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Die Molekül-Scouts

Sensoren werden in vielen Bereichen des Alltags eingesetzt. Etwa in Heizungsanlagen, die bei austretendem Gas einen lauten Pfeifton von sich geben. Oder während einer Operation, damit die Ärzte die Sauerstoffversorgung ihrer Patienten überwachen können. Auch in der Qualitätskontrolle von Lebensmitteln spielen die automatischen Messfühler eine Rolle, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, ob der zulässige Restalkoholgehalt in einem "alkoholfreien" Bier überschritten wird.

Hellmuth Nordwig | 13.10.2002
    Trotz der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten haben sich die Fortschritte in der Sensortechnik in den vergangenen Jahren weitgehend unbemerkt vollzogen. Die Miniaturisierung von Speicherchips und Prozessoren macht es möglich, Sensoren immer kleiner und leistungsfähiger zu gestalten. Zum Beispiel lässt sich Sauerstoff nun sogar mit einer haarfeinen Kapillare messen - also auch im Inneren eines Blutgefäßes. Die neueste Generation von Biosensoren nutzt zusätzlich die Signalverarbeitung im Inneren lebender Zellen. So können Pharmaforscher völlig neue Testsysteme für mögliche Wirkstoffe aufbauen. Eine Hürde konnten die Sensorforscher bisher allerdings nicht überwinden: die Bioverträglichkeit. Noch eignet sich kein Messfühler für den Dauereinsatz im menschlichen Körper.

    Bischöfe und Bier – das gehört in Freising einfach zusammen. Seit fast 1300 Jahren ist das Städtchen nördlich von München Bischofssitz. Und Bier wird hier, auf dem Hügel von Weihenstephan, schon fast tausend Jahre lang gebraut. Damit steht in Freising die älteste Brauerei Bayerns. Und wie es sich gehört, hat sie natürlich einen hauseigenen Biergarten.

    Der erste Schluck ist immer der beste...

    ... sagt Antonio Delgado – Experte für eine ganz besondere Sorte des Gerstensafts, die im Biergarten allerdings höchstens von Autofahrern und eher widerwillig getrunken wird.

    Das heißt aber nicht, dass alkoholfreies Bier nicht schmecken muss. Ganz im Gegenteil: Man macht heutzutage auch hervorragende alkoholfreie Biere.

    Antonio Delgado arbeitet an der TU München, keine dreihundert Meter vom Weihenstephaner Biergarten entfernt. Die Flaschen in seinem Labor stammen aber von der Konkurrenz: einer Brauerei in der südlichen Eifel. "Alkoholfrei" steht drauf, aber es ist dennoch ein bisschen Alkohol drin. Das ist auch erlaubt, solange eine bestimmte Grenze nicht überschritten wird. Genau diesen so genannten Restalkohol versucht Antonio Delgado nachzuweisen. Dazu haben seine Mitarbeiter ein eigenes Gerät gebaut, einen grauen Kasten von der Größe eines Safes. Ein Blick ins Innere offenbart ein Gewirr aus Schläuchen, kleinen Töpfchen und winzigen Pumpen.

    Die Pumpen fördern eine ganz kleine Menge an Versuchssubstanz, in diesem Fall Bier. Die hier durchgeführte Messung läuft grob so, dass man dabei eine Zelle durchströmt, und in dieser Zelle befinden sich die so genannten Fließinjektionssensoren. Das sind Enzymschichten, die auf die Inhaltsstoffe des Bieres reagieren. Wir messen dadurch ein optisches Signal. Wir suchen hier nach dem Restalkoholgehalt, und wir haben unsere Apparatur so abgestimmt, dass wir gerade diese Größe auch bestimmen.

