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Die Mutter aller Autorentheatertage

Stückemarkt heißt eines der Nebenforen des Berliner Theatertreffens. Hier wird jungen Dramatikern die Gelegenheit gegeben, ihre Stücke einem versierten Publikum vorzustellen. Nicht auf Papier, nicht als Lesung, sondern als Inszenierung - eingerichtet und dargeboten von Fachkräften, die was vom Handwerk verstehen und die man in der Branche kennt.

Von Irene Bazinger |
    Bislang kannte wohl kaum jemand das "Prinzip Meese", aber vielleicht, wer weiß das schon, wird ein Theaterstück mit diesem Titel der Hit der nächsten Saison. Oliver Kluck hat die frei flottierende Szenenfolge verfasst, in der die heutige Mediengesellschaft sprachlich witzig und eindringlich kritisiert wird. Kluck wurde 1980 auf Rügen geboren, ist ausgebildeter Wasserbauer und seit drei Jahren freier Schriftsteller. Als Prinzip Meese bezeichnet er mit komischem Ernst "das Finden der eigenen Verwirrung" und breitet diesen Prozess selbstbewusst und ironisch amüsant vor dem Publikum aus. Der bildende Künstler und Medienliebling Jonathan Meese allerdings taucht darin kein einziges Mal auf. Klucks Stück war nicht nur das in seiner gebrochenen Machart interessanteste, sondern eben auch in seiner fast zynischen Weltbetrachtung fordernste Werk des Stückemarkts.

    Der wurde 1978 gegründet und ist das älteste Förderprogramm für zeitgenössische Dramatik im deutschsprachigen Raum. Hier werden die neuen Arbeiten vor allem junger Autoren öffentlich vorgestellt, und zwar eingerichtet von erfahrenen Regisseuren und vorgetragen von oft bekannten Schauspielern. Trotz inzwischen vieler ähnlicher Veranstaltungen andernorts lässt sich in Berlin als Nachwuchsdramatiker im Schatten des großen Theatertreffens immer noch die meiste Aufmerksamkeit erregen, weil so viele Regisseure, Intendanten und Medienleute wie nirgends sonst anreisen. Die diesjährige Jury, darunter der Schriftsteller Christian Kracht und der Dramatiker Roland Schimmelpfennig, entschied sich unter 303 Einsendungen aus ganz Europa für fünf inhaltlich wie formal sehr unterschiedliche Arbeiten. Zum Beispiel "Fegefeuer" von Sofi Oksanen, das sich um das konfliktreiche finnisch-estnisch-russische Verhältnis dreht. Ein weiteres Stück, "Stehende Gewässer" von Markus Bauer, beschreibt den Zerfall einer Kleinfamilie. Einen Zerfall anderer Art schildert das Stück "Der Mann der die Welt aß" von Nis-Momme Stockmann. Darin fällt ein namenloser Mittdreißiger sukzessive aus allen sozialen Bindungen von Beruf über Familie bis zum Freundeskreis heraus und weiß nicht mehr weiter. Katharina Thalbach hat sich des etwas pomadigen Stücks "Zwei nette kleine Damen auf dem Weg nach Norden" angenommen und wird es gemeinsam mit Peggy Lukac vortragen. Wobei hinzugefügt werden muss, dass der französische Autor Pierre Notte als besondere Note einige Chansons eingestreut hat, die seine Heldinnen des Alltags singen sollen.

    In diesem Jahr sind für die szenischen Einrichtungen außer Thalbach etwa Claudia Bauer oder Roger Vontobel zuständig. Als Schauspieler konnten Sandra Hüller, Almut Zilcher und André Jung gewonnen werden. Oder auch Wolfram Koch, den man ebenfalls nur von den großen Bühnen her kennt. Wenn der sich auf offener Szene und winziger Spielfläche in einer Doppelrolle lediglich durch den Tonfall sowie ein paar Bewegungen von einem versteckten estnischen Widerstandskämpfer in einen machtbewussten russischen Offizier verwandelt, freut sich das Publikum sichtlich. Denn es kann aus der Nähe beobachten, was Theatermachen heißt, selbst wenn die Schauspieler weder Kostüm noch Maske tragen und das Manuskript in der Hand halten, weil sie die Texte nicht auswendig können. Und selbst wenn das Niveau der ausgewählten Stücke wie in diesem Jahr nicht gerade umwerfend ist. Die Zuschauer jedenfalls drängen sich begeistert in die kleinen Spielstätten, um dort den unbekannten Texten meist unbekannter Autoren zu lauschen. Es hat etwas von jener speziellen Romantik, wenn am Lagerfeuer Geschichten erzählt werden. Dazu kommt der Reiz, die ersten Schritte eines vielleicht bald gefeierten Dramatikers zu verfolgen. Und ihn eventuell später einmal auf der großen Bühne des Theatertreffens wiederzusehen.