Friedbert Meurer: Berlin feiert also heute am Abend die Öffnung der Mauer vor 20 Jahren, sämtliche Staats- und Regierungschefs der EU, der russische Staatspräsident und US-Außenministerin Clinton am Brandenburger Tor. Damals vor 20 Jahren verfolgten die Berliner ungläubig im Fernsehen, was sich in ihrer Stadt tat. ARD-Moderator Hans-Joachim Friedrichs griff den Ereignissen damals sogar etwas voraus.
O-Ton Hans-Joachim Friedrichs: Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren. Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für Jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.
Meurer: Und damit irrte sich eigentlich Hans-Joachim Friedrichs in den "Tagesthemen". Die Tore standen noch nicht offen, sie waren zu. Erst gegen halb zwölf hob sich der Schlagbaum an der Bornholmer Straße. Viele aber hörten Friedrichs von der Öffnung der Mauer reden und spätestens ab da war kein Halten mehr. Ernst Elitz ist der Gründungsintendant des Deutschlandradios. Guten Tag nach Berlin, Herr Elitz.
Ernst Elitz: Schönen guten Tag nach Köln, Herr Meurer.
Meurer: Ist die Mauer und gerade am 9. November gefallen, Herr Elitz, weil die West-Medien pausenlos über das Ereignis berichtet haben und es mit der Friedrichs-Bemerkung ja auch etwas forciert haben?
Elitz: Die Mauer wäre sicher gefallen, aber die Medien haben hier als Geschichtsbeschleuniger gewirkt, könnte man sagen, denn es war dieses Wort von Friedrichs, was den Leuten, die ja schon auf dem Weg zur Mauer waren, auf dem Weg zu den Übergängen waren - an der Bornholmer Straße hatten sich ja vorher schon Menschenmassen gestaut -, das Bewusstsein gab, jetzt können wir sofort durch. Die Medien hatten ja auch zuvor die Äußerung, die etwas verhaspelte Äußerung von Schabowski, der ja auch davon ausging, ab jetzt sofort gilt das, aufgenommen. Das kam über die West-Medien. Die West-Medien hatten eine hohe Glaubwürdigkeit. Was dort gesagt wurde, das wurde geglaubt. Was die SED sagte und die "Aktuelle Kamera" sagte, das wurde nicht geglaubt. Also haben die Medien hier als Geschichtsbeschleuniger gewirkt und die Mauer ist eher gefallen, als Herr Krenz und seine Genossen sich das vorgestellt hatten.
Meurer: Die "Aktuelle Kamera" hatte ja kurz vorher im DDR-Fernsehen sozusagen Besserung gelobt und gelobt, mehr die Interessen der Bevölkerung wahrnehmen und berücksichtigen zu wollen. Aber am 9. November war die Glaubwürdigkeit der DDR-Medien noch äußerst gering, oder?
Elitz: Die Glaubwürdigkeit der DDR-Medien ist nie besonders hoch gewesen. Man hat sich zwar von Seiten der SED zwanghaft bemüht, die West-Medien auszugrenzen. Das galt nach dem 13. August 1961, wo man sich bemüht hat, die Empfangsantennen von Menschen durch FDJ-Trupps abzuknicken, die ihre Antennen auf die West-Medien, auf das West-Fernsehen gerichtet hatten. Das galt schon vorher. Nach dem 17. Juni 1953 wurden die Bürger, die den RIAS hörten, öffentlich vorgeführt und mussten Bekenntnisse abgeben, dass sie das nicht mehr tun. Es wurden Störsender nach dem 17. Juni 1953 errichtet, die gerade den RIAS mit Jaultönen störten, damit die Bürger in der Ostzone und dann in der DDR nicht den glaubwürdigen RIAS hören konnten. Das waren aber alles verzweifelte Versuche, die glaubwürdigen West-Medien auszugrenzen. Man hat immer wieder Tricks gefunden, indem man neue Antennen gebaut hat, indem man zu Verwandten und zu Bekannten gegangen ist, wo der Empfang besser war. Man hat den West-Medien geglaubt. Die "Aktuelle Kamera" hatte nie eine Glaubwürdigkeit und ja auch nur minimale Hörerzahlen. Die hat vielleicht sich Krenz angeguckt und auch die Politbüro-Leute haben dann anschließend um 20 Uhr die "Tagesschau" eingeschaltet.
Meurer: Wann begann es denn Ihrer Erinnerung nach, Herr Elitz, dass DDR-Bürgerrechtler und Oppositionelle in den West-Medien - sei es RIAS oder auch der Deutschlandfunk - ihre Stimme bekamen?
