Gerwald Herter: War das ein Wendepunkt? Tausende Anhänger des ägyptischen Präsidenten Mubarak hatten sich gestern zur ersten großen Gegendemonstration in Kairo versammelt, um sich mit Mubarak solidarisch zu zeigen. Sie gingen so gewaltsam vor, dass das in einem Blutbad endete. Hunderte Gegner Mubaraks wurden verletzt. Nach offiziellen Angaben starben drei Menschen, vier weitere Opfer sollen vor Kurzem bei einer Schießerei ums Leben gekommen sein.
Der amerikanische Präsident Barack Obama weiß, dass es jetzt um sehr viel geht. In Kairo hatte er seine viel beachtete Rede an die islamische Welt gehalten. In dieser Nacht hat Washington versucht, mit diplomatischem Druck das Schlimmste abzuwenden.
Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat in unserer Sendung "Journal vor Mitternacht" mit dem Politikwissenschaftler Holger Albrecht von der Amerikanischen Universität Kairo gesprochen. Er hat ihn zunächst gefragt, ob klar sei, dass die Mubarak-Unterstützer in offiziellem Auftrag handelten?
Holger Albrecht: Es ist sehr offensichtlich, dass die Gewalttäter gesteuert sind, dass sie organisiert sind, dass es auch nach einem gewissen Plan verläuft. Ich will aber dazu sagen, dass es sich offensichtlich nicht allein um diese sogenannten Schlägertrupps handelt, die hier auch immer wieder eingesetzt werden vom Regime gegenüber Protestanten, sondern dass es dem Regime auch gelungen ist, in größerer Anzahl Unterstützer auf die Straße zu bringen.
Dirk-Oliver Heckmann: Und das Ziel, Chaos auszulösen, um die friedlichen Demonstrationen dann doch gewaltsam niederzuschlagen?
Albrecht: Ich glaube nicht, dass die Demonstrationen gewaltsam niedergeschlagen werden, denn die entsprechenden repressiven Kapazitäten, die liegen alleine in der Hand des Militärs und der regulären Sicherheitskräfte, und hier handelt es sich um Schlägertrupps, die Unordnung anrichten, die Chaos anrichten und die offensichtlich dazu führen sollen, dass in der Gesamtbevölkerung die Forderung nach Stabilität weiter steigt und somit auch dieser Protestbewegung etwas der Boden entzogen wird.
Heckmann: Was könnte jetzt zur Beruhigung führen?
Albrecht: Es könnte natürlich ein Rückzug, ein Abflauen der Protestbewegung gegen Hosni Mubarak zur Beruhigung führen, oder aber natürlich ein Einschreiten des Militärs.
Heckmann: Und was müsste politisch passieren, um die Lage zu stabilisieren?
Albrecht: Ein Rücktritt von Hosni Mubarak wäre sicherlich ein sehr, sehr eminenter Schritt, um die Lage sehr schnell zu entspannen.
Heckmann: Halten Sie es denn für denkbar, dass Mubarak wie angekündigt bis September im Amt bleibt?
Albrecht: Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, aus mehreren Gründen. Erstens – und das kommt in den Diskussionen oft etwas zu kurz – ist Mubarak 82 Jahre alt, er ist an Krebs erkrankt und wir wissen nicht, wie lange er noch leben wird. Zweitens gibt es Hinweise darauf, dass es möglicherweise ein Arrangement gibt zwischen den Militärs und Mubarak, dass er sich womöglich vor diesem 1. September schon zurückziehen wird und die Macht einer neuen Militärregierung wo möglich übergeben wird.
Heckmann: Herr Albrecht, Sie haben sich ja intensiv mit der Opposition in Ägypten auch beschäftigt. Immer wieder ist da von den Muslimbruderschaften die Rede. Die israelische Regierung, die warnt vor einem islamistischen Umsturz in der Region, andere weisen darauf hin, dass die Muslimbruderschaft ein breites Spektrum abdeckt. Wird dadurch aber nicht die Gefahr, die von diesen Muslimbrüdern ausgeht, kleingeredet?
