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"Die Mittel sind egal"

Der 64-jährige ungarische Schriftsteller und Historiker Gyorgy Dalos sieht in der antisemitischen Schmähschrift, die der Publizist Zsolt Bayer in der bürgerlichen Zeitung "Madjar Hirlap" veröffentlicht hat, keinen neuen Antisemitismus am Werk. Seit 1990 seien rassistische Angriffe in der Presse gegen politische Gegner keine Seltenheit. Neu und gefährlich sei aber, dass die Konservativen sich kaum noch von der extremen Rechten distanziere.

Moderation: Michael Köhler | 06.05.2008
    Michael Köhler: Ein bürgerlicher Publizist Ungarns, der ziemlich unartig ist und zu Kraftausdrücken neigt, ist Zsolt Bayer. Er beschimpft Journalisten schon mal als "Feinde der Heimat", das geht ja vielleicht doch. Aber unpatriotische Journalisten in seinen Augen, sagte er kürzlich, es seien "Zweckjuden". Ihre bloße Existenz bestätigt den Antisemitismus. Und weiter: "Lassen wir sie nicht ins Bassin der Nation pinkeln." Am 19. März so veröffentlicht in "Magyar Hírlap", einer Schmähschrift gegen die "Budapester jüdischen Journalisten", setzte er noch eins drauf. Den 64-jährigen ungarischen Schriftsteller und Historiker György Dalos habe ich gefragt - er ist Mitbegründer der demokratischen Oppositionsbewegung Ungarns 1977 -, ob sich solche Formulierungen inzwischen häufiger finden, auf offene Ohren stoßen oder das ein neuer Ton ist?

    György Dalos: Nein, es ist leider nichts besonders Neues an diesem Angriff nicht einfach gegen die Juden, sondern gegen alle, die in Ungarn demokratisch und liberal und antirassistisch denken. Das ist an und für sich, leider ist das eine Sache, dass in Ungarn seit 1990 immer wieder irgendwelche rassistische, öffentliche Angriffe in der Presse gegen politische Gegner gestartet werden. Und dabei gibt es einen Gewöhnungseffekt. Und darauf wird gespielt. Zsolt Bayer, der eigentlich wegen seines geschmacklosen, wirklich sehr groben Stils bekannt ist, der ist aber diesmal kein irgendeiner in der rechtsextremen Ecke bekannter Journalist, sondern jemand, der eng befreundet ist mit Victor Urban, und zwar mit dem Parteiführer, der eigentlich sich als gemäßigt konservativ bezeichnet. Und das ist neu. Ich glaube, ich habe so was auch noch in Ungarn nach der Wende nur in "Stürmer"-Blättern gelesen, also in den ungarischen Nazi-Blättern. Ein Mann, der sich damit rühmt praktisch, dass er Antisemit ist.

    Köhler: Das Blatt gehört dem Unternehmer Gábor Széles. Die neuen Verleger sind offenbar für diesen Rechtsruck verantwortlich. Ist das richtig so?

    Dalos: Ja, Széles hat dieses Blatt gekauft. Jetzt ist das irgendwie Mode, dass reiche Leute wie er irgendwie sich ein Sprachrohr wählen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Széles mit allem einverstanden ist, was in diesem Blatt gedruckt wird. Aber das bedeutet, dass er dafür verantwortlich zeichnet, weil er einen Teil der Leserschaft aus dieser Ecke sich erhofft.

    Köhler: Das ist nur ein Element. Es gibt nicht nur einen versteckten, sondern jetzt offenbar auch eine Art offenen Antisemitismus in Ungarn. Aber neu wirkt das auf Sie nicht?

    Dalos: Neu ist das absolut nicht. Und außerdem natürlich: Antisemitismus alleine, also chemisch rein, gibt es auch nicht Ungarn, sondern er ist eingebettet in die politischen Kämpfe. Seit der berühmten Rede des Ministerpräsidenten Gyurcsanys im September 2006, in der er Lügen der Sozialisten bei den Wahlen zugegeben hat, sorgt vor allem Fidesz, und überhaupt die rechte politische Fraktion sorgt dafür, dass kein Tag ohne irgendwelche Hysterie in Ungarn vergeht. Dabei bin ich wirklich nicht dafür, dass Parteien während der Wahlkampagne Sachen versprechen, die sie nicht halten können. Aber ich glaube, dass diese Kampagne, die seitdem geführt wird, völlig unangemessen ist.

    Köhler: Was denken Sie? Ist das die Pose eines bislang vielleicht zu Kampfausdrücken neigenden Journalisten, der jetzt mal so richtig aus vollen Rohren schießt? Kokettiert da jemand mit seinem Antisemitismus, oder ist er nur jetzt einfach mutig und spricht die Wahrheit?

    Dalos: Bei einem Menschen wie Bayer, der eigentlich nicht aus dieser Ecke kommt, sondern Anfang der 90er Jahre bei dem damals noch liberalen Fidesz startete und der auch eine Zeit lang in liberalen Zeitungen mitgearbeitet hat, glaube ich, dass da gewissermaßen so ein Herostrat-Effekt ist. Jemand will unbedingt sich als scharfsinniger Publizist profilieren, und die Mittel sind ihm egal.

    Köhler: Wer kein Nationalist ist oder kämpferischer Patriot, wird gleich übel beschimpft, und da fallen dann auch solche antisemitischen Parolen gleich. Bettet sich das ein in ein Gesamtklima einer, ich nenne es mal so, patriotisch-überhitzten, nationalistisch-eifernden Bewegung von paramilitärischen Gruppen?

    Dalos: Paramilitärische Gruppen sind in meinen Augen weniger gefährlich, als die Äußerungen von dermaßen bekannten Publizisten. Wie [...] sagt: Es gibt in jedem Land ein paar Hundert Verrückte. Das Problem ist für mich, dass die konservative Rechte sich nicht genügend eindeutig von denen distanziert. Das heißt, sie rechnen bei ihrer Wahlkampagne vor allem mit den Stimmen von Menschen, die nicht so sprechen, dafür aber so denken.

    Köhler: Sagt der Schriftsteller und Historiker György Dalos zu antisemitischen Ausfällen eines Publizisten in seinem Land.