- Die Corona-Toten sichtbar machen
- Auch Politik und Kirche erinnern an die Toten
- Die Corona-Toten als ordnungspolitische Zahl
- Für Hinterbliebene haben die Verstorbenen ein Gesicht
- Charité: Mehr als ein Drittel der Covid-Patienten auf der Intensivstation gestorben
- Infektion, Erkrankung und Tod werfen noch viele Fragen auf
- Erste regionale Untersuchungen liefern Erkenntnisse
- Vorerkrankungen spielen eine große Rolle
- Angehörige leiden unter Kontaktsperre
- Mehr mit dem Sterben beschäftigen
Am 10. April 2020 brachte Alexander Baganz seinen Vater mit Husten ins Krankenhaus in Berlin-Halensee.
"Ich kam an der Notaufnahme an, hab da geklingelt mit meinem Vater. Ich seh' noch genau, was er für Kleidung anhatte, seine Tüte, die er getragen hat. Die Schwester machte auf, ich durfte ja nicht mit rein schon mehr durch die Corona-Maßnahmen. Ich habe ihn nicht mal zum Abschied umarmt. Wir haben ausgemacht, dass ich ihn anrufe. Und dann war er weg. Und dann habe ich ihn nie wieder - oder wir alle - wach und bei Bewusstsein gesehen. Das war' s. Da wusste er auch noch nicht, dass er Corona hat."
Mehr als 70.000 Menschen sind in Deutschland im Zusammenhang mit dem SARS-Cov-2-Virus, dem Corona-Virus, seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr gestorben. Am 9. März 2020 meldete der Deutschlandfunk die ersten beiden Todesfälle: "Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums handelt es sich um eine Person aus Essen und eine weitere aus Heinsberg. Die Stadt Essen bestätigte den Tod einer 89-jährigen Frau..."
Weltweit sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als 2,5 Millionen Menschen an oder mit Corona, so die geläufige Bezeichnung, verstorben.
"Wir füllen die abgebrannten Grablichter ja jedes Mal mit Teelichtern auf. Und da gehen so an die 120 jedes Mal drauf, also sind es, würde ich sagen, fast 200 Kerzen oder so." - Ein eiskalter Sonntagnachmittag im Februar in Berlin-Pankow, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Christian Y. Schmidt beugt sich über die Grablichter auf den verschneiten Stufen des Stierbrunnens. "Die bringen auch immer wieder andere Leute. Teilweise sind es Leute aus der Nachbarschaft, die ich selber nicht kenne, teilweise sind es Bekannte, es ist also eine bunte Mischung."
In Deutschland fehlten Bilder über das Sterben in der Corona-Pandemie, stellt der Autor fest. Stattdessen tägliche Meldungen über Neu-Infizierte und – "außerdem", wie es immer heißt - die Verstorbenen. Als es im Dezember mehr als 1.000 am Tag waren, hat er mit der Künstlerin Veronika Radulovic deshalb die Initiative "Corona-Tote sichtbar machen" gegründet. Mittlerweile gibt es ähnliche Aktionen in rund 40 deutschen Städten, um an die hohe Zahl von Verstorbenen zu erinnern und um diese zu trauern.
"Wir haben die Idee Anfang Dezember gehabt, da lag die ungefähr bei 400 bis 600 Gestorbenen pro Tag. Und haben gesagt, dem müssen wir was entgegensetzen. Wir müssen irgendwelche Bilder produzieren, dass den Leuten klar wird, das ist keine Bagatelle, was hier passiert. Sondern hier sterben große Mengen von Leuten jeden Tag. Und da sind wir auf die Kerzen gekommen."
Die Politik zieht nach. Im Januar hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zunächst die Aktion #lichtfenster initiiert, um mit einer Kerze im Fenster an die Corona-Toten zu erinnern. Dann kündigte er eine zentrale Gedenkfeier am 18. April mit Hinterbliebenen und der Staatsspitze im Berliner Konzerthaus an. Außenminister Heiko Maas hat nachgelegt und einen europäischen Trauerakt gefordert. Auch die Katholische Kirche erinnerte jüngst in Gottesdiensten an die Pandemie-Opfer und die Hinterbliebenen.