    Das Herzstück dieses Geräts ist ein Sensor, also ein automatischer Messfühler. Er steckt in einem Glaszylinder, nicht größer als ein Fingerhut. In diesem Gefäß wird Alkohols zu einer Substanz mit einer charakteristischen Farbe umgesetzt. Die Färbung ist umso intensiver, je mehr Alkohol in der Probe vorhanden ist. Sehen kann man davon allerdings nichts, denn die Farbe liegt im Bereich des ultravioletten Lichts. Doch dem Sensor ist das egal. Er registriert einfach, welchen Anteil an Licht dieser Wellenlänge die Probe verschluckt. Hier ist die Messung allerdings nicht ganz so einfach.

    Das große Problem bei der Messtechnik ist die Tatsache, dass Bier ein recht komplexer Stoff ist, wir haben sehr viele Inhaltsstoffe und das Problem besteht darin, dass wir nur den Ethanolgehalt messen wollen, d.h. wir haben eine Mischung von verschiedenen Komponenten und die Enzyme werden darauf angesetzt, nur diese eine Größe zu messen. Das Problem ist so komplex, dass man abweichen muss von üblichen Auswertungsverfahren. Wir benutzen hier ganz moderne Auswertungsverfahren, die das Denken des Menschen bzw. die Vorgehensweise, wie ein Mensch einen Prozess beurteilt, wiedergeben. Wir sprechen hier von den künstlichen neuronalen Netzen mit dem Vorteil, dass man diese Netze trainieren kann. D.h. wir machen Vorexperimente, sammeln Erfahrung, und an Hand dieser Vorexperimente können wir eine Prognose erstellen, was im jeweiligen Fall an Ethanolgehalt vorliegt.

    Das ist ungefähr so, als wollte man eine Messapparatur bauen, die reife Kirschen erkennt. Einem solchen System müsste man erst einmal beibringen, dass die Farbe rot allein noch kein Kriterium ist. Es muss auch noch die ungefähre Größe einer Kirsche kennen lernen, und vielleicht auch den Geruch. All das geschieht bei den neuronalen Netzen nach und nach - genau wie bei einem kleinen Kind, das aus Versehen statt einer Kirsche schon mal eine Cocktailtomate erwischt, das Gesicht verzieht und aus dieser Erfahrung lernt. Wozu aber dieser Aufwand? Schließlich haben die Analyselabors genügend Möglichkeiten, die Menge an Alkohol in einer Flüssigkeit zu bestimmen – zum Beispiel in den Blutproben, die laufend bei den Gerichtsmedizinern anfallen.

    Wenn Sie ansonsten eine Messung durchführen unter Laborbedingungen, brauchen Sie dazu eine gewisse Zeit, in der Regel mehrere Stunden. Der Prozess entwickelt sich weiter, und Sie haben dann eine Messgröße, die etwas über einen vergangenen Zustand aussagt. Den momentanen Zustand können Sie nicht feststellen. Wir sind aber interessiert, an jedem Zeitpunkt in den Prozess einzugreifen, solche biotechnologischen Prozesse zu regeln, und dazu muss zu jedem Zeitpunkt eine Messgröße vorliegen, und unser Sensor bietet diese Möglichkeit.

    Weil man mit Sensoren Produktionsprozesse überwachen kann, interessieren sich viele Industriebranchen für die automatischen Messfühler. Nicht zuletzt die Getränkehersteller. Denn mit Sensoren lässt sich nicht nur der Alkoholgehalt im Bier feststellen. Potsdamer Forscher haben für die Brauereien einen Sauerstoffsensor entwickelt, der in den Flaschenboden integriert ist. Sauerstoff ist im Bier unerwünscht, denn er tut dort genau das, was der Name sagt: Er lässt Bier sauer werden. Der Sensor ist nicht für jede einzelne Flasche im Getränkemarkt gedacht, sondern für Testflaschen in den Abfüllanlagen der Brauereien. So kann eine gleich bleibende Bierqualität gewährleistet werden. Einen Sensor zur Bestimmung der Restsüße von Wein haben Wissenschaftler aus Münster entwickelt. Dabei werden Enzyme eingesetzt, die während der Vergärung den Gehalt verschiedener Zucker messen. Die Restsüße ist eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale von Wein, und wenn der gewünschte Wert erreicht ist, muss der Gärprozess sofort gestoppt werden. All diese Messungen könnte man problemlos auch im chemischen Labor durchführen. Denn heute arbeiten alle Analyseinstrumente wesentlich schneller, kostengünstiger und empfindlicher als noch vor zehn Jahren, sagt Otto Wolfbeis von der Universität Regensburg.