Albrecht: Ich persönlich sehe keine große Gefahr, die von den Muslimbrüdern ausgeht. Die Muslimbruderschaft ist eine moderate Bewegung, es ist eine konservativ-religiöse Bewegung, sie ist andererseits auch eine Bewegung, die zum einen zunächst mal im Kern eine Sozialbewegung ist und erst in zweiter Linie eine politische Partei ist, und zuletzt ist es auch so, dass die Muslimbruderschaft sich oft sehr anpassungsfähig erwiesen hat. Ich halte es für sehr gut möglich und durchaus wahrscheinlich, dass sie sich auch demokratischen Spielregeln unterwerfen würde.
Heckmann: Aber antiisraelische, antisemitische Tendenzen gibt es auch?
Albrecht: Es gibt sicherlich antiisraelische Tendenzen, das ist klar, unter den Muslimbrüdern genauso wie unter säkularen Teilen der ägyptischen Bevölkerung.
Heckmann: Welche Perspektive sehen Sie jetzt in den nächsten Wochen, nächsten Monaten? Ist El Baradei jemand, der die politische Agenda in Zukunft bestimmen könnte?
Albrecht: Perspektiven aufzuzeigen im Hinblick auf die Etablierung eines neuen politischen Systems, sind natürlich hochgradig spekulativ. Im Moment ist der Prozess sehr im Fluss. Wir wissen nicht, in welche Richtung es gehen kann. Es kann sehr viel passieren. El Baradei wird keine herausgehobene Rolle spielen in einem politischen System, weil er keine breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung hat.
Heckmann: Und die kann er auch nicht erlangen aus Ihrer Sicht?
Albrecht: Aus meiner Sicht kann er das nicht. Er ist ein Gesicht für den Protest, allein für die Protestbewegung, die ja letztendlich nur diese Forderung nach dem sofortigen Rücktritt Mubaraks vereint und ansonsten sehr, sehr heterogen ist. El Baradei vertritt sehr elitäre Teile der Bevölkerung und hat keine Massenbasis innerhalb der Bevölkerung.
Heckmann: Nach wie vor verzichtet der Westen darauf, den sofortigen Rücktritt Mubaraks zu fordern. Ein Fehler aus Ihrer Sicht?
Albrecht: Aus meiner Sicht ist das kein Fehler. Letztendlich ist die Möglichkeit der Einflussnahme durch den Westen sehr, sehr beschränkt. Die Ereignisse in Ägypten sind im Moment so dynamisch, dass eigentlich der Westen hier im Moment gar nicht viel machen kann.
Herter: Der Politologe Holger Albrecht aus Kairo gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.
Ägyptologin verteidigt Mubarak und mahnt zur Geduld
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Der amerikanische Präsident Barack Obama weiß, dass es jetzt um sehr viel geht. In Kairo hatte er seine viel beachtete Rede an die islamische Welt gehalten. In dieser Nacht hat Washington versucht, mit diplomatischem Druck das Schlimmste abzuwenden.
Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat in unserer Sendung "Journal vor Mitternacht" mit dem Politikwissenschaftler Holger Albrecht von der Amerikanischen Universität Kairo gesprochen. Er hat ihn zunächst gefragt, ob klar sei, dass die Mubarak-Unterstützer in offiziellem Auftrag handelten?
Holger Albrecht: Es ist sehr offensichtlich, dass die Gewalttäter gesteuert sind, dass sie organisiert sind, dass es auch nach einem gewissen Plan verläuft. Ich will aber dazu sagen, dass es sich offensichtlich nicht allein um diese sogenannten Schlägertrupps handelt, die hier auch immer wieder eingesetzt werden vom Regime gegenüber Protestanten, sondern dass es dem Regime auch gelungen ist, in größerer Anzahl Unterstützer auf die Straße zu bringen.
Dirk-Oliver Heckmann: Und das Ziel, Chaos auszulösen, um die friedlichen Demonstrationen dann doch gewaltsam niederzuschlagen?
Albrecht: Ich glaube nicht, dass die Demonstrationen gewaltsam niedergeschlagen werden, denn die entsprechenden repressiven Kapazitäten, die liegen alleine in der Hand des Militärs und der regulären Sicherheitskräfte, und hier handelt es sich um Schlägertrupps, die Unordnung anrichten, die Chaos anrichten und die offensichtlich dazu führen sollen, dass in der Gesamtbevölkerung die Forderung nach Stabilität weiter steigt und somit auch dieser Protestbewegung etwas der Boden entzogen wird.
Heckmann: Was könnte jetzt zur Beruhigung führen?
