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Die männermordende Papsttochter

Lucrezia Borgia wurde als Femme fatale gemalt, von Dichtern besungen und von Gaetano Donizetti schließlich auf die Opernbühne gebracht – eine Männerfantasie bis heute. Die Belgische Nationaloper in Brüssel präsentiert nun eine plausible Version mit überragenden Sängern.

Von Frieder Reininghaus | 20.02.2013
    Venedig wurde nicht nur im Wasser erbaut, sondern seit dem Mittelalter auch mit eigentümlichen Formen des Sterbens konnotiert. So ist die Bildmetaphorik evident, die sich im "Cirque Royal " den Augen im weiten Rund bietet: Der golden gekrönte Tod mit seinem kahlen Schädel und der rothaarige schwarze Teufel greifen mit riesigen Armen auf die runde Arena zu, die sich in der Mitte des großen Raums als Spielfeld anbietet, und zunächst dem ein- und ausgelassenen Karnevalstreiben dient.

    Links vom sichtbar agierenden Orchester wartet ein Varietébühneneingang, dessen Neonlicht mit dem Schriftzug "Borgia" lockt. Über ihm ein Balkon, dessen Balustrade zwei wohlgeformte nackte Frauenbrüste bilden. Rechts eine Mater dolorosa.

    Die gewaltigen Symbole des Bühnenbildners Johannes Leiacker, dessen Bildersprache durch die Bregenzer Festspiele und deren mediale Vermarktung weithin bekannt wurde, spielen mit Motiven historischer Malerei und stellen die Bezüge zur Renaissancezeit her.

    In der hatte Lucrezia Borgia keine leichte Jugend. Sie musste die Liebe des Vaters - Papst Alexander VI. - nicht nur mit Millionen Katholiken teilen, sondern auch mit wenigstens acht Geschwistern. Drei von ihnen stammten immerhin von derselben Mutter ab wie sie.

    Der Heilige Vater sorgte dafür, dass sie schon als Minderjährige auf den Liebesmarkt kam. Gleich zu Beginn ihrer Karriere wurde Ehemann Nr. 1 rasch wieder entsorgt, weil er den Borgias nicht mehr nützlich erschien, und Ehemann Nr. 2 kurz darauf durch einen wohl vom Bruder und Warlord Cesare Borgia arrangierten Mordanschlag aus dem Verkehr gezogen. Solche Lektionen lehrten Lucrezia, wie sehr es für die Selbstverwirklichung auf Willensstärke und Durchsetzungsvermögen ankommt.

    Elena Moşuc verkörpert die vom Leben bereits hart geprüfte Frau in den besten Jahren mit einer nicht immer lupenrein intonierenden, aber auf der weiten Theaterfläche bestens durchsetzungsfähigen Stimme: die Titelheldin! Sie taucht in die venezianische Maskerade mit eindeutiger Stoßrichtung der Triebstrukturen und steuert in den mörderischen Intrigen am Hof von Ferrara ihren eigenen Kurs.

    Kann aber den Tod des jungen Gennaro nicht verhindern, der sich - auf der Suche nach der ihm unbekannten Mutter - in sie verliebt. Charles Castronovo gibt diesen lebenslustigen schönen Renaissancejüngling so überzeugend wie er seine Partie hinreißend singt.

    Gegenspieler von Elena Moşuc als Lucrezia von Brüssel ist der schlanke und hoch gewachsene Paul Gay als Herzog von Ferrara mit seinem distinguierten Bassbariton - auch er ein vorzüglicher Sängerdarsteller. Die Vierte im Quartett der Protagonisten freilich, Silvia Tro Santafé, legt in der Hosenrolle des bis in den Tod getreuen Freundes Orsini eine Glanzleistung aufs Parkett, die den gestrigen Abend in Brüssel toppte.

    Das Verdienst der Reaktivierung von Donizettis rarer Oper durch das Team des Théatre de la Monnaie liegt nicht zuletzt darin, dass die Produktion in Erinnerung rief, wie sehr sich Richard Wagner als sein eigener Librettist an zentralen Motiven der "Lucrezia Borgia" orientierte - und Giuseppe Verdi als Komponist, der in "Luisa Miller" wie in der Ballszene des "Rigoletto" ebenso hörbar hier anknüpfte wie noch in den Freundestreueschwüren des "Don Carlos".