Es fällt Kübra Gümüsay schwer, still zu stehen. Hamburg, London, die Türkei, Berlin – sie ist viel unterwegs. Jetzt sitzt die junge Frau auf einer Bank in einem Biergarten und knibbelt den abgeblätterten Lack vom Holztisch. Berlin, das Gelände des früheren Flughafens Tempelhof. Ein paar Meter weiter rollen Radfahrer und Inlineskater vorbei. Kübra Gümüsay, die Bloggerin und Journalistin, erzählt von Wanderlust und Neugier, die sie antreiben.
"Dann natürlich auch der Drang, ständig meinen Horizont zu erweitern. Ich kann nicht meinen Horizont erweitern – oder könnte ihn schon, aber es wird natürlich sehr viel schwieriger sein –, wenn ich einfach nur ständig in einer Redaktion hocken würde oder an einem bestimmten Ort."
Kübra Gümüsay verbirgt ihre Haare unter einem akkurat gebundenen Kopftuch. Die 24-Jährige gehört zu jenen jungen Muslimen in Deutschland, die sich und ihre Religion nicht verstecken wollen. Und die es satt haben, wenn der Islam immer in einem Atemzug mit Gewalt und Terror genannt wird. Kübra Gümüsays "Gegenwaffe" ist das Wort. Vor vier Jahren startete sie ihren eigenen Blog im Internet. Sie nennt ihr digitales Tagebuch "Ein Fremdwörterbuch". Sie schreibt über den deutsch-türkischen Alltag. Und sie will ein anderes Gesicht des Islams zeigen.
"Ursprünglich war das so dieses: einen Einblick gewähren in das Leben eines muslimischen Mädchens, das in Deutschland lebt. Und mittlerweile ist es für mich so eine Art Plattform, wo ich meine Gedanken aussprechen kann, weil das für mich so ein Raum ist, wo ich meine kreative Ideen platzieren kann und sammeln kann."
Der Blog wurde im vergangenen Jahr für den Grimme-Preis nominiert. Bis zu 13.000 Internetnutzer klicken ihn jeden Monat an. Mittlerweile schreibt Kübra Gümüsay auch eine Kolumne für die Tageszeitung "taz". Eine junge Frau mit Kopftuch als Kolumnistin und Journalistin – für viele in Deutschland ist das nicht nur ungewohnt, sondern eine Provokation. Böse Emails jedenfalls erhält Kübra Gümüsay zur Genüge.
"So Hasstiraden muss man dann auch auf dem Blog lesen. Leute, die sich wirklich die Zeit nehmen, ellenlange Aufsätze darüber zu schreiben, warum man vernunftunbegabt sei, unterdrückt sei, warum ich befreit werden müsste oder warum man mich aus Deutschland raus haben möchte. Verschiedene Todesanweisungen und -anleitungen. Und einfach Beschimpfungen, die unter der Gürtellinie sind. Einfach hässliche Dinge. So das Hässlichste wahrscheinlich, was unsere Gesellschaft im Internet zu bieten hat."
Solcher Rassismus trifft sie hart. Kübra Gümüsay ist eine echte Hamburgerin, aufgewachsen in Billstedt, einem Arbeiterstadtteil. Sie ist die Älteste von fünf Geschwistern. Sie lernt früh lesen, macht Abitur, studiert in Hamburg und London Politik. Sie weiß, was sie will. Lange hat sie geglaubt, dass sie – die Muslimin mit Kopftuch – in Deutschland dazugehört. Bis sie eines Tages mit Kommilitonen in einem Café über Identität diskutiert – und einer ihrer Freunde sagt:
"'Du Kübra, du bist keine richtige Deutsche für mich.' Und ich meinte: 'Ja, warum denn nicht?' Da sagt er: 'Ja, weil du ein Kopftuch trägst.' Ich musste erst mal lachen, weil ich das absurd fand."
Dieser Satz von einem Freund trifft sie noch härter als die anonymen Tiraden im Internet. Sie ist enttäuscht. Aber nicht nur das.
