Jochen Steiner: Frau Röhrlich, laut den Berichten der Betreiberfirma Tepco klingt der aktuelle Zwischenfall ja halb so schlimm – schätzen Sie die Lage vor Ort genauso ein?
Dagmar Röhrlich: Am Block Zwei sind am 1. November in Gasen, die aus dem Sicherheitsbehälter abgesaugt worden sind, Spuren von Xenon 133 und Xenon 135 gemessen worden. Da diese beiden Radionuklide eine Halbwertzeit von fünf Tagen beziehungsweise neun Stunden haben, musste Tepco zugeben, dass offensichtlich in Block Zwei eine Kettenreaktion läuft. Anscheinend gibt es dort "Nester", in denen spaltbares Material so konzentriert ist, dass es dort lokal und für begrenzte Zeit zu einer Kettenreaktion kommt. Seit wann das so ist, lässt sich nicht sagen, da die Messungen kompliziert sind und es keine dauernde Überwachung gibt. Die Temperatur im Druckbehälter liegt aber weit unterhalb von 100 Grad Celsius; was da passiert, läuft also sehr lokal ab. Von den für eine Kernschmelze notwendigen Temperaturen von mehr als 1200 Grad Celsius ist man damit weit entfernt. Die Lage ist also nicht über Nacht gefährlicher geworden. Aber diese sogenannte Re-Kritikalität wird die Arbeiten, die notwendig sind, um die Anlagen unter Kontrolle zu bringen, verzögern.
Steiner: Vor Kurzem wurde auch bekannt, dass mehr radioaktives Cäsium 137 freigesetzt wurde als bislang angenommen. Wie wirkt sich das auf die Gesundheit der Menschen aus?
Röhrlich: In der vergangenen Woche wurde neue Studie eines internationalen Forscherteams bekannt, die alle bislang verfügbaren Messwerte zur Ausbreitung des Radionuklids Cäsium 137 in der Atmosphäre zusammenfasst und dann mit Modellen berechnet, wie viel aus den vier Havaristen entwichen ist. Das Ergebnis: Die japanischen Behörden hatten diesen sogenannten Quelltherm bislang unterschätzt. Es wurde mindestens doppelt so viel Cäsium 137 freigesetzt, wie bislang angenommen. Das Gros davon ging auf das Meer hinaus.
Für die Gefährdung der Bevölkerung hat das erst einmal keine Bedeutung. Dieser Quelltherm ist etwas, das man im ersten Moment für die Abschätzung der Größenordnung der möglichen gesundheitlichen Folgen braucht. Über dieses Stadium ist man derzeit weit hinaus: Man hat inzwischen die kleinräumigen Messungen, die notwendig sind, um das Risiko der Menschen abzuschätzen. Denn dabei es kommt nicht darauf an, was insgesamt in die Luft entwichen ist, sondern was wirklich in der Lebenswelt der Menschen angekommen ist, was von außen auf sie strahlt, was sie durch Essen und Trinken aufgenommen haben und so weiter. An diesen Werten hat sich nichts geändert - und aus ihnen ergibt sich das Risiko für die Bevölkerung.
Um die Folgen für die Menschen besser abschätzen zu können, werden nicht nur die Strahlenmengen gemessen, die die Individuen aufgenommen haben, sondern es sind auch Fragebögen verschickt worden. Das Schicksal von zwei Millionen Menschen soll verfolgt werden, und dazu dienen diese Fragebögen als Ausgangspunkt. Allerdings ist der Rücklauf nicht besonders gut.
Steiner: Wir haben es am Ende des Beitrags eben gehört, um Block Eins wurde eine Schutzhülle errichtet – ist das ein wirksamer Schutz?
Röhrlich: Über Block Eins ist ein Stahlgerüst samt Plastikplane angebracht worden. Diese Hülle soll verhindern, dass Regen eindringt und Radioaktivität einfach so in die Umwelt gelangt. Die Luft, die nach außen abgegeben wird, wird erst gefiltert. Der Probelauf dieser Filteranlage hat nun gezeigt, dass rund 90 Prozent der Radioaktivität zurückgehalten werden können. Wie das beim Dauerbetrieb aussieht, wird sich zeigen. Man muss aber auch hinzufügen, dass die großen Emissionen zu Anfang der Havarie waren. Was da inzwischen noch in die Luft freigesetzt wird, ist um Größenordnungen geringer.