Eine überfällige Trendwende. Dass die Corona-Toten bislang verdrängt wurden, wie Christian Y. Schmidt sagt. Dieser Ansicht ist auch Norbert Fischer. Der Professor am Institut für Kulturanthropologie der Universität Hamburg erwartet, dass sich in den kommenden Monaten das Bedürfnis, Sterben, Tod und Trauer mit Anteilnahme zu begleiten, wieder Bahn brechen wird.
"Die Toten in der Corona-Pandemie werden im Moment mehr als ordnungspolitische Zahl wahrgenommen. Wir blicken ja fast täglich auf die gemeldeten Zahlen. Wir haben hier ein besonderes Phänomen, was sich historisch auch ableiten lässt, dass die Toten in Krisenzeiten, also in Seuchenzeiten wie der Pest oder der Cholera isoliert werden. Sie werden gesellschaftlich isoliert, sie werden emotional isoliert. Sie werden zu einer bloßen Zahl, es wird nicht mehr das Individuum wahrgenommen, was dahintersteht."
Der Sozial- und Kulturhistoriker verweist auf das Mittelalter, wo die Pest-Toten auf Friedhöfen außerhalb der Stadt bestattet wurden. Auch während der Hamburger Cholera-Epidemie Ende des 19. Jahrhunderts wurden die fast 10.000 Verstorbenen von ihren Angehörigen getrennt und in Massengräbern beigesetzt.
Corona-Tote in Europa
Die Entwicklung, dass Kranke und Sterbende seit dem 18. Jahrhundert in Institutionen wie Krankenhäuser abgeschoben werden, wie Fischer sagt, zeige sich in der aktuellen Pandemie in radikalisierter Form. Infizierte müssen in häusliche Quarantäne, die Erkrankten werden im Krankenhaus isoliert, die Verstorbenen in Hygienesäcke gelagert – was das Abschiednehmen am offenen Sarg und körperliche Berührung verhindere.
"Hier prallen einfach unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse und Ziele aufeinander. Die Hinterbliebenen, die Familie, der Bekanntenkreis hat natürlich Interesse an einer emotionalen Abschiednahme. Der Staat hingegen hat ein Interesse daran, die Hygienevorschriften durchzuführen. Und aus diesem Widerspruch resultiert, dass wir im Moment die Corona-Toten nicht mehr als eine emotionale Angelegenheit, sondern als eine bloße statistische Angelegenheit wahrnehmen."
"Die Gesamtzahl stieg damit auf rund 185.000. An oder mit der Infektion starben 8.690 Erkrankte." - Welche Informationen liefert die tägliche Zahl? Wer sind die Toten? "Die Gesamtzahl der in Verbindung mit Covid-19 registrierten Todesfälle nahm um neun zu und liegt nun bei 9.338."
Eine nicht unwesentliche Information liefert das Robert-Koch-Institut RKI, dem die Gesundheitsämter täglich die Infizierten und Verstorbenen melden. Bis zum Alter von 79 Jahren unterliegen zwei- bis dreimal so viel Männer wie Frauen der Erkrankung. Erst ab 80 verkehrt sich das Verhältnis: Knapp 27.000 Frauen dieser Altersgruppe sind bislang gestorben – und weniger als 22.000 Männer.
Eine nicht unwesentliche Information liefert das Robert-Koch-Institut RKI, dem die Gesundheitsämter täglich die Infizierten und Verstorbenen melden. Bis zum Alter von 79 Jahren unterliegen zwei- bis dreimal so viel Männer wie Frauen der Erkrankung. Erst ab 80 verkehrt sich das Verhältnis: Knapp 27.000 Frauen dieser Altersgruppe sind bislang gestorben – und weniger als 22.000 Männer.
