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Die Mona Lisa verschwindet

Zeitungen vermuteten ein Komplott des Deutschen Kaiserreiches, Pablo Picasso wurde von der Polizei verhört: 1911 erschütterte der Diebstahl der Mona Lisa Frankreich. Bis sie hinter einem italienischen Ofen wieder auftauchte.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Man schrieb den 21. August 1911, als Mr. Poupardin, der Oberaufseher des Louvre, feststellte, dass eines der berühmtesten Gemälde der Welt, Leonardos "Mona Lisa" – verschwunden war. Ein Zeitungsbericht malte die Szene genüsslich aus:

    "Poupardin taumelte. Er alarmierte den Chefaufseher und beide eilten zum Schatzmeister. Zu dritt hetzten sie durch die majestätischen Säle des Louvre. Doch Mona Lisa war unauffindbar."

    Auch 60 Geheimpolizisten, die das Museum stundenlang durchkämmen, finden außer dem leeren Schutzrahmen des Bildes keinerlei Spuren. – Die Pariser Zeitungen überschlagen sich. Die Rechtspresse vermutet gar ein politisches Komplott des Deutschen Reichs:

    "Agenten Wilhelms II. haben Mona Lisa entführt, um Frankreich zu demütigen"
    "Dieser Diebstahl ist nur der Anfang. Unsere Kolonien werden folgen!"


    Die Zeitschrift "Gaulois" dagegen kommentiert den mysteriösen Diebstahl ironisch:

    "Das geheimnisvolle Lächeln der Dame des Louvre, das die Kunstfreunde seit Generationen beunruhigt hat, hätte die Behörden warnen müssen: 'Madame Lise' hat ihre Flucht seit Langem vorbereitet."

    Am Montmartre gehört die flüchtige "Madame Lise" fortan zum Repertoire der Chansonniers. Der Fall wird vollends zur Bohème-Burleske, als sich in Belgien ein gewisser Gery Pieret öffentlich bezichtigt, Kunst aus dem Louvre gestohlen zu haben, darunter auch die Mona Lisa. Für 150.000 Goldfranken sei er bereit, sie zurückzugeben. Mr. Pieret ist Privat-Sekretär des Avantgarde-Lyrikers Guillaume Apollinaire, welcher umgehend verhaftet wird. Kurz darauf wird ein weiterer Verdächtiger aufgespürt: Apollinaires Freund Pablo Picasso. Dessen damalige Lebensgefährtin Fernande Olivier wird Zeugin der polizeilichen Ermittlungen:

    "Als ich die Tür öffnete, stand vor mir ein Kriminalbeamter in Zivil, der mir seinen Ausweis vor die Nase hielt. Picasso wurde aufgefordert, ihn zu begleiten und vor dem Untersuchungsrichter eine Aussage zu machen. Pablo zog sich hastig an. Er war so aufgeregt und außer sich vor Angst, dass ich ihm dabei helfen musste."

    Zwei Tage brauchen Apollinaire und Picasso, um die Polizei von ihrer Unschuld zu überzeugen. Ein prominenter Sündenbock aber muss her: Der Louvre-Direktor Théophile Homolle verliert sein Amt: Er habe den Louvre zwar gegen Feuer, nicht aber gegen Diebstahl versichern lassen. Man gibt Mona Lisa, genannt auch "La Gioconda", verloren, sie wird aus dem Katalog des Louvre gestrichen; an ihrem Platz hängt nun Raffaels bärtiger "Castiglione".

    Mehr als zwei Jahre später, am 11. Dezember 1913, erhielt der französische Staatssekretär für die Schönen Künste Nachricht von seinem Kollegen aus Florenz:

    "Wir haben die Mona Lisa gefunden! Sie ist hier auf der Präfektur, von fünfzig bis an die Zähne bewaffneten Polizisten bewacht."

    Vincenzo Peruggia, ein junger Anstreicher aus der Lombardei, hatte 1911 an Renovierungsarbeiten im Louvre teilgenommen. Das entwendete Bild hatte er nach Italien geschmuggelt und in einem Loch hinter seinem Ofen versteckt, bevor er es dem Florentiner Kunsthändler Alfredo Geri zum Kauf anbot:

    "Signor Geri! Ich bin im Besitz des Bildes der Mona Lisa. Ich möchte das Gemälde an mein Vaterland Italien zurückgeben. Zur Deckung meiner Unkosten verlange ich 500.000 Lire. – gez. Leonardo"

    Nun klappte die Falle zu: Das Gemälde wurde identifiziert und Peruggia von der Polizei überwältigt. Nach einer triumphalen Tournee durch die Museen in Florenz, Rom und Mailand reiste Mona Lisa in einer eigens angefertigten, gepolsterten Kiste zurück in den Louvre. – Als 1914 dem Dieb Vincenzo Peruggia der Prozess gemacht wurde, begründete er seine Tat so:

    "Je häufiger ich vor dem Bild stand, umso mehr befestigte sich in mir der Gedanke, das Gemälde zu stehlen. Zweieinhalb Jahre war das kostbare Gemälde in meinem Besitz, und ich bewachte es wie ein Heiligtum."

    Heilig war die Gioconda den wenigsten ihrer Verehrer. Unzählige Male wurde sie kopiert, verunstaltet und gefälscht. Und die Mona Lisa, die jetzt im Louvre hängt, ist sie die echte? – Darüber ist sich die Wissenschaft bis heute uneins.