So begibt sich der Junge Alexander in "Das Haus der Tante" von seinem Elendsquartier auf die Suche nach einem imaginären Ort des Glücklichseins, von dem ihm sein Bruder, um den Hunger zu vertreiben, vorphantasiert hatte. Mit dem gelben Schlüssel in der gelben Blume an der Haustür der Patentante, so der Bruder, könne die Angst überwunden werden. Lygia Bojungas Figuren reisen mühelos zwischen den wirklichen und phantastischen Welten hin und her, Tiere reden ebenso wie Sicherheitsnadeln, Taschen werden vor lauter Wünschen so schwer, dass sie nicht mehr getragen werden können, die Gehirne von Kampfhähnen sind mit Zwirn zusammengenäht, Pfaue leiden unter Gedankenfiltern.
Bei aller vielschichtiger Erzählweise wahren Bojungas Geschichten zugleich immer die Leichtigkeit des mündlichen und szenischen Erzählens. Das unterschwellige soziale und demokratische Engagement kippt nie in eine belehrende Attitüde um, und trotz manch magischer Verrücktheit bleibt ein psychologischer Scharfblick erhalten, der sich auf die kindliche Seele bestens versteht. Ihre Verrücktheiten hat Lygia Bojunga übrigens bei einem Klassiker der brasilianischen Kinderliteratur gelernt, bei Jose Bento Monteiro Lobato. Mit der Zuerkennung des Astrid Lindgren Preises an die Erzählerin ist zu hoffen, dass ihre Bücher in Deutschland wieder neu aufgelegt werden und die brasilianische Kinderliteratur wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt.