Archiv


"Die Marke FDP ist etwas verblasst"

Klaus Kinkel prophezeit dem designierten FDP-Chef Rösler eine schwierige Zeit: Die Partei zu führen ohne Bundestagsmandat und Gesundheitsminister zu sein, werde nicht einfach - weitere Personaländerungen würden es aber "schon bringen".

    Jürgen Liminski: Wie verzichtbar sind die Liberalen? Ist ihr Gedankengut nicht schon in allen Parteien so eingesickert und verwurzelt, dass die Partei und ihre Wähler sozusagen auf natürliche Weise in allen anderen aufgehen? Oder stimmt noch, was einer der Gründerväter der FDP, Thomas Dehler, auf dem Bundesparteitag der FDP im Juni 1966 ausrief?

    O-Ton Thomas Dehler: Heute wie damals sind wir, die Liberalen, die Hüter und Verfechter der Ideen, die allein unserer Demokratie Lebenskraft geben und unser Volk in eine gute Zukunft führen können, in eine Zukunft in Einheit und Freiheit.

    Liminski: Thomas Dehler vor 45 Jahren. – Hat sich die FDP inzwischen überlebt und ist die Personaldebatte um den noch Parteichef Westerwelle eine Art letzte Zuckung gewesen? Wofür braucht Deutschland heute noch die FDP? – Zu diesen Fragen begrüße ich den ehemaligen Außen- und Justizminister sowie Ex-Parteichef der FDP, Klaus Kinkel. Guten Morgen, Herr Kinkel.

    Klaus Kinkel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Kinkel, Ihre Partei hat einen neuen designierten Vorsitzenden. Wird Rösler das Parteivolk, um Dehler zu zitieren, in eine gute Zukunft führen können?

    Kinkel: Er bringt viele Voraussetzungen mit, um diese schwierige, zweifellos mutige Aufgabe meines Erachtens zu packen. Er hat eine berufliche Vorerfahrung anderweitiger Art, er hat eine Parteivorerfahrung, war niedersächsischer FDP-Vorsitzender, oder ist es noch, und er bringt auch die Fachvoraussetzungen mit. Er ist ein kluger, zurückhaltender, offensichtlich wertorientierter Familienmensch. Ich traue ihm das Amt zu. Natürlich hat das auch ein paar Skinke, was gestern gelaufen ist, muss man deutlich und klar sagen. Schwierig wird sein, aus dem Gesundheitsressort das zu packen. Und er hat kein Mandat im Deutschen Bundestag, etwas, was ich damals als sehr negativ empfunden habe, als ich Justizminister war. Also er wird es nicht so ganz einfach haben.

    Liminski: Was heißt das, er hat kein Mandat? Inwiefern ist das ein Handicap?

    Kinkel: Na ja, im Bundestag kann er dann nur als Minister reden, nicht als Abgeordneter. Er kann beispielsweise das Plenum nicht betreten und so weiter. Ich will das nicht überbewerten, und er hat ja auch gestern weitere Personalveränderungen angekündigt. Also das Gesamt-Personaltableau wird es zum Schluss schon bringen.

    Liminski: Rösler hat gestern Abend im ZDF angekündigt, man werde nun mehr um Inhalte ringen und diskutieren. Was für Inhalte können oder sollen das sein?

    Kinkel: Also vielleicht darf ich vorweg mal sagen, die Marke FDP ist etwas verblasst, sie muss wieder aufpoliert werden. Das ist ja das Grundproblem. Die Schwächeperiode muss überwunden werden, personell und inhaltlich. Das geht! Ich rufe meiner Partei auch zu, nur Mut! Inhaltlich muss sich die FDP nicht neu erfinden. Sie hat ja auch einen Generalsekretär, der es ja bleiben soll, der stark programmatisch ausgerichtet ist. Wir müssen breiter werden, weg von der Ein-Themen-Ausrichtung, nicht nur Steuerpolitik. Als die FDP noch lauthals verkündet hat, das Steuersenkungsthema sei das Zentralthema überhaupt, hatten die Bürger längst erkannt, dass das gar nicht geht. Also ich habe ein paar Ratschläge, wenn Sie mir erlauben, würde ich die kurz sagen.

    Liminski: Ja, bitte!

