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Die magischen drei Prozent

Die EU-Defizitkriterien machen Frankreich zu schaffen. Die Dreiprozentmarke wird das Land in diesem Jahr kaum einhalten können. Das liegt an zu hohen Ausgaben, zu geringen Einnahmen und keinem Wirtschaftswachstum, das daran etwas ändern könnte.

Von Ursula Welter | 19.02.2013
    'Willkommen im Club Med, willkommen bei den südlichen Schuldenstaaten' - das war eine der Schlagzeilen, die Frankreichs Sozialisten in der vergangenen Woche verdauen mussten. Dabei schien die Welt von Francois Hollande vor Jahresfrist noch in Ordnung

    "Ich bestätige hier,"

    versprach der Staatspräsident vor dem Rechnungshof,

    "dass Frankreich seine Verpflichtung einhalten und die Neuverschuldung bis Ende 2013 auf drei Prozent senken wird."

    Mehr noch, Francois Hollande hat seinen Landsleuten zugesagt, auch der Arbeitslosenkurve bis Ende dieses Jahres eine andere Richtung zu geben. Angesichts massenhafter Werkschließungen und wachsender Unruhe auf den Straßen, ein heißes Eisen. Zwei Arbeitslose hatten sich in der vergangenen Woche selbst angezündet, einer von ihnen starb.

    Um so heikler für die Regierung, dass ihr Zahlenwerk nicht aufgeht. Kaum ein Experte war überrascht als der Präsident des Rechnungshofes, Didier Migaud, in der vergangenen Woche feststellte:

    "Der Haushalt und das Defizitziel drei Prozent sind auf der Basis eines Wachstums von 0,8 Prozent kalkuliert - aber das wird sich nicht einstellen."

    Frankreichs Konjunktur lahmt, die Annahmen waren zu optimistisch. So musste, einen Tag später, auch der Premierminister einräumen, dass das Schuldenziel in diesem Jahr wohl verfehlt werde. Was also tun ? Man werde das sogenannte strukturelle Defizit senken, heißt es nun in Paris. Die Definition dieser Art von Neuverschuldung ist zwar in Fachkreisen umstritten, aber politisch hilfreich.

    Das heißt nicht Austerität, nicht rigider Sparkurs, das heißt Seriosität - sagt Finanzminister Pierre Moscovici. Eine seriöse Politik, aber eben eine linke Politik, die jede Austerität ablehnt.

    Mit diesen Wortspielen sollen auch die eigenen Leute beruhigt werden. Der Teil der Linken, der sich nicht für einen strikten Sparkurs gewählt sieht, sondern für eine andere Politik. Die Regierung zeigt sich dennoch entschlossen: Der Premierminister hat , einmal mehr, einen Brief an alle Ministerien verschickt, damit sie weitere Einsparmöglichkeiten finden.

    Auf dem linken Flügel der eigenen Partei, aber auch im Kabinett, wird jedoch gewarnt: "Schaut Euch Griechenland, schaut Euch Spanien an - wer zu viel spart, riskiert soziale Unruhen" . Darauf weist auch die grüne Ministerin im Kabinett hin, Cecile Duflot.

    "Wenn man ein Land regiert, dann macht man dann gute Politik, wenn man in die Zukunft schaut."

    Investitionen seien das Gebot der Stunde, sagt die Ministerin für Wohnraum und die Entwicklung der Regionen, Investitionen, selbst, wenn das heute Geld koste.
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    Da Sparen schwierig ist, wird einmal mehr über eine neue Einnahmequelle diskutiert. Die Besteuerung der Familienzulagen , an der sich eine frühere sozialistische Regierung vergeblich versucht hatte.

    Eine alte Debatte, sagt die grüne Ministerin Duflot, aber eine interessante Idee, denn damit stellt sich die Frage nach der Solidarität. Die Familienzuschüsse, die für eine hohe Geburtenrate in Frankreich sorgen, machen kaum Unterschiede zwischen Arm und Reich.

    Aber selbst wenn es gelänge, eine neue Einnahmequelle zu finden, die den Titel "solidarisch" trüge, die Spardebatte ist damit beendet. Und gleich, welcher Gürtel enger geschnallt werden soll, am Vorabend der Kommunalwahlen 2014 ist Frankreichs Linke alarmiert.

    Vom Rechnungshof, der die Umsetzung der Reformen dringend anmahnt, lasse man sich jedenfalls den Weg nicht vorschreiben, sagt die sozialistische Senatorin Marie-Noelle Lienemann , die damit eine Zeit des Neoliberalismus angebrochen sähe. Nicht der Rechnungshof habe zu entscheiden, sondern das Parlament, die Regierung, die Politik.

    Premierminister und Präsident wollen die Haushaltssituation in dieser Woche mit dem Kabinett besprechen, es habe womöglich noch nicht jeder den Ernst der Lage erkannt, heißt es im Umfeld von Jean-Marc Ayrault.

    Und dann richten sich alle Augen auf Brüssel, auf die Konjunkturschätzungen der EU-Kommission . Paris setzt darauf, dass die "außergewöhnliche Lage in Europa" insgesamt für das Schuldenproblem Frankreichs verantwortlich gemacht wird.