Wie soll man sie eigentlich nennen? Darf man Corona-Tote sagen oder sollte es Verstorbene heißen? Die einen sprechen von Pandemie-Opfern, andere von Sterbefällen. Für Familie Baganz ist der Tod durch Covid-19 mit einem Gesicht verbunden: Nach dem positiven Testergebnis lag Heinz-Peter Baganz noch eine Woche lang bei Bewusstsein auf der Isolierstation - mit hohem Fieber und sehr schwach. Um zu überleben, musste er mit einem Schlauch künstlich beatmet und ins künstliche Koma versetzt werden, sagt der 44 Jahre alte Sohn:
"Er war vorher immer kerngesund, keine ihm bekannten Vorerkrankungen. Der hat morgens seine, gegen Ende nicht mehr 100, aber vielleicht 30 Liegestütz gemacht sein ganzes Leben lang. Wenn wir einkaufen waren, hat er mir die schweren Tüten abgenommen mit 74. So ein Typ war er, immer unterwegs, allen geholfen. Wenn wir einen Babysitter brauchten, ein Anruf, dann kam der nachts mit dem Auto an. Also nicht krank und gebrechlich, sondern voll im Leben. Wir wollten zusammen noch verreisen, wir sind auch viel verreist mit ihm. Und dann kam dieser Herzinfarkt."
Im Koma folgten Schlaganfall, innere Blutungen, Infektionen, ein Luftröhrenschnitt. Alexander Baganz und seine Frau Bagdad Baganz erzählen von einem fünfwöchigen Auf und Ab, täglichen Telefonaten mit der Intensivstation und Besuchen im Schutzanzug. Nur zwei beatmete Patienten mit Corona lagen damals auf der Intensivstation. Bagdad Baganz: "Alle waren unglaublich geschockt, weil viele kannten ja unseren Papa, wie er war. Man hörte natürlich in den Nachrichten, aber wir waren eine der ersten, wo der Fall, der ist an Corona – Oh, okay. Einige haben das gar nicht so ernst genommen: Na ja, Corona ist ja nichts anderes als Grippe. Und dann: Es geht ihm schlechter. Es ist immer noch surreal."
Anders in der Berliner Charité. Hier gehört das Sterben in der Pandemie zum Alltag. Dr. Viktor Wegener arbeitet als Oberarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin auf einer von zwei Intensivstationen für Covid-19-Patienten. Seine hat 31 Betten: "Wir sehen Patienten von Mitte 40 bis Mitte 80, die bei uns aufgenommen wurden, die mitten im Leben stehen – nicht nur die jüngeren, sondern auch die älteren, die Mitte-70-, Ende-70-Jährigen, die noch aktiv waren, aber auch normale Arbeitnehmer, die tagtäglich am Leben teilnehmen. Und natürlich haben wir auch Pflegeheimbewohner hier behandelt."
An der Charité werden die besonders schweren Fälle, teils aus anderen Bundesländern hierher verlegt, behandelt, sagt der Arzt. Die Menschen liegen im Schnitt 30 bis 40 Tage auf der Station, während der Hochphase der zweiten Welle in der ersten Januarwoche wurden mehr als 90 Prozent invasiv beatmet und stark sediert. Mehr als ein Drittel der Patienten und Patientinnen sei bislang gestorben, so Viktor Wegener.
Nicht die Virus-Infektion, sondern die Covid-Erkrankung sei das Problem: "Das ist ja die Reaktion des Körpers, was man ja immer noch nicht ganz verstanden hat, auf das Virus. Die meisten Patienten, die hier sind, sind nach zwei Wochen nicht mehr ansteckend. Also das Virus lässt sich nur noch fragmenteweise nachweisen. Aber die Erkrankung schreitet dann voran. Das ist eine Überreaktion des Immunsystems, und wie genau das funktioniert, ist noch nicht erklärt. Das ist eine relativ frische Erkrankung."
Viele Fragen sind offen. Wo und wie haben die Verstorbenen sich infiziert? Bislang legt das Robert-Koch-Institut lediglich Daten zum sogenannten Infektionsumfeld von Infizierten und Erkrankten vor. Ungeklärt sind die Krankheitsverläufe und Todesursachen, unvollständig die Angaben, wo die Menschen sterben. Unbeantwortet auch die Frage, inwiefern sozioökonomische Faktoren wie das Leben in engen Wohnungen oder das Arbeiten in schlecht bezahlten Berufen dazu beitragen.