Elitz: Das ging schon vor den Zeiten, bevor man Telefonschaltungen zwischen Ost und West herstellen konnte. Es wurden ja auch als Reaktion auf die Entwicklung in der DDR beim RIAS erst eine aktuelle Morgeninformationssendung eingeführt, quasi die elektronische Zeitung für die Bürger der DDR. Dann wurden vom Sender Freies Berlin, von der ARD die "Kontraste" eingerichtet, eine Fernsehsendung, die sich stark mit der DDR beschäftigte, und vom Zweiten Deutschen Fernsehen die Sendung "Kennzeichen D". Seit es diese Sendungen gab, seit den 70er-Jahren und dann zunehmend in den 80er-Jahren wurden Manuskripte herübergeschmuggelt, von Bürgerrechtlern, von Oppositionellen in der DDR, Leuten, die dort Auftrittsverbot hatten, auch von Schriftstellern. Es wurden dann Ton- und Video-Kassetten herübergeschmuggelt. Und zum Schluss - und davon hat ja der Deutschlandfunk dann sehr stark profitiert - konnten auch Telefonschaltungen zwischen Ost und West hergestellt werden. Das war natürlich nicht im Interesse der Stasi. Die hat versucht, das zu verhindern. Aber dann ging der Bürgerrechtler eben zu Bekannten, er ging zu anderen, die nicht so unter der Kontrolle standen, und hat seine Interviews von dort gegeben. Ob das jetzt Biermann gewesen ist, oder ob das die Vertreter des Neuen Forums gewesen sind, sie haben dann alle zu den DDR-Bürgern via West-Medien, auch via Deutschlandfunk gesprochen.
Meurer: Waren, Herr Elitz, 1961, also in dem Jahr, in dem die Mauer gebaut wurde, die heute vor 20 Jahren dann gefallen ist, die West-Medien auch schon sofort zur Stelle, so wie am 9. November 1989?
Elitz: Zum Mauerfall war man ja schon etwas darauf vorbereitet. Es gab ja immer wieder Gerüchte und die DDR-Regierung war instabil, und eine der größten Forderungen bei den Demonstrationen war ja auch die Reisefreiheit. Es herrschte eine aufgeregte, gespannte Atmosphäre und es gab ja West-Journalisten in der DDR, die Korrespondenten, die zugelassen waren. Das war ja 1961 noch nicht der Fall. Das Fernsehen hatte natürlich einen ganz anderen technischen Standard als heute. Da konnte man nicht die großen Live-Übertragungen machen. Es gab damals zwei Millionen Fernseher im Westen, im Osten sehr viel weniger. Für die damalige Generation ja nicht vorstellbar, dass man über ein Handy, über ein iPhone überall Fernsehen schauen kann. Die Kommunikationstechnik hat es auch erschwert, dass alle Leute möglichst schnell davon erfuhren.
Meurer: Das war Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios, zur Rolle der West-Medien beim Bau der Mauer und beim Fall der Mauer vor 20 Jahren. Herr Elitz, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.
Elitz: Auf Wiederhören nach Köln.
O-Ton Hans-Joachim Friedrichs: Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren. Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für Jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.
Meurer: Und damit irrte sich eigentlich Hans-Joachim Friedrichs in den "Tagesthemen". Die Tore standen noch nicht offen, sie waren zu. Erst gegen halb zwölf hob sich der Schlagbaum an der Bornholmer Straße. Viele aber hörten Friedrichs von der Öffnung der Mauer reden und spätestens ab da war kein Halten mehr. Ernst Elitz ist der Gründungsintendant des Deutschlandradios. Guten Tag nach Berlin, Herr Elitz.
Ernst Elitz: Schönen guten Tag nach Köln, Herr Meurer.
Meurer: Ist die Mauer und gerade am 9. November gefallen, Herr Elitz, weil die West-Medien pausenlos über das Ereignis berichtet haben und es mit der Friedrichs-Bemerkung ja auch etwas forciert haben?
Elitz: Die Mauer wäre sicher gefallen, aber die Medien haben hier als Geschichtsbeschleuniger gewirkt, könnte man sagen, denn es war dieses Wort von Friedrichs, was den Leuten, die ja schon auf dem Weg zur Mauer waren, auf dem Weg zu den Übergängen waren - an der Bornholmer Straße hatten sich ja vorher schon Menschenmassen gestaut -, das Bewusstsein gab, jetzt können wir sofort durch. Die Medien hatten ja auch zuvor die Äußerung, die etwas verhaspelte Äußerung von Schabowski, der ja auch davon ausging, ab jetzt sofort gilt das, aufgenommen. Das kam über die West-Medien. Die West-Medien hatten eine hohe Glaubwürdigkeit. Was dort gesagt wurde, das wurde geglaubt. Was die SED sagte und die "Aktuelle Kamera" sagte, das wurde nicht geglaubt. Also haben die Medien hier als Geschichtsbeschleuniger gewirkt und die Mauer ist eher gefallen, als Herr Krenz und seine Genossen sich das vorgestellt hatten.
Meurer: Die "Aktuelle Kamera" hatte ja kurz vorher im DDR-Fernsehen sozusagen Besserung gelobt und gelobt, mehr die Interessen der Bevölkerung wahrnehmen und berücksichtigen zu wollen. Aber am 9. November war die Glaubwürdigkeit der DDR-Medien noch äußerst gering, oder?
