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Die Medien-Wut der "Querdenker"
Im Namen des Grundgesetzes gegen die Presse

Proteste rund um die Pandemie waren 2020 für Journalisten in Deutschland die gefährlichsten Einsatzorte. Und das, obwohl die Teilnehmenden sich mit ihren Forderungen immer wieder auf das Grundgesetz berufen – in dem auch die Pressefreiheit verankert ist.

Text von Annika Schneider / Katharina Thoms im Gespräch mit Stefan Fries |
3. April 2021: Querdenker und andere Gegner der Pandemie-Einschränkungen haben in Stuttgart ohne Abstand und weitgehend ohne Schutzmaske demonstriert. Mindestens vier Demos mit 2500 Teilnehmern waren angemeldet, gekommen waren aber weit mehr. Hier der Zug der Demonstranten durch die Innenstadt über die B10/B14 zum offiziellen Versammlungsort, dem Cannstatter Wasen.
Viele der Demonstranten gegen Pandemie-Maßnahmen richten ihre Wut auch gegen Journalistinnen und Journalisten (imago/Arnulf Hettrich)
Ganz oben auf der Internetseite der Initiative "Querdenker 711" steht bildschirmfüllend ein Symbolbild. Zu sehen ist kein Mund-Nasen-Schutz, kein mit Demonstranten gefüllter Platz, auch kein verwaistes Restaurant oder eines der vielen anderen Motive, die die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung illustrieren. Die Homepage zeigt stattdessen die Titelseite des deutschen Grundgesetzes, samt Flagge und Bundesadler – Insignien der bundesrepublikanischen Demokratie.
Das Grundgesetz spielt für die selbst ernannten "Querdenker" eine wichtige Rolle. Immer wieder beruft sich die Bewegung auf den Gesetzestext, wenn sie Einschränkungen der von der Verfassung garantierten Rechte anprangert. Auch die Stuttgarter Demonstration am Karsamstag stand unter dem Motto "Grundrechte sind nicht verhandelbar".
Eines dieser Grundrechte ist die Pressefreiheit, zu finden in Artikel 5 und somit weit vorne in der Verfassung festgeschrieben. Sie garantiert unter anderem, dass Reporterinnen und Reporter von allen öffentlichen Veranstaltungen berichten können. Genau das versuchen Teilnehmende bei Querdenken-Demonstrationen aber immer wieder zu verhindern.

Angriffe auf Journalisten haben sich verfünffacht

Eine Live-Schalte von "tagesschau24" musste am Samstag abgebrochen werden, nachdem das Team eigenen Angaben zufolge mit einem harten Gegenstand beworfen worden war. Es ist nur ein Beispiel von vielen: Nach Erhebungen des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) sind pandemiebezogene Demonstrationen für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland inzwischen zum gefährlichsten Arbeitsplatz geworden.
Bei diesen Veranstaltungen werde auf der Bühne immer wieder betont, dass man die Presse akzeptieren solle, sagte Katharina Thoms, die als Deutschlandradio-Korrespondentin in Baden-Württemberg schon mehrfach von "Querdenken"-Demos berichtet hat. Sobald man aber in der Live-Berichterstattung etwas sage, was den Teilnehmenden nicht in den Kram passe, sei man plötzlich nicht mehr der Journalist, sondern der Gegner.
Bei Protesten von "Querdenken" und ähnlichen Initiativen fanden im vergangenen Jahr fast drei Viertel der vom ECPMF gezählten tätlichen Angriffe auf die Presse statt. Mit 69 Angriffen hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr fast verfünffacht. 2020 hätten die pressefeindlichen Angriffe immer weiter zugenommen, heißt es in dem vom ECPMF im März veröffentlichten Bericht "Feindbild Journalist".

Proteste von Anfang an pressefeindlich

Das Paradox, dass Demonstrierende sich einerseits auf das Grundgesetz berufen und gleichzeitig die darin verankerte Pressefreiheit behindern, ist immer wieder Thema. Zuletzt wies am Sonntag SWR-Intendant Kai Gniffke darauf hin: "Gestern wurde auf der Kundgebung der hohe Wert der Grundrechte beschworen. Wenn Demonstranten gleichzeitig mit dem Recht auf freie Berichterstattung Fußball spielen, erscheinen all die pathetischen Reden schal und unglaubwürdig", schrieb er in seinem Blog.
Die tätlichen Übergriffe fußen auf Überzeugungen, die offenbar viele der Demo-Teilnehmer teilen, auch wenn sie aus unterschiedlichen Gruppen stammen und diverse Anliegen haben. Das ECPMF berichtet, dass schon in der Gründungsphase der "Querdenken"-Bewegung Protestierende in Online-Foren und Chatgruppen Feindseligkeiten gegenüber der Presse bekundet hätten.
Inzwischen gehören die schon bei Pegida-Protesten eingesetzten "Lügenpresse"-Sprechchöre zum Standard-Repertoire derjenigen, die gegen Corona-Maßnahmen protestieren. Kritik an der Berichterstattung der als "Mainstream" bezeichneten Medien findet sich auf den Schildern und Transparenten der Teilnehmenden genauso regelmäßig wie in den Redebeiträgen.

