Streitlustig waren die alten Eidgenossen - und freiheitsliebend, wie schon Wilhelm Tell. So sehen die Schweizer gerne ihre mythischen Vorfahren, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Die feudalen Herrschaften, ob städtische Patrizier, ländliche Adelsfamilien oder Fürstabteien, ließen Untertanen für sich arbeiten oder verkauften sie gegen satte Provisionen als Söldner ins Ausland. Ganze Regionen waren unfrei. So gehörten etwa das Waadtland als Weinlieferant oder der Aargau als Kornkammer zur Herrschaft des reichen Kantons Bern.
Erst durch die französische Besetzung 1798 und die Einführung des Code Napoléon in der helvetischen Republik wurden alle Bürger gleich und frei. Als Napoleons Macht bröckelte, und die österreichischen Truppen durch die Schweiz in Richtung Frankreich zogen, sahen die konservativen Kantone eine Chance, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Situation in der Schweiz von 1814 war äußerst angespannt - so der Historiker Jakob Tanner: "Das immer noch mächtige Bern wollte diese Untertanengebiete zurückhaben, also das waren überhaupt keine Demokraten, sondern das Patriziat hat eigentlich eine Art Putsch gemacht, das führte zu heftigsten Gegenreaktionen, die ausländischen Mächte waren präsent im Land, das war wirklich ein Land, man könnte sagen, immer am Abgrund eines Bürgerkrieges."
Puffer zwischen Österreich und Frankreich
Es war der Wiener Kongress, der das Land befriedete. Als dort die Siegermächte Österreich, Preußen, Russland und England über eine Neuordnung Europas berieten, wurde die Schweiz dazu auserkoren, als Pufferstaat zwischen den Erzfeinden Frankreich und Österreich zu fungieren. Den Eidgenossen wurde die Unversehrtheit ihres Staatsgebiets garantiert, unter der Bedingung, dass sie sich zu einem Staatenbund zusammenschlossen und die Souveränität aller 22 Kantone anerkannten, also auch die der ehemaligen Untertanengebiete. "Man muss schon sagen, die Schweiz kam zur Neutralität per Dekret, also das war eine von den Mächten verfügte und der Schweiz in dem Sinn auch von außen aufgezwungene Neutralität, mit der sie sich aber durchaus einverstanden erklären konnten. Bevor die Großmächte den Eidgenossen die immerwährende Neutralität zusicherten, mussten diese ihre neue politische Organisation festschreiben. Das geschah im Bundesvertrag, der am 7. August 1815 im Großmünster in Zürich feierlich besiegelt wurde:
"Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Die XXII souveränen Cantone der Schweiz ...vereinigen sich durch den gegenwärtigen Bund zur Behauptung ihrer Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit gegen alle Angriffe fremder Mächte, und zur Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern."
Die XXII souveränen Cantone der Schweiz ...vereinigen sich durch den gegenwärtigen Bund zur Behauptung ihrer Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit gegen alle Angriffe fremder Mächte, und zur Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern."
Im Sonderbundkrieg siegten die liberalen Kantone
Die Schweizer verpflichteten sich, eine nationale Armee zur Sicherung der Staatsgrenzen aufzustellen, eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben und ihre inneren Konflikte auf friedlichem Weg zu lösen. Während die Neutralität bis heute erhalten blieb, gab es unter den Kantonen jedoch bald wieder Streit. 1847 kam es sogar zum Krieg zwischen den konservativen Landkantonen und den industrialisierten, liberal eingestellten Regionen. In diesem sogenannten Sonderbundskrieg siegten die Liberalen, die 1848 die Errichtung des heutigen Bundesstaates mit seiner liberalen Verfassung durchsetzten. "Damit hatte der Wiener Kongress, der im Zeichen der Reaktion stand, nicht gerechnet. Also man kann nicht sagen, dass der Wiener Kongress mit der Schaffung dieses Pufferstaates Schweiz auf die Rechnung gekommen ist."
Der Bundesvertrag von 1815 kann aber als Geburtsstunde der modernen Schweiz angesehen werden. Durch ihn entstand die Schweizerische Eidgenossenschaft – so lautet auch heute noch die offizielle politische Bezeichnung des Landes.