Elitz: Die Glaubwürdigkeit der DDR-Medien ist nie besonders hoch gewesen. Man hat sich zwar von Seiten der SED zwanghaft bemüht, die West-Medien auszugrenzen. Das galt nach dem 13. August 1961, wo man sich bemüht hat, die Empfangsantennen von Menschen durch FDJ-Trupps abzuknicken, die ihre Antennen auf die West-Medien, auf das West-Fernsehen gerichtet hatten. Das galt schon vorher. Nach dem 17. Juni 1953 wurden die Bürger, die den RIAS hörten, öffentlich vorgeführt und mussten Bekenntnisse abgeben, dass sie das nicht mehr tun. Es wurden Störsender nach dem 17. Juni 1953 errichtet, die gerade den RIAS mit Jaultönen störten, damit die Bürger in der Ostzone und dann in der DDR nicht den glaubwürdigen RIAS hören konnten. Das waren aber alles verzweifelte Versuche, die glaubwürdigen West-Medien auszugrenzen. Man hat immer wieder Tricks gefunden, indem man neue Antennen gebaut hat, indem man zu Verwandten und zu Bekannten gegangen ist, wo der Empfang besser war. Man hat den West-Medien geglaubt. Die "Aktuelle Kamera" hatte nie eine Glaubwürdigkeit und ja auch nur minimale Hörerzahlen. Die hat vielleicht sich Krenz angeguckt und auch die Politbüro-Leute haben dann anschließend um 20 Uhr die "Tagesschau" eingeschaltet.
Meurer: Wann begann es denn Ihrer Erinnerung nach, Herr Elitz, dass DDR-Bürgerrechtler und Oppositionelle in den West-Medien - sei es RIAS oder auch der Deutschlandfunk - ihre Stimme bekamen?
Elitz: Das ging schon vor den Zeiten, bevor man Telefonschaltungen zwischen Ost und West herstellen konnte. Es wurden ja auch als Reaktion auf die Entwicklung in der DDR beim RIAS erst eine aktuelle Morgeninformationssendung eingeführt, quasi die elektronische Zeitung für die Bürger der DDR. Dann wurden vom Sender Freies Berlin, von der ARD die "Kontraste" eingerichtet, eine Fernsehsendung, die sich stark mit der DDR beschäftigte, und vom Zweiten Deutschen Fernsehen die Sendung "Kennzeichen D". Seit es diese Sendungen gab, seit den 70er-Jahren und dann zunehmend in den 80er-Jahren wurden Manuskripte herübergeschmuggelt, von Bürgerrechtlern, von Oppositionellen in der DDR, Leuten, die dort Auftrittsverbot hatten, auch von Schriftstellern. Es wurden dann Ton- und Video-Kassetten herübergeschmuggelt. Und zum Schluss - und davon hat ja der Deutschlandfunk dann sehr stark profitiert - konnten auch Telefonschaltungen zwischen Ost und West hergestellt werden. Das war natürlich nicht im Interesse der Stasi. Die hat versucht, das zu verhindern. Aber dann ging der Bürgerrechtler eben zu Bekannten, er ging zu anderen, die nicht so unter der Kontrolle standen, und hat seine Interviews von dort gegeben. Ob das jetzt Biermann gewesen ist, oder ob das die Vertreter des Neuen Forums gewesen sind, sie haben dann alle zu den DDR-Bürgern via West-Medien, auch via Deutschlandfunk gesprochen.
Meurer: Waren, Herr Elitz, 1961, also in dem Jahr, in dem die Mauer gebaut wurde, die heute vor 20 Jahren dann gefallen ist, die West-Medien auch schon sofort zur Stelle, so wie am 9. November 1989?
Elitz: Zum Mauerfall war man ja schon etwas darauf vorbereitet. Es gab ja immer wieder Gerüchte und die DDR-Regierung war instabil, und eine der größten Forderungen bei den Demonstrationen war ja auch die Reisefreiheit. Es herrschte eine aufgeregte, gespannte Atmosphäre und es gab ja West-Journalisten in der DDR, die Korrespondenten, die zugelassen waren. Das war ja 1961 noch nicht der Fall. Das Fernsehen hatte natürlich einen ganz anderen technischen Standard als heute. Da konnte man nicht die großen Live-Übertragungen machen. Es gab damals zwei Millionen Fernseher im Westen, im Osten sehr viel weniger. Für die damalige Generation ja nicht vorstellbar, dass man über ein Handy, über ein iPhone überall Fernsehen schauen kann. Die Kommunikationstechnik hat es auch erschwert, dass alle Leute möglichst schnell davon erfuhren.
Meurer: Das war Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios, zur Rolle der West-Medien beim Bau der Mauer und beim Fall der Mauer vor 20 Jahren. Herr Elitz, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.
Elitz: Auf Wiederhören nach Köln.