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Die meisten Mitglieder der Linkspartei "tragen die DDR im Herzen"

Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat sagt, dass der Mauerbau für die DDR und UdSSR notwendig war, um den DDR-Staat zu sichern. Die Aussage von Linke-Chefin Gesine Lötzsch, der Mauerbau sei das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, sei ein Nichteingeständnis, dass die Mauer ein "Symbol des Scheiterns des Sozialismus" sei, so Schröder.

Klaus Schröder im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Wie zwangsläufig war die Errichtung einer Grenze aus Beton und Stacheldraht? War es eine Einzelentscheidung von Walter Ulbricht oder Folge des Zweiten Weltkriegs? Am Telefon begrüße ich Professor Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat an der vereinten Universität Berlin. Guten Tag, Herr Schröder!

    Klaus Schröder: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Die Mauer ist das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und des Überfalls auf Russland, keine Einzelentscheidung. Würden Sie das unterschreiben?

    Schröder: Nein. Die Mauer ist das Ergebnis, um das Überleben einer sozialistischen Diktatur, die von russischen und deutschen Kommunisten gegründet wurde, zu sichern. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Staat war nicht überlebensfähig, er musste aber aufrechterhalten werden, weil a) die Sowjetunion die DDR als Musterbeispiel für den Sozialismus in einem hochindustrialisierten Land sah, und die SED-Führung wollte die DDR retten, weil es ihr Staat war. Es ist völlig klar: Es ging hier um das Überleben. Das hatte nicht mehr mit der deutschen Teilung zu tun, das hatte nichts mehr mit dem entfesselten Vernichtungskrieg Deutschlands gegen Russland zu tun, sondern es geht hier einfach darum, die sozialistische Diktatur war am Ende, die Mehrheit der Bevölkerung hat sich nicht überzeugen lassen, dass der Sozialismus lohnenswert ist. Deshalb ist die Mauer gebaut worden. Deshalb ist das innerdeutsche Grenzregime noch dichter geschlossen worden, um zu verhindern, dass die Menschen, die Freiheit und Wohlstand wollten, gehen konnten.

    Meurer: Warum war dann die russische Seite am Anfang von der Idee, eine Mauer zu bauen, nicht so angetan?

    Schröder: Weil es die zweitbeste Lösung nur war. Die beste Lösung, die hatte Chruschtschow in seinem Ultimatum 1958 ja schon angedeutet: Westberlin sollte eine freie, unabhängige, entmilitarisierte Stadt werden, die Westalliierten sollten abziehen und die DDR sollte die Verkehrswege kontrollieren. Dann hätte man sozusagen Westberlin isoliert und mittelfristig hätte man Westberlin dann einkassieren können. Das war das Ziel; der Westen, die Westalliierten haben dagegen gedrückt, sie haben das Überleben Westberlins garantiert und haben gesagt: Bis hierhin und keinen Schritt weiter! Und das hat Chruschtschow dann dazu gebracht, Ulbrichts Drängen nachzugeben, zumindest die Sektorengrenzen in Berlin vollständig abzuriegeln.

    Meurer: Also Chruschtschow war da quasi Pragmatiker.

    Schröder: Chruschtschow hat die letzte Entscheidung getroffen. Ohne grünes Licht aus Moskau ging in der DDR nie etwas. Aber Ulbricht hatte genau das gleiche Interesse, das Überleben der DDR zu sichern. Ich finde, dies ist ein künstlicher Gegensatz, der sowohl in der Wissenschaft als auch in der öffentlichen Debatte aufgemacht wird: Ulbricht und Chruschtschow hatten das gleiche Interesse, gleichberechtigte Interessen, hier ging es um die beste oder zweitbeste Lösung. Aber man kann nicht sagen, dass Chruschtschow sich hat von Ulbricht überrumpeln oder drängen lassen oder umgekehrt. Beide wollten das Überleben der DDR sichern und hierzu war es notwendig, die Sektorengrenzen zu schließen in Berlin, wenn schon nicht die beste Lösung, nämlich die entmilitarisierte, freie – Willy Brandt sagte damals: Vogelfreie – Stadt wäre das gewesen, wenn diese Lösung nicht gelingen sollte.