"Was viel schlimmer war, dann in dem Moment für mich, war das Gefühl, in einer Familie zu sein, wo man sich als Familienmitglied glaubt die ganze Zeit und alle tuscheln hinter vorgehaltener Hand: Du bist nur adoptiert. Und du merkst es aber nicht. Und das war so ein Gefühl: Ich bin in Deutschland, ich habe mich hier ziemlich wohlgefühlt, habe mich auch als Deutsche empfunden. Aber eigentlich haben alle hinter vorgehaltener Hand die ganze Zeit nur gesagt: Sie denkt, sie sei Deutsche, ist sie aber nicht."
Ein typischer Konflikt, den junge Muslime in Deutschland immer wieder erleben. Vor allem diejenigen, die ihren Glauben ernst nehmen. Und ihn nach außen sichtbar zeigen. Kopftuch, Fasten, regelmäßiges Beten – Kübra Gümüsay sagt von sich, sie sei in Glaubensfragen eine konservative Muslimin. Zugleich hat sie sich lange als Deutsche gefühlt. Aber seit der Diskussion mit dem Kommilitonen will sie sich nicht mehr über die Nation definieren, weder über die deutsche noch über die türkische.
"Mich prägt mein Musikgeschmack, meine politische Orientierung, mich prägen meine Freunde, mich prägt Kunst, mich prägen Bücher, mich prägt meine Religion, meine Familie. Und nicht primär ein Staat oder eine Nation."
Seit einiger Zeit lebt Kübra Gümüsay in Oxford. Ihr Mann promoviert dort. In England, hat sie festgestellt, wird viel eher auch der akzeptiert, der anders ist. Am Londoner Flughafen wurde ihr Pass schon von einer Beamtin mit Kopftuch kontrolliert. In Deutschland dürfte Kübra Gümüsay nicht einmal Lehrerin werden, wenn sie darauf besteht, ihr Kopftuch zu tragen. Sie hat schon darüber nachgedacht, dauerhaft in England zu bleiben.
"Ich weiß noch, als ich das erste Mal für länger in England war, war das so, dass ich nach zwei Wochen mich heimischer gefühlt habe dort als in meinen 20 Jahren zuvor in Deutschland. Und das war ein sehr trauriges Erlebnis."
Dann muss Kübra Gümüsay wieder los. Der Ramadan läuft noch, gleich will sie mit Freunden das Fasten brechen. Und am selben Abend wieder zurück nach Hamburg fahren.
Serie: Prägende Köpfe des Islams
"Dann natürlich auch der Drang, ständig meinen Horizont zu erweitern. Ich kann nicht meinen Horizont erweitern – oder könnte ihn schon, aber es wird natürlich sehr viel schwieriger sein –, wenn ich einfach nur ständig in einer Redaktion hocken würde oder an einem bestimmten Ort."
Kübra Gümüsay verbirgt ihre Haare unter einem akkurat gebundenen Kopftuch. Die 24-Jährige gehört zu jenen jungen Muslimen in Deutschland, die sich und ihre Religion nicht verstecken wollen. Und die es satt haben, wenn der Islam immer in einem Atemzug mit Gewalt und Terror genannt wird. Kübra Gümüsays "Gegenwaffe" ist das Wort. Vor vier Jahren startete sie ihren eigenen Blog im Internet. Sie nennt ihr digitales Tagebuch "Ein Fremdwörterbuch". Sie schreibt über den deutsch-türkischen Alltag. Und sie will ein anderes Gesicht des Islams zeigen.
"Ursprünglich war das so dieses: einen Einblick gewähren in das Leben eines muslimischen Mädchens, das in Deutschland lebt. Und mittlerweile ist es für mich so eine Art Plattform, wo ich meine Gedanken aussprechen kann, weil das für mich so ein Raum ist, wo ich meine kreative Ideen platzieren kann und sammeln kann."
Der Blog wurde im vergangenen Jahr für den Grimme-Preis nominiert. Bis zu 13.000 Internetnutzer klicken ihn jeden Monat an. Mittlerweile schreibt Kübra Gümüsay auch eine Kolumne für die Tageszeitung "taz". Eine junge Frau mit Kopftuch als Kolumnistin und Journalistin – für viele in Deutschland ist das nicht nur ungewohnt, sondern eine Provokation. Böse Emails jedenfalls erhält Kübra Gümüsay zur Genüge.