    Sie leiden allerdings immer noch unter einem enormen, einem einzigen, aber entscheidenden Nachteil, nämlich dass der gesamte analytische Prozess von der Probenahme bis zur Validierung des Ergebnisses an Personen gebunden ist. Sensoren hingegen sind so gedacht und konzipiert, dass sie Tag und Nacht Messergebnisse liefern können. D.h. wenn ein Fluss des Nachts verschmutzt wird, z.B. von einem böswilligen Schiffseigner, dann wird der Ausfluss des Öles nicht beobachtet – ein Sensor würde das sehr wohl registrieren. Und Patienten in kritischen Situationen können eben von Sensoren deutlich besser überwacht werden, Tag und Nacht, und das können manuell bediente, konventionelle analytische Instrumentationen nicht.

    Otto Wolfbeis, der in Regensburg das Institut für Chemo- und Biosensorik leitet, hat ebenfalls einen Sauerstoffsensor entwickelt - nicht für Brauereien, sondern zum Beispiel für Ärzte. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen dünnen schwarzen Schlauch, ordentlich aufgerollt in einem kleinen Plastiktütchen. Erst der zweite Blick offenbart, dass es sich dabei um ein Glasfaserkabel handelt.

    Das ist etwas, was aus diesem Lehrstuhl hier kommt, wo Faseroptiken mit Spitzen von 20 Mikrometern z.B. über eine Stahlkanüle in ein biologisches Objekt eingeführt werden können Was Sie hier sehen, ist ein faseroptisches Kabel. Das ist also an einer ganz handelsüblichen Spritze angeschlossen, wie man sie für die Medizin auch verwendet, vorne ist eine Nadel. Ja, das ist aber keine Spritze, sondern eine Kanüle, die eigentlich zum Blutziehen gedacht ist. Ich habe hier gerade eine Sperre entfernt, und kann jetzt ganz vorsichtig, weil es ja doch nur haarfein ist, jedenfalls die Spitze, also ich kann es jetzt vorschieben, und wenn Sie jetzt genau darauf achten, sehen Sie an der Spitze ein Haar herauskommen. Und das ist der eigentliche Sensor. Den Sensor kann man zum Beispiel in ein tumoröses Gewebe einführen, und er misst dort die Sauerstoffversorgung.

    Das ist wichtig, um die Aggressivität eines Tumors zu beurteilen. Je vitaler die Krebszellen sind, desto mehr Sauerstoff verbrauchen sie. Mit der Nadel, in der das Sensorhärchen versteckt ist, können Ärzte auch eine Arterie anstechen. So erhalten sie eine Information über die Sauerstoffversorgung des Blutes, zum Beispiel während einer Operation. Doch derartige Sauerstoffsensoren sind nicht nur für die Medizin interessant. Pflanzenphysiologen setzen das hauchdünne Messinstrument ein, um Details der Fotosynthese auf die Spur zu kommen. Und auch auf dem Meeresboden war der Regensburger Sauerstoffsensor schon. Dort gibt es ebenfalls Bakterien, die mit der Fotosynthese Sauerstoff erzeugen, und andere Bakterien, die ihn verbrauchen. Diese Mikroorganismen bilden hauchdünne Schichten aus, so genannte Biofilme. Und wegen seiner guten Ortsauflösung war der Sensor bei Bremer Forschern gefragt, die mehr über die Vernetzung dieser Ökosysteme herausfinden wollten. Otto Wolfbeis erklärt, wie ist es möglich ist, die Sauerstoffkonzentration genau am Ende der haarfeinen Glasfaser zu messen:

