt. Einst galten Offiziere in der Türkei als unantastbar für die zivile Justiz - nun werden selbst Viersterne-Generäle in Handschellen abgeführt. Jahrelang galt die Armee als die respektierteste staatliche Institution - nun versinkt sie in Chaos und Verdächtigungen. Doch nicht nur die Putschpläne einiger Offiziere machen ihr zu schaffen. Auch Berichte über brutale Willkür gegenüber Rekruten haben ihrem Ruf geschadet, ebenso über strategische Inkompetenz im Kampf gegen die kurdischen Rebellen der PKK. Oral Calislar hofft nun, dass seinem Land endlich die Wende hin zu einer Zivilgesellschaft gelingt:

    "Der Putsch von 1980 hat das politische System der Türkei verändert, er hat es militarisiert. Seitdem steht das Parlament unter der Herrschaft des Militärs. Aber durch die Demokratisierung und die Annäherung an die EU geriet deren Rolle in den vergangenen Jahren ins Wanken. Die Forderung, dass die Armee sich wie in anderen Ländern auch nicht länger in die Politik einmischen sollte, ist immer lauter geworden."

    Die religiös-konservative Regierung Erdogan, das zeigen die Ergenekon-Ermittlungen, ist die erste, die einem Machtkampf mit dem Generalstab nicht aus dem Weg geht. Im Juli dieses Jahres, als die alljährlichen Beförderungen innerhalb der Armee beschlossen werden sollten, demonstrierte sie erstmals ihre Entschlossenheit. Bis dahin handelten die Generäle Beförderungen unter sich aus - einschließlich der Benennung des neuen Generalstabschefs. Die Regierungen nickten die Namensliste nur ab. Doch dieses Mal kam es anders: Erdogan lehnte die Beförderung von elf Offizieren ab, die laut Staatsanwaltschaft in den Ergenekon-Skandal verwickelt sein sollen. Zudem erzwang Regierungschef Erdogan die Frühpensionierung eines Generals. Ein Wendepunkt in der zivilen Kontrolle des Militärs, jubelten Linke und Liberale in der Türkei. Der Premier selber sprach im Fernsehen von einem normalen Vorgang:

    "Wer muss denn für solche hochrangigen Entscheidungen innerhalb der Armee am Ende den Kopf hinhalten? Das ist doch die Regierung! Wir haben also ganz im Einklang mit den Verfahren in anderen NATO-Ländern gehandelt. Wir haben etwas ganz Selbstverständliches getan."

    Der neue Generalstabschef Isik Kosaner vermied bei seiner Amtseinführung Ende August jede Kritik an der Regierung. Auch die sonst üblichen markigen Worte gegen die "Feinde der Republik" blieben dieses Mal aus. Der 65-jährige bisherige Heeres-Chef Kosaner gilt als besonnener Soldat, im Gegensatz zu hohen Offizieren, die sich ungefragt zu politischen Themen äußern, hält sich der Viersterne-General bedeckt. Die Wahl Kosaners wird als weiteres Zeichen dafür gewertet, dass sich die Armee mit ihrem langsamen Rückzug aus der Politik abgefunden hat.

    Denn in dem morgigen Verfassungsreferendum steht der nächste Schlag gegen die Allmacht der Armee bevor. In den zur Abstimmung stehenden 26 neugefassten Artikeln soll die politische Macht des Militärs eingeschränkt werden.

    So sollen die Befugnisse der Militärgerichte beschnitten werden. Soldaten, die einer Straftat beschuldigt werden, sollen sich künftig vor Zivilgerichten verantworten müssen.

    Die Hauptverantwortlichen des Putsches von 1980 sollen - soweit noch am Leben - zur Rechenschaft gezogen werden können. Ein Passus in der Verfassung, der den Putschisten lebenslange Immunität zusichert, soll gestrichen werden.

    Beschlüsse des Hohen Militärrats, jenes Gremiums also, das über Beförderungen und Entlassungen von Soldaten entscheidet, sollen dem Entwurf zufolge gerichtlich angefochten werden können. Regierungschef Erdogan sieht in den Änderungen einen Meilenstein:

    "Mit diesen Änderungen rechnen wir endlich mit den Putschisten von 1980 ab. Und auch mit ihren Anhängern, die es bis heute gibt. Diese 26 Artikel sollen erst der Anfang sein. Wenn das Volk am Sonntag Ja sagt, sollen im nächsten Jahr weitere Verfassungsänderungen folgen."

    Das Gesetzespaket enthält noch andere wichtige Änderungen. So sollen die Rechte von Frauen, Kindern und Behinderten gestärkt werden, Gewerkschaften auch im öffentlichen Dienst Tarifverträge aushandeln dürfen. Doch gestritten, gestritten wird vor allem um die Paragrafen im Reformpaket, die die Justiz betreffen.

    Die Befugnisse der Gerichte sollen eingeschränkt, Verbote politischer Parteien erschwert werden. So soll der Oberste Rat der Richter und Staatsanwälte, der über die Besetzung wichtiger Ämter im Justizapparat entscheidet, von sieben auf 21 Mitglieder erweitert werden. Ein Drittel von ihnen soll künftig vom Parlament berufen werden. Damit wolle die Regierung eine echte Gewaltenteilung sicherstellen, heißt es.