Dabei gäbe es bereits viele Daten etwa in den Alten – und Pflegeheimen, in Krankenhäusern und bei Krankenkassen, betont Prof. Ulrich Mansmann, Direktor des "Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie" an der LMU München. Außerdem dokumentieren die Gesundheitsämter jeden Fall und seinen Verlauf. Beides melden sie dem RKI: "Die Gesundheitsämter haben dazu noch tiefere Daten, beispielsweise woher kommen die Infizierten, woher kommen eigentlich die Verstorbenen, sind die praktisch aus Pflegeeinrichtungen, aus Asylanteneinrichtungen? Da gibt es Daten, nur die sind so einfach nicht öffentlich zugänglich. Man wird sie erhalten, wenn man danach fragt, muss sie dann aber auch aufarbeiten."
Experten fordern, die vorhandenen Daten übereinander zu legen und abzugleichen, um die Todesfälle besser zu verstehen. Warum geschieht das nicht? "Das Problem wird sein, wie man das alles in einem sinnvollen Zusammenhang zusammenbringen kann. Das ist dann der Punkt der Datennutzung von Datenbeständen und von vorhandenen Studien. Das kostet Zeit, Infrastruktur, Auswertungsmöglichkeiten und letztendlich auch Rechtsgrundlagen, dass man diese Daten wieder für Wissenschaft und Forschungen verwenden kann."
Erste regionale Untersuchungen versuchen derweil, die Lücke zu schließen. Ulrich Mansmann selbst hat in Bayern begonnen, den Zusammenhang von Covid-19-Todesfällen mit sozioökonomischen Faktoren zu erforschen. Die Daten hätten gezeigt, dass in den sozial benachteiligten Regionen das Risiko zu versterben im Jahr 2020 viel höher und teilweise sogar doppelt so hoch war.
Einen anderen Fokus hat die jüngst veröffentlichte Sterbefallstudie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Prof. Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, ist der unmittelbaren Todesursache der 735 bislang an Sars-Cov-2 Verstorbenen im Großraum Hamburg nachgegangen. Laborbefunde und Arztbriefe, bildgebende Verfahren sowie Obduktionen hätten gezeigt, dass 618 von ihnen primär an Covid-19 verstarben:
"Wir wissen, dass der überwiegende Anteil tatsächlich durch das Virus verstirbt. Die Menge der Fälle, die einen positiven Virusnachweis hatten, aber an einer eindeutig Virus-unabhängigen Todesursache gestorben sind, ist deutlich kleiner, etwa sieben Prozent. 75 Prozent aller Covid-19-Sterbefälle war älter als 76 Jahre, mengenmäßig etwas mehr Männer als Frauen unter den Sterbefällen waren, etwa 55 Prozent zu 45 Prozent. Und dass wir insgesamt letztlich nur ganz vereinzelte Sterbefälle unterhalb des 50. Lebensjahres hatten."
Häufigste Todesursachen waren Lungenversagen, -entzündung oder -embolie. Hinzu kamen entzündliche Komplikationen, die teilweise zum Versagen mehrerer Organe führten. Ondruschka spricht von einem neuen Krankheitsbild und unterstreicht die große Bedeutung von Vorerkrankungen. 88 Prozent der Verstorbenen haben laute Studie bereits vor der Infektion an einer oder mehreren Erkrankungen gelitten, darunter Blut-Hochdruck, eine chronische Nieren-Minderleistung oder Lungenerkrankung, ein Tumorleiden oder Diabetes mellitus. Lediglich ein Prozent der Toten sei vorher gesund gewesen. Auch den Sterbeort haben die Rechtsmediziner untersucht.
"Überwiegend sterben die Covid-19-Sterbefälle im Krankenhaus, davon waren 40 Prozent auf Normalstation verstorben und etwas weniger als 30 Prozent auf Intensivstation, das heißt in Summation annähernd Zweidrittel im Krankenhaus, im Pflegeheim waren 22 Prozent verstorben und der Rest in der Häuslichkeit."
"In Deutschland hat die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Corona-Virus einen neuen Höchstwert erreicht. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts starben innerhalb eines Tages 590 Menschen an oder mit dem Virus."- Die Corona-Toten sichtbar zu machen, heißt, auch über die Zeit der Erkrankung und des Sterbens zu sprechen. Was es bedeutet, im Krankenhaus isoliert zu sein, nur manchmal wachere Phasen zu erleben und fremd wirkendes medizinisches Personal in Schutzkleidung um sich zu haben.
