• Musikbeispiel: Bedrich Smetana - 'Sarka’ (Ausschnitt) aus: "Mein Vaterland"
Smetanas Zyklus "Mein Vaterland" ist keine Ansammlung tschechischer Postkarten-Idyllen, sondern ein großformatiges, liebevolles, aber auch schonungsloses mehrteiliges Klanggemälde. Von den insgesamt sechs zwischen 10 und 16 Minuten langen Teilen sind zwei der mythischen Sagenwelt, zwei der Natur und zwei der Geschichte gewidmet, und der Komponist hat keine Scheu auch vor konfliktbeladenen Themen wie der Verknüpfung von Politik und Religion oder des Zusammenlebens verschiedener Völker in einer Region.
Da wird der hohe Felsen gezeigt, der bei Prag in der Moldau steht und auf dem einst die Burg jener böhmischen Fürsten stand, die dem Land eine ruhmreiche Vergangenheit und blühendes Leben bescherten. Dann folgt mit der musikalischen Schilderung des Flusses "Moldau" eins der bekanntesten Beispiele für Programm-Musik überhaupt. An dritter Stelle des Zyklus steht eine Sagengestalt aus böhmischer Vorzeit. In einer Art von Matriarchat hatten die Frauen geherrscht, bis sie von den Männern verdrängt und unterjocht wurden. Eine dieser starken Frauen namens Sarka, bei der dieses allgemeine Unglück der Unterdrückung sich auch noch mit dem persönlichen Pech paart, von ihrem Geliebten verlassen worden zu sein, will sich damit nicht abfinden und wird zur Anführerin rachedurstiger früheuropäischer "Amazonen". Im Kontrast zu diesem eher martialischen Teil steht die ebenfalls relativ bekannte Tondichtung "Aus Böhmens Hain und Flur" mit ihren Landschaftsschilderungen. Unerwartet, sozusagen mitten im Waldesrauschen, erklingen drei Strophen eines deutschen Liedes, das gegen Ende in einen Wettstreit mit einer böhmischen Polka gerät. Der vorletzte Teil erinnert an die große und schmerzhafte Auseinandersetzung des böhmischen Protestantismus mit der Kirche und dem Kaisertum, der letzte schließlich bietet ein visionäres Bild von der künftigen Größe des Landes der Tschechen.
Als Smetana in den Jahren 1874 bis 79 diesen Zyklus schuf, ging es ihm darum, dem tschechischen Volk und seinem Land ein politisches Denkmal zu setzen. Immer mehr Künstler und Intellektuelle strebten damals nach einem tschechischen Nationalstaat, dessen Verwirklichung jedoch zu dieser Zeit noch in weiter Ferne lag: das Land war Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dieses hohen Symbolgehaltes des Werkes waren sich die Tschechen auch immer bewusst: alljährlich im Mai erklingt es zur Eröffnung des Musikfestes "Prager Frühling", und besonders in Erinnerung ist die Aufführung von 1990, dem ersten "Prager Frühling" nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, als Tschechiens großer Sohn Rafael Kubelik nach mehr als vierzigjährigem Exil ans Pult der Tschechischen Philharmonie zurückkehrte.
Wie bei Nikolaus Harnoncourt nicht anders zu erwarten, klingt diese Musik unter seinem Dirigat an vielen Stellen neu, trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades unverbraucht und überraschend. Und wieder einmal ist dies nicht die Folge eines von außen übergestülpten neuen Konzeptes, sondern ergibt sich aus intensivem Studium der Partitur. Gerade die dynamischen Vorschriften und Abstufungen werden sehr genau genommen: selten hat man die großen Kontraste in den beiden letzten Teilen des Zyklus mit solcher Wucht wahrgenommen. Auch die Disposition der vorgeschriebenen Tempi überzeugt, sowohl im Kleinen wie im großformatigen Überblick. So entsteht eine in sich stimmige Interpretation, die die insgesamt ja doch eher düsteren Geschichten nicht mit großem heroischen Pathos erzählt, sondern mit Ernst, bisweilen auch mit Wehmut und einer gewissen nostalgischen Melancholie. In diese Richtung tendiert auch der gesamte Orchesterklang mit seinen warmen, tief grundierten Streichern und den machtvollen, äußerst gut ausbalancierten und intonationssicheren Bläsern.