    An der Spitze dieses Lichtwellenleiters befindet sich ein Indikatorfarbstoff oder, allgemein gesprochen, eine Chemie oder Biochemie, die auf die zu bestimmende Messgröße mit einer Änderung ihrer Fluoreszenzeigenschaften reagiert. Die ist ein Maß für die lokal, also an der Spitze des Lichtwellenleiters befindliche Sauerstoffkonzentration. Eine Analytik in diesen Dimensionen war bisher nicht möglich und ist auch heute mit anderen Methoden nicht möglich. Denn der Vorteil dieses Sensors ist ja, dass man in situ messen kann: Man braucht keine Probe zu ziehen, die vielleicht auf dem Weg vom Probeziehen bis zum Labor verfälscht wird, sondern dieser Sensor misst wirklich am Ort des Geschehens, und zwar in Echtzeit.

    Das Beispiel zeigt, vor welchen Herausforderungen die Entwickler von Sensoren stehen. Die Mikroelektronik muss so intelligent genutzt werden, dass sie auch sehr kleine Veränderungen des Messsignals erkennt und verstärkt. Weil es solche Chips nicht von der Stange zu kaufen gibt, entwickeln fast alle Sensorlabors ihre eigenen elektronischen Schaltungen. Auch die Miniaturisierung stellt oft hohe Anforderungen. Vor allem bei chemischen Nachweisverfahren, die mit Flüssigkeiten arbeiten. Da müssen Mengen präzise dosiert werden, die weit kleiner sind als ein Wassertropfen. Dagegen ist es ziemlich egal, nach welchem Messprinzip der Sensor arbeitet - diesen Eindruck kann man jedenfalls im Gespräch mit Sensorforschern gewinnen. Gerade für Sauerstoff gibt es neben der geänderten Fluoreszenz eine ganze Palette von Möglichkeiten: Farbreaktionen, die Änderung der elektrischen Leitfähigkeit von Lösungen, enzymatische Nachweise oder einfach die Gewichtszunahme, wenn das Gas an eine Probensubstanz bindet. Was für den Sauerstoff gilt, trifft auch auf andere Substanzen zu. Die meisten Umweltschadstoffe oder diagnostischen Größen können an Hand charakteristischer Farbreaktionen oder physikalischer Effekte genau bestimmt werden. Spektrometer, also Sensoren, die auf Farben ansprechen, gibt es schon lange. Was heute in einem kleinen Spielzeugwürfelchen unterzubringen ist, hätte vor zwanzig Jahren mit Mühe in einem Koffer Platz gehabt. Vor allem die Mikroelektronik hat zu diesen winzigen Abmessungen beigetragen. Und weil die Mikroelektronik nicht nur laufend kleiner wird, sondern auch immer weniger kostet, finden manche Sensoren auch den Weg in unseren Alltag.

    Wir reden hier über wenige Euros für optische Hochleistungssensoren, die in der Lage sind, moderne Heizungsanlagen hochökonomisch zu steuern und damit einen beträchtlichen Beitrag zur Umweltproblematik leisten können.

    Das sagt Peter Kienke von der Lübecker Firma Technologie Nord. Das Unternehmen hat einen Sensor für Methan auf den Markt gebracht, einen der Hauptbestandteile von Erdgas.