    Doch die Opposition verdächtigt die Regierung, die Justiz unterwerfen zu wollen, um ihrer eigenen Macht willen und um damit die "Islamisierung" des Landes voranzutreiben. Schließlich sei sie mit ihrem Vorhaben, das Kopftuch an Hochschulen freizugeben, vor drei Jahren an der Justiz gescheitert. Und auch das knapp überstandene Verbotsverfahren gegen seine Partei vor zwei Jahren habe bei Tayyip Erdogan den Willen gestärkt, sich diese letzte "Bastion des Kemalismus" untertan zu machen.

    Dagegen vor allem macht die Opposition seit Wochen in einem erbitterten Wahlkampf Front. Mit einem Millionenaufwand lassen beide Lager – Laizisten wie Religiös-Konservative - Wahlplakate kleben, Broschüren und Anzeigen drucken. Evet - Ja oder Hayir - Nein steht auf den zahllosen Wimpeln, die in Istanbul an fast jeder Straßenecke wehen. Allein Ministerpräsident Erdogan hat rund 50 öffentliche Auftritte absolviert.

    "Die Opposition, allen voran die Republikanische Volkspartei CHP mit ihrem neuen Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu, wittert in der Abstimmung die Chance, Erdogan einen Denkzettel verpassen zu können. Tatsächlich weisen Umfragen auf einen offenen Ausgang des Referendums hin. Im Falle einer Niederlage deutete Erdogan bereits an, vorgezogene Neuwahlen ausrufen zu wollen."

    Oppositionsführer Kilicdaroglu wirbt landauf, landab für ein Nein zur Reform. Einen eigenen Reformvorschlag ist die CHP bislang aber schuldig geblieben. Gegen eine Aufhebung der Immunität für die Putschisten hat Kilicdaroglu nichts, er kritisiert aber, dass nur über das Gesamtpaket der 26 Artikel abgestimmt werden kann und nicht über einzelne Vorschläge. Den Verdacht, Fürsprecher des Militärs zu sein, weist er von sich:

    "Wenn du die Unabhängigkeit der Justiz sicherstellst, die gesellschaftliche Freiheit festigst, die Autonomie der Hochschulen wiederherstellst - warum bitte sollte das einen Militärputsch provozieren? Ich sage hier und jetzt: Ich werde im Falle eines Putsches der Erste sein, der sich den Panzern in den Weg stellt!"

    Zahlreiche Künstler und Intellektuelle äußerten sich über die Reform unzufrieden. Sie hätten sich einen mutigeren Schritt in Richtung Demokratie gewünscht. So sei die Forderung, die Zehnprozenthürde im Wahlgesetz zu senken, nicht berücksichtigt worden. Letzteres ist eine Forderung der kurdischen Minderheit, denn es sind gerade die den Kurden nahe stehenden Parteien, die immer wieder an der hohen Zehnprozenthürde scheitern. Vergeblich warben die Kurden auch dafür, jenen Paragrafen zu ändern, nach dem allein türkisch als Unterrichtssprache an den Schulen zulässig ist. Darum haben kurdische Nationalisten auch zu einem Boykott der Volksabstimmung aufgerufen.

    Sollte die Verfassungsreform am morgigen Sonntag scheitern, wäre dies für Tayyip Erdogan zweifellos eine große politische Niederlage. Doch wäre es deshalb gleichzeitig ein Sieg für die Armee - weil ihr damit der Verlust weiterer Privilegien vorerst erspart geblieben wäre?

    Eine Niederlage Erdogans würde den Machtverlust der Armee nur verlangsamen, verhindern würde sie ihn wohl nicht mehr. Die türkischen Streitkräfte bleiben zwar vorerst durch ihre schiere Größe eine Macht. Mit über 600.000 Mann stellen sie nach den USA die zweitgrößte Armee innerhalb der NATO dar. Doch längst wird auch in der Türkei über eine Abschaffung der Wehrpflicht und eine Verkleinerung der Truppenstärke diskutiert. Der seit 30 Jahren andauernde verlustreiche Krieg mit den Rebellen der kurdischen PKK lässt den Ruf nach einer professionellen Armee immer lauter werden.

    Auch die wirtschaftliche Macht der Streitkräfte gerät ins Wanken. Noch gebietet sie - über den armeeeigenen Pensionsfonds - über eines der größten Industriekonglomerate der Türkei - mit Geschäften in den Bereichen Tourismus, Autos und Stahl. Doch die hauseigene Bank musste bereits verkauft werden. Und die Steuervorteile der Oyak-Holding werden inzwischen öffentlich infrage gestellt.

    "Es ist vorbei", schrieb der bekannte Istanbuler Journalist Mehmet Ali Birand erleichtert in einer Kolumne Ende August. Gemeint war, dass die türkischen Streitkräfte ihre politische Macht eingebüßt haben. 87 Jahre nach Gründung der Republik Türkei sind sie nur noch eine Institution unter anderen und der Regierung zur Rechenschaft verpflichtet. Sie sind nicht mehr unantastbar.