"So Hasstiraden muss man dann auch auf dem Blog lesen. Leute, die sich wirklich die Zeit nehmen, ellenlange Aufsätze darüber zu schreiben, warum man vernunftunbegabt sei, unterdrückt sei, warum ich befreit werden müsste oder warum man mich aus Deutschland raus haben möchte. Verschiedene Todesanweisungen und -anleitungen. Und einfach Beschimpfungen, die unter der Gürtellinie sind. Einfach hässliche Dinge. So das Hässlichste wahrscheinlich, was unsere Gesellschaft im Internet zu bieten hat."
Solcher Rassismus trifft sie hart. Kübra Gümüsay ist eine echte Hamburgerin, aufgewachsen in Billstedt, einem Arbeiterstadtteil. Sie ist die Älteste von fünf Geschwistern. Sie lernt früh lesen, macht Abitur, studiert in Hamburg und London Politik. Sie weiß, was sie will. Lange hat sie geglaubt, dass sie – die Muslimin mit Kopftuch – in Deutschland dazugehört. Bis sie eines Tages mit Kommilitonen in einem Café über Identität diskutiert – und einer ihrer Freunde sagt:
"'Du Kübra, du bist keine richtige Deutsche für mich.' Und ich meinte: 'Ja, warum denn nicht?' Da sagt er: 'Ja, weil du ein Kopftuch trägst.' Ich musste erst mal lachen, weil ich das absurd fand."
Dieser Satz von einem Freund trifft sie noch härter als die anonymen Tiraden im Internet. Sie ist enttäuscht. Aber nicht nur das.
"Was viel schlimmer war, dann in dem Moment für mich, war das Gefühl, in einer Familie zu sein, wo man sich als Familienmitglied glaubt die ganze Zeit und alle tuscheln hinter vorgehaltener Hand: Du bist nur adoptiert. Und du merkst es aber nicht. Und das war so ein Gefühl: Ich bin in Deutschland, ich habe mich hier ziemlich wohlgefühlt, habe mich auch als Deutsche empfunden. Aber eigentlich haben alle hinter vorgehaltener Hand die ganze Zeit nur gesagt: Sie denkt, sie sei Deutsche, ist sie aber nicht."
Ein typischer Konflikt, den junge Muslime in Deutschland immer wieder erleben. Vor allem diejenigen, die ihren Glauben ernst nehmen. Und ihn nach außen sichtbar zeigen. Kopftuch, Fasten, regelmäßiges Beten – Kübra Gümüsay sagt von sich, sie sei in Glaubensfragen eine konservative Muslimin. Zugleich hat sie sich lange als Deutsche gefühlt. Aber seit der Diskussion mit dem Kommilitonen will sie sich nicht mehr über die Nation definieren, weder über die deutsche noch über die türkische.
"Mich prägt mein Musikgeschmack, meine politische Orientierung, mich prägen meine Freunde, mich prägt Kunst, mich prägen Bücher, mich prägt meine Religion, meine Familie. Und nicht primär ein Staat oder eine Nation."
Seit einiger Zeit lebt Kübra Gümüsay in Oxford. Ihr Mann promoviert dort. In England, hat sie festgestellt, wird viel eher auch der akzeptiert, der anders ist. Am Londoner Flughafen wurde ihr Pass schon von einer Beamtin mit Kopftuch kontrolliert. In Deutschland dürfte Kübra Gümüsay nicht einmal Lehrerin werden, wenn sie darauf besteht, ihr Kopftuch zu tragen. Sie hat schon darüber nachgedacht, dauerhaft in England zu bleiben.
"Ich weiß noch, als ich das erste Mal für länger in England war, war das so, dass ich nach zwei Wochen mich heimischer gefühlt habe dort als in meinen 20 Jahren zuvor in Deutschland. Und das war ein sehr trauriges Erlebnis."
Dann muss Kübra Gümüsay wieder los. Der Ramadan läuft noch, gleich will sie mit Freunden das Fasten brechen. Und am selben Abend wieder zurück nach Hamburg fahren.
Serie: Prägende Köpfe des Islams