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"Die Menschen leben im Terror"

Raphael Veicht von der Hilfsorganisation "Cap Anamur" kümmert sich um das vom Grenzkonflikt im Sudan betroffene Nuba-Volk. Die Menschen seien durch ständige Bombenangriffe eingeschüchtert, so Veicht. Der einzige Schutz seien Steinhöhlen im gebirgigen Gelände. Hilfe durch die UN gebe es keine. Diese sei eher um den Waffenstillstand zwischen Süd- und Nordsudan bemüht.

Raphael Veicht im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: In dem Grenzgebiet, in dem die militärischen Auseinandersetzungen im Sudan stattfinden, lebt das Volk der Nuba, das Opfer dieses Konfliktes geworden ist. Raphael Veicht ist einer der wenigen Nothelfer dort, er arbeitet in einer Klinik der Hilfsorganisation "Cap Anamur". Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen. Seine Klinik liegt in den sogenannten Nuba-Bergen. Ich habe ihn zuerst gefragt, wie er in das Konfliktgebiet rein- und herauskommt.

    Raphael Veicht: Der einzige Weg, der einzige Zugang zu den Nuba-Bergen ist momentan auf dem Landweg über eine Straße, die vom Südsudan aus über ein Flüchtlingslager in die Nuba-Berge führt. Das ist dann der einzige offene Korridor.

    Kaess: Und da fahren Sie mit dem Auto rein und raus?

    Veicht: Da fährt man mit dem Auto rein und raus, ja.

    Kaess: Und da kommen Sie relativ ohne Hindernisse auf dem Weg durch?

    Veicht: Wenn es die militärische Lage erlaubt, kommt man ohne Hindernisse durch, ja.

    Kaess: Wie muss man sich die Klinik vorstellen, in der Sie arbeiten?

    Veicht: Wir haben eine 50-Betten-Klinik mit einem OP, mit einem Labor und einem Emergency-Room, in dem wir schwerkranke Fälle behandeln und überwachen können, eine sehr, sehr einfache Klinik, also nicht zu vergleichen mit deutschen Kliniken, aber es ist medizinisch doch relativ viel möglich.

    Kaess: Mit welchen Beschwerden oder Krankheiten kommen Ihre Patienten?

    Veicht: Tropenkrankheiten, viel Malaria, viele Infektionskrankheiten, Atemwegskrankheiten und halt auch mittlerweile seit letztem Jahr viele Kriegsverletzungen.

    Kaess: Was sind das für Verletzungen genau?

    Veicht: Das sind Schusswunden, das sind Patienten mit Bombensplittern, die auch durch die Luftangriffe verletzt wurden - vorwiegend Schuss- und Bombenverletzungen.

    Kaess: Und wie können Sie diesen Opfern vor Ort helfen?

    Veicht: Indem man halt dann einfach versucht, diese Bombensplitter zu entfernen, Kugeln kann man eigentlich meistens vor Ort lassen, wenn sie nicht lebensgefährlich irgendwelche Organe verletzt haben, und dann halt auch viel Verbandswechsel und Wundversorgung in erster Linie.

    Kaess: Arbeiten Sie alleine?

    Veicht: Nein, wir sind eigentlich momentan ein Drei-Mann-Team, mit Techniker, wir haben auch noch einen chirurgischen Kollegen vor Ort, ja, Drei-Mann-Team momentan.

    Kaess: Und ist "Cap Anamur" die einzige Hilfsorganisation vor Ort?

    Veicht: "Cap Anamur" ist die einzige internationale Hilfsorganisation vor Ort. Es gibt noch ein Krankenhaus der Diözese, aber das sind so die einzigen zwei Gesundheitseinrichtungen momentan.

    Kaess: Herr Veicht, wie leben die Menschen vor Ort mit dem Konflikt?

    Veicht: Die Menschen vor Ort sind sehr eingeschüchtert, massiv eingeschüchtert durch die Luftangriffe. Die Menschen leben im Terror, die Menschen sind sehr, sehr ängstlich und Antonow-Bomber kommen eigentlich jeden Tag, und man sieht den Menschen an, dass sie sehr, sehr, sehr, sehr eingeschüchtert sind durch diese Flugzeuge. Also das ist eigentlich ein Leben im Terror, was viele Menschen führen.

    Kaess: Und wie schützen sich die Menschen vor den Bombenangriffen?

    Veicht: Der einzige Schutz sind Steinhöhlen, Steinlöcher, es ist ein sehr gebirgiges Gelände, und sobald eine dieser Antonow-Bomber kommt, versucht jeder, sich in irgendeinem Felsunterschlupf zu verstecken oder halt dann auch in Flussbetten. Und was es auch gibt, sind Erdlöcher, die ausgehoben wurden, ein, zwei Meter tiefe Erdlöcher, in die man sich dann einfach flach reinlegt, um sich eben vor diesen Bombensplittern zu schützen, falls diese Bomben dann abgeworfen werden. Das Gefährliche ist eigentlich nicht diese Explosionswirkung. Natürlich ist die Explosionswirkung auch gefährlich, aber in erster Linie sind es dann diese Splitter, die dann bis zu 300, 400 Meter weit durch die Luft fliegen. Und wenn man eben einen Unterschlupf in einem Erdloch findet oder in so einer Felsspalte oder im Flussbett, dann fliegen diese Splitter über einen weg und das ist dann eigentlich relativ guter Schutz.

