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Die Mär von der Attentatsprävention durch Flugsicherheitskontrollen

Geheimdienste, die versagen, Nacktscanner, die gefährliche Flüssigkeiten nicht aufspüren können, Duty Free Shops, die ein Arsenal an Attentatszutaten verkaufen: Was tun gegen Flugzeuganschläge? Zivilcourage und konzertiertes Vorgehen weltweit statt technische Varianten, schlägt Michael Cramer vor.

    Sandra Schulz: Neben den bangen Fragen nach den Ursachen und Hintergründen des vereitelten Anschlags stellen sich für viele Reisende auch ganz konkrete Fragen: Was kommt jetzt auf die Fluggäste von Transatlantikflügen zu, aber auch auf die Passagiere, die innerhalb Europas reisen? Einschätzungen dazu hat mein Kollege Christian Bremkamp von Michael Cramer eingeholt, für die Bündnis-Grünen Mitglied im Europäischen Parlament und dort Mitglied des Verkehrsausschusses. Zuerst hat er ihn gefragt, ob der Vorfall mithilfe sogenannter Nacktscanner hätte vermieden werden können.

    Michael Cramer: Das ist natürlich die zentrale Frage. Ich glaube nicht. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Wir hätten aber diesen Vorfall verhindern können, wenn einmal die Bedenken ernst genommen worden wären, zum Beispiel des Vaters, der ja vorher davor gewarnt hat. Er stand auch auf der Liste, aber nie auf der Liste, denen man Fliegen verbietet. Und zum Zweiten, dass die Kontrollen, die ja durchgeführt werden, nicht garantieren, dass man beispielsweise die Spritze entdeckt hat, die gefunden wird, oder Gegenstände, die unter der Kleidung versteckt werden. Solche Maschinen gibt es bereits, sie sind auch in Schiphol im Einsatz, aber nur an 20 Stellen, wo es 200 Kontrollstellen gibt.

    Christian Bremkamp: Bleiben wir noch mal kurz bei diesen sogenannten Nacktscannern. Die sind ja nicht unumstritten. Aber würden sich Reisende nicht zumindest sicherer fühlen, wenn es diese Geräte gäbe, Stichwort Abschreckung?

    Cramer: Einmal wird da das Persönlichkeitsrecht der Flugpassagiere eklatant verletzt. Zum anderen wissen wir, dass der reine Aktionismus es auch nicht bringt. Wir haben die Situation mit der Flüssigkeitsregelung, die auch entstanden ist, die keinen Schutz bieten kann, wo man heute noch nicht weiß, was sie eigentlich soll, aber es wird so getan, als würde man mehr Sicherheit garantieren. Das Gegenteil ist der Fall. Deshalb bin ich skeptisch bei den Body-Scannern, dass sie eingesetzt werden. Ich glaube das nicht.

    Bremkamp: Was wäre die Alternative?

    Cramer: Die Alternative ist zum Beispiel, dass man Bedenken der Umgebung dieser Täter ernst nimmt. Notwendig ist, dass die in Schiphol schon zu einem Teil eingesetzten Maschinen auch verwendet werden, um Gegenstände unter den Kleidungsstücken ausfindig zu machen. Und dann geht es natürlich darum, wie ist denn dieser Anschlag verhindert worden: durch beherztes Eingreifen der Passagiere. Jeder von uns ist gefragt, wenn einem was auffällt, dann auch aktiv zu werden. Das ist die Zukunft, aber nicht irgendwelche technischen Varianten.

    Bremkamp: Also wurde Ihrer Ansicht nach in Amsterdam am Flughafen schlichtweg geschlampt?

    Cramer: Das kann ich nicht sagen, ob in Amsterdam geschlampt wurde. Komisch ist auch, dass der Nigerianer für Großbritannien kein Einreisevisum mehr hatte, aber in den USA, wo doch alles schärfer kontrolliert wird, eines bekommen hat. Da sind Unstimmigkeiten. Erst muss alles aufgeklärt werden: Was hat dazu geführt, wo waren die Schwachstellen? Und die müssen beseitigt werden. Aber nicht ohne Kenntnis der genaueren Umstände jetzt wieder nach mehr Kontrolle, nach neueren Kontrollen – und die Persönlichkeitsrechte spielen überhaupt keine Rolle – zu fordern. Das ist der falsche Weg, das haben wir damals bei dem Flüssigkeitsverbot gesehen. Das hat überhaupt keinen Zuwachs an Sicherheit gebracht, nur eine Schikane der Passagiere, denn die Flüssigkeit als solche kann nicht untersucht werden.

