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Die Medien und die EM, eine Auslese
"Liberté, Egalité, Viertelfinalé"

Deutschland ist ausgeschieden - Anlass für Arno Orzessek, eine erste Medien-Bilanz der Fußball-EM zu ziehen. In seiner Glosse blickt er zurück auf dadaistische Wortklaubereien, sexistische Typen im Netz und den harten Kampf um die richtige moralische Haltung.

Von Arno Orzessek |
Junge Männer sitzen vor einem Spätkauf in Berlin, während auf einem Bildschirm Frankreichs jubelnder Karim Benzema zu sehen ist
Mit der Niederlage gegen Frankreich begann die EM für Deutschland - nun sind beide ausgeschieden (picture alliance/dpa | Stefan Jaitner)
Heute wirkt das halbe Land ein bisschen freudlos. Aber gestern war die "BZ", das Berliner Boulevardblatt, morgens noch zu Scherzen aufgelegt. Neben einem Foto des Brandenburger Tores hieß es: "Das ist ein Tor." Ein weiteres Foto zeigte das sogenannte Wembley-Tor von 1966; nebenstehend die ewige deutsche Fußballwahrheit: "Das ist kein Tor."
Kein Tor schoss dann am Abend auch die deutsche Fußball-Truppe. So wurde der Abpfiff des Spiels zugleich zum Abpfiff der Ära Löw. Und beide Aspekte verdichtete zeit.online sofort zum "Löxit". Finden Sie diesen Begriff genauso genial wie wir? Dann wird Ihnen auch der Jubel der Schweizer Tageszeitung Blick gefallen, die nach dem Sieg der Eidgenossen über Frankreich trällerte: "Liberté, Egalité, Viertelfinalé."
Übrigens: Das Match haben im ZDF 12,7 Millionen Menschen gesehen. Unklar blieb jedoch, warum zeitgleich immer noch 800.000 Zuschauer die RTL-Soap "Gute Zeiten. Schlechte Zeiten" verfolgt haben. Obwohl die wetterwendische Partie Schweiz-Frankreich in puncto 'gute Zeiten/schlechte Zeiten' höchsten Ansprüchen genügte.

Dadaistische Wortklaubereien

Wie gesagt: Die Text-Medien verdienen während der EM Lob für ihre dadaistischen Wortklaubereien. Während sich umgekehrt der TV-Reporter Bèla Rhèty für jedes Wort ein Lob verdiente, das er nicht aussprach, solange der dänische Spieler Eriksen wiederbelebt wurde.
Arno Orzessek. Seit 1966 Arbeiter- und Bauernsohn, geboren in Osnabrück. Studierte in Köln Philosophie und anderes. Dank "unverlangt eingesandt": SZ- und DLF-Autor; auch: zwei Romane. Lebt seit 2000 rundfunktreu in Berlin. Angesichts der Unordnung der Dinge thematisch unspezialisierter Stoffwechsel-Spezialist. Welt-Erfahrung per Motor- und Rennrad, plus Lektüre. Radio-Ideal: Geistvolles in sinnlicher Sprache; Ziel: Gedankenübertragung; Methode: Arbeit am Text; Verfassung: der Nächste bitte!
Aber offenbar spukte vielen im Kopf herum, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte – selbst wenn diese nicht ausgesprochen werden. Jedenfalls bekam das ZDF ordentlich was um die Ohren, weil es nicht sofort vom Stadion ins Studio umgeschaltet hat. "Unfassbarer Skandal" schimpfte ein Felix auf Facebook; der Deutsche Journalisten-Verband prangerte "Voyeurismus" an.

Die sexistischen Typen im Netz

Aber, liebe Leute! Es gab doch gar keine Nahaufnahmen mehr, sobald klar war, was los war. Spart Euch Eure verbalen Grätschen lieber für die "Psycho-Hooligans" auf. So nennt der Medienpsychologe Frank Schwab die sexistischen Typen, die im Netz mal wieder die ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann beleidigen.
Wir unterstellten, dass Reporter-Legende Werner Hansch Neumann beispringen wollte, als er meinte: "Kommentierende, die eine hohe Stimme haben" werden "als nervös, weniger verträglich, fast schon als neurotische Typen wahrgenommen". Ob Neumann die Anmerkung hilfreich fand, ist nicht überliefert.
Wohl aber, dass die ARD-Moderatorin Jessy Wellmer mit der Frage "Steht Italien schon mit einer Pizza im Halbfinale?" dem Publikum den Appetit auf Albernheiten ziemlich verdorben hat. Nicht nur beim Sportportal turus.de erhält das Duo Wellmer/Schweinsteiger die Noten, die im Fachblatt Kicker Fehlpass-Königen vorbehalten sind.

Hart gekämpft um moralische Haltung

Während Charmbolzen Christoph Kramer (ZDF) und Fußballhirn Thomas Broich (ARD) so lauten Beifall finden, dass Fußball-Rentner Löw vor Neid erblassen dürfte, wenn er ab sofort vor dem Fernsehen sitzt.
Überlegenheit oder Überheblichkeit?
Nachdem die Uefa verboten hatte, dass die Münchner Arena zur Fußball-EM in den Regenbogenfarben beleuchtet wird, kam Protest von unterschiedlichen Seiten. Auch etliche Medienlogos wurden bunt umgestaltet. Doch dabei ging es auch um etwas anderes.
Unterdessen wird im Rahmen der EM - Stichwort Kniefall, Stichwort Regenbogenfarben – um die richtige moralische Haltung ähnlich hart gekämpft wie auf dem Rasen um den Titel. Und das wäre sogar noch untertrieben, wenn der Beinahe-Absturz des Motorgleitschirmfliegers von Greenpeace mehr als nur Verletzte gefordert hätte.
Nicht umsonst titelte die FAZ: "'Die Scharfschützen hatten ihn im Visier.'"