    Viele Leute haben ja einfach Angst vor Gas. Jedes Jahr explodieren so zwischen vier und fünf Häusern in der Bundesrepublik, da entstehen Ängste. Und deshalb sind kostengünstige Sicherheitssysteme entwickelt worden auf hochtechnologisch-optischer Basis, die die entsprechende Schutzwirkung haben. Sie schalten z.B. Gasleitungen ab und warnen gegebenenfalls auch Polizei oder Feuerwehr. Das war in der Industrie schon immer gang und gäbe, aber auf Grund der Kostenentwicklung strebt das jetzt auch in den Gebäudemarkt. Also es ist ein sehr einfaches Prinzip: Es beruht auf der optischen Absorption einer gewissen Wellenlänge, in diesem Fall 3,4 Mikrometer. Dort absorbiert dieses Gas Methan einfach Energie. Hier auf der einen Seite haben wir einen Strahler, auf der anderen Seite einen Detektor. Dazwischen befindet sich eine Strecke einer gewissen Größenordnung - wenige Zentimeter -, denn das ganze ist nicht größer als eine Streichholzschachtel und in dieser Strecke befindet sich im Fall des Falles das Gas, und die Verringerung der optischen Strahlung in der Strecke bewirkt auf dem Detektor ein sehr kleines, wenige Nanovolt großes Signal, das von einem Mikroprozessor ausgewertet, aufgearbeitet und herausgegeben wird.

    Der Sensor wird einfach in der Nähe der Heizungsanlage befestigt und schlägt Alarm, sobald Gas austritt. Auch andere für andere explosive Gase sind bereits Messfühler auf dem Markt: Für ängstliche Camper zum Beispiel ein Sensor, der Propan oder Butan misst. Ein ähnlicher Messfühler ist auch für die Druckindustrie interessant, weil verwandte Chemikalien als Lösungsmittel für Druckfarben verwendet werden. Der Sensor soll überwachen, ob von Zeitschriften noch Lösungsmittelschwaden aufsteigen und ob bedruckte Folien soweit "abgedampft" sind, dass man mit ihnen beispielsweise Lebensmittel einpacken kann. Einem echten Reizgas, nämlich Ammoniak, der für den beißenden Uringestank verantwortlich ist, hat sich eine Thüringer Firma verschrieben: die Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien aus Jena.

    ... wobei sich die Förderung in erster Linie darauf bezieht, dass wir gefördert werden möchten.

    ... wie Sirko Pöhlmann vornehm den Umstand beschreibt, dass die Forscher mit ihrem ersten Produkt allein wohl nicht reich werden. Im Sensor, der inklusive Elektronik und Anzeigeeinheit etwa Postkartengröße hat, wird Ammoniak in einer reaktiven Schicht eingefangen. Dabei ändert sich die Farbe dieses Films – wie stark, das gibt Auskunft über die Konzentration an Ammoniak in der Umgebungsluft. Eine Information, die in einigen Bereichen wichtig ist.

    Zum Beispiel in der Landwirtschaft, da ist es in den Ställen oft erforderlich, bei der Tierproduktion die Ammoniakkonzentration zu überwachen. Und in der Elektronikindustrie, wo es um sehr niedrige Ammoniakkonzentration geht. Dann wurde auch an uns herangetragen, dass in anderen Ländern wie Singapur Toilettenanlagen mit Überwachung ausgerüstet werden sollen und um in den entsprechenden Fällen rechtzeitig Veränderungen der Luftzirkulation oder des Luftaustausches vorzunehmen, wird Ammoniak als Messgröße gewählt, da es besonders geruchsintensiv ist und nach Möglichkeit nicht der Nase zugeführt werden sollte.

    Dieses kuriose Anwendungsbeispiel erinnert daran, dass auch unsere Sinneszellen so etwas wie Sensoren enthalten. Biologen nennen sie Rezeptoren, Eiweißmoleküle, die wie Antennen aus der Membran der Zellen herausragen. Trifft nun beispielsweise ein Ammoniakmolekül auf einen Ammoniakrezeptor in unserer Nase, dann bleibt die Chemikalie an der Antenne hängen. Dieser Kontakt löst im Inneren der Zelle einen Alarm aus. Die Folge ist letztlich ein elektrischer Nervenimpuls, der bei dieser Zelle seinen Anfang nimmt und den unser Gehirn als Ammoniakgeruch interpretiert.