    Kinkel: Natürlich wird die Partei weiter die Partei der sozialen Marktwirtschaft sein und bleiben müssen, und sie muss in besonderer Weise für meine Begriffe auf die Balance zwischen Markt und notwendigen staatlichen Leitplanken sich konzentrieren. Ein geradezu klassisches Thema der FDP, vor allem auch nach der Weltfinanz- und –Wirtschaftskrise, nach beziehungsweise noch in der Finanzkrise. Wir werden sicher etwas bringen müssen, wenn schon Steuererleichterungen kaum gehen werden, in der Steuervereinfachung. Die FDP muss um die Stabilität der Währung kämpfen, das interessiert die Menschen mächtig, um die Stabilität der Sozialsysteme, die Energiethematik muss angegangen werden, Entlastung des Mittelstandes, Generationengerechtigkeit, mir fällt wahnsinnig viel ein, auch bei den Bürgerrechten, aber nicht in Kleinkram herummachen, sondern an die Zentralen herangehen, an die nicht mehr beherrschbare Datenflut, die zweifellos auch eben zu Entpersönlichungstendenzen führt und in unserer Gesellschaft auch einen Verlust der Privatheit irgendwo beinhaltet. Und natürlich, wenn ich das noch wegen der Kürze der Zeit sagen darf, Bildung, aber da auch nicht bitte klein-klein. Kooperationsverbot muss weg, da muss die FDP sich endlich dazu durchringen, damit wir wirkliche Bildungspartnerschaften zwischen Bund und Ländern kriegen. Also wirkliche Probleme, Lehrer-Aus-, -Fortbildung, ungleiche Startchancen, unzählige Schulsysteme in den Ländern, da muss die FDP heran. Das liegt alles auf der Straße als Thema.

    Liminski: Aber das gilt ja eigentlich für alle Parteien. Wo ist denn das Alleinstellungsmerkmal der FDP? Warum braucht man sie noch?

    Kinkel: Die Frage wird immer wieder gestellt, für meine Begriffe zu Unrecht, denn mir scheint klar zu sein, die Antwort muss lauten: aber ja braucht man sie noch. Natürlich ist die FDP die Partei nach wie vor der sozialen Marktwirtschaft, ich betone "sozial", der besonderen Rechtsstaatlichkeit der Bürgerrechte, sie ist die Leistungsorientierungs-ausgerichtete Partei, sie steht für gesellschaftspolitische Liberalität und sie muss garantieren die von den anderen Parteien so nicht gesehene und auch nicht herausgestrichene Balance zwischen Eigenverantwortung und Staat und natürlich auch die Partei der werteorientierten Außenpolitik. Darf ich ein Zitat von Heuss noch sagen, das mir gerade einfällt? Er hat mal erklärt, die FDP müsse den wagenden und sich selbst behaupteten Menschen suchen, der zugleich in der Verantwortung und Gebundenheit steht.

    Liminski: Sie plädieren für den liberalen Grundsatz "mehr Freiheit, weniger Staat". Ist das das Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den anderen Parteien?

    Kinkel: So viel Freiheit wie irgendwie möglich und so wenig Staat wie ebenfalls möglich. Bis in die Romantik zurückzuverfolgen ist, dass die Deutschen natürlich sehr, sehr stark diese Balance etwas anders werten als andere Völker. Bei uns ist die Ausrichtung auf den Staat, zur Betreuung von der Wiege bis zur Bahre, sehr stark, die Eigenverantwortung leider etwas zu klein geschrieben, das klassische Freiheitsthema und Verantwortungsthema der FDP!

    Liminski: Der Neuanfang in der FDP muss programmatisch sein, sagt hier im Deutschlandfunk der ehemalige Außenminister, Vizekanzler und Vorsitzende der Partei, Klaus Kinkel, auch mit Empfehlungen für seinen Nachfolger. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kinkel.

    Kinkel: Bitte schön.

    Rösler kandidiert für FDP-Vorsitz

    Westerwelle gibt auch den Vizekanzler ab

    Reaktionen auf den Rücktritt des Parteivorsitzenden Westerwelle

    CSU-Politiker Hans Michelbach empfiehlt den Liberalen einen "Policy-Mix" aus bewährten und neuen Kräften

    Vorsitzende der FDP-Frauen fordert Neuausrichtung der Partei und mehr interne Mitbestimmung