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Die Meere und der Klimawandel
Was Fischkot im Ozean leistet

In Modellen, die etwa für den Sachstandsbericht des Weltklimarats verwendet werden, wird die Fischerei bislang kaum betrachtet, sagte Julia Getzlaff vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im Dlf. Studien versuchten nun, Potenzial und Risiken der Fischerei abzuschätzen - dabei spiele auch Fischkot eine Rolle.

Julia Getzlaff im Gespräch mit Kathrin Kühn |
A picture taken on July 17, 2021 shows Common bluestripe snappers(yellow) and Striped large-eye breams, silver, swimming above pavona clavus colony off Hira-jima Island in Ogasawara Village, Tokyo. ( The Yomiuri Shimbun via AP Images )
Fischkot ist laut Expertin Teil der sogenannten biologischen Kohlenstoffpumpe, also Teil eines Prozesses, wie Kohlenstoff im Meer gespeichert wird. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Masamine Kawaguchi)
Mit dem Zusammenhang zwischen Fischerei, Fischkot und dem Klimawandel befasst sich eine neue US-Studie. Welche Erkenntnisse es zum Absinken von organischem Material im Ozean gibt, erklärte Julia Getzlaff, biogeochemische Modelliererin am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, im Deutschlandfunk. Grundsätzlich seien die Prozesse bekannt, aber die Studie "gibt einfach zum ersten Mal eine Abschätzung, wie groß der Einfluss der Fische und auch wie groß der Einfluss der Fischerei auf den Kohlenstoffkreislauf, aber auch auf biogeochemische Kreisläufe im Ozean ist". Im öffentlichen Diskurs sei bisher sehr wenig von den ganzen Ergebnissen und dem ganzen Wissen angekommen.

Kathrin Kühn: Warum ist es wichtig, sich mit Fischkot zu beschäftigen?
Julia Getzlaff: Ja, da haben Sie tatsächlich recht, Fischkot ist tatsächlich etwas, was einem nicht sofort einfällt, wenn man daran denkt, welche Rolle Kohlenstoff im Meer spielt, aber Fischkot ist tatsächlich Teil der sogenannten biologischen Kohlenstoffpumpe, also Teil eines Prozesses, wie Kohlenstoff im Meer gespeichert wird.
Kühn: Könnten Sie das einmal kurz erklären, was da genau unter Wasser passiert dann?
Getzlaff: Ja, ich habe ja gerade schon angedeutet, der Prozess, der wichtig dafür ist, dass Kohlenstoff im Ozean gespeichert wird ist die sogenannte Kohlenstoffpumpe, die teilt sich auf in die physikalische Kohlenstoffpumpe und die biologische Kohlenstoffpumpe. Die physikalische Kohlenstoffpumpe kann man sich ganz einfach so vorstellen, dass in den ganz kalten, also den polaren Regionen, der Kohlenstoff vom Ozean aufgenommen wird. Und durch das Absinken der Wassermassen wird dieser gelöste Kohlenstoff direkt in die Tiefe transportiert. Die biologische Kohlenstoffpumpe funktioniert ein kleines bisschen anders: Hier geht es um das Absinken von organischem Material.
Fischer Martin Heiden fährt mit vollen Stellnetzen mit Hering über den Greifswalder-Bodden.
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Durch die Photosynthese wird Kohlenstoff vom Phytoplankton direkt in organischem Material gebunden, das wandert dann durch Fressen und Gefressenwerden die Nahrungskette hoch und verteilt sich auch innerhalb der Nahrungskette. Und dieses Material, was dann absinkt, sind abgestorbene Pflanzen, Plankton, Fische oder halt eben auch deren Ausscheidungen. Und davon ist der Fischkot natürlich ein Teil. Der hat allerdings noch eine Besonderheit, das ist ein sehr, sehr dichtes Material, das heißt, der Fischkot sinkt deutlich schneller als die anderen organischen Stoffe. Damit transportiert er eben sehr, sehr effizient den Kohlenstoff in die Tiefe.