    Wenn Sie so wollen, können Sie sagen, jede einzelne Zelle ist ein kleiner Mikrocomputer.

    ... folgert Bernhard Wolf, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Elektronik an der TU München. Auch er entwickelt Sensoren, aber er lässt sich einen guten Teil der Datenverarbeitung von Zellen abnehmen, denn:

    Das ist ein Prozessor mit einer sehr hohen Rechenleistung, wie wir zeigen konnten, der mit den Nachbarzellen kommuniziert. Das ist zwar eine relativ langsame Übertragungsstrecke, aber sie arbeitet bereits frequenzmoduliert, kein Signal, wie wir es vom Mittelwellenrundfunk kennen mit allen Störeinflüssen. Also ein Stück UKW-Empfang und Sendebetrieb, den die Zelle betreibt. Der ist sehr präzise und hat eine entsprechende Datenrate und man kann in den Experimenten recht gut zeigen, dass die Zellen die Eingangssignale wie ein Rechner verrechnen zu einem komplexen Ausgangssignal, das dann an die Nachbarzelle weitergegeben wird.

    Das brachte Bernhard Wolf auf die Idee, die Welt der Zellen und der Sensoren miteinander zu verknüpfen. Dazu lässt er Zellen direkt auf Sensoren wachsen.

    Wir bringen zwei Ebenen miteinander zum Leben, nämlich die Zellen als Primärsensoren und die physikalischen Sensoren, d.h. wir weben ein Geflecht, in dem die Biologie zur Mikroelektronik kommt und ein ganz neues, nämlich ein biohybrides Bauelement abgibt.

    Primärsensor bedeutet, dass die empfindlichen Rezeptoren der Zellen die eigentlichen Messfühler sind. Empfangen diese Antennen ein Signal, weil der gesuchte Stoff in der Umgebung vorhanden ist, dann reagieren die Zellen mit einer chemischen Antwort. Im Körper ist sie für das umgebende Gewebe bestimmt. Bei den so genannten biohybriden Messsystem wird die Antwort dagegen vom zweiten Sensor registriert. Bei diesem Aufbau erfasst der Messfühler also nicht das ursprüngliche Umweltsignal, sondern die Reaktion der Zellen auf diesen Reiz. Das ist ungefähr so, als wollte man wissen, wann Nahrung den Magen erreicht. Man könnte dazu zwar Sensoren für alle bekannten Arten von Nahrungsmitteln am Eingang des Magens platzieren. Aber viel einfacher ist es, zu bestimmen, wann die Drüsenzellen des Verdauungsorgans Magensäure produzieren. Dann braucht man nur diese Säure zu messen. Tatsächlich sind es wenige einfache Signale, mit denen Zellen auf komplexe Umweltreize reagieren: die Produktion von Säure oder Zucker, oder das Ausschütten von Kalzium und anderen Ionen. Und der Einsatz von Zellen in der Sensorik bietet noch einen weiteren Pluspunkt.

    Der Vorteil von ganzen Zellen ist der, dass die Zelle diesen Rezeptor ständig erneuert, d.h. sitzt an diesem Rezeptor irgendwas dran, was die Zelle erkannt hat, dann ist es nicht so, dass der abgesättigt ist und die Zelle immer lahmer wird. Sondern der Rezeptor wird recycelt und die Zelle ist immer gleich frisch. D.h. das zelluläre Mikrosystem sorgt dafür, dass immer genügend Rezeptoren da sind, dass das System immer genau so sensibel ist, wie es noch vor Tagen war.