Steiner: Sind diese Arbeiter ausreichend vor der Strahlung geschützt?
Röhrlich: Derzeit werden sie sehr gut überwacht und die Schutzmaßnahmen sind auch sehr gut. Aber die sechs bis acht Wochen waren chaotisch, die Überwachung nicht professionell, vor allem der Atemschutz war nicht ausreichend. Einige der Männer haben Dosen abbekommen, bei denen ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt. Allerdings gibt es bislang - anders als nach Tschernobyl - keine Fälle von akuter Strahlenkrankheit.
Steiner: Die Behörden haben ja mit der Dekontamination in der 20- bis 30-Kilometer-Zone um das AKW begonnen ... wie gehen die Arbeiten voran?
Röhrlich: Mit Blick auf die Bevölkerung ist das große Thema: dekontaminieren. Die Leute sollen in die 20- bis 30-Kilometer-Zone zurückkehren können, sobald die Lage im Kernkraftwerk stabil ist. Aber die Bevölkerung ist nach allem, was da gelaufen ist, misstrauisch. Der Umstieg von der Notfall- auf die neue Normalsituation in den belasteten Gebieten gestaltet sich als sehr schwierig.
Es geht unter anderem um das Minimieren der Belastung - und die ist gedanklich noch nicht durchexerziert worden. Es ist beispielsweise klar, dass man ein Gebiet nicht flächendeckend dekontaminieren kann - man müsste beispielsweise alles roden. Trotzdem dachte die Regierung darüber nach. Zweitens ist das Problem mit dem radioaktiven Abfall, der dabei entsteht, immer noch ungelöst. Es gibt weder Zwischen-, noch Endlager, das Problem ist immer noch ungelöst. Die Abfälle liegen immer noch in Plastiksäcken irgendwo rum oder wird flach vergraben, aber das ist keine Lösung. Nach Tschernobyl hatte man in den hoch exponierten Gebieten, in die niemand darf, Zonen ausgewiesen, in die der Abfall dann gebracht worden ist. Die Menschen fühlen sich nicht sicher. Sie trauen den Behörden nicht, und vor allem, wenn es um Kinder und Schwangere geht, sind die Befürchtungen groß, denn diese Gruppen muss man besonders schützen.
Dagmar Röhrlich: Am Block Zwei sind am 1. November in Gasen, die aus dem Sicherheitsbehälter abgesaugt worden sind, Spuren von Xenon 133 und Xenon 135 gemessen worden. Da diese beiden Radionuklide eine Halbwertzeit von fünf Tagen beziehungsweise neun Stunden haben, musste Tepco zugeben, dass offensichtlich in Block Zwei eine Kettenreaktion läuft. Anscheinend gibt es dort "Nester", in denen spaltbares Material so konzentriert ist, dass es dort lokal und für begrenzte Zeit zu einer Kettenreaktion kommt. Seit wann das so ist, lässt sich nicht sagen, da die Messungen kompliziert sind und es keine dauernde Überwachung gibt. Die Temperatur im Druckbehälter liegt aber weit unterhalb von 100 Grad Celsius; was da passiert, läuft also sehr lokal ab. Von den für eine Kernschmelze notwendigen Temperaturen von mehr als 1200 Grad Celsius ist man damit weit entfernt. Die Lage ist also nicht über Nacht gefährlicher geworden. Aber diese sogenannte Re-Kritikalität wird die Arbeiten, die notwendig sind, um die Anlagen unter Kontrolle zu bringen, verzögern.
Steiner: Vor Kurzem wurde auch bekannt, dass mehr radioaktives Cäsium 137 freigesetzt wurde als bislang angenommen. Wie wirkt sich das auf die Gesundheit der Menschen aus?
Röhrlich: In der vergangenen Woche wurde neue Studie eines internationalen Forscherteams bekannt, die alle bislang verfügbaren Messwerte zur Ausbreitung des Radionuklids Cäsium 137 in der Atmosphäre zusammenfasst und dann mit Modellen berechnet, wie viel aus den vier Havaristen entwichen ist. Das Ergebnis: Die japanischen Behörden hatten diesen sogenannten Quelltherm bislang unterschätzt. Es wurde mindestens doppelt so viel Cäsium 137 freigesetzt, wie bislang angenommen. Das Gros davon ging auf das Meer hinaus.
