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Die Musik leuchtet kräftig aus der Rokoko-Zeit

"Amadis des Gaules" wurde 1779 in der Académie Royale de Musique zu Paris uraufgeführt. Es ist eines der späten Werke des jüngsten Sohns von Johann Sebastian Bach über den Helden eines Ritterromans. Eine Neuproduktion des weitgehend in Vergessenheit geratenen Werks gab es im Nationaltheater Mannheim.

Von Frieder Reininghaus | 18.10.2009
    Der Regisseur Nicolas Brieger wies zutreffend auf die Diskrepanz zwischen der Musik zu "Amadis des Gaules" und dem auf einer Vorlage von Philippe Quinault basierenden Libretto von Alphonse de Vismes du Valgay hin: Der Text sei schwach und wohl maßgeblich die Ursache für den Misserfolg, den das Werk bei und nach seiner Uraufführung 1779 in Paris hatte. Allzu schematisch erschien der Gegensatz zwischen Böse und Gut auf der Bühne und die Mittel der Zauberei abgenutzt. Aber die Musik leuchtet kräftig aus der Rokoko-Zeit herüber auch ins frühe 21. Jahrhundert. Das stattlich besetzte Mannheimer Orchester und das Dirigat des Kölner Geigers Reinhard Goebel unterstreichen mit Nachdruck die starken Farben der Instrumentierung und den "Drive" der Allegro-Sätze von Johann Christian Bach – auch wenn man sich da etwas mehr Eleganz und Gelassenheit denken oder wünschen könnte.
    Amadis, so der schemenhaft aus dem Überschwang der Musik auftauchende Plot, hat Ardan Canil, den Bruder des rachsüchtigen Arcalaus und der ihm mit ihren Empfindungen zunächst folgenden Schwester Arcabonne im Kampf um die schöne Oriane getötet – er hat sie erobert, streitet nun aber mit ihr, weil er ihre Gefühle verraten habe.

    Arcabonne aber wird von einem ihr bis dato unbekannten Gefühl der Liebe zu einem ihr unbekannten Retter aus größter Not erfasst – und der ist, ganz opernmärchenhaft, natürlich kein anderer als jener bis dahin so verfemte Amadis. Sie liebt und sorgt für Verwirrung der Ausgangskonstellation, obwohl ihr fortdauernd finster-rachsüchtiger Bruder (der auch prompt mit zwei 'Hunden' in schwarzen Strapsen auftritt) sie belehrt, dass die Liebe nichts als ein Irrtum sei (und damit, wie die Erfahrung lehrt, ja zugleich so gnadenlos Unrecht und Recht zugleich hat). Marie-Belle Sandis gibt ihren Gefühlen – nicht anders als die anderen Protagonisten – mit großer kräftiger Stimme Ausdruck.
    Die Mannheimer Neuproduktion der späten Oper von Johann Christian Bach profitiert in hohem Maß von einer strikt abstrahierenden Bühneninstallation von Roland Aeschlimann, in deren kalter Pracht die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer und Anne Debof prächtig wirken und die Konstellationen im Aufeinanderprallen der Böse-Rachsüchtigen und der gut Liebenden klar kennzeichnen.

    Aeschlimann ließ zwei Treppen voreinander bauen, die beide hoch und runter führen, aber im ersten beziehungsweise zweiten Oberstock beginnen und dort auch wieder enden, also lebenspraktisch von wenig Nutzen wären, wenn sie sich nicht auf einer Bühne befänden und dort nichts als den Ort einer Versuchsanordnung anzeigen sollten. Das erweist sich als brauchbare und plausible Lösung für ein Märchen des 18. Jahrhunderts, das Züge eines Comics hat – und die Inszenierung von Nicolas Brieger sucht dies auch gar nicht zu kaschieren. Was das Divertissement vom Vorabend des Ancien Régime in Frankreich allerdings heute auf der Bühne sagen und meinen will, wird dadurch auch nicht eben deutlich. Aber das Projekt funktioniert: Das Opernbildungsbürgertum heute ist ja für Märchen wieder so empfänglich. Und alles ist so schön und endet gut. Großer Beifall.