    Bremkamp: Aber das ist doch ein Sicherheitsaspekt. Wenn man möglicherweise gefährliche Flüssigkeiten nicht mit an Bord bringen darf, sind die schon mal ausgeschlossen.

    Cramer: Man kann die Flüssigkeit ja nicht untersuchen. Jetzt kommt hinzu, dass ich Flüssigkeiten mit zehn Millilitern mitnehmen kann. Brauche ich für einen Bombenanschlag 30 Milliliter, nehme ich eben drei Gefäße von jeweils zehn Millilitern mit an Bord, das ist erlaubt. Beispielsweise auch das Pulver kann ich ja mitnehmen, wird nicht kontrolliert. Dann gehe ich in einen Duty Free Shop und hole mir dann die Flüssigkeit, die ich für das Mix brauche. Im Duty Free Shop kann ich alle Flüssigkeiten einkaufen. Das bringt nichts, das sagen uns alle Sicherheitsexperten. Das ist der falsche Weg. Wir können noch nicht die Flüssigkeit scannen und unterscheiden, ob das jetzt Coca-Cola ist oder ein giftiges Gemisch, und solange das nicht geht, hat diese Flüssigkeitsregelung wirklich keine Relevanz.

    Bremkamp: Vonseiten der EU-Kommission heißt es nun, ein Expertenkomitee für Sicherheit im Luftverkehr werde sich mit den Details des Vorgangs beschäftigen. Das klingt ein bisschen nach Ratlosigkeit, finde ich?

    Cramer: Ja, man ist auch ratlos und gegen den hoch qualifizierten Terrorismus ist auch schwer, eine hundertprozentige Sicherheit oder nahezu vollständige Sicherheit zu erlangen. Deshalb finde ich schon richtig, dass hier das eingesetzt wird. Aber eines merkt man an dieser Arbeitsgruppe, die jetzt eingesetzt werden soll, dass der reine Aktionismus, wie damals nach dem versuchten Anschlag in Großbritannien mit der Flüssigkeitsregelung, nicht zum Erfolg führt, dass man das vermeidet. Von daher finde ich richtig, dass man sich damit befasst, alles genau analysiert, und dann brauchen wir eine europaweite Regelung, am besten eine weltweite. Die Länder, die sich nicht daran halten, oder die Fluggesellschaften, die das nicht garantieren können, die dürfen dann Europa eben nicht mehr anfliegen.

    Bremkamp: Die Gewerkschaft der Polizei hat sich ebenfalls zu Wort gemeldet und eine bessere Bezahlung von Mitarbeitern privater Kontrolldienste angemahnt. Schlummert da unter Umständen ein Risiko, das bislang zu wenig Beachtung gefunden hat?

    Cramer: Die Privatisierung hat natürlich immer Risiken. Das wissen wir, dass früher die beamteten Sicherheitskräfte in den Flughäfen natürlich anders ausgebildet waren, auch anders kontrolliert haben. Wir wissen heute, dass mit den privaten Organisationen, die dort eingesetzt werden, auch Missbrauch betrieben wird, auch mit Dumpinglöhnen Personal eingeschleust wird, was keine Relevanz hat, was sicherheitsgefährdend ist. Hier muss man Maßstäbe überdenken. Ich bin jetzt nicht der Verfechter des Beamtentums, aber die Leute, die dort eingestellt werden, egal von wem, die müssen vorher kontrolliert sein, die müssen zuverlässig sein und natürlich braucht Zuverlässigkeit auch eine anständige Bezahlung.

    Schulz: Michael Cramer, Europaabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Verkehrsausschuss, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Christian Bremkamp.