Albrecht: Es könnte natürlich ein Rückzug, ein Abflauen der Protestbewegung gegen Hosni Mubarak zur Beruhigung führen, oder aber natürlich ein Einschreiten des Militärs.
Heckmann: Und was müsste politisch passieren, um die Lage zu stabilisieren?
Albrecht: Ein Rücktritt von Hosni Mubarak wäre sicherlich ein sehr, sehr eminenter Schritt, um die Lage sehr schnell zu entspannen.
Heckmann: Halten Sie es denn für denkbar, dass Mubarak wie angekündigt bis September im Amt bleibt?
Albrecht: Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, aus mehreren Gründen. Erstens – und das kommt in den Diskussionen oft etwas zu kurz – ist Mubarak 82 Jahre alt, er ist an Krebs erkrankt und wir wissen nicht, wie lange er noch leben wird. Zweitens gibt es Hinweise darauf, dass es möglicherweise ein Arrangement gibt zwischen den Militärs und Mubarak, dass er sich womöglich vor diesem 1. September schon zurückziehen wird und die Macht einer neuen Militärregierung wo möglich übergeben wird.
Heckmann: Herr Albrecht, Sie haben sich ja intensiv mit der Opposition in Ägypten auch beschäftigt. Immer wieder ist da von den Muslimbruderschaften die Rede. Die israelische Regierung, die warnt vor einem islamistischen Umsturz in der Region, andere weisen darauf hin, dass die Muslimbruderschaft ein breites Spektrum abdeckt. Wird dadurch aber nicht die Gefahr, die von diesen Muslimbrüdern ausgeht, kleingeredet?
Albrecht: Ich persönlich sehe keine große Gefahr, die von den Muslimbrüdern ausgeht. Die Muslimbruderschaft ist eine moderate Bewegung, es ist eine konservativ-religiöse Bewegung, sie ist andererseits auch eine Bewegung, die zum einen zunächst mal im Kern eine Sozialbewegung ist und erst in zweiter Linie eine politische Partei ist, und zuletzt ist es auch so, dass die Muslimbruderschaft sich oft sehr anpassungsfähig erwiesen hat. Ich halte es für sehr gut möglich und durchaus wahrscheinlich, dass sie sich auch demokratischen Spielregeln unterwerfen würde.
Heckmann: Aber antiisraelische, antisemitische Tendenzen gibt es auch?
Albrecht: Es gibt sicherlich antiisraelische Tendenzen, das ist klar, unter den Muslimbrüdern genauso wie unter säkularen Teilen der ägyptischen Bevölkerung.
Heckmann: Welche Perspektive sehen Sie jetzt in den nächsten Wochen, nächsten Monaten? Ist El Baradei jemand, der die politische Agenda in Zukunft bestimmen könnte?
Albrecht: Perspektiven aufzuzeigen im Hinblick auf die Etablierung eines neuen politischen Systems, sind natürlich hochgradig spekulativ. Im Moment ist der Prozess sehr im Fluss. Wir wissen nicht, in welche Richtung es gehen kann. Es kann sehr viel passieren. El Baradei wird keine herausgehobene Rolle spielen in einem politischen System, weil er keine breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung hat.
Heckmann: Und die kann er auch nicht erlangen aus Ihrer Sicht?
Albrecht: Aus meiner Sicht kann er das nicht. Er ist ein Gesicht für den Protest, allein für die Protestbewegung, die ja letztendlich nur diese Forderung nach dem sofortigen Rücktritt Mubaraks vereint und ansonsten sehr, sehr heterogen ist. El Baradei vertritt sehr elitäre Teile der Bevölkerung und hat keine Massenbasis innerhalb der Bevölkerung.
Heckmann: Nach wie vor verzichtet der Westen darauf, den sofortigen Rücktritt Mubaraks zu fordern. Ein Fehler aus Ihrer Sicht?
Albrecht: Aus meiner Sicht ist das kein Fehler. Letztendlich ist die Möglichkeit der Einflussnahme durch den Westen sehr, sehr beschränkt. Die Ereignisse in Ägypten sind im Moment so dynamisch, dass eigentlich der Westen hier im Moment gar nicht viel machen kann.
Herter: Der Politologe Holger Albrecht aus Kairo gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.
Ägyptologin verteidigt Mubarak und mahnt zur Geduld
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