    Kaess: Woher weiß man, dass die Bomben fallen?

    Veicht: Man sieht die Antonows, wie die Antonow-Bomber am Himmel kreisen, also die kreisen in der Regel erst ein, zwei Mal, bevor sie dann die Bomben abwerfen. Man sieht sie, man sieht sie relativ gut sogar, und die gehen dann in den Steigflug und öffnen die Ladeluke und das hört man auch, das Geräusch dann ein bisschen lauter dieses Flugzeugs, und dann hört man eben auch das Pfeifen, also das ist so ein pfeifendes Geräusch, wenn die Bombe dann rausfällt. Aber eigentlich sucht man, sobald man diese Antonow dann deutlich über einem sieht, ist es ratsam, sofort Schutz zu suchen in einem Erdloch oder in einer Felsspalte oder in einem Flussbett.

    Kaess: Wie schützen Sie sich selbst?

    Veicht: Wir haben ein nahegelegenes Flussbett direkt auf der gegenüberliegenden Seite der Klinik, das ist eigentlich so ein großes Erdloch - wenn die Antonow kommt, dann geht es ins Flussbett. Dann wird eben abgewartet, bis sie die Bomben abgeworfen hat, das kann man dann gut zählen, so eine kleine Zwei-Propeller-Antonow trägt zwölf Bomben, wenn diese zwölf Bomben alle gefallen sind, dann verschwindet dieses Flugzeug wieder und man kann wieder raus und sich dann um die Verletzten kümmern, die dann eine halbe Stunde später dann meistens dann angeliefert werden im Krankenhaus, meistens auf lokalen Betten, auf Holzbetten herbeigetragen.

    Kaess: Herr Veicht, Sie sind etwa drei Jahre vor Ort. Haben die Bombardierungen zugenommen?

    Veicht: Ja, massiv. Die Sudan Armed Forces, die Armee des Nordens, plant oder führt gerade eine Offensive auf die zentralen Nuba-Berge aus, und seitdem wird eigentlich fast auf täglicher Basis bombardiert.

    Kaess: Merken Sie vor Ort auch was von den internationalen Bemühungen zum Beispiel der Afrikanischen Union oder der Vereinten Nationen?

    Veicht: Nein, nein, da ist nichts zu merken. Ich meine, die Bemühungen der UN und der Afrikanischen Union konzentrieren sich ja momentan mehr auf einen Waffenstillstand zwischen Südsudan und Nordsudan, und die Situation in den Nuba-Bergen beziehungsweise in Süd-Kurdufan geht dabei völlig unter. Das ist mein Eindruck. Die Regierung unter Omar al-Bashir lässt sich nicht auf Verhandlungen mit der SPLA Nord, mit der Rebellenarmee in den Nuba-Bergen ein, und deswegen verpuffen da auch die Bemühungen der Afrikanischen Union beziehungsweise der Vereinten Nationen. Man merkt nichts davon, von diesen Bemühungen in den Nuba-Bergen.

    Kaess: Haben Sie eine Meinung, Herr Veicht, wer für Sie der Schuldige in dem Konflikt ist - der Norden oder der Süden?

    Veicht: Ja, ich denke, es ist schon die Regierung unter Omar al-Bashir. Ich meine, während des letzten Bürgerkrieges, während der letzten Offensive 2001 wurden ja ganz klar Kriegsverbrechen begangen, ich meine, der Omar al-Bashir und Ahmad Harun, der ist ja Gouverneur von Süd-Kurdufan, werden nicht umsonst vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Menschenrechtsverbrechen gesucht. Das Gleiche passiert jetzt wieder: Es werden Zivilisten bombardiert, es werden Zivilisten getötet, es werden Dörfer niedergebrannt, es werden Frauen vergewaltigt - ich meine, was soll man dazu sonst noch mehr sagen? Das ist blutiger Bürgerkrieg, und die Zivilbevölkerung leidet unter dieser Militärkampagne von Omar al-Bashir. Die Zivilbevölkerung leidet massiv. Ich könnte mir persönlich nichts Schlimmeres vorstellen, wie was diese Menschen momentan durchmachen müssen.

    Kaess: Herr Veicht, zum Schluss: Wie verkraften Sie das, was Sie erleben und was Sie sehen?

    Veicht: Ich denke, so gut es geht. Ich meine, man erzielt medizinische Erfolge, man sieht, dass man den Menschen vor Ort helfen kann. Wir sind jetzt momentan gerade auf dem Weg, Essen, Nahrungsmittel in die Nuba-Berge zu bringen, denn die Menschen leiden Hunger. Die Menschen konnten jetzt letztes Jahr kein Getreide anpflanzen, die Menschen haben nichts zu essen. Und allein unsere Anwesenheit gibt den Menschen Mut, allein dieses Gefühl, sie nicht alleine zu lassen, ermutigt die Menschen. Und das gibt einem selber auch Mut und lässt einen auch selber gut mit der Situation umgehen.

    Kaess: Raphael Veicht, er ist Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Cap Anamur" und arbeitet im Konfliktgebiet zwischen Sudan und Südsudan.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.