    Ein Beispiel für einen solchen Sensor steht im Flur des Lehrstuhls für Medizinische Elektronik: eine Boje mit einem integrierten Sensor, der die Wasserqualität misst und schon einige Jahre Aufenthalt im Bodensee auf dem Buckel hat. Algen dienen hier als Primärsensor: wie viel Sauerstoff sie verbrauchen, erlaubt eine Aussage über ihre Vitalität und damit über den Zustand des Gewässers. Natürlich könnte man den Sauerstoffgehalt des Wassers auch direkt messen, doch er allein sagt über die Wasserqualität noch nicht viel aus. Wie gut es den Algen geht, ist dagegen ein ziemlich sicheres Anzeichen. Hinter der Boje geht es ins Allerheiligste des Lehrstuhls: in die Labors.

    Das ist hier die Einrichtung, wo Biologie und das Mikrosystem Chip zusammenwachsen: Hier werden die Zellen kultiviert, hier sind die Zellbanken in den Brutschränken. Hier geht es sehr sauber zu: Das ist mit einer Überdruckbelüftung – was hier rauskommt, geht nicht mehr rein Das ist schon ein Stück hin entwickelt auf die Produktionsfähigkeit der Systeme, d.h. wir versuchen hier bereits so zu arbeiten, dass man diese Technologie auch auf die Produktion übertragen kann, dass man Erfahrung macht: wie viele Zellen werden benötigt, von welcher Qualität, wie ist das Handling, wie muss ich die Zellen vorbereiten, damit sie auf dem Chip wachsen. Das Wissen darüber ist notwendig, damit diese Ehe zwischen dem Siliziumchip und den Zellen auch wirklich gut und dauerhaft vonstatten gehen kann.

    Noch ist von Produktion allerdings nichts zu sehen; bestenfalls gibt es Tage, an denen Plätzchen gebacken werden, wie es Bernhard Wolf nennt. Soll heißen: Es wird eine Charge mit ein paar Dutzend Sensorchips produziert. Darauf lassen die Forscher dann die Zellen wachsen. Auf jeden dieser biohybriden Sensoren wird schließlich ein so genannter Probenkopf gesteckt. Dieses kleine Gefäß sieht so ähnlich aus wie die Patrone eines Tintenstrahldruckers. In diesem Töpfchen befindet sich eine Nährlösung für die Zellen. Bei der Boje wird der Probenkopf einfach mit Bodenseewasser durchspült. Verwenden die Forscher Zellen des Menschen, dann versuchen sie eine chemische Umgebung herzustellen, die der natürlichen möglichst ähnlich ist. Dann braucht man nur die Testsubstanz ins Probentöpfchen zu geben und die Reaktion der Zellen zu registrieren. Zum Beispiel die Antwort von Tumorzellen auf mögliche Wirkstoffe gegen Krebs. In Bernhard Wolfs Labor steht dazu ein Gerät, so groß wie ein Mikrowellenofen, das sechs solcher Tests parallel und voll automatisch durchführen kann.

    Sie sehen hier ein komplexes Gerät, in dem ein Fluidcomputer drin ist, der sehr komplexe Reaktionen steuern kann. Die ganzen Chemikalien sind da schon im Vorrat gelagert, ein Pumpsystem transportiert diese Chemikalien programmgesteuert. Also ungefähr 25 kleine Töpfchen, wo Sie aus jedem zu einem bestimmten Zeitpunkt Flüssigkeit entnehmen lassen können und wieder absaugen und sicher entsorgen, denn es handelt sich beim Testen von Pharmaka für die Tumorbiologie oft um hochgiftige Substanzen, die unter entsprechenden Sicherheitsbedingungen gehandhabt werden müssen, denn sie dürfen nicht in die Umgebung gelangen. Es muss also ein geschlossener Kreislauf sein. Sie sehen, dass bei diesem System ein Brutschrank integriert ist. Ich hatte ja die Beprobungsköpfe erwähnt: Sie setzen den Chipblock ein, legen den Kopf um und das Experiment beginnt. So. Jetzt können Sie an sechs verschiedenen Plätzen entweder immer mit demselben Tumormaterial und sechs verschiedene Chemotherapeutika arbeiten, oder Sie können sechs Zellarten nehmen, z.B. Wangenschleimhaut, Magenschleimhaut, Darmschleimhaut, Nervenzellen, so dass Sie den Einfluss auf den Stoffwechsel der Zellen sehr schnell "screenen" können, wie man sagt. Damit haben Sie ein System, das frei von Tierversuchen ist, wo Sie aber gleichzeitig und parallel an den unterschiedlichen Geweben die Reaktionen kriegen unter einheitlichen Bedingungen.