Aus dem Zyklus soll nun der zweite Teil, die Schilderung der Moldau erklingen. Zu Beginn hört man die beiden Quellen, dargestellt von leisen, murmelnden Linien von Flöte und Klarinette. Erst später finden sie sich zur Moldau: das berühmte Thema erscheint und windet sich sozusagen durch Wälder und Wiesen. Auf einmal nimmt man Horn- und Trompetenklänge wahr: am Flussufer findet eine Jagd statt. Die dahinfließenden Wogen nehmen einen eher hüpfenden Charakter an: Fröhliche Polka-Klänge künden von einer Bauernhochzeit. Dann bricht die Dunkelheit herein, der Mond spiegelt sich glitzernd im Wasser und eine weiche Streichermelodie beschwört die flüchtige Vision singender Nymphen herauf. Der Blechbläserchor des Orchesters deutet in zurückgenommener Lautstärke an: am nächtlichen Ufer stehen ehrwürdige uralte Burgen auf mächtigen Felsen. Nach weiteren Takten schon kommt der Sonnenaufgang und mit ihm das inzwischen vertraute Fluss-Thema. Doch hier mündet es plötzlich in eine Gefahr andeutende Dissonanz: Trompetengeschmetter, aufgeregte Piccoloflöten und rasend schnelle Streicher stellen Stromschnellen und Untiefen dar. Das Wasser brodelt und schäumt, doch aus diesem Kampf mit Fels und Gestein geht die Moldau dann wieder breit und gelassen fließend als Sieger hervor. Das berühmte Thema erklingt nun nicht mehr in Moll, sondern in festlich strahlendem Dur, und schon bald erreichen wir mit Prag den Höhe- und Endpunkt dieser musikalischen Flussreise.
• Musikbeispiel: Bedrich Smetana - 'Die Moldau’ aus: "Mein Vaterland"
Bedrich Smetana: "Mein Vaterland"
Orchester: Wiener Philharmoniker
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Label: BMG Classics
Labelcode: LC 00316
Bestellnr.: 82876 54331 2
Smetanas Zyklus "Mein Vaterland" ist keine Ansammlung tschechischer Postkarten-Idyllen, sondern ein großformatiges, liebevolles, aber auch schonungsloses mehrteiliges Klanggemälde. Von den insgesamt sechs zwischen 10 und 16 Minuten langen Teilen sind zwei der mythischen Sagenwelt, zwei der Natur und zwei der Geschichte gewidmet, und der Komponist hat keine Scheu auch vor konfliktbeladenen Themen wie der Verknüpfung von Politik und Religion oder des Zusammenlebens verschiedener Völker in einer Region.
Da wird der hohe Felsen gezeigt, der bei Prag in der Moldau steht und auf dem einst die Burg jener böhmischen Fürsten stand, die dem Land eine ruhmreiche Vergangenheit und blühendes Leben bescherten. Dann folgt mit der musikalischen Schilderung des Flusses "Moldau" eins der bekanntesten Beispiele für Programm-Musik überhaupt. An dritter Stelle des Zyklus steht eine Sagengestalt aus böhmischer Vorzeit. In einer Art von Matriarchat hatten die Frauen geherrscht, bis sie von den Männern verdrängt und unterjocht wurden. Eine dieser starken Frauen namens Sarka, bei der dieses allgemeine Unglück der Unterdrückung sich auch noch mit dem persönlichen Pech paart, von ihrem Geliebten verlassen worden zu sein, will sich damit nicht abfinden und wird zur Anführerin rachedurstiger früheuropäischer "Amazonen". Im Kontrast zu diesem eher martialischen Teil steht die ebenfalls relativ bekannte Tondichtung "Aus Böhmens Hain und Flur" mit ihren Landschaftsschilderungen. Unerwartet, sozusagen mitten im Waldesrauschen, erklingen drei Strophen eines deutschen Liedes, das gegen Ende in einen Wettstreit mit einer böhmischen Polka gerät. Der vorletzte Teil erinnert an die große und schmerzhafte Auseinandersetzung des böhmischen Protestantismus mit der Kirche und dem Kaisertum, der letzte schließlich bietet ein visionäres Bild von der künftigen Größe des Landes der Tschechen.