Fokus auf die Auswirkungen der Fischerei

Kühn: Das heißt, letztlich sind Fische sehr gute Kohlenstofffresser, die das Ganze sehr schnell einfach an einen anderen Ort, wo er nicht mehr so schaden kann, transportieren?
Getzlaff: Ganz genau, so kann man das kurz zusammenfassen.
Kühn: Und diese neue US-Studie sagt jetzt, wenn dieser ganze Prozess aus den Fugen gerät, dann würde letztlich auch die CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre ein Stückchen höher liegen. Warum ist das so wichtig, was ist da das Neue?
Getzlaff: Das Wichtigste oder Spannendste oder auch Überraschendste an dieser Studie ist, dass dadurch aktuell ein Aspekt in den Vordergrund gerückt wird, der bisher einfach sehr, sehr wenig beachtet wurde. Ein Beispiel dafür ist, dass in den globalen Ozeanmodellen – und das sind die Modelle, die aktuell auch für den Sachstandsbericht des Weltklimarats verwendet werden – der Aspekt der Fischerei einfach explizit überhaupt nicht betrachtet. Grundsätzlich sind die Prozesse bekannt, aber diese Studie gibt zum ersten Mal eine Abschätzung, wie groß der Einfluss der Fische und auch wie groß der Einfluss der Fischerei eben auf den Kohlenstoffkreislauf, aber auch auf biogeochemische Kreisläufe im Ozean ist.
Kühn: Sie selbst forschen ja vor allem zu den Risiken der Fischerei in tieferen Meeresschichten, also von dort Fische aus dem Wasser zu holen. Wenn dann jetzt solche neuen Studien, solches neues Wissen kommt, schrillen dann bei Ihnen die Alarmglocken?
Getzlaff: Ich glaube, das ist ein bisschen sehr dramatisch ausgedrückt, aber was auf jeden Fall der Fall ist, dass aktuell das Interesse der Meeresforschung an der Fischerei wahnsinnig zunimmt. Ein besonderer Fokus liegt hier tatsächlich hier auf dem Mesopelagial, also dem Bereich, den Sie gerade schon genannt hatten, das ist die Tiefe zwischen 200 und 1.000 Metern Tiefe. Das ist eine Tiefe, über die man bisher sehr wenig Wissen hatte, die dementsprechend für die Forschung immer spannender wird. Was wir wissen, ist, dass wir in diesem Bereich eine sehr große Artenvielfalt vorfinden und dementsprechend auch eine verhältnismäßig große Biomasse. Und das ist natürlich ein Aspekt, dass es in Zukunft möglich ist, dass dieses unerschlossene Ökosystem auch für die kommerzielle Fischerei interessant wird. Und wir möchten jetzt natürlich so ein bisschen verhindern, die gleichen Fehler zu machen wie in der Vergangenheit.

Abschätzung zu Potential und Risiken

Kühn: Das heißt, einfach erst mal viel zu viel zu fischen und hinterher festzustellen, dass es zu viel war?
Getzlaff: Ganz genau. Wir versuchen in einem vorausschauenden Ansatz eben Potenzial und Risiken dieser mesopelagischen Fischerei abzuschätzen.
Kühn: Und wenn wir jetzt mal auf den gesamten Komplex der Fischerei schauen, dieses neue Wissen, was müsste man denn jetzt eigentlich auch international damit machen? Bei den Fangquoten etwas ändern, weniger Fisch auf den Tisch oder eben mehr Meeresschutzzonen, wie es ja gerade bei der Antarktiskonferenz verhandelt wird?
Getzlaff: Ich glaube, Letzteres ist vor allen Dingen wichtig, damit die Bestände, die zum Teil ja sehr deutlich dezimiert wurden, sich wieder aufbauen können. Aber ein ganz großer Aspekt ist einfach, dass dieser menschliche Einfluss auf den Ozean und auf die marinen Ökosysteme einfach sehr komplex ist, wir den noch gar nicht komplett verstehen und man daher immer die Gesamtheit des Systems betrachten muss.
Kühn: Und zum Abschluss: Wir stellen das hier bei uns auch in den Konferenzen fest, es kommen ja quasi täglich neue Studien auch raus – verbunden mit dem Klimawandel und wo es kritische Entwicklungen gibt. Dann stellt man aber auf der anderen Seite fest, dass das die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion nach wie vor sehr selten bestimmt, bis eben auf so große Ereignisse wie einen Klimagipfel. Aus Ihrer forschenden Sicht, wie fühlt sich das an, wenn man das so erlebt, dass das neue Wissen dann so wenig öffentlich nachhallt?
Getzlaff: Es ist natürlich schon ein Stück weit frustrierend, dass eben im öffentlichen Diskurs sehr wenig von den ganzen Ergebnissen und dem ganzen Wissen ankommt. Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass es einfach schon sehr viele Bewegungen gibt, die eben auf den Klimawandel, auf die Folgen für das Ökosystem aufmerksam machen und dass es eigentlich auch in den Nachrichten präsenter ist als zum Beispiel noch vor zehn Jahren. Aber man merkt einfach auch, dass das ein sehr langsamer Prozess ist, um wirklich die Aufmerksamkeit ein bisschen dort hinzulenken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.