Den Besuch von Angehörigen erlaubt etwa die Covid-Intensiv-Station der Charité erst im Moment des Sterbens. Diese litten sehr unter der Kontaktsperre, betont Inga-Johanna Putz. Die Psychologin hilft den Familien, über Telefon oder Tablet ein Minimum an Kommunikation herzustellen. Der Anblick eines nahen Menschen mit Beatmungsschläuchen und vom Liegen geschädigter Haut sei nicht leicht:
"Ich versuche immer zu erklären und das Zimmer erstmal zu zeigen: Es kommt sehr darauf an, wie die Familien damit umgehen können. Ich habe ganz unterschiedliches gehört. Einige Angehörige sagen: Das hilft mir jetzt überhaupt nicht, das zu sehen. Ich möchte lieber am Telefon bleiben und dass Sie das ein bisschen moderieren. Andere Angehörige sagen: Ich habe meinen Mann seit fünf Wochen überhaupt nicht gesehen, ich muss den sehen, ist mir egal, wie der aussieht. Und ob der wach ist."
Auch Dr. Wiebke Nehls hat seit Beginn der Pandemie täglich mit Covid-19-Patienten zu tun. Die Oberärztin leitet den Bereich Palliativmedizin an der Klinik für Pneumologie am Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin. Sie macht diese Arbeit seit 20 Jahren. Durch die Corona-Pandemie habe sie gelernt, wie groß die Bandbreite an Fällen ist, dass die Grenze zwischen Überleben und Sterben fließend ist und täglich – in Abstimmung mit den Intensivmedizinern - neue Entscheidungen getroffen werden müssen:
"Wir haben ja auch tatsächlich 50-jährige Krebspatienten, die eine schwer fortgeschrittene Tumorerkrankung haben und die zusätzlich an Covid erkranken. Es gibt natürlich auch 35-jährige Menschen, die uns gar nicht vorerkankt schienen, die vielleicht ein leichtes Asthma haben, die einen ausgesprochen schweren Verlauf haben. Und es gibt natürlich auch 95-jährige Patienten, die positiv im Heim getestet werden. Und da gibt es eine schwierige Versorgungssituation, und die zu uns zur Aufnahme geschickt werden und da merken wir durch die Covid-Erkrankung kaum oder nur wenige Einschränkungen."
Nehls und ihr Palliativteam wollen die Lebensqualität während der Erkrankung verbessern und - wenn nötig - ein so genanntes sanftes Sterben ermöglichen. Schmerzen und Atemnot könnten durch Medikamente gelindert werden, niemand müsse ersticken, sagt die Ärztin, die im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin sitzt.
"Insgesamt gibt es eine sehr große Angst. Uns eint ja erstmals alle eine gemeinsame Sorge gegenüber einer Erkrankung und gegenüber dem Sterben. Das Sterben ist ja sehr viel bewusster geworden mit auch dramatischen und schlimmen Bildern. Da merken wir schon, dass die Betroffenen, die bei uns aufgenommen werden, schon mit einer sehr großen Sorge kommen vor dieser Einsamkeit, vor dem möglichen Lebensende. Wir lernen hier im Haus, aber auch in der Gesellschaft, dass wir uns grundsätzlich mit dem Thema Schwer-Erkrankte, Sterben mehr beschäftigen müssen."
"Laut RKI wurden innerhalb von 24 Stunden zudem 481 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gezählt."
Am 24. Mai ist Heinz-Peter Baganz im Krankenhaus in Berlin Halensee gestorben. Seine Lunge sei so zerstört gewesen, dass er nicht mehr eigenständig atmen und leben konnte, sagt sein Sohn: "Das letzte Geschenk war: Er war Corona-frei die letzten zwei oder drei Tage vor seinem Tod. Das heißt, wir konnten bei ihm sein ohne diese Gummihandschuhe. Masken und den ganzen Kram, konnten seine Hand halten, sein Haar streicheln, ihn küssen, umarmen war schlecht mit den Schläuchen. Wir konnten wirklich für ihn da sein. Wir konnten uns verabschieden."