Mustervorlagen für Beschwerdebriefe

Ende März richteten diverse Lokalgruppen von "Querdenken" einen offenen Brief an die "Mitarbeiter der deutschen Presse", in dem sie diesen vorwerfen, sie wirkten "wie Schreiberlinge, die einfach 1 zu 1 wiedergeben, was Ihnen die Politiker mitteilen – ohne dies kritisch zu hinterfragen". Der Brief zeichnet das Bild einer Presse, die einst unabhängig berichtet habe, inzwischen aber diffamiere und hetze. "Die Gleichschaltung der Medien hat offenbar perfekt funktioniert", heißt es dort - ein Begriff, der wohl Assoziationen an die Nazi-Diktatur im Dritten Reich wecken soll. Dabei liefert die aktuelle Debatte um weitere Pandemie-Maßnahmen zahlreiche Beispiele von Medien, die sich kritisch zum Regierungshandeln äußern, darunter ein aktueller Kommentar der "Tagesschau"-Redaktion mit dem Titel "Wer regiert eigentlich gerade?".
Polizisten setzen auf einer Demonstration auf dem Alexanderplatz Pfefferspray ein
Berichten von "Querdenker"-Demos
Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen wollen viele Teilnehmer nicht gefilmt werden. Das Recht ist aber auf der Seite der Journalistinnen und Journalisten – und die fordern von der Polizei mehr Unterstützung.
Auf ihrer Internetseite stellt die Initiative schon seit einiger Zeit Musterbriefe bereit, um sich über einzelne Medienbeiträge in Zeitungen oder Sendungen zu beschweren, und ruft dazu auf, Beschwerden beim deutschen Presserat oder beim Ethikrat einzulegen. Ziel ist es, in der Berichterstattung nicht als "Corona-Leugner" bezeichnet oder mit "Reichsbürgern" in Verbindung gebracht zu werden.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Während die Aktivistinnen und Aktivisten mediale Berichterstattung kritisieren, nutzen sie gleichzeitig massiv soziale Netzwerke, Video-Plattformen und Messenger-Dienste, um ihre eigenen Ansichten in die Öffentlichkeit zu bringen. Bei Telegram folgen rund 67.000 Menschen dem Kanal von "Querdenken 711", wobei diese Zahl sowohl überzeugte Anhänger als auch unabhängige Beobachter einschließt.

Mobilisierung über soziale Netzwerke

Die Initiative setze außerdem zunehmend auf analoge Medien wie Flyer oder Plakate, berichtete die Bürgerrechtlerin und Publizistin Katharina Nocun im Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Aus ihrer Sicht liegt das daran, dass viele digitale Plattformen Inhalte zunehmend mit Faktenchecks versehen oder löschen. Die großen Plattformen seien für solche Gruppierungen nach wie vor extrem wichtig, um neue Menschen zu erreichen, sagte Nocun. Beim Messenger-Dienst Telegram träfen sich eher die Überzeugten, die bereits an eine große Verschwörung glaubten, dort seien Sprache und Inhalte radikaler. In Netzwerken wie Facebook und Instagram fände man hingegen eher weichgespülte Informationen, die wichtig seien, um "eine Massenmobilisierung hinzubekommen".
Für Journalistinnen und Journalisten stellt sich somit auch die Frage, wie viel Raum sie Veranstaltungen mit mehreren Tausend Teilnehmenden in der Berichterstattung geben. Wenn Medien Fotos von Demo-Plakaten veröffentlichen, tragen sie die abgebildeten Slogans und Behauptungen in eine Öffentlichkeit, die über die der Veranstaltungsteilnehmer und -zuschauer weit hinausgeht, und verschaffen so auch falschen Tatsachenbehauptungen und Verschwörungsmythen eine Bühne. Darüber dürften sich dann wiederum die Urheberinnen und Urheber dieser Botschaften freuen – trotz aller Kritik an der Medienberichterstattung.