    Die biohybriden Sensoren könnten für die Medikamentenentwicklung in der Pharmaindustrie wichtig werden. Denn der häufigste Grund dafür, dass ein Erfolg versprechender Wirkstoff letztlich nicht auf den Markt kommt, sind Nebenwirkungen, meist die unerwünschten Reaktionen von Herzmuskel- oder Nervenzellen auf das Präparat. Mit den Sensoren können erstmals viele Arten von Zellen zugleich unter nahezu natürlichen, jedenfalls realitätsnahen Bedingungen getestet werden. Das ist wichtig für die Pharmabranche. Die medizinische Diagnostik wartet indes auf Sensoren, die auch im menschlichen Körper eingesetzt werden können. Hochgesteckte Ziele wie Sensoren für den Krebs- oder Alzheimer-Alarm sind noch nicht einmal am Horizont in Sicht. Aber auch wer weit banalere medizinische Wünsche an die Sensorforscher hat, wird bis jetzt enttäuscht. Otto Wolfbeis von der Universität Regensburg:

    Es gibt leider noch eine Reihe von Parametern, die wir sensorisch noch nicht erfassen können, oder zumindest noch nicht ausreichend gut oder in die Praxis übersetzbar. Zum Beispiel die Problematik der kontinuierlichen Messung der Glucose. Im Prinzip kann man Glucose, Blutzucker, kontinuierlich messen, und das wäre der ideale Sensor für einen künstlichen Pankreas. Das würde vier Prozent unserer Bevölkerung das Leben stark erleichtern, denn sie leiden an Diabetes – allein unser Körper verträgt den Sensor nicht. Er akzeptiert ihn nicht, weil er meint, es wäre ein Fremdkörper, und damit hat er im Prinzip ja Recht, aber er erkennt nicht, dass ihm etwas Gutes getan werden soll. Die Grenzen der Sensorik sind hier also nicht so sehr in der eigentlichen Messtechnik, sondern in der Implementation: Die Biokompatibilität ist z.B. eine große Hürde, und deshalb gibt es eine Reihe von Sensoren, die es im Prinzip gibt, die aber noch nicht einsetzbar sind.

    Der erste Sensor, der die Hürde der Bioverträglichkeit überspringen könnte, ist möglicherweise ein Drucksensor – zur Messung des Blutdrucks, der Lungenfunktion oder des Augeninnendrucks. Für die Industrie gibt es Drucksensoren in vielen Varianten. Französische Forscher haben vor wenigen Wochen angekündigt, sie wollten bis Ende des kommenden Jahres einen Drucksensor mit integriertem Sender vorstellen, der vollständig mit einer bioverträglichen Schicht umhüllt ist. Das könnte der erste Schritt hin zu Sensoren in unserem Körper sein, die unsere Gesundheit überwachen und eines Tages möglicherweise Medikamente dosieren. Wer weiß, vielleicht läuft dann ja auch ein Biergartenbesuch in der Zukunft etwas anders ab als heute:

    Guten Tag! Hier ist ihr Alkoholsensor. Der Ethanolgehalt in Ihrem Blut beträgt derzeit 1,36 Promille. Ihre Reaktionsfähigkeit ist deutlich eingeschränkt. Ich empfehle Ihnen, den schädlichen Alkoholkonsum für heute einzustellen. Möchten Sie mit Ihren Angehörigen verbunden werden, drücken Sie jetzt die 1. Soll ich Ihnen ein Taxi rufen, dann drücken Sie ...