    Meurer: Was wäre denn passiert, wenn die Mauer nicht gebaut worden wäre am 13. August 1961, und die innerdeutsche Grenze nicht hochgezogen wäre?

    Schröder: Es wären weitere Hunderttausende, Millionen geflohen, die DDR wäre am Ende gewesen. Ohne Gewalt ließ sich diese Diktatur nicht aufrecht erhalten.

    Meurer: Aber hätte dem Moskau zugeschaut, einer solchen weiteren Entwicklung?

    Schröder: Nein, Moskau hätte auch mit Gewalt dies verhindert, also insofern war, um das Überleben der sozialistischen Diktatur zu sichern, die Mauer eine Notwendigkeit, völlig klar. Aber das hat nichts damit zu tun, dass 1945 Deutschland geteilt wurde oder mit dem Krieg, sondern es ist das Ergebnis des Scheiterns des realen Sozialismus auf deutschem Boden.

    Meurer: Stimmt es eigentlich, dass U.S.-Präsident John F. Kennedy damals gesagt hat: Lieber die Mauer als Krieg?

    Schröder: Ja, nicht nur John F. Kennedy; unter den Westalliierten war es Konsens: Einen Krieg um Berlin, für Berlin wollten sie nicht. Sie wollten Ruhe in Berlin, Stabilität in Berlin, und damit auch in Europa – aber das bedeutete, Westberlin sollte gehalten werden. Also, der eigentliche Streitpunkt war Westberlin und nicht Berlin insgesamt! Da hatten sich die Westalliierten sehr schnell darauf verständigt: Wir lassen der Sowjetunion das Recht, in der DDR und in Ostberlin das zu machen, was sie für richtig halten. Wenn Sie so wollen, wurde ab dem 13. August 1961 der Status quo, der nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht wurde, einbetoniert.

    Meurer: Nur kann die Linke sich nicht auf John F. Kennedy berufen und sagen: Die Mauer hat einen Krieg verhindert?

    Schröder: Nein, ein Krieg stand nicht zur Debatte. Wenn der separate Friedensvertrag geschlossen worden wäre, was Chruschtschow ursprünglich vorhatte, und Ulbricht die Verkehrswege hätte kontrollieren können, dann hätte die Gefahr bestanden, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommt. Diese Variante, die gewählt wurde, stand nicht in Gefahr, dass es zu einer militärischen Eskalation kommt.

    Meurer: Frage an Sie als Historiker, Professor Klaus Schröder: Wie gab es eigentlich damals in der SED Diskussionen über den Mauerbau, oder hat das die gesamte Partei geschluckt?

    Schröder: Die Partei hat es geschluckt, weil bis zu den einfachen Mitgliedern hin ihnen ja klar war, dass es so nicht weitergeht, wenn weiter Tausende, Zehntausende, Hunderttausende fliehen, und es waren ja auch gerade sehr viele Künstler, sogenannte Intellektuelle, die eigentlich froh waren, dass die Mauer kam. Sie glaubten, jetzt endlich kann der Sozialismus aufgebaut werden, jetzt gibt es keine Störaktionen mehr von draußen, die Leute gehen nicht mehr weg – und das ist ja das Tragische für die SED und ihre Anhänger, dass mit dem Fall der Mauer dann noch mal offensichtlich wurde, dass der Sozialismus gescheitert ist.

    Meurer: Warum tut die Linke sich so schwer mit der Mauer und sagt nicht den zweiten Satz von Gesine Lötzsch: Der Sozialismus hinter Mauern kann einfach nicht funktionieren?

    Schröder: Weil es ihr Staat war. Die meisten Mitglieder der Partei, die sich die Linke nennt, tragen die DDR im Herzen. Das war ihr Staat – bei aller Kritik, die sie auch an gewissen Dingen in der DDR haben! –, es ist ihr Staat gewesen, deshalb möchten sie, können sie sich das Eingeständnis nicht leisten, dass die Mauer das Symbol des Scheiterns des Sozialismus ist.

    Meurer: Der Bau der Berliner Mauer und ihre historische Bewertung. Ich sprach mit Professor Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU in Berlin. Schönen Dank, Herr Schröder und auf Wiederhören!

    Schröder: Ja, bitte!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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