Für die Gefährdung der Bevölkerung hat das erst einmal keine Bedeutung. Dieser Quelltherm ist etwas, das man im ersten Moment für die Abschätzung der Größenordnung der möglichen gesundheitlichen Folgen braucht. Über dieses Stadium ist man derzeit weit hinaus: Man hat inzwischen die kleinräumigen Messungen, die notwendig sind, um das Risiko der Menschen abzuschätzen. Denn dabei es kommt nicht darauf an, was insgesamt in die Luft entwichen ist, sondern was wirklich in der Lebenswelt der Menschen angekommen ist, was von außen auf sie strahlt, was sie durch Essen und Trinken aufgenommen haben und so weiter. An diesen Werten hat sich nichts geändert - und aus ihnen ergibt sich das Risiko für die Bevölkerung.
Um die Folgen für die Menschen besser abschätzen zu können, werden nicht nur die Strahlenmengen gemessen, die die Individuen aufgenommen haben, sondern es sind auch Fragebögen verschickt worden. Das Schicksal von zwei Millionen Menschen soll verfolgt werden, und dazu dienen diese Fragebögen als Ausgangspunkt. Allerdings ist der Rücklauf nicht besonders gut.
Steiner: Wir haben es am Ende des Beitrags eben gehört, um Block Eins wurde eine Schutzhülle errichtet – ist das ein wirksamer Schutz?
Röhrlich: Über Block Eins ist ein Stahlgerüst samt Plastikplane angebracht worden. Diese Hülle soll verhindern, dass Regen eindringt und Radioaktivität einfach so in die Umwelt gelangt. Die Luft, die nach außen abgegeben wird, wird erst gefiltert. Der Probelauf dieser Filteranlage hat nun gezeigt, dass rund 90 Prozent der Radioaktivität zurückgehalten werden können. Wie das beim Dauerbetrieb aussieht, wird sich zeigen. Man muss aber auch hinzufügen, dass die großen Emissionen zu Anfang der Havarie waren. Was da inzwischen noch in die Luft freigesetzt wird, ist um Größenordnungen geringer.
Steiner: Sind diese Arbeiter ausreichend vor der Strahlung geschützt?
Röhrlich: Derzeit werden sie sehr gut überwacht und die Schutzmaßnahmen sind auch sehr gut. Aber die sechs bis acht Wochen waren chaotisch, die Überwachung nicht professionell, vor allem der Atemschutz war nicht ausreichend. Einige der Männer haben Dosen abbekommen, bei denen ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt. Allerdings gibt es bislang - anders als nach Tschernobyl - keine Fälle von akuter Strahlenkrankheit.
Steiner: Die Behörden haben ja mit der Dekontamination in der 20- bis 30-Kilometer-Zone um das AKW begonnen ... wie gehen die Arbeiten voran?
Röhrlich: Mit Blick auf die Bevölkerung ist das große Thema: dekontaminieren. Die Leute sollen in die 20- bis 30-Kilometer-Zone zurückkehren können, sobald die Lage im Kernkraftwerk stabil ist. Aber die Bevölkerung ist nach allem, was da gelaufen ist, misstrauisch. Der Umstieg von der Notfall- auf die neue Normalsituation in den belasteten Gebieten gestaltet sich als sehr schwierig.
Es geht unter anderem um das Minimieren der Belastung - und die ist gedanklich noch nicht durchexerziert worden. Es ist beispielsweise klar, dass man ein Gebiet nicht flächendeckend dekontaminieren kann - man müsste beispielsweise alles roden. Trotzdem dachte die Regierung darüber nach. Zweitens ist das Problem mit dem radioaktiven Abfall, der dabei entsteht, immer noch ungelöst. Es gibt weder Zwischen-, noch Endlager, das Problem ist immer noch ungelöst. Die Abfälle liegen immer noch in Plastiksäcken irgendwo rum oder wird flach vergraben, aber das ist keine Lösung. Nach Tschernobyl hatte man in den hoch exponierten Gebieten, in die niemand darf, Zonen ausgewiesen, in die der Abfall dann gebracht worden ist. Die Menschen fühlen sich nicht sicher. Sie trauen den Behörden nicht, und vor allem, wenn es um Kinder und Schwangere geht, sind die Befürchtungen groß, denn diese Gruppen muss man besonders schützen.