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Die magische Materie der Informatik

Die größte Empörung der Hacker richtet sich gegen die stümperhafte Machart des angeblichen Staatstrojaners, so als gebe es ein Grundrecht auf State-of-the-Art-Bespitzelung. Dabei ist doch gerade das die tröstliche Seite der ganzen Affäre: Der Staat kommt wieder mal mit moderner Technik nicht zurecht und kauft eine prekär schlampige Software, meint Burkhard Müller-Ullrich.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Oops, he did it again. Frank Schirrmacher ließ auf den Seiten seiner Frankfurter Allgemeinen Zeitung diesmal nicht den Code des menschlichen Genoms, sondern des totalitären Staats abdrucken. In konzertierter Aktion mit dem Chaos Computer Club (CCC) entstand ein Scoop der Sonderklasse, ein Paradebeispiel publizistischer Pyrotechnik, wohlpräpariert und zweistufig abgefeuert im Sonntags- und im Montagsblatt. Die Hacker haben deutsche Sicherheitsbehörden beim Verfassungsbruch erwischt: Das ist die Nachricht, die wie die Ausrufung des nationalen Notstand aufgenommen wird.

    Die Nachricht kommt von den Hackern. Ein Beweis, dass es sich bei der geknackten Spionagesoftware um einen sogenannten Staatstrojaner handelt, liegt bis jetzt nicht vor - und wird auch so schnell nicht vorgelegt werden, weil sich die Spur der untersuchten Festplatten im Nebel der Anonymität verliert. Es handelt sich also bis jetzt um bloße Behauptungen der Club-Hacker, welche das ganze Mediengetöse ausgelöst haben: Behauptungen, die zum Beispiel das Bundeskriminalamt abstreitet.

    Interessant ist nun, dass die größte bürgerlich-konservative Tageszeitung Deutschlands, vor die Wahl gestellt, den Angaben eines Staatsorgans zu glauben oder denen eines schon mehrfach mit den Gesetzen in Konflikt geratenen Chaos-Clubs, sich für letzteres entscheidet.

    Diese durchaus alarmierende Tatsache kommt nicht von ungefähr. Die Erosion des bürgerlichen Rechtsvertrauens hat hierzulande längst ein unheilvolles Ausmaß erreicht. Von der Regierung, die konsequent das Gegenteil von dem tut, was sie kurz vorher versprochen hat, über Finanzbehörden, die freudig gestohlene CDs direkt von den Dieben ankaufen, bis zu der offenkundigen Willkür gewisser Anklagevertreter erstreckt sich ein breites Panorama von Misstrauensgründen gegenüber diesem Staat. Angesichts dessen wäre es nicht allzu erstaunlich, wenn bei polizeilichen Ermittlungen auch unerlaubte Computerprogramme zum Einsatz kämen.

    Einer der aufwendig herauspräparierten Hauptvorwürfe der FAZ-CCC-Enthüllungsstory lautet: Wegen der versatilen Machart der Überwachungssoftware könnten kriminelle Polizisten einem Verdächtigen sogar gefälschte Dateien auf den Computer spielen, die dann als Beweismittel gegen ihn dienten. Wenn man allerdings die Kriminalität der deutschen Polizei so hoch veranschlagt, wie es das FAZ-CCC-Konsortium anscheinend tut, dann stellt sich die Frage, warum die Ordnungshüter überhaupt den komplizierten und vor Gericht doch immer etwas schwach wirkenden Beweis-Weg durch die Online-Welt gehen sollen, wenn sie bei gleicher Bereitschaft zur Illegalität einem Verdächtigen doch gleich viel handfestere Formen von gefälschten Beweisen unterjubeln könnten.

    Ganz nüchtern und praktisch betrachtet, gibt die "Anatomie eines digitalen Ungeziefers" - so der von Ernst Jünger und Frank Schirrmacher inspirierte FAZ-Titel - bei weitem nicht so viel grauenhaftes Neues her, wie es das Medienecho erscheinen lässt. Dass das öffentliche Echo aber so exorbitant ausfällt, hat mit der magischen Materie der Informatik selbst zu tun, welche der Abdruck des auf fünf volle Zeitungsseiten vergrößerten, verschieden eingefärbten Programmcodes versinnbildlicht. Natürlich versteht das Publikum davon gar nichts. Aber es ahnt, dass die Computer-Ritter von Wikileaks, Guttenplag und Chaos-Club in unserer Welt mehr und mehr das Sagen haben.

    Denen geht es auch um etwas anderes. Die größte Empörung der Hacker richtet sich gegen die stümperhafte Machart des angeblichen Staatstrojaners, so als gebe es ein Grundrecht auf State-of-the-Art-Bespitzelung. Dabei ist doch gerade das die tröstliche Seite der ganzen Affäre: Der Staat kommt wieder mal mit moderner Technik nicht zurecht und kauft eine prekär schlampige Software. Wir wissen aber: Schlampigkeit ist die sicherste Gewähr für Freiheit.