Als Smetana in den Jahren 1874 bis 79 diesen Zyklus schuf, ging es ihm darum, dem tschechischen Volk und seinem Land ein politisches Denkmal zu setzen. Immer mehr Künstler und Intellektuelle strebten damals nach einem tschechischen Nationalstaat, dessen Verwirklichung jedoch zu dieser Zeit noch in weiter Ferne lag: das Land war Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dieses hohen Symbolgehaltes des Werkes waren sich die Tschechen auch immer bewusst: alljährlich im Mai erklingt es zur Eröffnung des Musikfestes "Prager Frühling", und besonders in Erinnerung ist die Aufführung von 1990, dem ersten "Prager Frühling" nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, als Tschechiens großer Sohn Rafael Kubelik nach mehr als vierzigjährigem Exil ans Pult der Tschechischen Philharmonie zurückkehrte.
Wie bei Nikolaus Harnoncourt nicht anders zu erwarten, klingt diese Musik unter seinem Dirigat an vielen Stellen neu, trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades unverbraucht und überraschend. Und wieder einmal ist dies nicht die Folge eines von außen übergestülpten neuen Konzeptes, sondern ergibt sich aus intensivem Studium der Partitur. Gerade die dynamischen Vorschriften und Abstufungen werden sehr genau genommen: selten hat man die großen Kontraste in den beiden letzten Teilen des Zyklus mit solcher Wucht wahrgenommen. Auch die Disposition der vorgeschriebenen Tempi überzeugt, sowohl im Kleinen wie im großformatigen Überblick. So entsteht eine in sich stimmige Interpretation, die die insgesamt ja doch eher düsteren Geschichten nicht mit großem heroischen Pathos erzählt, sondern mit Ernst, bisweilen auch mit Wehmut und einer gewissen nostalgischen Melancholie. In diese Richtung tendiert auch der gesamte Orchesterklang mit seinen warmen, tief grundierten Streichern und den machtvollen, äußerst gut ausbalancierten und intonationssicheren Bläsern.
Aus dem Zyklus soll nun der zweite Teil, die Schilderung der Moldau erklingen. Zu Beginn hört man die beiden Quellen, dargestellt von leisen, murmelnden Linien von Flöte und Klarinette. Erst später finden sie sich zur Moldau: das berühmte Thema erscheint und windet sich sozusagen durch Wälder und Wiesen. Auf einmal nimmt man Horn- und Trompetenklänge wahr: am Flussufer findet eine Jagd statt. Die dahinfließenden Wogen nehmen einen eher hüpfenden Charakter an: Fröhliche Polka-Klänge künden von einer Bauernhochzeit. Dann bricht die Dunkelheit herein, der Mond spiegelt sich glitzernd im Wasser und eine weiche Streichermelodie beschwört die flüchtige Vision singender Nymphen herauf. Der Blechbläserchor des Orchesters deutet in zurückgenommener Lautstärke an: am nächtlichen Ufer stehen ehrwürdige uralte Burgen auf mächtigen Felsen. Nach weiteren Takten schon kommt der Sonnenaufgang und mit ihm das inzwischen vertraute Fluss-Thema. Doch hier mündet es plötzlich in eine Gefahr andeutende Dissonanz: Trompetengeschmetter, aufgeregte Piccoloflöten und rasend schnelle Streicher stellen Stromschnellen und Untiefen dar. Das Wasser brodelt und schäumt, doch aus diesem Kampf mit Fels und Gestein geht die Moldau dann wieder breit und gelassen fließend als Sieger hervor. Das berühmte Thema erklingt nun nicht mehr in Moll, sondern in festlich strahlendem Dur, und schon bald erreichen wir mit Prag den Höhe- und Endpunkt dieser musikalischen Flussreise.
• Musikbeispiel: Bedrich Smetana - 'Die Moldau’ aus: "Mein Vaterland"
Bedrich Smetana: "Mein Vaterland"
Orchester: Wiener Philharmoniker
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Label: BMG Classics
Labelcode: LC 00316
Bestellnr.: 82876 54331 2